Dienstag, 26. Juli 2022

skying

Keine Ahnung von Mythologie und klassischen Regeln, doch Wolken malen kann dieser Friedrich, sagt der Geheimrat Goethe über den Maler Caspar David Friedrich in Lea Singers Roman Anatomie der Wolken. Sie haben sich nicht nur im Roman, sondern auch in der Wirklichkeit einmal getroffen, Goethe hielt allerdings wenig von Friedrichs Kunst. Die Bilder von Maler Friedrich können ebensogut auf den Kopf gesehen werden, hat er gesagt. In Lea Singers Roman diskutieren die Herren über Wolken. Goethe, der selbst Wolkenstudien betreibt, hat Luke Howards On the Modification of Clouds gelesen und will das dem Maler näherbringen. Er scheitert damit, Caspar David Friedrich hält nichts von den neumodischen meteorologischen Erkenntnissen. Für Goethe, der sich in einem Gedicht als Schüler Howards bezeichnete, ist der Londoner Apotheker ein Genie, für ihn schreibt der Hobbymetereologe Goethe 1821 sogar ein Gedicht: Howards Ehrengedächtnis:

Er aber, Howard, gibt mit reinem Sinn 
Uns neuer Lehre herrlichsten Gewinn;
Was sich nicht halten, nicht erreichen läßt,
Er faßt es an, er hält zuerst es fest;
Bestimmt das Unbestimmte, schränkt es ein,
Benennt es treffend! - Sei die Ehre dein! 

In dem Jahr, in dem Goethe Howards Ehrengedächtnis schreibt, beginnt ein englischer Maler mit einer Tätigkeit, die er skying nennt, schnelle Skizzen vom Himmel und den Wolken anzufertigen. Die über einhundert cloud studies, die er 1821 und 1822 malt, wird er nicht verkaufen; sie finden sich nach seinem Tod beinahe vollständig in seinem Studio. Es ist ein zweckfreies Malen, Constable wird keine dieser Skizzen für seine Gemälde verwenden. Das Malen ist für ihn ein Ausdruck des Gefühls: painting is with me but another word for feeling, schreibt er seinem Freund John Fisher. So sehr wir heute diese cloud studies bewundern, muss man auch sagen, dass unser Maler mit diesen schnellen Bildern mit dünner Ölfarbe auf Papier nicht der erste ist, der so etwas macht. 

Denn da ist der Franzose Pierre-Henri de Valenciennes, den Simone Schultze in ihrer Doktorarbeit den wahren Entdecker des auf der Leinwand festgehaltenen unmittelbaren Eindrucks der Natur genannt hat. Valenciennes hatte schon um 1780 Wolkenstudien wie diese hier angefertigt. Flüchtige Skizzen, worin die Natur auf frischer That erhascht wird. Im Original heißt es in seinem Traktat über die Malerei saisir la Nature sur le fait, und das ist das ganze Geheimnis dieser Malerei. Werner Busch, einer der wenigen deutschen Kunsthistoriker, der sich immer wieder mit der englischen Malerei beschäftgt hat, schreibt dazu: Wenn Constable später sagen sollte, der Himmel sei die 'key note' des Landschaftsbildes und die 'source of light in nature - and governs everything' dann hat Valenciennes dies ähnlich schon zuvor festgestellt: 'Man muss sich recht innig überzeugen, dass von dem Tone der Luft [‘du tont du ciel'] das Ganze des Gemähldes abhängt...'. Und zum Schluss folgt die berühmte Passage, die selten vollständig zitiert wird, was hier nach der deutschen Ausgabe von 1803 durchaus der Fall sein soll: 'Es ist gut, wenn man dieselbe Aussicht zu verschiedenen Stunden des Tages mahlt, damit man die Ver­schiedenheit, welche durch das Licht an der Form der Dinge entsteht [‘que produit la lumiere sur les formes’], desto besser beobachten lerne. Die Veränderungen sind so auffallend und so erstaunlich, dass man kaum dieselben Gegenstände wieder erkennt'.

Was Busch hier zitiert ist Valenciennes Rathgeber für Zeichner und Mahler, besonders in dem Fache der Landschaftsmahlerei, der auch deutsche Maler wie zum Beispiel Carl Blechen beeinflusst haben kann. Vielleicht sogar Caspar David Friedrich: Nichtsdestotrotz hat Friedrich bereits in seinem Skizzenbuch von 1806-1808 ausführlich Wolkenstudien betrieben, allerdings nur mit dem Bleistift und nach den Empfehlungen von Pierre-Henri de Valenciennes, der bei der Flüchtigkeit der Wolken vorschlug, die Farbbenennungen einfach nur in Worten aufs Blatt zu schreiben, schreibt Busch in Das unklassische Bild: von Tizian bis Constable und Turner. Wenn Sie mehr zu Valenciennes, Constable und Friedrich lesen woillen, habe ich hier Buschs gewichtigen Aufsatz Alles Unvollständige ist der Zeitlichkeit unterworfen: Der Anteil des Betrachters an der 'Vervollständigung' der Kunst um 1800 für Sie.

Das hier ist nach zwei Bildern von Valenciennes mal wieder ein Constable. Was Constable über sein skying zu sagen hat, findet sich in dem vielzitierten Brief an seinen Freund John Fisher vom 23. Oktober 1821, in dem er auch auf die Kritik eingeht, dass seine Himmel zu viel Gewicht im Bild hätten: That landscape painter who does not make his skies a very material part of his composition neglects to avail himself of one of his greatest aids. Sir Joshua Reynolds, speaking of the landscapes of Titian, of Salvator, and of Claude, says : ' Even their skies seem to sympathise with their subjects.' I have often been advised to consider my sky as 'a white sheet thrown behind the objects.' Certainly, if the sky is obtrusive, as mine are, it is bad; but if it is evaded, as mine are not, it is worse; it must and always shall with me make an effectual part of the composition. It will be difficult to name a class of landscape in which the sky is not the keynote, the standard of scale, and the chief organ of sentiment. You may conceive, then, what a 'white sheet' would do for me, impressed as I am with these notions, and they cannot be erroneous. 

The sky is the source of light in nature, and governs everything; even our common observations on the weather of every day are altogether suggested by it. The difficulty of skies in painting is very great, both as to composition and execution; because, with all their brilliancy, they ought not to come forward, or, indeed, be hardly thought of any more than extreme distances are; but this does not apply to phenomena or accidental effects of sky, because they always attract particularly. I may say all this to you, though you do not want to be told that I know very well what I am about, and that my skies have not been neglected, though they have often failed in execution, no doubt, from an over-anxiety about them which will alone destroy that easy appearance which nature always has in all her movements. Constable hat seinen Freund und Gönner, der inzwischen Bischof von Salisbury geworden war, in sein vielleicht schönstes Bild, die Kathedrale von Salisbury, hineingemalt. Constable hat Valenciennes Buch nicht gekannt, wollte man Vorbilder für seine Himmel suchen, so wären wohl Alexander Cozens und Thomas Jones zu nennen.

Der erste Kunsthistoriker, der sich mit Constables Wolkenkunst beschäftigte, ist der in die Emigration vertriebene Deutsche Kurt Badt gewesen. Sein Buch Constable's Clouds erschien, übersetzt von Stanley Godman, 1950 bei Routledge & Kegan Paul und noch einmal 1971 als Reprint bei Albert Saifer in Philadelphia. Beide Ausgaben sind vergriffen. Vielleicht ist etwas von dem deutschsprachigen Manuskript, das nie veröffentlicht wurde, in Badts Buch Wolkenbilder und Wolkengedichte der Romantik gewandert. Ich wollte immer einmal etwas über Kurt Badt schreiben, vorerst muss das genügen, was in den Posts John Constables Wolken und limited but abstracted art über ihn steht.

In seinem schönen, essayistischen Buch Wolkendienst, das vor fünf Jahren auf der Shortlist der Leipziger Buchmesse stand, widmet Klaus Reichert John Constable ein Kapitel. In dem wir auch erfahren können, dass der Pianist Alfred Brendel in Hampstead in einem Haus wohnt, in dessen Nachbarschaft John Constable einst seine Werkstatt hatte. Von wo er hinausging auf die Heide von Hampstead, um seinem skying nachzugehen. Das Kapitel zeigt uns auch, dass Klaus Reichert alles gelesen hat, was Werner Busch über Constable geschrieben hat. Das Kapitel ist dem Dichter Jan Wagner zugeeignet, und auf den letzten Seiten des Essaybandes erfahren wir, dass Jan Wagner ein John Constable Gedicht geschrieben hat. Ich musste einige Zeit suchen, bis ich es in dem Band Die Live Butterfly Show fand:

constable: wolkenstudien

»I am the man of clouds.«
(John Constable)

für Klaus Reichert

kaum da, fast nichts – doch wie sie dieser landschaft 
gewicht verleihen, wenn sie ihren bogen 
beschreiben, alle himmel sich beziehen; 
alpen des augenblicks, als haufenwolken, 
in zirren, jagen schatten über feld 
und wiese, geben alldem einen rahmen.

die heide, hampstead, ihre panoramen,
und in der ferne london, die gesellschaft.
er steht auf seinem hügel wie en feld-
herr, fängt bei sonne, unterm regenbogen,
im hagelschauer ein, was mit den wolken
entsteht. schon morgens in der hand das ziehen

und kribbeln, dieser wunsch, hinauszuziehen
zu wandern, um mit farben, lappen, rahmen
die dinge ins verhältnis zu den wolken
zu setzen. wie er allem sinn verschafft,
den pinsel führt wie einen geigenbogen;
die hand, die glatt, nicht faltig ist, geriffelt.

als junge stundenlang in einem feld
zu liegen und die schemen vorzuziehen
den kinderspielen, trommel, pfeil und bogen,
weil sie nicht dauern, aber alle dramen
zu spiegeln wissen, ängste, leidenschaft:
wer wolken zusah, wurde selbst zu wolken,

reiste mit einer kühnen flotte wolken
nach süden richtung windsor oder felt-
ham teil der großen wolkenbruderschaft, 
wo streit nie bitter ist und schnell verziehen. 
in einem stall beginnt die milch zu rahmen. 
das eisen in der schmiede wird gebogen.

der himmel jetzt so rot wie mohn, wie bougain- 
villea, und die zukunft hinter wolken
versteckt – die ehrungen im edlen rahmen
des louvre, der academy, im vorfeld
marias schwindsucht, kinder großzuziehen –, 
und wieder greift er nach dem pinselschaft,

weil doch der nächste bogen weiß es schafft, 
all das zu rahmen, was schon jetzt zerfällt, 
indem die wolken stetig weiterziehen.



3 Kommentare:

  1. Klaus Reichert und Jan Wagner sind beide nicht so mein Fall, ehrlich gesagt - Jan Wagner steht mit diesem Zitat über Constable für mich für beide: "(...) wie er allem Sinn verschafft". - Das sind vollsythetische Gedanken und als solche für mich, ich sage es noch mal ein wenig anders, recht nichtig.

    Bon - aber Ihr Artikel über Wolken bereichert mich sehr! Was Kurt Badt über Valenciennes schreibt ist herzallerliebst!

    Um Ihre Überlegungen mit zween Weiterungen zu bedenken: Georg von Dillis über Jahre 1800 ff. in Bayern, bzw. München verfertigte Wolkenstudien sind in Deutschland der Beginn der reinen Wolkenmalerei. Und Hans Magnus Enzensbergers Gedichtband "Geschichte der Wolken" ist ein Datum in der Geschichte der deutschen Poeterei - nicht zuletzt wegen des großartigen Umschlagbildes von Ludwig Wilding! - Der späte, ständig kiffende Hamburger Poet Peter Rühmkorf hat in seinem Tagebuch "Tabu I" die Wolken ebenfalls mit hinreißenden Bemerkungen bedacht.

    Vielen Dank für Ihren Post!

    PS
    Ich schreibe als ein Fotograf, der seit Jahrzehnten danach trachtet, dem Sujet der Wolken Interessantes abzugewinnen.
    Fotografische Werk, dem ich mich verpflichtet fühle, sind: Jean Odermatts "Himmelsland" und Michael Ruetz' Allgäuer Timescapes - der Interessierte findet eine ganze Reihe deiser Aufnahmen auch online. Beides sind großartige Wolkenbildner!
    Fellt mir ein: Der Schweizer Schriftsteller Peter Weber hat in seinem Roman Der Wettermacher großartige verbale Wolkenbeschwörungen und - er war mit einem mittlerweile verstorbenen Schweizer Wolkenfotografen auf Vortragsreise.

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    1. Vielen Dank für Ihren Kommentar. Ich werde allem nachgehen, den 'Wettermacher' habe ich schon bestellt.

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  2. Gern geschehen!

    Hier ist ein schöner Michael Ruetz Wolkenfotos-Link:

    https://michaelruetz.de/absolute-landschaft/
    Des gestorbenen Jean Odermatts Netzseite
    https://www.jeanodermatt.com/

    Und da ist einer von Peter Rühmkorfs Wetter- und Wolken-Einträge aus TABU I, die mir sehr gefallen haben. Hab' das Buch nach einem Vierteljahrhundert wieder vorgenommen  und gefunden, dass nicht viele solcher Einträge drinstehen. Diese wenigen aber haben mich offenbar sehr beeindruckt... - Dass sein neuer Reim direkt mit Anklängen an Fotopapiere und Vergrößerungen aufwartet, hat vermutlich dazu beigetragen:

    "3. Januar. Der Morgen eine Schweinspfote im Gefrierbeutel. Ziemlich steifes Licht, weiß-gelb-rot, wie erfroren. Paar vermummelte Menschen am leergeblasenen Strand. Eine Handvoll Krähen vom Wind mal hierhin, mal dorthin geschaufelt, herumtorkelnd, scheinbar wahllos und dann plötzlich doch zielsicher abschmierend. Um 16.00 die Sonne wie eine Khakifrucht - eine weltentrückte künstliche Sache. Aprilkind, Akrylprint: einen abseitigen Schüttelreim gefunden, und du denkst, du hast was geleistet." 

    Joe Cornish ist ein reflektierter UK Landschaftsfotograf und er sagt einige haltbare Dinge über die Landschaftsfotografie - auch im Hinblick auf Landschaftsmalerei (Turner, The Sublime...). Auf sein Pond-Foto an einem bedeckten Tag am Anfang des Vortrags bin ich ein bisschen neidisch.
     
    https://www.youtube.com/watch?v=R-G27Fdgx50

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