Freitag, 26. März 2021

deux histoires d'amour


Ein Franzose liebt eine Amerikanerin, eine Französin liebt einen Deutschen. Der Franzose und die Französin, die gleich alt sind und beide aus dem banlieu Courbevoie kommen, haben sich irgendwann kennengelernt. Er ist Schriftsteller, sie ist Schauspielerin. Er wird früh sterben, sie wird ihn um dreißig Jahre überleben. Als sie eines Tages seine Biographie liest, wird sie enttäuscht sagen: C'est une toute petite vie! Wir lassen die Amerikanerin und den Deutschen mal einen Augenblick weg und bleiben bei diesen beiden Personen auf dem Photo, es sind Louis Ferdinand Céline und Arletty. Sie haben beide schon einen Post in diesem Blog.

Auf diesem Photo sehen wir Arletty mit dem Schauspieler Michel Simon, mit dem sie viele Filme drehte, Céline ist im Hintergrund. Das Photo ist bei den Aufnahmen für eine Schallplatte entstanden, auf der Simon und Arletty aus den Werken von Céline lesen. Die Tonaufnahme gibt es immer noch auf CD (Sie können etwas davon hier hören). Nicht auf dem Bild ist der dritte Rezitator Pierre Brasseur, der neben Arletty die Hauptrolle in Les enfants du Paradis spielte. 

Als ich den Post Les enfants du Paradis schrieb, hatte ich gerade das Buch Arletty: Si mon coeur est français von David Alliot gelesen, und da kam Céline wieder vor. Was kein Wunder ist, denn der Schriftsteller David Alliot ist wahrscheinlich einer der wichtigsten französischen Céline Spezialisten. Ich merkte, dass ich zu wenig über das Leben von Céline wusste; ich hatte Voyage au bout de la nuit gelesen, einmal im Original und einmal in der neuen Übersetzung von Hinrich Schmidt-HenkelVon einem Schloss zum andern habe ich auch gelesen. Und ich wusste, was Ernst Jünger in Strahlungen über ihn gesagt hat, ich hatte ja mal eine Ernst Jünger Phase. Da schreibt Jünger über den Judenhasser Céline: Es war mir lehrreich ihn derart zwei Stunden wüten zu hören, weil die ungeheure Stärke des Nihilismus mir an ihm einleuchtete. Solche Menschen hören nur eine Melodie, doch diese ungemein eindringlich. Sie gleichen eisernen Maschinen, die ihren Weg verfolgen, bis man sie zerbricht. Merkwürdig, wenn solche Geister von der Wissenschaft, etwa von der Biologie, sprechen. Sie wenden sie wie die Menschen der Steinzeit an; es wird ihnen ein reines Mittel, andere zu töten, daraus.

Ich kaufte mir bei ebay für wenig Geld den Band der rowohlts monographien von Ulf Geyersbach über Céline. Auf die Reihe schwöre ich, ich habe in Jahrzehnten mehr als einen Regalmeter der Rowohlt Bände gesammelt. Aber dies ist ein seltsames Buch. Das fängt damit an, dass der Verfasser den rotzfrechen Stil von Céline zu imitieren versucht, das wird mit der Zeit bei der Lektüre ein wenig lästig. Ein Rezensent schrieb bei Amazon: Wollen Sie eine Biographie lesen, in der Sätze stehen wie: 'An einen Gott zu glauben, wird sich der Katholik bald abgewöhnen.' Oder 'Kurze Zeit später ist der Teilinvalide wieder obenauf'; eine Biographie, die die zahlreichen Affären des Schriftstellers damit begründet, er sei ein 'Frauenvernascher' gewesen, der einen 'durchtrainierten *rsch' bevorzugt? Dennoch findet sich in dieser einzigen deutschen Biographie zu Céline Substantielles zum Leben des Autors (Photos inklusive), es wäre allerdings wahrscheinlich besser gewesen, wenn ich die englische Biographie von Nicholas Hewitt gekauft hätte. 

Über die Freundschaft von Arletty und Céline steht bei Ulf Geyersbach, der sich jetzt von der Literaturwissenschaft verabschiedet hat und Dielenmöbel herstellt, überhaupt nichts. Die Schauspielerin wird nur ein einziges Mal erwähnt. Dabei hatte sie durchaus etwas zu Céline zu sagen, wie man diesem Interview auf der intereessanten Seite Le Petit Célinien entnehmen kann. Hier sehen wir Arletty und Céline 1954 mit Célines Papagei Toto, dem er Sprechen und Singen beigebracht hat. Er hätte ihn auch Flaubert nennen können. Henri Godard (der zweite wichtige französische Céline Spezialist) hat gesagt, dass es bei Célines Aufwand, seine Manuskripte zu bearbeiten, nur einen Autor geben könne, mit dem man ihn vergleichen könne. Und das sei Gustave Flaubert.

Man findet in dem Buch von Geyersbach auch leider keine klare Haltung zu Célines krankhaftem Antisemitismus. Nicolas Sarkozy, der Céline als seinen Lieblingsdichter bezeichnet hat, soll einmal gesagt haben: Man kann Céline lieben, ohne Antisemit zu sein, so wie man Proust lesen kann, ohne homosexuell zu werden. Aber den kleinen Sarkozy lassen wir mal weg, der sitzt gerade seine Strafe ab. Strafe absitzen musste auch Céline, fünf Jahre lang in Dänemark, wohin er bei Kriegsende geflohen war. Als das Todesurteil in Frankreich gegen ihn aufgehoben wurde, kehrte er nach Paris zurück. Geyersbach wäre gut beraten gewesen, wenn er in seine Biographie etwas mehr von dem aufgenommen hätte, was in dem Buch Auf der richtigen Seite stehen von Hanns Grössel steht.

Wenn Ulf Geyersbach die Arletty schon auslässt, diese junge Dame muss er natürlich erwähnen. Es ist die amerikanische Tänzerin Elizabeth Craig, und damit bin ich bei der ersten der beiden Liebesgeschichten, die der Titel heute verspricht. Sie hat sieben Jahre mit Céline zusammengelebt, sie war seine Muse, ihr hat er Voyage au bout de la nuit gewidmet. Er liebte die Frauen, aber so war er eben! Er dachte, die Frauen besäßen etwas Spirituelles; er dachte, die weibliche Sensibilität könne dem Mann etwas Erhabenes vermitteln, hat Elizabeth Craig später über Céline gesagt. Und der hat später über sie gesagt: Es ist ein Phantom, aber ein Phantom, dem ich viel verdanke. - Was für ein Genius in dieser Frau! Ich wäre nichts gewesen, ohne sie. Was für ein Geist! Was für eine Finesse! Was für ein Pantheismus, - schmerzvoll und heiter zugleich. Was für eine Poesie! Was für ein Geheimnis! Sie begriff alles, bevor man nur ein Wort sagte. - Es gibt ja kaum Frauen, die nicht von Natur aus böse oder töricht sind, - dann aber sind sie Zauberinnen oder Feen... Die Zauberin wird den Schriftsteller 1933 verlassen, nach Amerika zurückkehren und heiraten. Und wird nichts von dem wissen, was später aus ihm geworden ist. Céline hatte sich mittlerweile mit der dänischen Tänzerin Karen Marie Jensen getröstet.

Hier sind der Schriftsteller und die amerikanische Tänzerin beim Skilaufen in Chamonix, da war die Welt noch heil. Als sie ihn verlassen hat, hauste sie in einer Wolke von Alkohol, Tabak, Polizei und schäbigem Gangstertum, Céline muss immer übertreiben. In beinahe allem, was er über sich und sein Leben sagt, ist er wie Donald Trump: nichts davon ist wahr. Er war natürlich auch nie ein Nazi Kollaborateur. Wir wissen inzwischen eine ganze Menge über Elizabeth Craig, die 1989 im Alter von siebenundachtzig Jahren gestorben ist, weil Jean Monnier, der Vorlesungen über französische Literatur an der Berkeley Universität hielt, sie in ganz Amerika gesucht hat. Und sie in der Gegend von Los Angeles in einem kleinen Kaff gefunden hat. Er wird sie interviewen und das Interview (von dem ein Teil bei YouTube zu sehen ist) als Buch veröffentlichen: Armer Geliebter: Elizabeth Craig erzählt von Louis-Ferdinand Céline. Hier lernen wir einen ganze anderen Céline kennen, den Céline, bevor er das Ekel wurde. Es ist eine erstaunliche Geschichte. Immens lesenswert.

Man merkt diesem Photo nicht an, dass gerade Krieg ist. Die schöne Frau hier ist zehn Jahre älter als der Mann, dem sie immer wieder sagt, dass er ein schöner Mann sei: Ce jeune homme singulièrement beau et d'une parfaite indifférence devait bouleverser ma vie. Und jetzt sind wir bei Arletty und ihrem deutschen Oberstleutnant, der zweiten Liebesgeschichte des Titels dieses Posts. Er wollte sie heiraten, aber sie sagte, sie sei nicht für die Ehe geschaffen. Es wäre jetzt schön, wenn es ein wunderbares Buch über diese Liebe gibt. Es gibt eins, aber das kann man nicht empfehlen, es ist von Klaus Harpprecht, dem Journalissten, der einmal die Reden von Willy Brandt geschrieben hat. 

Der Fischer Verlag bewirbt das Buch Arletty und ihr deutscher Offizier mit den Sätzen Eine glamouröse deutsch-französische Geschichte von Liebe und Krieg, die Klaus Harpprecht mit großer Leidenschaft und Eleganz zu erzählen weiß. Dafür hat ein Rezensent bei Amazon nur die Sätze übrig: Schmonzes. Mir war lange nicht klar was dieser Ausdruck bedeutet? Jetzt weiß ich es. Genau, was dieses Buch ist. Ich gebe einmal eine Stilprobe, hier redet der Autor davon, dass er zum erstenmal sein Idol auf der Leinwand sieht: 

Die großen dunklen Augen, die am liebsten lachten und sich dennoch in Traurigkeiten verlieren konnten, die schimmernde Haut der Schultern und der Décolletés, das amüsierte Spiel ihrer Mundwinkel, wenn sie aus ihrer Loge die Freunde und Flirts aus den eigenen Jahren im Gewerbe der Schausteller beobachtete, die kleinen Gesten der Kameraderie, die gelassene Anmut, die natürliche Noblesse der Bewegungen dieser Courtisane hohen Ranges. Wenn das große Eleganz ist, dann ist es die Eleganz eines Lore-Romans. Harpprecht redet hier über die Garance in Les enfants du Paradis, was hätte er nur gesagt, wenn er diesen Film gesehen hätte?

Céline stirbt mit einundsechzig Jahren an einem Gehirnschlag in seiner Villa in Meudon, es gibt kein großes Presseecho, da gerade ein berühmterer Autor gestorben ist: Ernest Hemingway. Der ehemalige Oberstleutnant Hans-Jürgen Soehring, inzwischen deutscher Botschafter im Kongo, ertrinkt mit zweiundfünfzig Jahren beim Baden im Kongo. Arletty wird seine Frau und seine Kinder noch in Bad Godesberg besuchen und Brieffreundin der Witwe bleiben. Die Korrespondenz der beiden Liebenden, die sich Faune und Biche nennen, ist unter dem Titel Arletty Soehring: Hélas ! Je t'aime gerade herausgegeben worden. Elizabeth Craig wird siebenundachtzig Jahre alt werden, Arletty stirbt mit vierundneunzig Jahren, die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens war sie erblindet. Beide Frauen sind im Alter verarmt, aber sie nehmen das Leben mit Gleichmut. Niemand kann über ihr Leben sagen C' est une toute petite vie!

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