Freitag, 18. November 2022

Marcel Proust

Der Post Der Tod von Marcel Proust, den ich heute vor zwei Jahren hier eingestellt habe, ist seit einer Woche in der Statistik der Top Ten der meistgelesenen Posts. Das liegt wahrscheinlich daran, dass wenn man bei Google Marcel Proust und Tod eingibt, mein Post auf der Nummer Eins der Ergebnisliste steht. Der Post könnte auch heute hier stehen, denn heute vor hundert Jahren ist Marcel Proust gestorben. Ahnte er, welche Wirkung sein Werk haben würde? Wieviel Bücher über ihn und sein Werk geschrieben werden würden? Vor sechzig Jahren hatte ich gerade den zweiten und dritten Band der Recherche gelesen, das weiß ich, weil es in meiner Leseliste steht. Seitdem hat Proust mein Leben begleitet. Ich habe alle möglichen Bücher gekauft, die mir Freunde empfahlen, aber ich hatte nie das Verlangen, in die Marcel Proust Gesellschaft einzutreten. Ich habe manche vonn deren Publikationen, aber das ist mir alles zu abgehoben und theoretisch.

Bei der Gelegenheit fällt mir natürlich Roland Barthes ein, von dem Bernard Comment gerade alles herausgegeben hat, was der je über Proust gesagt hat. Der Suhrkamp Verlag kündigt das Buch mit dem Satz an: Spricht Barthes von Proust, spricht er meistens von sich selbst. Gut, dass wir das wissen. Es gibt hier schon einen Post über Roland Barthes, und die 720-seitige Autobiographie von Tiphaine Samoyault habe ich auch gelesen. Und irgendwo rezensiert. Aber ehrlich gesagt, brauche ich Barthes nicht, um Proust zu lesen. Interessant an dem Buch ist, dass Bernard Comment, der schon 1991 ein Buch über Barthes geschrieben hat, einmal Drehbücher für Alain Tanner geschrieben hat. Nicht für meinen Lieblingsfilm Une flamme dans mon coeur, da hat die Hauptdarstellerin das Skript selbst geschrieben.

Die vielleicht wichtigste Neuerscheinung gibt es nicht am 18. Novemer 2022, dem hundertsten Todestag von Proust. Die gibt es erst am 1. Januar 2023, dann veröffentlicht der Suhrkamp Verlag auf Deutsch die im Jahre 2018 im Nachlass des Verlegers Bernard de Fallois gefundenen Fünfundsiebzig Blätter, gewissermaßen die Urform der Recherche. Weshalb man das nicht zum hundertsten Todestag hat veröffentlichen können, weiß ich nicht. Die soixante-quinze feuillets et autres manuscrits inédits gibt es bei Gallimard seit 2021 als Taschenbuch. Rechtzeitig hat der nimmermüde Luzius Keller ein Marcel Proust Alphabet fertig, das in manchem wie ein recycling seiner Proust Enzyklopädie aussieht. Leider ist seine vegriffene Proust Enzyklopädie antiquarisch niemals im Preis gesunken. 

Erfreulicherweise hat Reclam die durchgesehene Neuauflage von Bernd-Jürgen Fischers Handbuch zu Marcel Prousts 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit' als preisgünstiges Taschenbuch herausgebracht. Das passt zu der überarbeiteten und erweiterten Neuauflage von Ulrike Sprengers Das Proust-ABC. Mit den beiden Büchern ist sicher vielen Proust Lesern geholfen, die sich zum erstenmal in die riesige Kathedrale des Textes der Recherche begeben. Für Preise, die zwischen zehn und achtzig Euro liegen, kann man das hervorragende Marcel Proust Lexikon von Philippe Michel-Thiriet noch antiquarisch bekommen. Das hätte Suhrkamp ja mal als Neuauflage herausbringen können, aber ich habe das Gefühl, die verschlafen alles. Vor zwanzig Jahren, zum achtzigsten Todestag von Proust, erschien die Bibliographie Marcel Proust in Deutschland von George Pistorius. Das war nach der Erstpublikation 1981 eine erheblich ergänzte, überarbeitete und neu gestaltete Auflage. Ist teuer, ist aber eine Fundgrube für viele Dinge. Ich brauchte mir das Buch nicht zu kaufen, weil mein Freund Friedhard es mir vor Jahren geschenkt hat. 

Ein Thema, das in der Proust Sekundärliteratur nicht so häufig vorkommt, hat Andreas Isenschmid (der vor fünf Jahren das Buch Marcel Proust: Leben in Bildern herausbrachte) mit seinem Buch Der Elefant im Raum: Proust und das Jüdische aufgegriffen. Wir sollten immer bedenken, dass Marcel Proust einmal zu Emmanuel Berl gesagt hat: Alle Welt hat vergessen, dass ich Jude bin, nur ich selbst nicht. Für  Hermann Grab war das schon 1933 das Thema für einen Vortrag. Und in Frankreich ist bei Gallimard geade zu dem Thema das Buch Proust du côté juif von Antoine Compagnon erschienen. Zu seinem Buch kann ich hier einen 67-minütigen Vortrag von Professor Compagnon anbieten. Wer Compagnon ist, das weiß ich, weil ich seinen 35-seitigen Essay über die Recherche in dem von Pierre Nora herausgegebenn Buch Erinnerungsorte Frankreichs kenne; das ist ein Buch, das jeder Frankreichliebhaber lesen sollte. Die Tour de France ist auch drin.

Ich war achtzehn, als mein Freund Peter sagte: Wir müssen jetzt Proust lesen. Peter war für mich ein Wegführer, was Literatur und Kunst betraf. Ich begann, Proust zu lesen. Damals sagte mein Freund Charlie, ich müsse unbedingt Jack Kerouac lesen. Ich tat ihm den Gefallen, blieb aber immer bei meiner Proust Lektüre, bei der ich immer mehr Bücher ansammelte. Mein Freund Peter brachte mir einmal aus Paris den Katalog einer Proust Ausstellung mit, heute füllt das alles schon ein ganzes Regal. Aus dem ich immer wieder ein Buch herausnehme. Man kann Proust immer lesen. 

Proust war von Anfang an in diesem Blog. Das begann 2010 mit dem Zitat: In Wirklichkeit ist jeder Leser, wenn er liest, ein Leser nur seiner selbst. Das Werk des Schriftstellers ist dabei lediglich eine Art von optischem Instrument, das der Autor dem Leser reicht, damit er erkennen möge, was er in sich selbst vielleicht sonst hätte nicht erschauen können. Am 22. Februar 2010 gab es hier den Post Bilder, das war der erste einer Vielzahl von Posts, die ich einmal hier aufliste: The Way by Swann'sUne fillette d’un blond rouxTemps retrouvé, Combray, Marcel Proust, Eine Liebe von Swann, Notre Dame d'Amiens, Orchideen, Spargel, Bilder, lettre de lecteur, temps perdu, Hammershøis Bäume, Tennis, Abendgesellschaft, Schreiben, Proust, Der Tod von Marcel Proust, Damenmode, Kunst, schön geschrieben, selbstverliebt und larmoyant, Abstraktion, perlegi, Tänzer, Croix de GuerreAnita AbusRaymond Chandler (reloaded)Le Tréport,Träumerei. Wenn man das alles zusammenfassen würde, dann wäre es schon ein kleines Buch.


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