Ich kannte weder Buch noch Verfasser, aber der Titel war verlockend: Der letzte Dandy: Ein Kierkegaard Roman. Und dann gab es da noch dieses schöne Motto:
Mein Denken ist eine Leidenschaft. Ich kann
vortrefflich für andre Trüffeln aufwühlen,
selbst habe ich an ihnen keine Freude. Ich
nehme die Probleme auf meine Nase; aber ich
vermag mit ihnen nicht mehr zu tun, als sie
nach rückwärts über meinen Kopf zu werfen.
Das beschrieb wunderbar meine Tätigkeit als Blogger. War es wirklich von Kierkegaard, wie der Autor Klaas Huizinga behauptete? Auf jeden Fall gab es den Ausschlag zum Kauf des Buches. Es fängt auch gut an, mit einem Prolog der Der Club der falschen Propheten heißt:
Mein lieber Sören, lassen Sie uns bei diesem weichen Wetter einen Spaziergang an den Strand unternehmen. Er erinnert mich aufs Angenehmste an die Sommerfrische auf der Kurischen Nehrung. Wir hatten in Nidden, ich weiß nicht, ob Sie es von hier oben verfolgt haben, ein sehr kommodes Ferienhaus. Vielleicht verflüchtet sich bei unserem kleinen Wandel auch mein leichtes Sodbrennen, denn ich habe gestern sehr unbedacht meinen Nachmittag damit vertan, allerlei Beeren und Trauben zu essen. Meine leichte Luftröhrenaffektion meldet sich zudem zurück. Und heute Abend erwartet mich der Heidenlärm eines Mozart-Konzertes. Der Maestro persönlich spielt auf seinem albern-mattweißen Flügel. Dieses genialisch-neckische Spiel! Wie er seine Leidenschaften ausstellt! Erschreckend!
Unsere Promenaden, die wir manches liebe Mal unternommen haben, sind mir sehr teuer geworden.
Hier spricht Thomas Mann. Nicht der wirkliche Thomas Mann, sondern der, den der Autor Klaas Huizinga für seinen Roman erfunden hat. Der sich offensichtlich bei Thomas Mann gut auskennt. Denn die Maria Mancini aus Bremen kommt auch schon im Zauberberg vor: »Wie schmeckt der Krautwickel, Castorp? Lassen Sie mal sehen, ich bin Kenner und Liebhaber. Die Asche ist gut: was ist denn das für eine bräunliche Schöne?« »Maria Mancini, Postre de Banquett aus Bremen, Herr Hofrat. Kostet wenig oder nichts, neunzehn Pfennig in reinen Farben, hat aber ein Bukett, wie es sonst in dieser Preislage nicht vorkommt. Sumatra-Havanna, Sandblattdecker, wie Sie sehen. Ich habe mich sehr an sie gewöhnt. Es ist eine mittelvolle Mischung und sehr würzig, aber leicht auf der Zunge. Sie hat es gern, wenn man ihr lange die Asche läßt, ich streife nur höchstens zweimal ab. Natürlich hat sie ihre kleinen Launen, aber die Kontrolle bei der Herstellung muß besonders genau sein, denn Maria ist sehr zuverlässig in ihren Eigenschaften und luftet vollkommen gleichmäßig. Darf ich Ihnen eine anbieten?«
Ich weiß zwar nicht so ganz, was Zigarren in einem Lungensanatorium verloren haben, aber die Firma Maria Mancini gab es wirklich. Sie ist inzwischen von der deutschen Manufaktur August Schuster in Bünde, wo ja seit dem 19. Jahrhundert der größte Teil der deutschen Tabakindustrie sitzt, wiederbelebt worden. Nicht, dass die da in Bünde Tabak anbauten. So etwas wie Bahndamm Sonnenseite, was mein Opa nach dem Krieg auf dem Dachboden trocknete. Nein Bünde verdankt seinen Status als Zigarrenstadt wahrscheinlich dem Tönnies Wellensiek, der in Bremen Zigarrenmacher (die Bremer Zigarrenmacher kommen schon in diesem ➱Post vor) gelernt hatte. Und dann mit einer Kiepe voll Tabak nach Bünde gewandert ist und eine Fabrik aufgemacht hat. Er hätte sicher auch in Bremens ältester Zigarrenfabrik von Martin Wilckens in Burgdamm eine Anstellung gefunden, aber in Bünde war er sein eigener Herr. Die Bremer werden ihm nicht nachgeweint haben, die Zigarrenmaakers in den 78 Tabakfabriken in Bremen galten als aufrührerisches Gesindel. Wahrscheinlich, weil sie die erste organisierte Arbeiterschaft in Bremen waren. Die Marke Maria Mancini aus Bünde hat neuerdings auch ein Modell namens Magic Mountain im Programm. Soviel zum Thema Literatur und Tabakwerbung.
Nicht nur Thomas Mann war den Zigarren (und Zigaretten) zugetan. Auch Kierkegaard verschmähte die Coronas nicht. Das Zigarrenrauchen war in Dänemark eine neue Mode, es war erst in den 1830er Jahren aufgekommen. So hört man um 1831 aus Paris (wo es unwesentlich früher chic geworden war): Die Cigarre ist ein Bedürfnis, eine Sucht, eine Mode, ein Zeichen der Fashionabilität geworden, welcher man sich nicht mehr entledigen kann. Das, was noch vor wenigen Jahren ein Gegenstand der Verwerfung war, ist nun zum Typ der guten Gesellschaft geworden. Die Cigarre ist von den Tabakstuben in die Kaffeehäuser, von den Kaffeehäusern auf die Promenade gedrungen; von hier in die Salons ist es nur ein Schritt, und wenn das fort geht, so werden wir bald in den Boudoirs den Weihrauchduft der Cassoletten durch den Tabakdampf verdrängt sehen. Die Dänen haben natürlich noch den Vorteil, dass sie immer noch ihre westindischen Kolonien haben. Zwar gibt es da keine Sklaven mehr (mit denen ➱Graf Schimmelmann so reich wurde), aber für die Nachfuhr der Grundsubstanzen für Zigarren und Flensborger Rum ist gesorgt.
Der junge Philosoph Kierkegaard hat diese Mode schnell adaptiert. So notiert er in seinem Journal im Jahre 1835 bei einem Besuch in Gilleleje: Ebenso wie ich nun bei meiner Ankunft nicht zu befürchten hatte, zum Gegenstand von deren Spott zu werden, denn in einem Menschen mit moderner Kleidung, mit Brille und einer Zigarre im Mund erwarteten sie eher ein Wesen zu finden, das auf dem gleichen Gipfel der Erkenntnis steht wie sie. Und in der fiktiven Welt vom Tagebuch des Verführers widersteht der moderne Don Giovanni allen Verlockungen, wenn er seine Zigarre genießt: sieh dich nur nach mir um, mein Auge folgt dir; rufe und locke mich, das kannst du nicht, die Sehnsucht reißt mich nicht hin, ich sitze hier ruhig am Graben und rauche meine Zigarre. – Ein ander Mal – vielleicht.
Und der Kierkegaard Forscher Joakim Garff weiß in seiner hervorragenden Kierkegaard Biographie sogar einiges über Kierkegaards Tabakkonsum:
Seine faustische Periode hat Kierkegaard einiges gekostet, existentiell wie finanziell. Aus dem in Wolle gezwängten Jüngling, den die Schulkameraden Socken-Sören nannten, entwickelte sich damals ein eitler Dandy, der wie maßgeschneidert zur Spätromantik paßte. Mit Hilfe von Darlehen und Krediten und ganz im Gegensatz zur herrnhutischen Genügsamkeit im Elternhaus hat er sich ungeheure extravagante Marotten angewöhnt. Da gab es einen immensen Konsum an Theatervorstellungen, an philosophischer und ästhetischer Literatur, Cafébesuchen, extravaganten Mänteln (der rotkohlfarbene wird durch einen zitronengelben ersetzt), Hüten, Fiakern, Speisen, Weinen, kistenweise Zigarren der Marken Las tres Coronas und La Paloma mit zugehörigen Futteralen sowie monatlich 500 Gramm Pfeifentabak der venezulanischen Variante Varinas, eine echte, reine und erstklassige Ware, die in Packungen à 6 Rollen in Binsenkörben gestapelt waren. Darüber hinaus figurieren Spazierstöcke, Seidenschals, Handschuhe und anderer Lebensbedarf, darunter etliche Flaschen Eau de Cologne, auf den Rechnungen.
Seit wir den Tabak kennen, hat das Genussgift (welch schönes Wort) Freunde und Feinde gehabt. Kurz nachdem Sir Walter Raleigh den Tabak nach England gebracht hatte, schreibt sein König James: The habit of smoking is disgusting to sight, repulsive to smell, dangerous to the brain, noxious to the lung, spreading its fumes around the smoker as foul as those that come from Hell. Das hat aber niemanden vom Rauchen abgehalten. Vor allem die Schriftsteller und Philosophen nicht. Weiter kann ich diesen Abend der Augen wegen nicht schreiben, und doch mag ich noch nicht zu Bette gehen, ich stecke mir also eine Pfeife an und lösche das Licht aus, um noch eine Viertelstunde ganz klar an meineFreunde zu denken. Das Rauchen im Dunkeln ist würklich eine angenehme Beschäftigung, und wenn man sonst wohl ist, so denke ich, kommt es unmittelbar nach dem Küssen im Dunkeln, also gute Nacht – schreibt Georg Christoph Lichtenberg.
Was wäre Karl Marx (oder Groucho Marx) ohne seine Zigarre? Was wären Sartre und Camus ohne ihre Gauloises? Bei Sartre ist das ja schon pathologisch, bei Camus sieht es aus es aus, als hätte er die Fluppe nur für Cartier-Bresson in den Mund gesteckt. Aber was wäre Kierkegaard ohne seine Coronas? Die Existenzphilosophen von Kierkegaard bis Camus scheinen für den Tabak besonders anfällig zu sein. Heidegger verschmähte die Zigarre nicht, seine zeitweilige Geliebte Hannah Arendt rauchte Zigarren mit Leidenschaft. Da bleibt einem doch nur das schöne Zitat von Tieck: Vielleicht soll sich zu Zeiten der Mensch mehr betäuben, und dann ist es wohl möglich, daß er jenen alten verrufenen blauen Dunst für ein wirkliches Gut hält. Nicht bloß Taback, auch philosophische Phrasen, Systeme, und manches andre wird heut zu Tage geraucht, und beschwert den Nichtrauchenden ebenfalls mit unleidlichem Geruch.
Der dänische Dandy und Philosph Søren Aabye Kierkegaard wurde heute vor zweihundert Jahren geboren. Damit dieser Post auf eine etwas höhere geistige Ebene kommt, gebe ich jetzt einmal ganz kurz einen Ausblick auf kulturhistorische Publikationen, die sich dem blauen Dunst widmen. Und damit meine ich nicht so nette Büchlein wie ➱Christa Jekoffs Rauchzeichen: Die Liebe zum Tabak. Ein literarisches Handbuch. Es muss schon gewichtiger sein. Wie ➱Wolfgang Schivelbusch Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft: Eine Geschichte der Genussmittel.
Das schönste Buch zu dem Thema stammt von einem Kubaner, ich sollte besser sagen Exilkubaner. Denn Guillermo Cabrera Infante war zu einem Gegner Castros geworden, den er anfänglich unterstützt hat. Wir kennen ihn als Schriftsteller, wir verdanken ihm den wunderbaren Roman Tres tristes tigres (Drei traurige Tiger), und als leidenschaftlichen Cineasten. Aber 1985 (da war er schon englischer Staatsbürger) hat er Holy Smoke (dt. Rauchzeichen) geschrieben. Eine ➱Kulturgeschichte (und Filmgeschichte) des blauen Dunstes. Der man immer noch die Liebe zur verlorenen Heimat Kuba anmerkt: Some twenty years ago the idea (come from England, no doubt) that cigars, like Loos’s blondes, were for gentlemen only, was dispelled by the scraggly mien of Fidel Castro and Che Guevara’s handsome head, both clad in US Army surplus fatigues, both enveloped in smoking beards and both smoking foul, fat cigars. These, gentlemen, were no gentlemen.
Dem Buch von Guillermo Cabrera Infante muss man noch ein zweites an die Seite stellen, nämlich Cigarettes Are Sublime von dem amerikanischen Romanistikprofessor Richard Klein. Das ➱Buch ist bei der Duke University Press erschienen, was ja nur passend ist. Denn diese Privatuniversität hat ihren Namen nach der Familie Duke, die einen Tabakkonzern ihr Eigen nennt. Die deutsche Ausgabe ist unter dem Titel Schöner blauer Dunst bei Hanser erschienen, woraus wir schon schließen können, dass es sich um etwa Schöngeistiges handelt. Zumal es ein Zitat von Madame de Girardin auf dem Cover hat: If Prometheus had stolen the heavenly fire to light is cigar, the gods would have let him take it.
Wenn Ihnen das zum zweihundertsten Geburtstag von Kierkegaard zu wenig Kierkegaard war, dann lesen Sie doch den Post ➱Kierkegaard. Und falls Sie noch etwas mehr Nikotin brauchen, hätte ich hier noch den Post ➱Tabac Trennt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen