Mittwoch, 8. Mai 2013

8. Mai


Ich wollte heute eigentlich nicht schreiben. Der Post über ➱Caspar David Friedrich hat, wie Sie sich vorstellen können, einige Arbeit erfordert. Da darf ich erst einmal eine Pause machen. Doch dann sah ich gestern in meiner Statistik, dass der Post Bremen, Mai 1945 erstaunlich häufig angeklickt wurde. Das habe ich dann auch einmal getan und habe gelesen, was ich vor Jahren geschrieben habe. Falls Sie den Post vor zwei Jahren verpasst haben sollten, klicken Sie ➱hier.

Meine eigenen Texte bergen nach Jahren immer wieder Überraschungen für mich. Wenn ich etwas schreibe, dann ist das in dem Moment für mich so völlig richtig und wahr. Meine Texte haben immer etwas von mir selbst: meine Meinung, meine Vorurteile, ich trete nicht hinter den Text zurück. Subjektivität ist ein Merkmal des literarischen Essays. Und natürlich habe ich für den Blog das gefunden, was Gérard Genette Stimme nennt (und was ich meinen Straßenköter Ton nenne, etwas zwischen Hans Albers' Hoppla, jetzt komm ich, Tim Mälzer und einem seriösen Bremer). Vielleicht würde ich manches heute etwas anders schreiben, aber der Post 'Bremen, Mai 1945' kann so stehen bleiben. Zu dem Photo oben des Bremer Weser-Kuriers heißt es in der interessanten ➱Photostrecke der Zeitung: Ende April 1945 fahren britische Panzer in Bremen ein und werden von befreiten Zwangsarbeitern freudig begrüßt.

Ich möchte dem Bild ein Zitat von Dr. Robert Kabelac, Direktor des Bremer Vulkans und Wehrwirtschaftsführer, zur Seite stellen: Dann bestellte ich die Vertrauensleute der fremden Nationen, die ich davon in Kenntnis setzte, daß ich am Montag den Betrieb wieder anlaufen lassen wolle und es ihnen freistelle, mitzuarbeiten oder nicht. Die Vertrauensleute sagten mir, daß der überwiegende Teil der Ausländer [i.e. der Zwangsarbeiter] unverzüglich in die Heimat zurückkehren wolle. Ich empfahl den Leuten, nicht in wilder Flucht davonzulaufen, sondern mit ordnungsgemäßen Papieren und nach Empfang des fälligen Lohnes die Heimreise anzutreten. Am Mittag teilte mir meine Frau mit, daß sie beim Einkaufen die ersten Amerikaner gesehen hatte.

Es ist diese selbstgefällige verlogene Attitüde, die mich fasziniert. Diese Sprache, die Victor Klemperer Lingua Tertii Imperii genannt hat. Hier spricht der Direktor eines der größten Bremer Rüstungsbetriebe, Herr über tausende von Zwangsarbeitern. Mitverantwortlich für den Bau des Farger U-Boot Bunkers, bei dem tausende von Zwangsarbeitern ums Leben gekommen sind. An die erinnern in Bremen und den Konzentrationslagern Sandbostel und Neuengamme inzwischen schon Gedenksteine und Denkmäler. Aber wie es mit Gedenksteinen und Denkmälern so ist, sie setzen Moos an, der Steinfraß frisst sich in sie hinein. The stone statutes of the abstract Union Soldier / grow slimmer and younger each year, heißt es in Robert Lowells großartigem Gedicht ➱For the Union Dead. Und so wie der Steinfraß die Denkmäler zerstört, zerstört die Zeit die Erinnerung. Ich habe vor zwei Jahren den Post etwas pathetisch mit Kiplings lest we forget - lest we forget beendet. Wir denken nicht an den 8. Mai 1945, wir denken nur an heute. Die Schlagzeile der Bild Zeitung gestern lautete: Der Teufel hat sich schick gemacht für den Prozess des Jahres! Diese Sprache hatten wir auch schon einmal.

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