Im Jahre 1933 erschien sein Roman 'Am Rande der Nacht', ich las ihn damals mit großer Anteilnahme, denn es waren auch dann schon deutsche Prosadichtungen von solcher Qualität sehr selten (...). Und was damals (...) so schön und stark ansprach, ist nicht verblaßt und hat standgehalten, es bewährt sich auf schönste und fesselt und entzückt wie einst, man ist dankbar für die Mehrzahl der hinzugekommenen kleineren Dichtungen, und einige davon, vor allem 'Septembergewitter', ergänzen und verstärken den Eindruck (...). Ich werde diesen Band, für den der Verleger gepriesen sei, allen meinen Freunden empfehlen. Das schreibt kein Geringerer als Hermann Hesse über den Bremer Schriftsteller Friedo Lampe. Und Jahre später schrieb Wolfgang Koeppen, der auch zugab, von Friedo Lampe viel gelernt zu haben, über das Werk: ich glaube, es zählt zum Bleibenden der deutschen Literatur. Wer glaubt das heute noch? Denn den so Gelobten kennt heute ja kaum noch einer. Was schade ist. Dabei ist sein schmales Werk durchaus noch lieferbar. Wenn auch der Rowohlt Band Das Gesamtwerk nur noch antiquarisch zu finden ist, hat sich doch der rührige Wallstein Verlag in Göttingen daran gemacht, das ➱Wichtigste wieder auf den Buchmarkt zu bringen.
Rowohlt hatte 1955 den Das Gesamtwerk betitelten Band in einer Reihe Erzählungen große Autoren unserer Zeit in Sonderausgaben auf den Markt gebracht. Er ist noch Jahrzehnte lieferbar gewesen, auch wenn sie bei Rowohlt geflucht haben, weil sie für die Einzelbestellung eines Buchhändlers in den Keller klettern mussten. Das weiß ich, weil mir das mein Buchhändler erzählt hat, denn ich habe von Zeit zu Zeit diesen Band gekauft, um ihn zu verschenken. Das muss man als Bremer einfach tun, wir haben ja nicht so viele Schriftsteller. Über ➱Konrad Weichberger habe ich ja schon einmal geschrieben. Über ➱Marga Berck und Sommer in Lesmona schreibe ich irgendwann gerne noch einmal. Rudolf Alexander Schröder lasse ich lieber aus, ich mag ihn nicht. Und das Gleiche gilt für ➱Manfred Hausmann. Da musste man als Kind immer still sein, wenn man an seinem Haus vorbeiging, weil da der große Dichter dichtete. Über seine Rolle bei den Nazis bewahrte man dann auch lieber Stille.
Mit den Nazis hat Friedo Lampe nun gar nichts zu tun. Sie haben seine schriftstellerische Karriere beendet. Ich habe eben immer Pech mit meinen Büchern, hat er einmal gesagt. Es ist eine große Tragik, dass Friedo Lampe bei Kriegsende von einem Sowjetsoldaten für einen SS-Mann gehalten und erschossen wurde. Heute vor 66 Jahren. Rowohlts Ausgabe des Gesamtwerks erschien genau zehn Jahre nach seinem Tode in einer Reihe, in der sich Lampe in der Nachbarschaft von Baldwin, Camus, Hemingway und Thomas Wolfe befand. Und das eigentlich zu Recht. Denn mit dem Südstaatenautor Thomas Wolfe zum Beispiel hat er vieles gemein. Dessen Werk hatte der junge Dr. Lampe kennengelernt, als er Lektor bei Rowohlt war. Marcel Proust, mit dem er manches gemein hat, hat er aber erst 1943 für sich entdeckt. Die Literaturwissenschaft hat eine Vielzahl von Namen ins Spiel gebracht, zu denen sein Werk eine Nähe haben soll, wie zum Beispiel Herman Bang oder Eduard von Keyserling. Mit diesen beiden Namen wurde er schon durch die Verlagswerbung bei seinem ersten Roman verbunden. Aber das überzeugt mich nicht so sehr, denn ich finde vieles bei ihm ziemlich einzigartig.
In einem Brief vom 14. Februar schrieb er über seinen Roman Am Rande der Nacht: Es soll ein kleines Buch werden. Eine ziemlich wunderliche Sache. Wenige Stunden, so abends zwischen 8 und 12 in einer Hafengegend, ich denke dabei an das Bremer Viertel, in dem ich meine Jugend verbracht habe. Lauter kleine, filmartig vorübergleitende, ineinander verwobene Szenen nach dem Hofmannsthalschen Motto: "Viele Geschicke fühle ich neben dem meinen,/Durcheinander spielt sie das Dasein": Alles leicht fließend, nur ganz locker verbunden, malerisch, lyrisch, stark atmosphärisch. Das beschreibt seinen Roman ziemlich genau. Das hier zitierte Hofmannsthalsche Motto hat er auch seinem Roman vorangestellt. Der wurde 1933 prompt verboten. Als sich Lampe bei einem Bekannten in der Reichsschrifttumskammer darüber beschwerte, bekam er den guten Rat, doch ein deftiges SA-Buch zu schreiben. In einem verbliebenem Exemplar des Buches notierte er die Zeilen: Mein Kind, bei der Geburt so gesund und rot, / Aber nach vier Wochen, da war es tot. / Es liebte die Lüfte mild, frei und weich, / Es konnte nicht atmen im Dritten Reich. / Aber wir haben Geduld und wollen mal sehn, / Vielleicht wird es noch einmal auferstehn. Der Beschlagnahmte. Zehn Jahre später schrieb der Autor, der über sich gesagt hatte Ja, das möchte ich wirklich: volkstümlich und schlicht und doch neu in der Form sein, in einem Brief: Man sieht die alte Welt aufbrennen. Die Menschen haben selber das Feuer heraufbeschworen, um sich zu verbrennen und zu vernichten. Sie haben Recht und Freiheit nicht mehr zu schätzen gewußt, nun müssen sie es durch diese bitteren Erfahrungen wieder lernen.
Nach dem Krieg ist Am Rande der Nacht 1949 bei Rowohlt unter dem Titel Ratten und Schwäne erschienen, dem Band waren noch kleinere Skizzen und Gedichte beigegeben. Diese Rowohlt Ausgabe ist heute noch antiquarisch zu finden, ebenso wie Das Gesamtwerk. Die Ausgaben des Wallstein Verlages unterscheiden sich von den Rowohlt Texten dadurch, dass man die Änderungen und Kürzungen, die Lampes Freund Johannes Pfeiffer vorgenommen hatte, wieder rückgängig gemacht hat. Ich hoffe, ich habe Sie jetzt ein wenig neugierig gemacht auf diesen deutschen Schriftsteller, dem man das Etikett Magischer Realismus verpasst hat. Und eine kleine Textprobe (aus Am Rande der Nacht) habe ich auch:
Einen Augenblick war es ganz still, und dann hob eine dünne Kinderstimme zu singen an, erst schwankend und ungewiß, ein flackerndes Flämmchen, dann immer klarer ansteigend, hell und durchdringend, silbern-reine Tonkreise ziehend, in den Garten in den vollen Nachthimmel hinein. Und die Leute da unten schwiegen und lauschten, mit nach oben gekehrten Gesichtern, befremdet, tonbeglänzt und erheitert, sahen in die Baumkrone in den Nachthimmel, sahen klingend die grausilberne, ein wenig verbeulte Mondscheibe durch Wolken rollen, sahen angeleuchtete, aufgeleuchtete Wolken in schweren, warmen Wind dahinsegeln, fühlten die laue Strömung der Nachtluft, die Kühlung des Gesanges, die Stille des Augenblicks.
Ich lasse mal das letzte Wort dem Schriftsteller Kurt Kusenberg, der in seinem Epitaph für Friedo Lampe im Merkur (1950) schrieb: Hier soll, mit Worten, ein kleiner Gedenkstein errichtet werden für einen Erzähler, der ein dauerhafteres Monument verdient. Dieses freilich müßte ihm seine Vaterstadt Bremen setzen, doch darf man zweifeln, daß sie dergleichen im Sinne habe. Die hansischen Städte sind spröde, sie feiern ihre verlorenen Söhne nicht oder nur widerstrebend, und ein Künstler ist immer ein verlorener Sohn. Ihn, Friedo Lampe, halb zu vergessen, aber wäre eine Unachtsamkeit, die nicht statthaft ist, und eine Geschichte der neueren deutschen Literatur, die ihn mit drei Zeilen abtut, ermangelt der richtigen Wertsetzung. Und mit seiner Meinung über die Sprödigkeit der Hansestadt Bremen gegenüber ihrem verlorenen Sohn hat Kusenberg schon Recht gehabt. Die haben zwar in Oberneuland eine kleine Sackgasse, die Friedo-Lampe-Weg heißt, aber das ist auch schon alles. Ob es wohl an der Uni Bremen mal Seminare über Friedo Lampe gegeben hat? Ich weiß es nicht. Aber an der Universität Freiburg ist vor zehn Jahren eine sehr gute Dissertation über Friedo Lampe von Annette Hoffmann geschrieben worden, die man ➱hier lesen kann.
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