Samstag, 2. Juli 2022

Freuds Prinzessin


Eine Dame auf der Couch eines Psychiaters. Sie sagt ihm gerade: Ich hatte Mörder gerne, sie kamen mir interessant vor. War mein Großvater nicht selbst einer, als er den Journalisten Victor Noir tötete? Und mein Urgroßonkel, Napoleon, was für ein monumentaler Mörder! Sie heißt Marie Bonaparte und ist eine Prinzessin. Der Psychiater heißt Sigmund Freud, die Prinzessin hat ihm die Flucht aus Österreich ermöglicht. Dies ist natürlich eine Filmszene, Sie können den Film, in dem Catherine Deneuve die Prinzessin Bonaparte spielt, hier sehen. 

Im Jahre 1907 hat Marie Bonaparte einen Prinzen geheiratet. Der kommt aus einem Land, das gerade den Staatsbankrott erklärt hat. Der Bankrott wird mit den Worten von den lieben, nie zahlenden Griechen in Fontanes Stechlin erwähnt. Der Prinz hat kein Geld, aber einen Titel. Das Geld hat sie. Nicht aus der Familie ihres Urgroßonkels Napoleon, das Geld kommt vom Opa mütterlicherseits, der die Spielbank von Monte Carlo gegründet hat. Die Prinzessin ist nicht nur Freuds Patientin, sie ist auch seine Schülerin und wird selbst Psychoanalytikerin werden. Und sie interessiert sich für Mörder. Unter dem Einfluss des Soziologen Gustav Le Bon besucht sie Mordprozesse und schreibt Bücher wie  Der Fall Lefebvre: Zur Psychoanalyse einer Mörderin.

Sie schreibt aber noch über jemand anderen, über einen Schriftsteller, in dessen Welt Mord und Wahnsinn eine Rolle spielen: And much of Madness and more of Sin And Horror the soul of the plot. Sie veröffentlicht 1933 eine  psychoanalytische Studie über Edgar Allan Poe (hier die deutsche Übersetzung des Buches). Ihr Freund Sigmund Freud schreibt einige nette Zeilen für das Vorwort: Meine Freundin und Schülerin Marie Bonaparte hat in diesem Buch das Licht der Psychoanalyse auf das Leben und das Werk eines großen krankhaft gearteten Dichters fallen lassen. Dank ihrer Deutungsarbeit versteht man jetzt, wieviel von den Charakteren seines Werkes durch die Eigenart des Mannes bedingt ist, erfährt aber auch, daß diese selbst der Niederschlag starker Gefühlsbindungen und schmerzlicher Erlebnisse seiner frühen Jugend war. Solche Untersuchungen sollen nicht das Genie des Dichters erklären, aber sie zeigen, welche Motive es geweckt haben und welcher Stoff ihm vom Schicksal aufgetragen wurde. Es hat einen besonderen Reiz, die Gesetze des menschlichen Seelenlebens an hervorragenden Individuen zu studieren.

Man hätte Marie Bonaparte vielleicht vergessen, wenn sie nicht 2004 von Catherine Deneuve gespielt worden wäre. Ihr Leben reicht nicht nur für einen in Wien gedrehten dreistündigen Fernsehfilm, es reicht für mehrere Romane. Nachdem Freud 1938 mit der Couch aus seinem Wiener Behandlungszimmer nach London gekommen war, versuchte die Prinzessin, griechische oder französische Visa für seine Schwestern in Wien zu bekommen, es ist ihr nicht gelungen. Freuds vier Schwestern wurden von den Nazis in Konzentrationslagern ermordet.

Diesen apulischen Glockenkrater aus dem vierten Jahrhundert hatte die Prinzessin, die heute vor einhundertvierzig Jahren geboren wurde, Sigmund Freud geschenkt. Sie wusste, dass er Antiken liebte, noch mehr als seine ZigarrenIch arbeite in einem großen, ruhigen Parterreraum mit Bergaussicht an der Vervollständigung meiner Traumarbeit. Meine von Dir so wenig anerkannten alten und dreckigen Götter beteiligen sich als Manuskriptbeschwerer an der Arbeit, schreibt Freud 1889 an seinen Freund Wilhelm Fließ. Das Geschenk der Prinzessin war ein Prunkstück seiner Sammlung, von der er dank der Prinzessin einen großen Teil hatte nach London mitnehmen können. Die Sammlung ist heute zum größten Teil im Freud Museum in London zu sehen. Die berühmte Couch auch. Der apulische Glockenkrater nahm nach Freuds Tod seine Asche auf, das hatte sich seine Familie so gewünscht. Vor acht Jahren wurde er von Dieben bei einem Einbruch im Krematorium von Golders Green schwer beschädigt. Wussten die Einbrecher, was sie taten?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen