Samstag, 5. Juni 2021

die schöne Frau Lore Ley

Ein Blick auf das Gemälde von Carl Joseph Begas sagt uns alles. Eine schöne Frau, die ihren Gesang mit ihrer Gitarre begleitet. Ein Spiegel liegt auf dem Boden, offenbar ist sie eitel. Und daneben ein goldener Kamm. Und eine Perlenkette, wahrscheinlich sind es Flussperlen. Der goldene Kamm, das kostbare Salbgefäß aus gefasstem Bernstein, der Handspiegel und die Perlenkette lassen sowohl Verbindungen zur 'Luxuria', der Allegorie der Unkeuschheit und Wollust, als auch zuur biblischen Symbolgestalt der Maria Magdalena erkennen. Sagt Rita Müllejans-Dickmann, sie muss es wissen, sie leitet das Museum, in dem das Bild hängt.

Für Franz Kugler war es ein großartiges Bild: Begas hat die Loreley gemalt, fast ebenso, wie sie das Lied schildert. Das blonde Haar wallt frei über den Rücken hinab und wird leicht vom Winde gehoben. Sie hat eben ihren Putz beendet, der goldene Kamm und Spiegel liegen zu ihren Füßen. Da kam den Rhein hinab ein Nachen mit zweien Männern gefahren. Eilig ergriff sie die Laute und sang dazu ihr verderbliches Lied, welches den Nachen in den Strudel herlockt, der ihn hastig verschlingen will. Sie neigt ihr Haupt über den Abhang, und blickt auf ihre Beute hinab, indem sie nur noch leise den Accord ihrer Laute nachklingen lässt.

Wir kennen die Blondine mit dem goldenen Kamm aus Heinrich Heines Lied, und diese Lorelay oder Loreley hatte hier auch schon den ein oder anderen Post. Aber wo kommt sie eigentlich her? Zum erstenmal taucht die betörende Schönheit in einem Roman mit dem Titel Godwi oder Das steinerne Bild der Mutter von Clemens Brentano auf. Der Roman ist in den Jahren 1801 und 1802 in zwei Teilen bei Friedrich Wilmans in Bremen erschienen. Es war ein kleiner aufstrebender Verlag, den der Sohn des Bremer Stadtkommandanten Melchior Wilmans später nach Frankfurt verlegte. Goethe hat über den Verleger gesagt: Herr Wilmans, gleichfalls Kunstliebhaber, besitzt schätzenswerte Gemälde; seine Bemühungen um Literatur und Kunst sind allgemein bekannt

Wir müssen in dem Roman von Bretano, der seinen Untertitel Ein verwilderter Roman völlig zu Recht hat, lange lesen, nämlich bis zum 36. Kapitel des zweiten Buches, bis ein junges Mädchen bei einer Kahnfahrt auf einem Teich ein Lied singt:

Zu Bacharach am Rheine
Wohnt eine Zauberin,
Sie war so schön und feine
Und riß viel Herzen hin.

Es ist bei Brentano eine lange Geschichte mit der schönen unheilbringenden Zauberin, die wenig, sehr wenig, mit Heines Gedicht zu tun hat. Goldene Kämme und blondes Haar kommen auch nicht darin vor. Dass Frauen mit ihrem Gesang Männer verführen, ist eine Sache, dass sie für die Seefahrt eine Gefahr sind, ist eine andere. Normalerweise sind dafür sie Sirenen zuständig, wie hier auf dem Bild von Alexander Bruckmann Odysseus und die Sirenen aus dem Jahre 1829. Eine der Sirenen heißt Ligeia oder Ligea (die Helltönende), und die finden wir schon bei Milton in einer Stellung, die doch sehr an Heine erinnert:

And fair Ligea's golden comb, 
Wherewith she sits on diamond rocks,
Sleeking her soft alluring locks,
By all the nymphs that nightly dance 
Upon thy streams with wily glance

Aloys Wilhelm Schreiber hat 1818 in seinem Handbuch für Reisende am Rhein ein ganzes Kapitel für die Loreley: In alten Zeiten lies sich manchmal auf dem Lurley um die Abenddämmerung und beym Mondschein eine Jungfrau sehen, die mit so anmuthiger Stimme sang, dass alle, die es hörten, davon bezaubert wurden. Viele, die vorüberschifften, gingen am Felsenriff oder im Strudel zu Grunde, weil sie nicht mehr auf den Lauf des Fahrzeugs achteten, sondern von den himmlischen Tönen der wunderbaren himmlischen Jungfrau gleichsam vom Leben abgelöst wurden, wie das zarte Leben der Blume sich in süßen Duft verhaucht. Am Ende des Kapitels erfahren wir, dass die Loreley den Rittern, die sie fangen sollen, davonschwimmt: 

Die Jungfrau sass oben auf der Spitze, und hielt eine Schnur von Bernstein in der Hand. Sie sah die Männer von fern kommen, und rief ihnen zu, was sie hier suchten? Dich Zauberin antwortete der Hauptmann. Du sollst einen Sprung in den Rhein dahinunter machen. Ey, sagte die Jungfrau lachend, der Rhein mag mich holen. Bey diesen Worten warf sie die Bernsteinschnur in den Strom hinab und sang mit schauerlichem Ton: 'Vater, geschwind, geschwind, Die weissen Rosse schick’ deinem Kind, Es will reiten mit Wogen und Wind!' Urplötzlich rauschte ein Sturm daher, der Rhein erbrauste, dass weitum Ufer und Höhen vom weissen Gischt bedeckt wurden, zwey Wellen, welche fast die Gestalt von zwey weissen Rossen hatten, flogen mit Blitzeschnelle, aus der Tiefe auf die Kuppe des Felsens, und trugen die Jungfrau hinab in den Strom, wo sie verschwand. Jetzt erst erkannten der Hauptmann und seine Knechte , dass die Jungfrau eine Undine sey, und menschliche Gewalt ihr nichts anhaben koenne. Sie kehrten mit der Nachricht zu dem Pfalzgrafen zurück, und fanden dort, mit Erstaunen, den todtgeglaubten Sohn, den eine Welle ans Ufer getragen hatte. Die Lurleyjungfrau lies sich von der Zeit an nicht wieder hoeren, ob sie gleich noch ferner den Berg bewohnte, und die Vorüberschiffenden durch das laute Nachäffen ihren Reden neckte.

Das einzige, das an dem Ganzen stimmt, ist die Sache mit dem Nachäffen, der Lurleyfels wirft nämlich ein Echo. Das schon beschrieben wurde, bevor man die Loreley erfand. Die Romantik präsentiert uns einen wirren Kuddelmuddel um die blonde Felsenbewohnerin. Bei Aloys Schreiber ist sie gerade eine Wassernixe geworden, bei Eichendorff ist sie eine Hexe, der ein Ritter im Wald begegnet. Und bei Clemens Brentano ist sie eine Zauberin. Er lässt sie noch ein zweites Mal auftauchen, nämlich in seinem Rheinmärchen, da werden auch blonde Haare gekämmt: Nachdem Murmelthier herzlich für diese Geschenke gedankt hatte, sagte Frau Else: 'Nun, mein Kind, kämme mir und Frau Lurley die Haare, wir wollen die deinigen dann auch kämmen'- dann gab sie ihr einen goldnen Kamm, und Murmelthier kämmte Beiden die Haare und flocht sie so schön, dass die Wasserfrauen sehr zufrieden mit ihr waren. 

Es gibt keine Frau, von der die Deutschen mehr hingerissen als von der Loreley. Es gibt aber auch kein Motiv, das mehr zum Klischee verkommen ist als eben diese Loreley. Sie war einmal Galionsfigur der deutschen Romantik. Sie wurde zum Erotikon deutscher Philister. Sie war die Verkörperung libidinöser Zwangs-, Traum- und Wahnvorstellungen, schreibt Wolfgang Minaty im Vorwort zu dem Lesebuch Die Loreley des Insel Verlages, in dem Gedichte, Prosatexte, Opern und Bilder zum Thema der Sängerin auf dem Felsen versammelt sind. Diese wunderbare Karikatur von Manfred Schmidt aus dem Jahre 1962 findet sich auch in dem Band. Mein eigenes touristisches Loreley Erlebnis habe ich schon in den Post Drachenfels hineingeschrieben.

Bevor Heinrich Heine sein berühmt gewordenes Gedicht schreibt, ist ein anderes Loreley Gedicht erschienen. Es stammt von dem Grafen Otto Heinrich von Loeben. Den kennen Sie schon, weil er hier im Poetry Month April einen Post hatte. Viele Literaturwissenschaftler nehmen an, dass es Loebens Gedicht Der Lureleyfels aus dem Jahre 1821 war, das Heine zu seinem Gedicht angeregt hat:

Da wo der Mondschein blitzet
Um's höchste Felsgestein,
Das Zauberfräulein sitzet,
Und schauet auf den Rhein.

Es schauet herüber, hinüber,
Es schauet hinab, hinauf,
Die Schifflein ziehn vorüber,
Lieb' Knabe, sieh nicht auf!

Sie singt dir hold zum Ohre,
Sie blickt dich thöricht an,
Sie ist die schöne Lore,
Sie hat dir's angethan.

Sie schaut wohl nach dem Rheine,
Als schaute sie nach dir,
Glaub´s nicht, daß sie dich meine,
Sieh nicht, horch nicht nach ihr!

So blickt sie wohl nach allen
Mit ihrer Äuglein Glanz,
Läßt her die Locken wallen
Unter dem Perlenkranz.

Doch wogt in ihrem Blicke
Nur blauer Wellen Spiel,
Drum scheu die Wasserthücke,
Denn Flut bleibt falsch und kühl.


Die beiden letzten Zeilen haben für den Grafen eine besondere Bedeutung. Denn der Sekondeleutnant von Loeben musste am 12. April 1814 auf dem Weg nach Paris mitansehen, wie die Hälfte seiner Kompanie bei Miltenberg im Main versank. Das erste große deutsche Fährunglück des 19. Jahrhunderts, da bekommen die Verse Drum scheu die Wasserthücke, Denn Flut bleibt falsch und kühl eine ganz andere Dimension.

Ich habe eine interessante Seite von Frau Dr Dagmar Aversano-Schreiber, der Vorsitzenden des Geschichtsvereins Bacharach, über die Rheinromantik anzubieten, und die Seite für Tolkien Fans ist zu dem Thema Loreleys, Nixen und Undinen auch nicht zu verachten. Ich habe da erfahren, dass der Mummelsee im Schwarzwald voller nackter Nymphen ist, in die man sich nicht verlieben soll. Das Goethezeitportal ist natürlich immer zu empfehlen. Ich habe auch noch Juliette Gréco in dem Film Die schwarze Lorelei hier im Programm und als Sänger des Liedes in der Version von Friedrich Silcher: Heinrich SchlusnusMireille Matthieu und Karaokefrau. Und ich höre jetzt mal mit einem Vierzeiler von Peter Rühmkorf auf:

Ich reise mit Gedichten umher, 
paarmal rundumerneuert
seit Achtzehnhundertichweißnichtmehr
Heinrich Heine die Lore beleiert.



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