Wo guckt er hin? Auf den ersten Blick scheint er etwas geistesabwesend zu sein. Wir müssen genauer hingucken. Es ist ein etwas seltsames Portrait. Wer würde sich so malen lassen? Wir kennen seinen Namen, es ist der Colonel George Lewis, er kommandierte die Royal Artillery bei der Belagerung von Gibraltar (damals war er noch Major). Und dieser Blick, den er auf das Meer wirft, ist der Blick eines Mannes, der gerade die Schlacht gewonnen hat, der mit seiner Artillerie die gefürchteten floating batteries der Spanier und Franzosen versenkt hat. Das Bild hat John Singleton Copley gemalt, den kennen Sie, weil Sie den Post But we will paint for money! gerade gelesen haben. Ich war zwei Monate in der Blogosphäre, da schrieb ich meinen ersten Post über Copley, viele sollten folgen. Ich mag ihn einfach. Als ich die Bücher wegpackte, die ich für But we will paint for money! benutzt hatte, sah ich zufällig dieses Bild; ich dachte, ich könnte mal darüber schreiben. Vor allem, weil das Museum, das das Bild heute besitzt, erstaunlicherweise überhaupt nichts über das Bild zu sagen weiß.
Das, worauf unser Artillerioffizier einen Blick wirft, was da unten links im Bild klein zu sehen ist, können wir auf diesem Bild des Marinemalers Thomas Whitcombe sehen: die Vernichtung der schwimmenden Artillerie Flöße, die sich der französische General Jean Claude Eléonore Le Michaud d’Arçon ausgedacht hatte. Die Verdienste von Major George Lewis werden vom König gewürdigt, er erhält einen auf den 13. Februar 1783 datierten Brief, in dem steht: His Majesty has seen with great satisfaction such effectual proofs of the bravery, zeal, and skill by which you and the Royal Regiment of Artillery under your command at Gibraltar have so eminently distinguished yourselves during the siege; and particularly in setting fire to, and destroying all the floating batteries of the combined forces of France and Spain on the 13th September last.
Das Bild von unserem Artillerieoffizier in der schwarzen Uniform mit den roten Aufschlägen, der für sein Land in Louisburgh, Quebec, Martinique und Havanna gekämpft hat, hat eine seltsame Geschichte. Es war bis 1969 im Besitz der Familie, dann wurde es bei Sotheby's versteigert, es hängt heute im
Detroit Institute of Arts. Als Copley das Bild 1794 malt, ist der Colonel Lewis allerdings schon drei Jahre tot, die Familie wünschte sich offenbar ein Bild des verstorbenen Helden. Copley hatte ihn acht Jahre zuvor gezeichnet und ihn in ein ganz anderes Bild hinein gemalt, darauf kann er jetzt zurückgreifen. Auf dieser Zeichnung, die das
Metropolitan Museum besitzt, können wir George Lewis als zweiten von rechts ganz klar erkennen. Copley hat ihn sitzend gezeichnet, und das hat seinen Grund.
Unser Artillerieoffizier sitzt auch hier auf diesem Gemälde, wir können ihn ganz rechts sehen. Er kann in dem Augenblick, als die Schlacht zuende geht, nicht mehr stehen, er ist am 10. September 1782 am Bein verwundet worden. In dem Brief aus Whitehall vom 13. Februar 1783 können wir auch noch lesen:
as a reward for this service and the very dangerous wound which you received on that occasion, his majesty has been graciously pleased to grant you an allowance of 20 s. per day. I most sincerely hope for your speedy recovery, and have the honour to be, with the highest esteem and regard, your most obedient humble servant Richmond Master-General of the Ordinance. Der hier mit Richond unterzeichnete und George Lewis eine lebenslange Pension von zwanzig Shilling gewährende Brief ist von niemand Geringerem als dem
Duke of Richmond.
Copleys Monsterbild (hier ein Ausschnitt) von der Belagerung Gibraltars ist 5,44 Meter mal 7,54 Meter groß. Es war so ein typisches Copley Unternehmen: ein Bild von einem sensationellem Gegenstand zu malen, ein Zelt zu mieten, um es auszustellen und dann Eintritt zu kassieren. Die City of London gibt ihm einen Vorschuss von tausend Guineas (er wird noch einen Nachschlag von 500 Guineas bekommen), und er beginnt zu malen. Er malt acht Jahre lang. Auf Leitern und Gerüsten. Er muss allen, die dabei waren, nachreisen, zum Beispiel 1787 nach Hannover, Copley nimmt seine Frau und seine Tochter mit; und er hat einen handgeschriebenen Brief von George III bei sich, der ihm alle Türen öffnet. In Hannover malt er Ölskizzen von den Herren De La Motte (den er eventuell auch
portraitiert hat),
Ernst August von Hugo und Bernhard Wilhelm von Schlepegrell, die inzwischen wieder bei ihrem
hannöverschen Regiment sind, das vorher den Namen
Gibraltar Brigade hatte. Die Bilder der drei Herren gehören mit zu dem Besten, das Copley gemalt hat.
Die Geschichte von Copleys
The Siege and Relief of Gibraltar steht in diesem Blog schon in einem Post, der irritierender Weise nicht Gibraltar, sondern
Hoya heißt. Und das hat seinen Grund. Denn der wirkliche Held von Gibraltar ist ein Nagelschmied aus Hoya, der Ludwig Schweckendiek heißt. Er ist nie auf den Bildern vom Sieg von Gibraltar (zu dem selbst Mozart einen
✺Bardengesang schrieb). Er bekommt auch keine Pension wie der Major George Lewis. Den wir hier auf diesem
Bild von George Carter wieder sitzend sehen können. Mit diesem Carter war der junge Copley 1774 in Italien. Zuerst fand er den ganz nett (
a very polite and sensible man, who has seen much of the world), aber dann verschlechtert sich das Verhältnis. Und Copley schreibt über seinen Reisegenossen, er sei
a sort of snail which crawled over a man in his sleep and left its slime, and no more.
Die englische Artillerie kann die
floating batteries vernichten, weil sie glühende Kanonenkugeln verschiessen,
hot potatoes nennen das die Kanoniere. Aber es dauert zwei bis drei Stunden, um eine Kanonenkugel so heiß werden zu lassen:
Die Verteidiger beabsichtigten, diese gefährlichen Schiffe mit glühenden Kugeln in Brand zu schießen. Doch zeigte es sich, dass nach dem bisher bekannten Verfahren jeweils nur wenige Kugeln in 2-3 Stunden glühend gemacht werden konnten und der Erfolg daher zweifelhaft war. Da erfand in höchster Not der hannoversche Soldat und Nagelschmied Ludwig Schweckendieck aus Hoya Rostöfen, auf denen beliebig viele Kugeln in kurzer Zeit zum Glühen gebracht werden konnten. Diese Erfindung rettete am 13.9.1782 Gibraltar vor der Übergabe an die vereinigte spanisch-französische Flotte. Nach einer Erzählung soll Ludwig Schweckendieck eine schöne Pension vom englischen König bekommen und bis 1820 gelebt haben. Nach einem anderen, seriöseren
Bericht ist er 1797 verarmt gestorben.
So viele Berichte. So viele Fragen, heißt es am Ende von Brechts Gedicht über die Fragen eines lesenden Arbeiters. Eins ist sicher, die Schweckendiecks dieser Welt kommen nie auf die Gemälde.
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