Samstag, 29. April 2023

wasserdicht


Siebzig Mark, sagte der Händler. Fünfzig, sagte ich. Wir einigten uns auf sechzig. Das Objekt der Begierde war eine kleine rechteckige Armbanduhr mit einem schönen Curvex Stahlgehäuse. Der Name auf dem Zifferblatt war Wagner Select. Das Zifferblatt war braun mit einem schwarzen Rahmen, auf dem die grünlich-gelben Zahlen saßen. Man konnte die Uhrzeit kaum erkennen. Das Zifferblatt war wahrscheinlich nachgedunkelt, so etwas nennen Rolex Fans Tropical. Die Uhr sah genauso aus wie diese Omega, nur dass das Zifferblatt zweifarbig war. Und dass sie eine andere Krone hatte. Sie hatte eine sehr große Krone, ein Zeichen dafür, dass in der Krone wahrscheinlich eine Dichtung war und die Krone auf einer geteilten Aufzugswelle saß. Das machte man bei Uhren, die wasserdicht sein sollten, sehr gerne. Und das sollte diese Uhr auch wohl einmal gewesen sein, die Qualität des Stahlgehäuses sprach dafür. Rechteckige Uhren mit einem Edelstahlgehäuse findet man selten, die meisten sind aus billigem Blech wie die Junghans, die sich mein Vater in den dreißiger Jahren gekauft hatte.

Als ich die Uhr zuhause vorsichtig öffnete (die Uhr hatte wirklich eine geteilte Aufzugswelle), kam ich aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das Select auf dem Zifferblatt hatte schon seine Berechtigung. Dieses Formwerk hier ist ein Pforzheimer PUW 500, und da Ernst Wagner seit 1933 seine Uhren- und Gehäusefabrik in Pforzheim hat, wird er nicht lange bei anderen Herstellern gesucht haben. Andererseits sieht das Werk auch einem ETA 735, einem FHF 111 oder einem Durowe 10.5 F ähnlich, aber die Rechteckwerke der dreißiger Jahre ähneln sich mit Ausnahme des Raumnutzwerks alle. Dies hier abgebildete PUW Werk wurde in einer Arctos Elite verbaut, und es hat eine Qualität, die das Standardwerk nicht hat. Darauf achtete man bei Arctos in der Qualtätsstufe Elite. Ich habe eine Arctos Elite, die ein Uhrwerk von Kurtz besitzt: mehr geht nicht. 

Mein Werk in der Wagner Select kann gegenüber diesem vergoldeten Werk noch etwas draufsetzen. Es ist nicht vergoldet, aber es hat einen schönen Genfer Streifenschliff. Es hat alle Steine in Goldchatons, und es hat eine Incabloc Stoßsicherung der zweiten Generation (dieses vergoldete Werk nicht). Das heißt, das Werk muss nach 1938 gebaut worden sein. Es gibt damals sehr wenige Armbanduhren in Deutschland, die ein Werk dieser Qualität besitzen.

In der Mitte der 1930er Jahre ist für die Armbanduhr (mit Ausnahme der Automatikuhr) alles erfunden, was erfunden werden kann. Es gibt die Incabloc Stoßsicherung, und Reinhard Straumann erfindet die Nivarox Spirale (nicht variabel oxydfest) und die Glucydur Unruhen, alles das ist bis heute in den Armbanduhren. Die traditionelle Schweizer Uhrenindustrie hat damals übrigens die Erfindungen von Straumann abgelehnt, er war gezwungen, die Legierungen für Glucydurunruhen und Nivarox Spiralen in Deutschland herstellen zu lassen. Das ist eigentlich sehr komisch, zeigt aber einmal mehr die Wahrheit des Satzes wat de Buur nich kennt, dat fret he nich.

Das Edelstahlgehäuse meiner Uhr ist nicht von Ernst Wagner, es ist von Kollmar & Jourdan, da Wagner seine Gehäuseproduktion erst nach dem Zweiten Weltkrieg aufbaut. Aber dann wird Wagner neben Rodi & Wienenberger (RoWi) und Kollmar & Jourdan der wichtigste Lieferant der DDR sein; er beliefert die VEB Uhren und Maschinenfabrik Ruhla für deren Präzisa Uhren und die VEB Glashütter Uhrenbetriebe (GUB) für die Kaliber GUB 28 und GUB 28.1 sowie für die gesamte Werkfamilie GUB 60 & GUB 62. Dies hier ist so ein Gehäuse, das W oben zeigt an, dass es von Wagner ist. Die eins im Dreieck unten bedeutet nicht, dass es sich hierbei um eine Güteuhr handelt, wie einem die Flohmarkthändler gerne versichern, sondern dass das Gehäuse von bester Qualität ist. Verbindungen nach Glashütte hatte Wagner schon seit der Firmengründung 1933 gehabt, da er in seine Uhren UROFA Werke und auch das Raumnutzwerk einbaute.

Von bester Stahlqualität ist auch das Edelstahlgehäuse meiner Wagner Select. Der Edelstahlboden wird mit vier Schrauben gegen das Gehäuse geschraubt. Das Werk wird im Gehäuse durch seitliche Federn gehalten, was eine zusätzliche Stoßsicherung bedeutet. Und dann ist das Werk noch rundherum von einer dicken Gummidichtung umgeben. Es ist schwieriger, eine rechteckige Uhr wasserdicht zu bekommen als eine runde Uhr. Aber der Zeitgeschmack verlangte in den dreißiger Jahren rechteckige Uhren. Und so sehen wir auf dieser Eterna Anzeige Menschen mit rechteckigen Uhren beim Wassersport. Aber zwischen einer Werbeanzeige und der Wirklichkeit liegen Welten. Ich habe auch eine rechteckige Eterna aus den dreißiger Jahren, aber ich würde sie nicht unter der Dusche tragen. Die Wagner Select auch nicht.

Hans Wilsdorf kaufte 1927 die erste Seite der Daily Mail, um zu feiern, dass die Sekretärin Mercedes Gleitze mit einer Rolex Oyster am Arm über den Kanal geschwommen ist. Die Geschichte ist, wie beinahe alle Rolex Geschichten, nur zur Hälfte wahr. Die Erstbesteiger des Mount Everest haben auch keine Rolex getragen, wie die Firma jahrelang behauptete. Tut sie jetzt kleinlaut nicht mehr. Der offizielle Ausrüster für die Expedition war die englische Firma Smiths. Mercedes Gleitze ist zwar schon einmal über den Ärmelkanal geschwommen, aber diesmal hat sie Englands Küste nicht ganz erreicht. Und sie hatte auch keine normale Rolex Oyster am Arm, die Uhr war mit dick Fett versehen in einer Kapsel, die sie am Hals trug. Solchermaßen präpariert hätte auch die zierliche Schmuckuhr meiner Oma den Ärmelkanal überstanden. Aber so ist das nun mal mit den selbstgestrickten Werbemythen, irgendwas von den Botschaft bleibt immer hängen.

Die ultimative rechteckige wasserdichte Uhr kam von der Firma Omega, die 1932 eingeführte Omega Marine hatte ein Doppelgehäuse und wurde wirklich von Tauchern verwendet. In Frankreich war die Firma von François Borgel der Pionier im Bau von wasserdichten Gehäusen. Von ihr hatte auch Rolex ein Patent für seine Oyster Modelle gekauft. In der Liga von Omega und Borel sind die Pforzheimer Produkte nicht, auch wenn Firmen ihre wasserdichten Modelle Neptun oder Delphin nennen. Aber es war ein netter Versuch. Und die Wagner Select geht nach achtzig Jahren immer noch gut. Zum Händewaschen lasse ich sie am Arm.

Ein Uhrengedicht habe ich heute auch. Es heißt schlicht Die Uhr und ist von Wilhelm Busch:

Fürwahr, ein feines Kunstwerk ist die Uhr!
Der Wilde zwar, nach dummer Väterweise,
Besitzt noch nicht ein solches Zeitgehäuse,
Denn was ihn drückt ist Mangel an Kultur.

Wir dahingegen, die schon mehr gescheit,
Sind längst beseelt vom Geist der Pünktlichkeit.
Unfehlbar sicher trifft die Exzellenz
Bei Hofe ein zur höchsten Audienz.

Der Herr Beamte, immer tatenfroh,
Erscheint auf die Minute im Büro.
Dem Reiseonkel, selbst in größter Hast,
Passiert es nie, daß er den Zug verpaßt.

Der Schüler, dem das Lernen ein Genuß,
Weiß ganz genau, wann er zur Stunde muß.
Und der Soldat erst recht ist prompt am Platz
Bei der Parade wie bei seinem Schatz.

Kurzum, präzis benimmt sich fast ein jeder.
Das macht allein die kleine stramme Feder,
Die innerlich das runde Ding bewegt,
Was man als Mensch von pünktlicher Dressur
Zu Nutz und Zier am warmen Busen trägt.
Sehr häufig zieht der Jüngling sie herfür
Und macht damit auch andern ein Pläsier.

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