Montag, 27. Juli 2015

Liberty Girls


Ich glaube, ich schreibe demnächst einmal über die Liberty Girls, habe ich in dem Post zu ➱Harry Crews gesagt. Denn Cindy Woods als Lady Liberty auf dem Playboy zum Bicentennial hat natürlich Vorläuferinnen. Die Mutter all dieser Frauen ist die römische Göttin Libertas, die schon im antiken Rom die Münzen zierte. Sie kann eine Vielzahl von Beigaben haben, die die Freiheit symbolisieren. Zum Beispiel eine Katze, das Tier, das sich niemandem unterordnet. Oder die phrygische Mütze, die in der französischen Revolution als bonnet rouge wieder auftaucht. Im Lateinischen heißt die Mütze (die sich auch auf Münzen findet) pilleus libertatis, sie ist ein Symbol für den frei gesetzten Sklaven.

Die amerikanische Verwandte der Libertas heißt Columbia (was natürlich etwas mit Christoph Columbus zu tun hat), sie taucht meistens in kriegerischen Zeiten auf. Zum Beispiel im amerikanischen Bürgerkrieg oder hier auf einem patriotischen Plakat aus dem Ersten Weltkrieg. Die phrygische Mütze hat da ein neues Design gefunden, aber sie ist noch da. In der amerikanischen  Literatur findet sich Columbia zuerst bei der dichtenden Sklavin Phillis Wheatley (die ➱hier schon einen Post hat) zu Beginn des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges. Das Gedicht (➱hier im Volltext) ist General Washington gewidmet:

Celestial choir! enthron’d in realms of light, 
Columbia’s scenes of glorious toils I write. 
While freedom’s cause her anxious breast alarms, 
She flashes dreadful in refulgent arms. 
See mother earth her offspring’s fate bemoan, 
And nations gaze at scenes before unknown! 
See the bright beams of heaven’s revolving light 
Involved in sorrows and the veil of night! 
 The Goddess comes, she moves divinely fair, 
Olive and laurel binds Her golden hair: 
Wherever shines this native of the skies, 
Unnumber’d charms and recent graces rise.

Wir haben 1776 allerdings noch keine Bilder von Columbia, aber wir haben 1792 ein Bild der Libertas: Liberty Displaying the Arts and Sciences von Samuel Jennings. Die blonde Göttin, die ihre phrygische Mütze auf einen Speer gesteckt hat, verteilt hier die Gaben von Kultur und Bildung an freie Schwarze. Ein erstes Bild der Emanzipation in Amerika (➱hier eine Interpretation zu dem Bild), eine schöne Utopie. Der Satz von Jefferson: We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the Pursuit of Happiness, hat lange gebraucht, bis er die schwarzen Amerikaner erreichte.

Die nächste Darstellung der Freiheit finden wir auf Amerikas Münzen. Dies ist eine Skizze von Gilbert Stuart von Anne Willing Bingham, der schönsten Frau der jungen amerikanischen Republik (die einen der reichsten Männer Amerikas geheiratet hatte). Abigail Adams, die über sie sagte: Mrs. Bingham... taken altogether, is the finest woman I ever saw, hat sie in London dem Hof vorgestellt, als ihr Gatte dort der Botschafter des neuen Staates Amerika war. Abigail Adams (die ➱hier einen Post hat) schreibt 1786 ihrem Sohn: I accompanied her last thursday to Court and presented her both to the King and Queen, and I own I felt not a little proud of her. St James's did not, and could not produce an other so fine woman. 

Yet it was the most crouded drawing Room I ever attended, except the late Birth Day. You know this Ladies taste in dress is truly elegant. She had prepaird herself in France for this occasion, and being more fleshy than I have seen her before, she is concequently handsomer than ever. “She Shone a Goddess, and She moved a Queen.“ The various whispers which I heard round me, and the pressing of the Ladies to get a sight of her, was really curious, and must have added an attom to the old score, for she could not but see how attractive She was. Is she an American, is she an American, I heard frequently repeated? And even the Ladies were obliged to confess that she was truly an elegant woman. You have, said an English Lord to me, but whose name I knew not, one of the finest Ladies to present, that I ever saw. Das Zitat, das Abigail Adams in Anführungszeichen setzt, stammt von Alexander Pope aus seiner Übersetzung der Ilias und heißt ganz richtig: She moves a goddess, and she looks a queen.

Die Göttin wird zwanzig Jahre später auf die ➱Münzen wandern, die gemeinhin als Draped Bust bekannt sind. Der Maler Gilbert Stuart sollte der United States Mint einen Entwurf für die Liberty liefern, er kopierte die Skizze, die er Jahre zuvor gemacht hatte. Damals hatte er die Familie von Thomas Willing malen sollen, was das Genie, das man am besten mit den Worten Schampus und Schulden beschreibt, natürlich nicht fertig bekommen hatte. Robert Scot hat aus der Zeichnung von Gilbert Stuart den Entwurf für Amerikas Kleingeld gefertigt.

Stuart (der ➱hier einen Post hat und im Blog immer wieder vorkommt) hat Anne Willing Bingham 1797 noch einmal gemalt. Ein Portrait, das irgendwie misslungen ist, sie sieht in dem schwarzen Samtkleid so aus, als hätte sie keinen Hals. Sie hat übrigens George Washington geraten, sich von Gilbert Stuart malen zu lassen. Das Ergebnis war das Washington Portrait, das die Dollarnote zierte. Anne Willing Bingham war nicht nur reich und schön, sie hatte auch ein politisches Bewusstsein: The women of France interfere with the politics of the country, and often give a decided turn to the fate of empires. Either by the gentle arts of persuasion, or the commanding force of superior attractions and address, they have obtained that rank and consideration in society which the sex are entitled to, and which they in vain contend for in other countries. We are therefore bound in gratitude to admire and revere them for asserting our privileges, as much as the friends of the liberties of mankind reverence the successful struggles of the American patriots, schreibt sie aus Paris an Thomas Jefferson.

Aus Abigail Adams (die Gilbert Stuart auch ➱gemalt hat) ist keine Göttin der Freiheit geworden, sie hat es nur auf eine 22 Cent Briefmarke geschafft. In ihrem berühmten ➱Brief hatte sie die Rechte der Frauen eingefordert: I long to hear that you have declared an independancy—and by the way in the new Code of Laws which I suppose it will be necessary for you to make I desire you would Remember the Ladies, and be more generous and favourable to them than your ancestors. Do not put such unlimited power into the hands of the husbandsRemember all Men would be tyrants if they could. 

Das ist eine schöne Aufforderung, Remember the Ladies, aber man machte sie in der amerikanischen Revolution kaum wahr. Schöne Dinge stehen in der Declaration of Independence, aber viele bleiben schöne Worte. Frauen sind gut als Göttinnen auf Bildern oder Münzen, was sollen sie in der Politik? Dürfen sie wählen? Nein, natürlich nicht. Eine reiche Witwe namens Lydia Taft durfte 1756 einmal in ihrem Heimatort wählen, sie ist die einzige in den Kolonien  gewesen. Der Staat New Jersey erlaubte im Jahre 1776 Grundbesitzern zu wählen, gleichgültig, ob sie männlich oder weiblich waren, aber 1807 war damit Schluss.

In dem Bereich der Kultur, den man heute Popular Culture nennt, bekommt die Liberty Lady im 19. Jahrhundert ihr eigenes ➱Leben. Leider finden diese Bilder, die häufig naiv und auch ein wenig komisch sind, keinen Platz in den meisten Darstellungen der amerikanischen Kunst. Der emigrierte deutsche Kunsthistoriker ➱Alfred Neumeyer war wohl der erste, der in seiner Geschichte der amerikanischen Malerei auch Beispiele der Volkskunst und naiven Malerei aufnahm. Diese Lady Liberty demonstriert, dass Amerika auch eine Seemacht ist, die phrygische Mütze darf dabei nicht fehlen. Amerika hat zwar nur eine kleine Flotte, aber große Helden. Wie ➱John Paul Jones, der dem englischen Kapitän zuruft: Sir, I have not yet begun to fight. Oder ➱Stephen Decatur, der das berühmte Right or Wrong, my country! als Toast ausgebracht hat.

Der amerikanische Historiker David Hackett Fischer (der in diesem Blog häufig erwähnt wird, wie zum Beispiel in ➱Trenton, Weihnachten 1777), hat in seinem Buch Liberty and Freedom: A Visual History of America's Founding Ideas ein kleines Kapitel (The many Faces of Miss Liberty) für die patriotischen Damen übrig. Diese Columbia eines unbekannten Künstlers dekoriert gerade den Helden George Washington mit einem Lorbeerkranz und zertritt gleichzeitig die englische Krone. Das Motiv der zerbrochenen Krone findet sich schon 1794 auf dem ➱Bild La Liberté der Französin Jeanne-Louise (Nanine) Vallain. Wir können dies Bild hier ungefähr auf die Zeit 1800 bis 1810 datieren, das Kleid der Columbia, das der Mode des Directoire entsprechend, eine hochgeschnürte Brust zeigt, kann zur Datierung dienen.

Das Bild von Abijah Canfield, Liberty in the Form of the Goddess of Youth Giving Support to the Bald Eagle, hatte ich schon in dem Post Harry Crews abgebildet. Canfield ist nur einer von vielen, der das originale, ältere ➱Bild von Edward Savage variiert. Das Kleid der Freiheit ist sicherlich auch französisch, aber nicht übertrieben so. Die französische Mode à la Grecque, die in Deutschland den abwertenden Namen Nuditätenmode bekommt, ist nicht unbedingt etwas für das Land, in dem der puritanische Geist noch vorherrscht. Selbst wenn bei der Nackten Mode häufig keine nackte Haut, sondern fleischfarbene Trikots zu sehen waren.

Aber so etwas, wie dieses patriotische Deckengemälde im Theater von Cahors, das geht in Amerika nicht. 1976 auf dem Titelblatt des Playboy vielleicht, aber nicht in der jungen Republik, die sich an der Antike orientiert, wie man am Baustil des ➱Weißen Hauses und an Wörtern wie Kapitol, Senat, Senatoren sehen kann. Und das Siegel der Vereinigten Staaten trägt den lateinischen Text E pluribus unum  und zeigt in den Krallen des Adlers ein römisches Liktorenbündel. Man will bedeutend und klassisch sein, aber der herrschende Puritanismus verbietet die nackte Haut.

Man muss allerdings sagen, dass die kaum bekleidete Marianne in Cahors für das Auge akzeptabler ist als die kriegerische bekleidete Liberty auf dem scheußlichen Deckengemälde im Kapitol. In Deutschland hatte es die französische Nuditätenmode auch nicht leicht. So vermeldete das Journal des Luxus und der Moden im Jahre 1805: Eine Bemerkung, die Dir Freude machen wird, darf ich Dir nicht vorenthalten. Die Französische, garstige Nudität, welche vor einigen Jahren einzureißen drohte, welche Dich so oft zum Unwillen reizte, und so manchen Stoff zu Zweideutigkeiten und Spott gab, verschwindet immer mehr unter den Schönen Frankfurts.

Doch die französische Nuditätenmode des Directoire scheint auch in Amerika weiterzuwirken. Zwischen diesem Plakat von Howard Chandler Christy von 1942 (der schon 1917 ein ähnliches ➱Plakat gezeichnet hatte) und dem Playboy Cover von 1976 liegen keine Welten mehr. Always Miss Liberty was lively and carefree, with a smile on her cherry-red lips, a bloom on her alabaster cheeks, and a twinkle in her bright blue eyes. Miss Liberty kept up with the latest fashion. In the early republic, she wore loose high-waisted diaphanous gowns in the neoclassical Directory style. Later her costume became more romantic, with a fitted bodice, puffed sleeves, and flounced skirts. By the mid-nineteenth century she was a buxom Victorian beauty with a narrow waist, full breasts, plump arms, and sensual shoulders. A little later she wore tight corsets and a bustle.

In the early twentieth century, Miss Liberty became a Gibson Girl with fine-boned features and a handsome Anglo-Saxon profile. Her flowing hair was elegantly coiffed. Her high-collared blouse and the long lines of her skirt bespoke the beauty of refinement. But always there was a spirit of strength and independence in her features. Beinahe gleichzeitig mit Howard Chandler Christys patriotischem Sexobjekt präsentiert Amerikas beliebtester Illustrator ➱Norman Rockwell auf dem Titelbild der Saturday Evening Post  vom September 1943 seine Version von Miss Liberty. Die gerade all die Arbeiten übernommen hat, die sonst die Männer erledigten, die jetzt in der Armee sind.

Wir sollten, sagt uns ➱David Hackett Fischer, Miss Liberty nicht mit der Freiheitsstatue verwechseln: America's Miss Liberty was also different from the Statue of Liberty, with which she is sometimes confused. That great Gallic symbol, with her upraised torch and book of laws, beckoned to all humanity. Miss Liberty was not the sort of girl to carry a torch for anyone, and she was rarely seen in the company of a book. Except in time of war, she was not much interested in events beyond America and was happy to live in her own world, at peace with her surroundings. Aber in Kriegszeiten, wie hier beim Ausbruch des Sezessionskrieges, ist Liberty natürlich immer dabei.

Lange bevor die Franzosen den Amerikanern die Freiheitsstatue schenkten, besaßen die Amerikaner schon eine eigene. Die ziert nämlich die Kuppel des Kapitols. Captain Montgomery C. Meigs hatte 1855 dem Bildhauer Thomas Crawford (der schon im Post ➱Tecumseh in Dresden erwähnt wird) geschrieben: We have too many Washingtons, we have America in the pediment. Victories and Liberties are rather pagan emblems, but a Liberty I fear is the best we can get. Crawfords erster Entwurf der Columbia mit einer phrygischen Mütze wurde vom Kriegsminister Jefferson Davis abgelehnt: its history renders it inappropriate to a people who were born free and should not be enslaved. So bekam sie zu guter Letzt eine Art von römischem Helm mit indianischem Federschmuck.

Am Ende des Jahrhunderts hat Lady Liberty/Columbia neue Aufgaben, sie braucht nicht mehr auf der englischen Krone herum zu trampeln. Sie ist gar nicht mehr auf dem Erdboden, wie das Bild von ➱John Gast American Progress zeigt. Da schwebt sie nach Westen und zieht die Telegraphendrähte hinter sich her. Die Siedler begleiten sie bei diesem Winning of the West. Und die ➱Indianer weichen vor ihr. Da scheint man die Columbia auf dem Kapitol mit dem Federschmuck schon vergessen zu haben.

Liberty, die hier in der Revolutionszeit einem Vogel die Freiheit gibt, ist letztlich eine Propagandafigur. Es liegen achtzig Jahre zwischen Samuel Jennings schöner Utopie Liberty Displaying the Arts and Sciences und John Gasts selbstgefälliger Verkörperung der Manifest Destiny. Vielleicht sollte man dazu sagen, dass John Gast in Berlin geboren wurde. Ein Jahr nach der Gründung des Deutschen Reiches liefert unser amerikanischer Berliner einen Entwurf, wie das amerikanische Reich aussehen soll. Kaum eine Darstellung der amerikanischen Freiheit (in dem gleichen leicht luftigen weißen Kleid wie Cindy Woods) ist so bekannt und berühmt geworden wie die von John Gast.

Verglichen mit Figuren wie Uncle Sam oder der Freiheitsstatue, scheint Miss Liberty und Columbia keine rechte Konjunktur mehr zu haben. Außer natürlich bei dem Filmstudio Columbia, aber das gehört längst Sony. Und die Raumfähre, die Columbia hieß, ist explodiert. Aber Frauen dürfen inzwischen in den USA wählen, das hat bis 1920 gedauert, bis man Abigail Adams' Ruf Remember the Ladies erhört hat.

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