Montag, 27. Januar 2014

Kurtz


Das ist doch mal ein kurzer Titel: Kurtz. Die Geschichte hinter diesem Namen ist ein wenig länger. Sie kommt aus der Welt der Uhren, Uhren haben meistens eine Geschichte. Modeuhren wie Rolex mal ausgenommen, da wird die Geschichte von der Werbeabteilung geschrieben. Die Rede ist heute von Ernst Kurtz, in dessen kleiner Fabrik das erste deutsche Armbanduhrwerk mit Breguetspirale entstand. Dies hier ist das Kaliber Kurtz 25, sieht schlicht aus, hat es aber in sich. Das Werk hat 16 Steine, die in Goldchatons gelagert sind, und es hat eine bimetallische Schraubenunruh. Es wurde mit kleiner Sekunde und indirekter Zentralsekunde (wie hier auf dem Photo) geliefert. Zum großen Teil war dies Handarbeit (man hatte kaum Maschinen), aber alles in Glashütter Tradition. Hergestellt nicht in Glashütte, sondern in einem kleinen Kaff namens Ganderkesee.

Das ist ein Ort, den Sie vielleicht nicht aussprechen können, aber wenn man aus Vegesack kommt, dann weiß man, wo der Ort ist. Vor allem, wenn man mit dem Fahrrad voller Gepäck auf dem Weg zu einer Jugendherberge im Oldenburger Land ist. Bevor man nach Ganderkesee kommt, wo am Waldrand des Hasbruch viele Ausflugslokale liegen (zu denen es die Bremer im Winter zum Kohl und Pinkel Essen zieht) muss man durch Bookholzberg. Die haben, und das merkt der Radfahrer, wirklich so etwas wie einen Berg. Hier ist das Urstromtal zu Ende, in dem die Weser dahinfließt, hier beginnt die Geest. Die haben in Bookholzberg außer dem Berg noch eine Freilichtbühne namens Stedingsehre, die einmal zur Zeit der Nazis gebaut wurde, weil der Gauleiter Carl Röver hier ein plattdeutsches Theaterstück über den Freiheitskampf der Stedinger hat aufführen lassen. Die Nazi Prominenz träumte davon, dass hier ein Oberammergau des Nordens entsteht, heute gammelt das alles vor sich hin. Man plant aber, eine Gedenkstätte aus dem Ort zu machen.

Über den Freiheitskampf der Stedinger und die Schlacht von Altenesch (zu deren 700. Jahrestag die Stedingsehre gebaut wurde), wollen wir heute nicht reden. Die Sache ist mir von kleinauf vertraut, weil wir niemals durch Altenesch fahren konnten, ohne dass Opa seinen Vortrag über den Freiheitskampf der Stedinger hielt, die hier in der Schlacht von Altenesch dem Kreuzzugsheer des Bremer Bischofs unterlagen. Mit ihrem Leitspruch Lewer dod as Slav gingen  Thammo von Huntorp, Detmar tom Dyk und Bolko von Bardenfleth mit ihren Männern unter. Das Lewer dod as Slav brachte meinen Vater immer dazu, den gleichen Spruch aus Nordfriesland zu zitieren und an die Schlacht von Hemmingstedt zu erinnern. Dem folgte unweigerlich das Warr die, Garr, de Buer de kummt und eine Rezitation von Pidder Lüng, das ließ nicht sich vermeiden. Wir lassen das jetzt mal beiseite und bewegen uns wieder nach Ganderkesee.

Hierher hatte Ernst Kurtz seine Uhrenfabrik verlagert, die zuerst in Memmelsdorf gewesen war. Bevor es dazu kommt, dass Dr Ernst Kurtz sich diese Visitenkarte drucken läßt, ist einiges in Deutschland geschehen. Am besten fange ich einmal von vorne an. Ohne die Stedingsehre und die Schlacht von Altenesch. In Memmelsdorf war der Direktor von UFAG und UROFA nach dem Krieg gelandet, weil die UROFA dort ein Zweigwerk unterhielt. Hier baute er für die amerikanischen Besatzer aus Restbeständen des Kalibers 59 Chronographen zusammen (die Glashütter Uhrenbetriebe GUB werden das Werk etwas verkleinert als GUB 69 weiterbauen). Als Kurtz bei Kriegsende Glashütte verließ, waren ihm immer mehr Uhrmacher gefolgt, die im zerbombten Ort unter russischer Herrschaft keine Zukunft für sich sahen.

Obgleich Memmelsdorf strategisch gut zur süddeutschen Uhrenindustrie lag, musste Dr Kurtz Ende der vierziger Jahre seinen Standort verlegen, die Hallen in Ganderkesee waren finanziell für ihn leichter zu tragen als die Fabrik in Memmelsdorf. Die Anlage in Ganderkesee war 1937 als Funkstation für den Flugplatz Adelheide gebaut worden, die wollte niemand haben. Zumal sie in einer Gegend lag, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Zu Adelheide und Umgebung sage ich jetzt gar nichts, es ist ein Ort, den man nicht kennen muss: ich war da jahrelang als Soldat stationiert. Aber für eine Uhrenfabrik waren die Gebäude ideal.

Nachkriegsdeutschland hatte jetzt eine neue Uhrenmarke, Kurtz Glashütter Tradition stand auf den Zifferblättern. Und es war die einzige deutsche Armbanduhr, die eine Breguetspirale besaß (falls Ihnen dieses schöne Wort nichts sagt, sollten Sie diesen Post lesen). In den ersten Jahren keine Stoßsicherung (wie das oben abgebildete Werk), so etwas mochte man in der Tradition Glashüttes nicht. Man war - wie manche andere Firmen, zum Beispiel Patek Philippe - der Meinung, dass eine Stoßsicherung die Gangergebnisse verschlechtern würde. Die Produkte der GUB in Glashütte hatten in dieser Zeit auch keine Stoßsicherung. Das lag aber daran, dass die DDR Devisen knapp waren, und man in Glashütte kein Geld hatte, Stoßsicherungen in der Schweiz zu kaufen.

Eine Armbanduhr der Marke Kurtz Glashütter Tradition - die Werke des Kaliber 25 wurden auch von Adolf Rapp (Adora) und Philipp Weber (Arctos Elite) verbaut - kostete um 1950 beinahe einhundert Mark. Das war der Monatslohn eines Arbeiters. Dafür bekam man allerdings eine Uhr (hier das Werk von der Zifferblattseite), deren Werk qualitativ mit dem berühmten Omega 30T2 mithalten konnte, und das damals nach einer werkseigenen vierzehntägigen Prüfung wohl alle Bedingungen einer Schweizer Chronometerprüfung erfüllt hätte. Das Werk war wahrscheinlich in sechs Lagen feinreguliert, mehr bietet ein Omega 30T2 mit Chronometerprüfung auch nicht. Meine Uhr mit diesem Werk geht nach über sechzig Jahren noch erstaunlich genau. In der Woche, in der ich an diesem Post geschrieben habe, hat sie keine Minute gewonnen oder verloren.

Ernst Kurz hatte seine berufliche Tätigkeit 1925 als zweiter Syndikus des Zentralverbandes der Deutschen Uhrmacher in Halle/Saale begonnen. Nach dem Konkurs der Deutschen Präzisionsuhrenfabrik Glashütte e.G.m.b.H. (DPUG) wurde er von den Gläubigerbanken beauftragt, die Firma neu zu ordnen. So entstanden UFAG und UROFA mit Dr Kurtz als alleinigem Gesellschafter. Und es wurden jetzt auch Armbanduhren hergestellt.

Denn das hatte man in Glashütte völlig versäumt. A. Lange bezieht die Rohwerke seiner Armbanduhren von der Firma Hans Troesch (Montres Altus) in Genf. Zwar produzierten Bidlingmaier (Bifora), Junghans und Thiel Armbanduhrwerke, aber das war weit entfernt von der sprichwörtlichen Glashütte Qualität. Ganz weit entfernt davon sind die Produkte der Firma Thiel, die nach dem Krieg Ruhla hieß. Und den Spott der Bevölkerung ertragen musste, es gibt da noch Sprüche, die offensichtlich niemand vergessen hat: Die Ruhla-Uhr ist wasserdicht - rein kommt's Wasser, raus kommt's nicht!, Willst du deinen Freund bescheissen, schenke ihn ein Ruhla-Eisen!!Ein Stück Blech, ein Stück Schnurr - fertig ist die Ruhla-Uhr!! Die Liste der Sprüche ließe sich wohl beliebig verlängern. Mit solchen Produkten will der junge Chef von UFAG und UROFA natürlich nichts zu tun haben, ein junger tatkräftiger Jurist wird nun zum Pionier der deutschen Armbanduhr.

Es entstehen bei der UROFA jetzt die Kaliber der 50er Serie (Bild) und das berühmte Raumnutzwerk (lesen Sie ➱hier alles darüber). Eine kleine Zahl der Werke wird bei der UFAG veredelt und erhält den Markennamen Tutima-Glashütte. Diese Qualität konnte qualitativ durchaus mit den Produkten Schweizer Firmen konkurrieren. Und an die Tutima Qualität will Kurtz nach 1945 mit seinem Kaliber 25 anknüpfen. Ein Uhrwerk mit Breguetspirale hatte die UROFA nicht im Programm gehabt, aber man hatte den Bau eines solchen Werkes 1939 geplant. Es ist wohl der Entwurf des Technischen Leiters Paul Löwe gewesen, der einst Roald Amundsen einen Marinechronometer verkauft hatte.

Man nimmt an, dass Ernst Kurtz die Unterlagen mitgenommen hat, als er im Mai 1945 Glashütte verließ (hier ein Photo aus der Fabrikation in Ganderkesee). Er sieht sich jetzt als den Bewahrer der Glashütter Tradition, einer Tradition, die er selbst geprägt hatte: Ein Betrieb muss eine Aufgabe haben, möglichst eine nationale (für uns war es die deutsche Armbanduhr und das Brechen des Monopols der Schweiz). Um diese Aufgabe zu erfüllen, muss ein Betrieb auch Jahre eines Aufbauverlustes verkraften. Einmal muss der Betrieb sich aber rentieren, sonst hat er keine Existenzberechtigung. Der Mensch darf aber nicht als Produktionsfaktor angesehen werden. Irgendwann muss er auch 'Herr des Betriebes' sein.

Das mit den Jahren des Aufbauverlustes kennt er also schon, aber es wird nicht dazu kommen, dass seine Uhren mit dem Kaliber Kurtz 25 der Schweiz Konkurrenz machen. 1953 wird die Produktion des Kalibers 25 eingestellt. Man baut zwar noch ein kleines Werk für Damenuhren (Kurtz N 570), aber 1960 war Schluss für die Produktion in Ganderkesee. Der Ortsname Ganderkesee ist nicht wie Glashütte zu einem Markenzeichen geworden. Nach dem Auszug der Uhrenfabrik wurden die Hallen von einer Feindreherei genutzt, danach standen sie leer und gammelten vor sich hin. Heute ist ein Umweltzentrum dort untergebracht. Immerhin etwas, man hätte ja auch ein Uhrenmuseum daraus machen können. Und ein großes Schild an den Ortseingang: Ganderkesee, der Ort, wo die Glashütter Tradition weiterlebte.


Den Firmennamen Tutima, den sich Dr Ernst einst hatte schützen lassen, gibt es immer noch, auch wenn die 2011 neu gegründete Firma nichts mit der alten Firma zu tun hat. Aber dafür sitzt sie in Glashütte, das wirkt verkaufsfördernd. Sie hat auch in ihrer Firmengeschichte einen kleinen Absatz, der Aus sächsisch wird niedersächsisch heißt. Ernst Kurtz ist in Ganderkesee geblieben, er ist dort 1996 im Alter von 97 gestorben. Ich weiß nicht, ob sich damals noch jemand an den Pionier der Glashütter erinnert hat.

Wenn Sie alles an Details über das Uhrwerk Kurtz 25 wissen wollen, klicken Sie hier.

1 Kommentar:

  1. Die STEDINGER fanden sogar den Weg in den DDR - Geschichtsunterricht. Von da her stört es mich weniger, wenn Sie davon gerade mal nicht berichten wollen.

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