Die Schauspielerin Jutta Hoffmann ist in diesem Monat achtzig Jahre alt geworden, wozu ich ihr, wenn auch mit Verspätung, herzlich gratulieren möchte. Wir konnten im Westen nicht so viel von ihr sehen. Aber dieses Bild, das aus dem Film ✺Karla stammt, das konnte man in der DDR auch nicht sehen. Weil der Film in seiner originalen Fassung erst 1990 ins Kino kam. Wenn Sie den Filmtitel anklicken, können Sie den Film noch einige Wochen in der Mediathek sehen. Der Film nach einem Drehbuch von Ulrich Plenzdorf (der auch das Drehbuch für ✺Die Legende von Paul und Paula geschrieben hat) wurde 1965 gedreht, man ist heute beinahe erschrocken, wie gut und modern damals der deutsche Film sein konnte. Er wurde natürlich nicht wegen seiner künstlerischen Modernität verboten, sondern wegen des Inhalts. Denn es ist schon gefährlich, wenn die junge idealistische Lehrerin Karla ihren Schülern sagt: Vorausgesetzt, es hat einer eine eigene Ansicht und plappert nicht nur nach, dann ist es hier und heute geradezu verwerflich, mit der Wahrheit hinterm Berg zu halten. Alles andere ist feige, wenn nicht Heuchelei. Die Schüler in Storkow, die als ganze Abiturklasse 1957 in den Westen gingen, haben vielleicht auch solch eine Lehrerin gehabt.
Vor fünf Jahren ist Jutta Hoffmann von Studenten in Rostock zu dem Film interviewt worden. Sie können dieses ✺Filmgespräch hier sehen. Jutta Hoffmann hatte als Schauspielerin ihre große Zeit in den Filmen der DEFA. Lilli Palmer hat im Trailer zum DEFA Film ✺Lotte in Weimar 1975 gesagt: ... denn ich hab ja schon einige DDR-Filme gesehen im westdeutschen Fernsehen - auch einen von Egon Günther - ich wusste also, dass in der DDR genauso gute Schauspieler sind wie drüben in Westdeutschland. Weiß nicht, wen ich da herausheben sollte - ich kann mir im Augenblick niemanden denken drüben, den ich mit der Jutta Hoffmann vergleichen könnte - in Können, Technik und der Jugend, die sie doch noch hat.
Als Jutta Hoffmann in den Westen kam, wurde sie mit
Zadek im Theater berühmt. Aber auf der Leinwand waren die Rollen nicht mehr so gut. Bei uns bekommen Schauspielerinnen nur noch Rollen als Kommissarinnen, wenn sie über vierzig sind. Jutta Hoffmann war vier Jahre lang die Kommissarin Wanda Rosenbaum im
✺Polizeiruf 110, eine Rolle, die sie für sich selbst erfand, die, wie sie sagte,
alle Tugenden und Schwächen hatte, die meine alten Figuren hatten.
Der MDR hat zu ihrem Geburtstag den schönen Film von Lutz Pehnert
✺Die Fahrradfahrerin von Sanssouci: Jutta Hoffmann gezeigt, und ich dachte mir:
mon dieu, was für eine Schauspielerin. Habe mir gleich den DVD
Jubiläumspack bestellt, bei dem
Klara auch dabei ist. Wie auch der Film
✺Das Versteck (nach einem Drehbuch von Jurek Becker), den rbb gerade ins Netz gestellt hat. In der MDR Dokumentation gibt es eine Stelle (die Szene stammt aus der Serie
✺Motzki), in der Jutta Hoffmann die erste Strophe von
An der Saale hellem Strande singt.
An der Saale hellem Strande
Stehen Burgen stolz und kühn.
Ihre Dächer sind gefallen,
Und der Wind streicht durch die Hallen,
Wolken ziehen drüber hin.
Wie lange hatte ich das nicht mehr gehört? Die erste Strophe kann ich immer noch. Als ich klein war, wurden deutsche Lieder in der Schule gesungen. Und bei uns in unserem ersten Auto, der blaue
Opel Olympia hatte noch kein Radio.
Ich hatte das immer für ein Volkslied gehalten, aber das ist es nicht, es ist das wohl bekannteste Gedicht, das der Student
Franz Theodor Kugler (der am 18. März 1858 starb) schrieb, bevor er seinen Doktortitel bekam und Professor für Kunstgeschichte wurde. Was er nicht blieb, er ging ins preußische Kultusminsterium:
Er hatte sehr früh Karriere gemacht und war zu der Zeit, von der ich hier spreche, schon Vortragender Rat im Kultusministerium, wenn ich nicht irre als Nachfolger von Eichendorff. Immer artig, immer maßvoll, immer die Tragweite seiner Worte wägend, kam in seinem Wesen etwas spezifisch Geheimrätliches, etwas altfränkisches Goethisches zum Ausdruck, das dem Tunnel-Ton widersprach, schreibt Theodor Fontane in von
Zwanzig bis Dreißig. Dass Kugler Nachfolger von Eichendorff wurde (den er auch
gezeichnet hat), ist natürlich interessant, denn viele Gedichte, auch
An der Saale hellem Strande,
haben ein wenig von Eichendorff an sich. Zum Beispiel dieses Ständchen aus dem Jahre 1827:
Der Mond steht über dem Berge,
So recht für verliebte Leut‘;
Im Garten rieselt ein Brunnen,
Sonst Stille weit und breit.
Neben der Mauer, im Schatten,
Da stehn der Studenten drei
Mit Flöt' und Geig' und Zither,
Und singen und spielen dabei.
Die Klänge schleichen der Schönsten
Sacht in den Traum hinein,
Sie schaut den blonden Geliebten
Und lispelt: Vergiß nicht mein.
Wenn man das mit Eichendorffs Gedicht
Sehnsucht vergleicht, zu dem es hier einen langen
Post gibt, dann muss man sagen: das ist Eichendorff für Arme. Nein, ein großer Dichter war Kugler nicht. Aber das Lied, das er nach einer Saale Wanderung in der Rudelsburg geschrieben hat, fand Eingang in alle Liederbücher. Es ist auch bei
Ludwig Erk drin, der auf meinem Klavier liegt. Die Rudelsburg ist damals noch nicht der Treffpunkt der Verbindungsstudenten geworden, das kommt Jahre später. Dann wird der Marschendichter
Hermann Almers schreiben:
Dort Saaleck, hier die Rudelsburg,
und unten tief im Tale
da rauschet zwischen Felsen durch
die alte liebe Saale;
und Berge hier und Berge dort
zur Rechten und zur Linken -
die Rudelsburg, das ist ein Ort
zum Schwärmen und zum Trinken,
Das wissen die Studenten auch
in Jena und in Halle
und trinken dort nach altem Brauch
im Hof und auf dem Walle.
Umringt von moosigem Gestein,
wie klingen da die Lieder!
Die Saale rauscht so freudig drein,
die Berge hallen wider.
Kuglers Lied verbreitete sich sehr schnell in ganz Deutschland, man dichtete Strophen dazu, das Lied wurde variiert und parodiert. Schon 1840 war Kugler der Meinung, sein Lied sei
schon gar sehr zersungen (lesen Sie mehr zur Rezeption auf der sehr guten Seite vom
Liederlexikon). Das Lied wird immer noch gesungen. Von ✺
Chören, von ✺
Heino und von der
Folkloregruppe ✺
Bube Dame König, die einen Koloratursopran in ihrer Mitte hat. Auch wenn das Lied in beinahe zweihundert Jahren schon ein bisschen zersungen istt, irgendwie ist es ein Teil von unserer Geschichte:
An der Saale hellem Strande
Stehen Burgen stolz und kühn.
Ihre Dächer sind gefallen,
Und der Wind streicht durch die Hallen,
Wolken ziehen drüber hin.
Zwar die Ritter sind verschwunden,
Nimmer klingen Speer und Schild;
Doch dem Wandersmann erscheinen
In den altbemoosten Steinen
Oft Gestalten zart und mild.
Droben winken holde Augen,
Freundlich lacht manch rother Mund.
Wandrer schauet in die Ferne,
Schaut in holder Augen Sterne,
Herz ist heiter und gesund.
Und der Wandrer zieht von dannen,
Denn die Trennungsstunde ruft;
Und er singet Abschiedslieder,
Lebewohl tönt ihm hernieder,
Tücher wehen in der Luft.
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