Samstag, 15. April 2023

Pastoren


Ich verdanke der Jugendarbeit unserer Kirchengemeinde, die Klaus Nebelung und seine Frau Waltraud in den fünfziger und sechziger Jahren aufgebaut haben, sehr viel. Das habe ich schon in vielen Posts erwähnt, seit ich diesen Blog schreibe. Für den Pastor Nebelung habe ich 2011 zum Geburtstag den Post Vor dem Sturm geschrieben. Nebelung liebte Fontane und hat einmal einen Vortrag über die Pastoren in Fontanes Romanen gehalten. In dem Vortrag fand sich auch das schöne Zitat, das Fontane der Pastorin Schleppegrell in den Mund leht: Man muss sich untereinander helfen, das ist eigentlich das Beste.von der Ehe. Sich helfen und unterstützen und vor allem nachsichtig sein und sich in das Recht des andern einleben. Denn was ist Recht? Es schwankt eigentlich immer. Aber Nachgiebigkeit einem guten Menschen gegenüber ist immer recht. Dass wir Klaus Nebelung für elf Jahre als Diakon bekamen, verdanken wir dem Landesjugendpfarrer Werner Brölsch. Dessen Initiative die Bremer Kirche auch das Haus Meedland auf Langeoog verdankt. Wenn er nicht da war, durften wir bei den Arbeitsfreizeiten bei schlechtem Wetter seine Wohnung unter dem Dach benutzen, auch seinen Braun Schneewittchensarg Plattenspieler, das hatte er uns erlaubt.

Ich habe, beginnend mit Heinrich Keller, alle Pastoren unserer Gemeinde gekannt. Keller war mit meinem Opa befreundet, und er hat meinen Bruder getauft. Bei uns im Wohnzimmer. Ludwig Erks Deutscher Liederhort, den mein Opa sich mal von ihm ausgeliehen und nie zurückgegeben hat, liegt immer noch auf meinem Klavier. Der Pastor, der mich konfirmierte (und mir Markus 9:32 als Denkspruch mitgab), war Nazi gewesen, und die Landeskirche hatte lange gezögert, ihm wieder eine Gemeinde anzuvertrauen. Sein Nachfolger Pastor Nelle gab an meinem Gymnasium Religionsunterricht, also diesen Religionsunterricht, für den es im Grundgesetz die sogenannte Bremer Klausel gibt. Ich kam mit ihm nicht klar, aus irgendeinem Grund hatte er sich zuerst geweigert, meine Oma zu beerdigen. Und die Zwillinge eines Freundes wollte er nicht taufen, weil die in den USA geboren worden waren. Pastoren sind manchmal seltsam. 

Wir waren unserer Kirche nicht immer treu, mein Vater mochte den Pastor Hinrich Hemmelgarn, weshalb wir häufig in der Grohner Kirche waren. Wohin wir am Sonntag gingen, hing ein wenig von der Laune meiner Mutter ab. Bei dem guten alten Pastor Heinrich Keller hätte sie nicht die Kirchen von Sonntag zu Sonntag gewechselt, aber mit seinen Nachfolgern kam sie nicht so zurecht. Weil sie im Herzen, genau wie die ganze querulatorische Sippschaft aus Ostwestfalen, Lutheranerin war. Deshalb hat sie auch in Aumund und nicht in Vegesack geheiratet. Die Glaubenskämpfe in Bremen sind mit Pezelius nicht zuende. Und so sind wir häufiger in der neo-romanischen Kirche in Grohn, manchmal auch in dem neugotischen Monster in Aumund. Und einmal Weihnachten bei dem Laienprediger Manfred Hausmann in Rönnebeck, das galt in Bremen als chic. 

Mein Klassenkamerad Klaus-Dieter Mildenberger, den wir Mille nannten, hat nach dem Abitur Theologie studiert und ist Pastor geworden. Wir waren in derselben Lateinklasse unseres Gymnasiums und saßen übereck jahrelang beinahe nebeneinander. Zwischen uns saß unser Klassenkamerad Wuddel, der mir einmal in einem Brief etwas selbstironisch schrieb: Wenn ich nicht Dich als linken und Mille als rechten Nachbarn zum Abschreiben gehabt hätte, wäre ich kein rechtschaffener A-14-Beamter geworden, sondern würde mit viel Glück vielleicht bei Nehlsens Müllabfuhr untergekommen sein. Der Mille, den wir auf diesem Photo in der Mitte bei der Feier zum 150-jährigen Bestehen des Männerchores Apollonia Lesumstotel sehen, ist inzwischen als Pastor pensioniert. 

Aber ich glaube, für einen Pastor hört die Arbeit nie auf. Die Gemeinde braucht ihren Hirten. Und sei  es als Gast im Erzählcafé. Der Pastor Dietrich Kleiner, der meine Eltern beerdigt hat, war schon lange pensioniert, aber als ich ihn fragte, übernahm er die Aufgabe ohne einen Augenblick zu zögern. Und blieb immer im Kontakt. Als ich zu bloggen begann, gab er mir noch gute Ratschläge. Meine Mutter schätzte den Mille sehr und besuchte häufig seine Gottesdienste, weil sie den Vegesacker Pastor nicht mehr ausstehen konnte. Also diesen Pastor, der einen Gottesdienst für Hunde im Stadtgarten machte und die Hälfte des Jahres nicht bei seiner Gemeinde ist, weil er Bordgeistlicher auf Kreuzfahrtschiffen ist. Bei unserer goldenen Konfirmation 2009 musste er gestehen, dass er noch nie etwas von Klaus Nebelung gehört hätte. Dazu fällt mir wenig ein. Ich habe diesen Pastor schon einmal erwähnt; die Bremer Landeskirche hat schon seltsame Spinner wie Heinrich Weidemann und Georg Huntemann in ihren Reihen gehabt. Dass man einen anderen Weg als Weidemann und seine Anhänger gehen konnte, hat das Leben von Gustav Greiffenhagen gezeigt. Der strahlende Ruf des Dompredigers Günter Abramzik, der bei der kleinen Bremer 68er Revolution einer der wenigen Vernünftigen war, ist durch die Mißbrauchsvorwürfe für ewig beschädigt.

Mit alledem hat der Mille nichts zu tun, er war zweiunddreißig Jahre für seine Gemeinde da und hat keine Hundesgottesdienste oder Reisen mit dem Traumschiff gemacht. War auch selten in der Zeitung. Einmal, als er der Senior des evangelisch-lutherischen Gemeindeverbandes wurde. Er war damals der Nachfolger von Pastor Erich Viering, der einmal als Missionar in Togo gewesen war. Den Zeitungsausschnitt habe ich aufgehoben. 

Mille war immer seriös. War nie solch ein Exzentriker wie ich. Der anonyme Autor unserer Bierzeitung zum Klassenfest der 10 L1 (erstes und letztes Erscheinen am 25. März 1960) schrieb über mich: imaginärer Kopf des Unternehmens, dabei kennt er sich selbst nicht einmal, muss dauernd auffallen. Und über Klaus-Dieter Mildenberger, der unter Humanistisches Personal aufgeführt wurde, konnte man lesen: beliebt bei jung alt, denkt nicht, sondern glaubt. Standhaft in jeder Beziehung. Ich finde das nach über sechzig Jahren sehr treffend. Standhaft war er immer, auf ihn konnte man sich immer verlassen. Der pensionierte Pastor liest jetzt manchmal meinen Blog und schreibt mir nette Dinge wie: Einfach schön zu lesen oder Mach weiter so. Es ist eine Freude Deine Texte zu lesen. Der Mille hat heute Geburtstag, er wird achtzig Jahre alt. Er war hier schon einmal im Blog, war auf einem Photo vom Abtanzball zu sehen (ganz oben rechts mit dem weißen Querbinder). Mit all den anderen von uns, die in diesem Jahr achtzig werden. Die Ingrid übrigens auch. Und deshalb schreibe ich diesen Post für ihn anstelle einer Glückwunschkarte und sende meine herzlichen Glückwünsche in die alte Heimat. 

Und dazu brauche ich heute ein Gedicht, in dem Pastoren vorkommen. Fällt mir nicht schwer, so etwas zu finden. Ich nehme das Gedicht Pastors Abendspaziergang von Friedrich Theodor Vischer. Den Autor mag ich, weil er den wunderbaren Roman Auch einer geschrieben hat; er hat natürlich einen Post, und im Post Kuhreigen wird er auch erwähnt. In der Welt der Pastoren kennt sich der Pastorensohn Vischer aus, er hat Theologie studiert und seinen Doktor gemacht. Sich dann aber von der Kirche ab- und der Literatur zugewandt.

Das Abendroth brennt an des Himmels Saum,
Ich schlendre so, als wie im halben Traum,
Zum Dorf hinaus auf grünem Wiesenwege
Am Wald hinunter, wie ich täglich pflege. 

Rings auf der Wiese wimmelt es und schafft,
Vom frischen Heu kommt mit gewürz'ger Kraft
Ein süßer Duft auf kühler Lüfte Wogen,
Mein alter Liebling, zu mir hergezogen. 

Roth, Blau und Gold, ein ganzes Farbenreich,
Betrachtet sich im spiegelhellen Teich,
Wild-Enten sieht man durch die Wellen streben
Und hoch in Lüften Weih und Sperber schweben. 

Ein flüsternd Wehen geht im dunkeln Wald,
Die Vögel rufen, daß es weithin schallt,
Die Unke will sich auf der Flöte zeigen,
Die Grille zirpt und auch die Schnaken geigen. 

Studiren wollt' ich einen Predigtplan,
Nun hör' ich selbst die große Predigt an,
Voll Kraft und Mark, ein Menschenherz zu stärken,
Die große Predigt von des Meisters Werken.

 

Lesen Sie auch: Kirchen

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen