Sonntag, 12. Mai 2013

Dante Gabriel Rossetti


Ich borge mir mal eben etwas aus einem älteren Post, ich weiß nicht, ob das schon unter cannibalizing fällt, wie ➱Raymond Chandler das nannte. Aber seien Sie unbesorgt, ich komme auf meinen üblichen mäandernden Umwegen zu meinem Thema. Nun erst einmal zwei Absätze von ➱Horace Walpole:

.... Und da bin ich, nach diesem kleinen Schlenker über das Weiterwirken von Strawberry Hill in Wörlitz und Bremen, doch wieder bei Horace Walpole. Weil er nicht nur diesen modergothischen Landsitz gebaut hat, sondern auch noch gleich passend dazu die gothic novel erfunden hat. The Castle of Otranto heißt der 1764 anonym erschienene Roman, auf den alle Schauerromane zurückgehen. Inzwischen kennen wir die Zauberformel alle: ein schauriges Schloss, efeuüberwachsen, Nacht, jagende Wolken am Himmel, von Zeit zu Zeit ein blasser Mond, schreiende Käuzchen, eine unschuldige Schönheit durch Kellergewölbe irrend, verfolgt von einem Bösewicht (gothic villain) aus alter adliger Familie und so weiter ad infinitum. Auf dem Titelblatt suggeriert uns Walpole, dass dies eine Übersetzung aus dem Italienischen ist. Dort spielt der Roman auch, den Italienern traut man ja alles zu. Alle englischen Schauerromane der ersten Phase spielen nicht in England, und der gothic villain (von der Natur gezeichnet durch Entstellungen, Narben oder dämonische Augen) ist immer ein Ausländer.

Ich besitze eine italienische Fassung von Il castello di Otranto, gedruckt in London 1795. Das ist natürlich nicht das Original, weil es kein italienisches Original gibt, aber diese Ausgabe hat in der Geschichte der gothic novel doch ihre Bedeutung. Der Übersetzer ist ein gewisser Gaetano Polidori, ein italienischer Schriftsteller, der nach London emigiert ist. Wir können schon davon ausgehen, dass sein Sohn John Polidori Pappis Übersetzung gelesen hat. Dieser John Polidori wird der Arzt und Reisebegleiter von Lord Byron werden, und er wird mit The Vampyre auch einen Schauerroman schreiben. Damals als die ganze romantische Dichterclique beim Dauerregen in der Villa Dioati sitzt und sie beschließen, alle einen Schauerroman zu schreiben. Dem schlechten Wetter verdanken wir Frankenstein. Meine italienische Version von Walpoles Roman kostet (wie ich gerade im ZVAB herausgefunden habe) bei einem englischen Händler 330 ₤, dafür würde ich sie auch verkaufen ...

Sie ist inzwischen teurer geworden. Seit ich den Post (aus dem die beiden Absätze oben stammen), der einen großen Bogen von Horace Walpole zu Ursula von der Leyen schlägt, schrieb, hat der Wert des in hellbraunen Leder gebundenen Buches aus dem Jahre 1795 zugenommen. Gaetano Polidori ist nicht nur der Vater von Byrons Arzt John Polidori (über den ➱Derek Marlowe den schönen kleinen Roman A single summer with L.B. geschrieben hat), er ist auch der Vater einer Tochter. Und diese Frances Polidori heiratet einen italienischen Emigranten (die italienischen Emigranten bleiben offensichtlich in London unter sich) namens Gabriele Rossetti. Und hat zwei Kinder, die in der englischen Literatur eine große Rolle spielen werden: Christina und Dante Gabriel.

Dante Gabriel Rossetti, Maler und Dichter, treibende Kraft der Präraffaeliten wurde heute vor 185 Jahren geboren. Ich möchte es gleich gestehen, ich mag ihn nicht. Weder als Dichter noch als Maler. Seine Bilder sehen alle gleich aus, was wohl daran liegt, dass die Frauen auf seinen Bildern alle gleich aussehen. Helmut Newton hätte seine Freude daran gehabt. Rossetti kann auch nur einen Frauentyp malen, den malt er aber immer wieder (das Bild im oberen Absatz zeigt Maria Spartali Stillman, dieses Bild Maria Stillman und Alexa Wilding). Das macht diese Art von plakativer Kunst ein wenig monoton.

Meist ist sein Modell Elizabeth Siddal, die auch von anderen Malern der präraffaelitischen Brüderschaft gemalt wird. Wenn man so will könnte man sie als viktorianisches Supermodel bezeichnen (einen Buchtitel diese Art gibt es schon: Lucinda Hawksley, Lizzie Siddal: The Tragedy of a Pre-Raphaelite Supermodel). Obgleich Modell für einen (oder mehrere) Maler zu sein, bei den Viktorianern nur ein anderes Wort für Prostituierte ist (das ist bei dem heutigen Wort model ja auch nicht viel anders). Wir erfahren in dem schönen Roman The French Lieutenant's Woman von ➱John Fowles eine ganze Menge über die Prostitution in London. Und eine Figur, die Elizabeth Siddal nachempfunden ist, kommt da auch drin vor. Rossettis nächste Liebe ist Jane Burden, die wird ihm aber von William Morris weggeschnappt. Dass sie nun mit seinem Freund verheiratet ist, stört Rossetti aber überhaupt nicht. Er heiratet zwar seine langjährige Geliebte Lizzie Siddal, wird aber weiterhin eine Liebesbeziehung mit Jane Morris haben. Die Frage, die sich aber bei diesem Bild von Jane Morris stellt ist: haben die beiden Frauen wirklich diese Nasen? Und sind sie wirklich alle rothaarig?

Nachdem Elizabeth Siddal Selbstmord begangen hat, zieht Fanny Cornforth (hier auf dem Bild) bei Rossetti ein, die auf den Bildern genauso aussieht wie Lizzie Siddal, Alexa Wilding und Jane Morris. Das Dienstmädchen Fanny hatte Rossetti schon 1858 kennengelernt, sie wurde gleich sein Modell und seine Geliebte. Hatte später noch Verhältnisse mit den Malern William Holman Hunt und George Price Boyce, kehrte aber immer zu Rossetti zurück. Hinter beinahe jedem seiner Bilder steht eine Geschichte. Meistens sind es Tragödien.

Und zu dem Bild von Fanny Cornforth gibt es natürlich auch ein Gedicht vom Maler, das den Titel Lilith hat. Und uns eine Warnung vor rothaarigen Frauen ist, die sich lasziv kämmen. War die ➱Loreley eigentlich auch rothaarig?

Of Adam's first wife, Lilith, it is told
(The witch he loved before the gift of Eve,)
That, ere the snake's, her sweet tongue could deceive,
And her enchanted hair was the first gold.
And still she sits, young while the earth is old,
And, subtly of herself contemplative,
Draws men to watch the bright web she can weave,
Till heart and body and life are in its hold.
The rose and poppy are her flowers; for where
Is he not found, O Lilith, whom shed scent
And soft-shed kisses and soft sleep shall snare?
Lo! as that youth's eyes burned at thine, so went
Thy spell through him, and left his straight neck bent
And round his heart one strangling golden hair.


Wenn Dante Gabriel Rossetti Männer malt, sehen die aus wie seine Frauen. Was man an diesem Bild von Swinburne schön sehen kann. Swinburnes Lyrik ist übrigens noch schlimmer als die von Rossetti. Zuckersüss. Als ob man auf das Honigbrötchen noch Zucker drauf löffelt. Und dann seine Themen, da zitiere ich doch mal einen Satz aus dem Wikipedia Artikel: Sein frühes dichterisches Schaffen kreiste um Themen wie Sadomasochismus, Todessehnsucht, lesbische Phantasien oder anti-christliche Einstellungen und wurde als großer literarischer Skandal aufgenommen. Mehr braucht man dazu auch nicht zu sagen. Wenn wir ein Schlagwort für das alles brauchen, dann ist morbidezza sicher noch das Netteste.

Diese junge Frau hat Rossetti nur einmal Modell gestanden. Auf jeden Fall sagt das sein Bruder: I can recollect that my brother, being on the look out for some person to serve as a model for the head and shoulders of his Venus, noticed in the street a handsome and striking woman, not very much less than six feet tall ... He spoke to this person, who turned out to be a cook serving in some family in Portland Place, and from her he at first painted his large 'Venus Verticordia'. That was the only picture, I think, for which the handsome Dame de cuisine sat to him.

Ich könnte jetzt seitenlang über das Liebeschaos bei diesen Künstlern schreiben (die Drogen und den Alkohol lassen wir mal weg), aber ich kann das auch lassen. Das neueste Buch zu dem Thema heißt Pleasure Bound: Victorian Sex Rebels and the New Eroticism, es wurde von einer Amerikanerin namens ➱Deborah Lutz geschrieben. Die englischen Rezensionen waren sehr gemischt (lesen Sie doch mal ➱diese von der Tochter von Simon Schama). Außer fescher modischer Theorie gibt es nicht viel Neues, also nichts, was man nicht schon in Ronald Pearsalls Buch The Worm in the Bud: the world of Victorian sexuality von 1969 lesen könnte. Und ich verkneife mir auch die schöne Geschichte, wie Rossetti die tote Lizzie wieder ausbuddeln lässt, um an den Gedichtband zu kommen, den er ihr ins Grab mitgegeben hatte (lesen Sie die Story hier im ➱Times Literary Supplement). Ein wenig pervers ist das Ganze schon.

Und wo bleibt das Positive? werden Sie fragen, nachdem ich Ihnen wortreich gezeigt habe, dass ich die ganzen Präraffaeliten nicht ausstehen kann. Ich bin nicht der erste, schon 1871 sprach ➱Robert Buchanan in seinem Artikel The Fleshly School of Poetry: Mr. D. G. Rossetti von poems of this unnatural and morbid kind. Und natürlich war er nicht der einzige, die Präraffaeliten wurden in den Museen schnell in die Kellerräume verbannt, an deren Türen das Schild Schlechter Geschmack hängt. Aber wenn ich Sie nicht abgeschreckt habe, und Sie sich jetzt für die Präraffaeliten interessieren sollten, hätte ich doch ein oder zwei seriöse Literaturempfehlungen. Ohne Schmäh. Und ich sollte vielleicht auch anmerken, dass es für Fans eine Homepage der ➱Pre-Raphaelite Society gibt. Und dass die ➱Tate Gallery im letzten Jahr diese Kunst wieder zum Leben erweckt hat.

Meine erste Literaturempfehlung ist (neben dem Katalog der Tate Pre-Raphaelites: Victorian Avant-garde) ein Titel, der seit siebzig Jahren auf dem Markt ist. Das Buch The Pre-Raphaelite Tragedy von William Gaunt (hier im ➱Volltext) ist schon ein Klassiker geworden. Liest sich wie ein Roman, gewürzt mit einer Prise Humor, so etwas kriegen nur Engländer hin. Es gibt für den Anfang nichts Besseres. Die nächste Empfehlung wäre Günter Metken: Die Präraffaeliten: Ethischer Realismus und Elfenbeinturm im 19. Jahrhundert, ein schöner alter DuMont Band, reich illustriert. Die Bücher von Günter Metken kann man ja immer mit Gewinn lesen.

Und dann hätte ich da noch einen Reclam Band. Es ist erstaunlich, was alles in so kleinen gelben Reclam Band hineingeht. Die 416 Seiten des Bandes Präraffaeliten, von Gisela Hönnighausen ediert, haben es in sich. Auf eine dreißigseitige Einleitung folgen im ersten Teil des Bandes wichtige programmatische Texte von John Ruskin über William Morris bis zu Oscar Wilde. Der Mittelteil enthält auf 160 Seiten die Lyrik (Rossetti, Swinburne, Morris, Tennyson), die man mit dieser Bewegung assoziiert. Dieser Teil ist zweisprachig, englisch und deutsch. Aber damit ist das Buch noch nicht am Ende, ein dritter Teil zeigt Rezeption und Weiterwirken der Bewegung bei Hermann Muthesius, Theodor Fontane oder Frank Lloyd Wright. Wer sich für die englischen Präraffaeliten und ihr Weiterwirken in Kunst und Literatur interessiert, für den ist dieses Buch die beste (und preisgünstigste) Einführung.

Übermorgen gibt es zum Geburtstag von Thomas Gainsborough hier wieder Kunst. Aber der Post ist dann mit großer Liebe geschrieben.

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