Sonntag, 17. Juli 2022

Croix de Guerre


Das Croix de Guerre ist ein Orden, der im Ersten Weltkrieg durch den französischen Staatspräsidenten Raymond Poincaré gestiftet wurde. In diesem Blog sind schon zahlreiche Träger des Ordens erwähnt worden: Georges BraqueBlaise Cendrars und der Philosoph Gaston Bachelard. Und der ehemalige Stabsfeldwebel Charles Godefroy, der trug bei seinem Flug unter dem Arc de Triomphe hindurch seine Uniform mit dem Croix de Guerre (lesen Sie mehr dazu in dem Post Piloten). Im Zweiten Weltkrieg hat Jean Gabin den Orden bekommen, nicht für seine Erfolge als Schauspieler: er war der älteste Panzerkommandant der fusiliers marins. Hier ein Photo von Jean Gabin, wie man ihn nicht unbedingt kennt.

Ich komme auf das Croix de Guerre, weil ich mir gerade den siebten Band der Frankfurter Ausgabe von Marcel Prousts Recherche gekauft habe. Diese Ausgabe, die seit 2004 auch als Taschenbuch lieferbar ist, hat ja hervorragende Kritiken bekommen. Der Schweizer Romanist Luzius Keller hat mit Sibylla Laemmel und der Unterstützung eines Teams die Übersetzung von Eva Rechel-Mertens überarbeitet und in vielen Teilen neu übersetzt. Das Buch enthält einen mehr als hundert Seiten langen Anhang mit Anmerkungen, eine Resumee der Handlung und einem Bericht über die Editionsarbeit. Das ist sehr schön, besser geht es nicht. Das alles findet sich in der alten Suhrkamp Ausgabe von 1960 nicht. Aber man muss bedenken, das Eva Rechel-Mertens, nicht ein derart riesiges Team von Assistenten und Helfern zur Seite stand wie Luzius Keller.

In ihrer Dankesrede zur Verleihung des Johann Heinrich Voß Preises 1966 hat Eva Rechel-Mertens gesagt: Eines freilich glaube ich sagen zu können: wenn man die gesamte 'Recherche du Temps perdu' und den 'Jean Santeuil' übersetzt hat, darf man wohl für sich in Anspruch nehmen, gewissermaßen die Hohe Schule der Übersetzung durchlaufen zu haben. Mit welchem Prädikat? Sie hier, meine Herren, haben mir zu meiner großen Freude ein gutes zuerkannt. Aber das endgültige wird eine andere Instanz mir erteilen, und zwar ‒ ich schließe mit dem Wort, das Proust an das Ende seines großen Werkes gesetzt hat ‒ die ZEIT. Sie schreibt in ihrem Manuskript das Wort Zeit in Versalien, das hatte sie sie in Die wiedergefundene Zeit auch getan. Luzius Keller schreibt das letzte Wort des Romans klein. Warum? Schließlich hatte Proust das Wort in seinem Buch in den letzten Sätzen des Romans auch groß geschrieben. Die Zeit, die für ihn hier etwas ganz Besonderes ist, wird durch Kellers Kleinschreibung zu etwas ganz Gewöhnlichem. Bei genauerer Betrachtung von Luzius Kellers Text wird man viele Stellen finden, die einen daran zweifeln lassen, ob diese Version des Textes wirklich notwendig war.

Das Croix de Guerre taucht am Anfang von Prousts Die wiedergefundene Zeit auf. Der Berufsoffizier Robert de Saint-Loup (ein Verwandter von Baron de Charlus und den Guermantes), den Proust mit der Extravaganz seiner hohen Képis und seiner Hose aus einem zu feinen und zu rosaroten Tuch als eleganten Mann beschreibt, ist etwas derangiert. Er hat seinen Orden verloren. Im einem Bordell für Homosexuelle, of all places. Eva Rechel-Mertens hatte das Croix de Guerre mit Kriegskreuz eingedeutscht. Und was macht die Frankfurter Ausgabe? Auch da ist es das Kriegskreuz. Ich halte diese völlig unnötige Eindeutschung des Ordens für einen Fehler des Übersetzers. Erstaunlicherweise übersetzt Bernd-Jürgen Fischer, dessen bei Reclam erschienene Übersetzung von den Rezensenten als frischer und moderner als die Mertens/Keller/Laemmel Übersetzung gelobt wurde, das Croix de Guerre auch wieder mit Kriegskreuz

Dank Bernd-Jürgen Fischer ist Reclam zu einem Proust Verlag geworden, sie vermarkten seine Neuübersetzung im Internet ziemlich aggressiv. Erfreulicherweise haben sie gerade die durchgesehene Neuauflage von Fischers Handbuch zu Marcel Prousts 'Auf der Suche nach der verlorenen Zeit' als preisgünstiges Taschenbuch herausgebracht. Das passt zu der Neuauflage von Ulrike Sprengers Das Proust-ABC. Der normale Leser ist mit Fischers Handbuch sicherlich besser bedient, als wenn er ein Vermögen für Luzius Keller vergriffenes Proust Enzyklopädie ausgeben würde. Ich mag die Übersetzung Fischers nicht besonders, das habe ich schon in Eine Liebe von Swann gesagt.

Die Frage ist, wie vergleicht man Übersetzungen? Eine Möglichkeit ist der berühmte Seite 99 Test. Die Literaturkritikerin Sieglinde Geisel hat das in ihrem Magazin tell gemacht. Schauen Sie mal hinein. Und dann machen Sie bei allen Büchern, die Sie nicht zuende gelesen haben, den Seite 99 Test.

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