Mittwoch, 8. Februar 2023

Kate Chopin

Heute vor 173 Jahren wurde die amerikanische Schriftstellerin Kate Chopin geboren. Sie ist spät zur Literatur gekommen, ihren großen Roman The Awakening schrieb sie mit achtundvierzig Jahren. Ihr Ehemann war gestorben, die hoch verschuldetete Plantage, die sie noch einige Jahre erfolgreich verwaltet hatte, hatte sie verkauft. Sie verließ Louisiana und zog zurück in ihren Geburtsort St Louis. Dann starb ihre Mutter, und die sechsfache Mutter Kate Chopin geriet in die Krise. Der mit der Familie befreundete Gynäkologe Dr Frederick Kolbenheyer rät ihr zum Schreiben, sie beginnt mit Kurzgeschichten, die recht erfolgreich sind.

Ihr Roman The Awakening ist es nicht. Er ist eher so etwas wie ein Skandal. Heute zählt er zu einem wichtigen Werk der Frauenbewegung. Es wird nach Chopins Tod im Jahre 1904 ein halbes Jahrhundert dauern, bis man die Autorin wiederentdeckt und würdigt. Im Vergessen sind die Amerikaner groß, als Herman Melville starb, wusste kaum noch jemand, dass es ihn gegeben hatte. Und es werden Jahrzehnte vergehen, bis es in der Melville Renaissance eine Gesamtausgabe seiner Werke gibt. Ich habe den Roman The Awakening hier auf einer Seite der Kate Chopin International Society. Die wohl beste Textausgabe ist die Norton Critical Edition, von deren Cover ich dieses Bild habe. 

The Awakening ist ein Ehebruchsroman, man kann ihn mit Flauberts Madame Bovary, Tolstois Anna Karenina und Fontanes Effi Briest vergleichen. Wenn man will. Die Interpretationen des Romans sind heute beinahe alle in der Hand von feministischen Literaturwissenschaftlerinnen. Doch es geht in dem Roman noch um mehr als um eine Frau, die ihre Rolle in dem bigotten viktorianischen Zeitalter sucht. Der Roman sagt uns viel über Leben und Kultur in Louisiana am Ende des 19. Jahrhunderts. William Faulkner, der ein halbes Jahr in New Orleans lebte, hat Kate Chopin genau gelesen, bevor er seine Geschichten über das French Quarter schrieb.

Es gibt zwei deutsche Übersetzungen des Romans. Die erste Übersetzung ist von einer Barbara Becker (die nichts mit der Ex von Boris zu tun hat), sie erschien 1978 im Verlag Roter Stern, später in der Reihe neue frau des Rowohlt Verlags. Die Übersetzung, die offenbar die Arbeit eines Kollektivs ist, wurde jetzt von Karen Nölle und Christine Gräbe neu überarbeitet. Das Buch hat ein Nachwort von Barbara Vinken, über die in diesem Blog noch nie etwas Nettes gesagt worden ist (das steht in dem Post Une fillette d’un blond roux). Die zweite Übersetzung entstammt keinem Autorenkollektiv und hat kein Nachwort von Barbara Vinken. Es ist die Übersetzung von Ingrid Rein, deren Arbeit ich schon in dem Post über Emily Brontë Wuthering Heights lobend erwähnte. Die Übersetzung war zuerst 1997 im Insel Verlag erschienen und ist 2019 von der Übersetzerin noch einmal neu überarbeitet worden (ich habe hier eine kleine Leseprobe). Auf der Rückseite des Buches steht ein Satz aus dem neunzehnten Kapitel des Romans: Sie fing an zu tun, was sie wollte, und zu fühlen, was sie wollte. Darum geht es. Man kann den Roman sehr preisgünstig finden (die Norton Critical Edition übrigens auch), es lohnt sich, ihn zu lesen.


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