Samstag, 9. Juli 2022

Königsmacher

Das Photo dieses älteren Herren ist Teil der königlichen englischen Kunstsammlung, es hatte der Königin Victoria gehört. Die Photographin des Photos hieß Leonida Caldesi. Die Italienerin hatte im 19. Jahrhundert ein Photostudio in London und hat auch mehrfach Victoria und ihre Familie abgelichtet. Der Herr ist kein Verwandter der Königin, weshalb hat sie ein Photo von ihm? Er heißt Christian Friedrich von Stockmar, er ist so etwas, was man eine graue Eminenz nennen kann. Der Arzt aus Coburg hat eine große Zeit seines Lebens in England verbracht, der Premierminister Lord Aberdeen hat über ihn gesagt: Ich hab' wol Leute gekannt, die grad' so klug waren, grad' so discret, grad' so brav, aber keinen, der alles dreies so mit eins war, wie er. Und ein anderer Premierminister, Viscount Palmerston, urteilte: In meinem ganzen Leben ist mir nur ein vollkommen uneigennütziger Mensch vorgekommen, das ist Stockmar. Die beiden Herren wissen, was sie sagen, denn der Freiherr von Stockmar hat die Ehe ihrer Königin Victoria mit dem Prinzen Albert von Sachsen-Coburg-Gotha arrangiert. Auf der linken Seite des Heiratsvertrags zwischen Victoria und Albert stehen acht Namen von englischen Würdenträgern, auf der rechten Seite steht nur der Name Stockmar.

Er arrangierte nicht nur diese Hochzeit, er hat auch Victorias Onkel Leopold, dessen Leibarzt und Hofmarschall er gewesen war, zum König von Belgien gemacht. Und bei der Verlobung von Victorias Tochter Vicky mit Friedrich Wilhelm Nikolaus Karl von Preußen hatte er auch seine Finger im Spiel. Nach seinem Tod haben die vier regierenden Häuser von England, Belgien, Preußen und Coburg die Stockmarsche Familengruft etwas luxuriöser ausstatten lassen. Und den Bibelspruch Ein treuer Freund liebet mehr und stehet fester bei denn ein Bruder auf eine Gedenktafel schreiben lassen.

Der Stadt- und Landphysicus von Weimar Doktor Stockmar war wenige Jahre nach seinem Amtsantritt Stabsarzt in einem Feldlazarett und dann in dem Spital von Mainz. Das war die Endphase des Freiheitskrieges gegen Napoleon. Er macht sich keine Freunde damit, wenn er Franzosen behandelt, die schwerer krank waren als die Deutschen, die Einlass begehrten. Es sei seine Pflicht, als Mensch und Arzt so zu handeln, erklärt er dem aufgebrachten Freiherrn von Stein, dem das Spital untersteht. Er steht zu seinen Meinungen.

Dr Christian Friedrich Stockmar konnte damals nicht wissen, was das Leben noch für ihr bereithalten würde. Er weiß nicht, dass dieses Bild von ihm eines Tages im Buckingham Palace hängen wird. 1848 vertrat er auf Wunsch des Prinzen Leopold die Herzogtümer Coburg-Gotha als Gesandter ohne Stimmberechtigung in dem deutschen Bundestage. Man trug ihm das Reichsministerium des Auswärtigen an. Was er ablehnte: Wer im sechzigsten Jahre, mit Gicht in den Eingeweiden, noch den Krankenwärterdienst bei der am ansteckenden Fieber darniederliegenden Germania übernehmen wollte, müßte rein toll sein. Aber er träumte von einem geeinten Deutschland: Die Deutschen sind ein gutes Volk, leicht zu regieren, und die deutschen Fürsten, die das nicht verstehen, verdienen nicht über ein solches Volk zu herrschen - Laßt Euch nicht abschrecken. Ihr Jüngeren vermögt gar nicht zu übersehen, wie groß die Fortschritte sind, welche die Deutschen in diesem Jahrhundert zu staatlicher Einheit gemacht haben; ich habe es erfahren, ich kenne dies Volk, Ihr geht einer großen Zukunft entgegen, Ihr werdet es erleben, ich aber nicht; — dann denkt des Alten!

Der Freiherr Christian Friedrich von Stockmar ist am 9. Juli 1863 in seiner Heimatstadt Coburg gestorben, da könnten wir an diesem Tag mal eben des Alten gedenken. Und in unserer Zeit der Verluderung der politischen Sitten daran denken, dass es einmal solche Politiker gegeben hat. Was die beiden englischen Premierminister über Stockmar gesagt haben, wird kein englischer Premier jemals über Boris Johnson sagen.

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