Freitag, 27. Mai 2011

Louis-Ferdinand Céline


Er hat heute Geburtstag. Ist aber schon ein halbes Jahrhundert tot. Ist nicht verwandt mit der gleichnamigen vornehmen Firma in Paris, auf keinen Fall. Die würden sich in der Avenue Montaigne auch gewaltig schämen, wenn er mit den Firmengründern verwandt wäre. Aber glücklicherweise ist Céline nur ein Künstlername, in Wirklichkeit heißt er Louis-Ferdinand Destouches. Er war ein Arzt und Schriftsteller, hatte ein wildes Leben. War ein Antisemit und Freund der Nazis. Aber irgendwie ein Genie. Wenn man ein Wort sucht, um ihn zu beschreiben, wäre Kotzbrocken wahrscheinlich das beste. Solche Wörter hat er auch gerne verwendet. Célines rüde, entfesselte, krakeelende, unflätige, wortgewaltige Trümmersprache voll Hohn, Haß und galligem Humor schrieb der Spiegel bei seinem Tod. Da war gerade noch bei Rowohlt Norden erschienen, was an Von einem Schloss zum anderen anschließt. Der dritte Band dieser Trilogie, Rigodon, erschien 1969.

Céline im Original zu lesen, bedeutete Wörter zu lernen, die im Französischunterricht nicht vorgekommen waren. Ich weiß das, weil ich Voyage au bout de la nuit im Original gelesen habe (ich habe aber glücklicherweise von der Heike vor ein paar Jahren die neue Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel geschenkt bekommen). Vor einem halben Jahrhundert war ich sehr stolz auf meine Französischkenntnisse und versuchte alles im Original zu lesen. Kaufte mir in Paris im Gare du Nord für die Fahrt mit dem Nordexpress den Roman L'Auberge de la Jamaique von der bekannten französischen Autorin Daphne du Maurier. Nur um später zu erfahren, dass die Autorin eine Engländerin ist und der Roman im Original Jamaica Inn heißt. Meine sprachliche Kompetenz hatte sich aber ganz gewaltig um das Wortfeld brouillard, brumes und crachin erweitert.

Das Problem mit Céline (links die Céline Büste von Hitlers Lieblingsbildhauer Arno Breker) ist, dass es zwei Célines gibt. Zum einen den Schriftsteller, der in Gespräche mit Professor Y selbstironisch über sich sagt: Die Emotionen in der geschriebenen Sprache!...die geschriebene Sprache war auf dem Trockenen, ich wars, der ihr die Emotionen wiedergegeben hat! Oder: der größte Schriftsteller des Jahrhunderts, der Erfinder des Stils, Revolutionär der französischen Literatur...der Malherbe unserer Tage. Das ist bei aller Ironie ein klein wenig größenwahnsinnig, aber so ist er eben. Ein Kotzbrocken. Kaum dass er nach Frankreich zurückgekehrt ist und dass das Todesurteil wegen Kollaboration mit den Nazis aufgehoben wurde.

Denn das betraf den zweiten Céline, den Céline, der grauenhaften Pamphlete voller Judenhass geschrieben hat. Schlimmer als der Unsinn, den Ezra Pound im italienischen Rundfunk verkündet hatte. Die Céline später nicht mehr veröffentlicht haben wollte, was seine Ehefrau Lucette auch juristisch durchsetzte. Mit der schönen Begründung Ces pamphlets ont existé dans un certain contexte historique, à une époque particulière, et ne nous ont apporté à Louis et à moi que du malheur. Ils n'ont de nos jours plus de raison d'être. Ja, so kann man es auch sagen, dass sie ihre Existenz nur in einem certain contexte historique und einer époque particulière hatten. Wenn die Pamphlete auch in französischen Bibliotheken nicht existieren (und nicht in der Pléiade Ausgabe enthalten sind), im Internet kann man sie lesen. Und sich nur wundern. Was bewegt jemanden, so etwas wie Bagatelles Pour Un Massacre zu schreiben. Als literarischen Surrealismus, wie Gide es getan hat, kann man das nicht mehr verbuchen.

Kann man den Schriftsteller Céline von dem pathologischen Pamphleteschreiber Céline trennen? Den Stilisten von der Ideologie? Große Künstler, so die begütigende Lesart, seien zuweilen Amoralisten, vielleicht sogar (wohliges Schauern) umso größer, desto amoralischer. Eine Prise salonfähiger Antihumanismus gehört vom Marquis de Sade über Michel Houellebecq, Jonathan Littell bis zu Mathias Énard zum Pariser Skandal-Schriftsteller wie die Perlen zum Champagner. Oder so ähnlich. Genauer wollte man sich nicht festlegen, genauer wollte man auch nicht hinsehen, weshalb die skandalösen rassistischen Hetzschriften Célines aus den dreißiger und vierziger Jahren nicht nur in der Pléiade-Ausgabe, sondern überhaupt in der literarischen Öffentlichkeit bis heute fehlen. Der solcherart bereinigte Céline konnte in Frankreich mit seinem bahnbrechenden subtil-vulgären Antiroman 'Reise ans Ende der Nacht' sogar zum nationalen Examensstoff werden. Schreibt die Zeit am Anfang dieses Jahres.

Und resümiert dann: Die Causa Céline ist unlösbar. Die Eingemeindung des großen Autors unter Nichtbeachtung von seinen Nachtseiten ist unmöglich. Die unter Berücksichtigung seines Antisemitismus aber auch. Es gibt keinen genialen Mister Jekyll, der unabhängig vom rassistischen Mister Hyde agierte, wie es die allzu versöhnungstaumelige Nachkriegsrezeption nahelegt. Célines Geistesaristokratismus, sein glühender Avantgardismus, sein antimodernes Ressentiment und sein nackter Rassismus sind nicht in ordentlich voneinander getrennten Bauabschnitten entstanden. Sie sind Teil einer großen Obsession, Motor für viele Tausend Zeilen Hass im Namen des großen Einzelnen gegen den Uniformismus, den Konformismus, den Materialismus, den Internationalismus, den Rationalismus, den sterilen Industrialismus, die mechanische Dressur der Kinder – die seiner Meinung nach übersichtlicherweise alle das Werk der Juden seien. Lassen wir das so stehen, etwas anderes fällt mir auch nicht ein. Aber es bleibt dieser Roman, diese Reise an das Ende der Nacht mit seiner sogartigen Sprachgewalt.

Reisen, das ist mal was Nützliches, da kriegt die Phantasie zu tun. Alles andere bringt nichts als Enttäuschungen und Mühsal. Unsere Reise hier findet ganz und gar in der Phantasie statt. Das ist ihre Stärke, heißt es auf der ersten Seite der Reise ans Ende der Nacht. Gleich nach dem vorangestellten Zitat Notre vie est un voyage Dans l’hiver et dans la Nuit, Nous cherchons notre passage Dans le Ciel où rien ne luit. Das ist aus dem Beresinalied der Schweizergarde. Sie singen es beim Untergang. Dies ist eine Reise ans Ende, de l’autre côté de la vie.

Voyager, c’est bien utile, ça fait travailler l’imagination. Tout le reste n’est que déceptions et fatigues. Notre voyage à nous est entièrement imaginaire. Voilà sa force.
Il va de la vie à la mort. Hommes, bêtes, villes et choses, tout est imaginé. C’est un roman, rien qu’une histoire active. Littré le dit, qui ne se trompe jamais.
Et puis d’abord tout le monde peut en faire autant. Il suffit de fermer les yeux.
C’est de l’autre côté de la vie.



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