Freitag, 21. August 2015

Désirée


Schweden. Also das Schweden vor Ikea: Linksverkehr, teurer Schnaps und blonde Schwedinnen. Gute Krimis von ➱Sjöwall-Wahlöö (die heute schlechten Krimis von ➱Henning Mankell gewichen sind). Und Schwedenfilme. Was die amerikanische Pornoindustrie dazu bewegte, tausende von Filmen Swedish Erotica zu benennen. Ihr Star hieß Seka, aber die kam überhaupt nicht aus Schweden. Den Namen Swedish Erotica nahm 1985 auch eine schwedische Rockband an, die waren aber nie so erfolgreich wie Abba. Erotik ist nicht alles.

Die Schweden vergeben auch den Nobelpreis. Natürlich nicht an Kurt Vonnegut, aber der weiß, warum er den Preis nie bekommen hat: I used to be the owner and manager of an automobile dealership in West Barnstable, Massachusetts, called 'Saab Cape Cod.' It and I went out of business 33 years ago. The Saab then as now was a Swedish car, and I now believe my failure as a dealer so long ago explains what would otherwise remain a deep mystery: Why the Swedes have never given me a Nobel Prize for Literature. Old Norwegian proverb: “Swedes have short dicks but long memories“. Der Nobelpreis wird vom schwedischen König vergeben, und um das schwedische Königshaus soll es heute gehen. Nicht um amerikanische Porno Queens.

Das schwedische Königshaus ist weltoffen, die haben nichts dagegen, wenn eine Prinzessin einen Fitnesstrainer heiratet. Oder wenn die Firma Omega im Jahre 1955 ein einziges Mal mit einem Bild des Königs wirbt, der auf seine Omega guckt: Punktlighet är kungars artighet. Hat man durchgehen lassen, um zu zeigen, wie volkstümlich man ist. Aber so beliebt wie die ➱Könige aus dem Nachbarland ➱Dänemark waren die schwedischen Könige doch nicht, und die Bordellbesuche von Carl Gustav hat man ihm auch übelgenommen. Ich weiß jetzt nicht, ob das unter den kungliga svenska avundsjukan (lesen Sie mehr dazu in dem Post ➱Ingmar Bergman) fällt.

Der 21. August hat in der Geschichte Schwedens eine besondere Bedeutung, aber die Schweden feiern den Tag nicht. Vielleicht haben die das noch gar nicht gemerkt, dass sie heute drei (oder mehr) historische Ereignisse feiern können, die etwas mit ihrem Königshaus zu tun haben. Das schwedische Königshaus lieben wir ja, seit die da eine Königin aus Deutschland haben. Aber sie hatten auch schon einmal eine  Königin aus Frankreich. Die sie vielleicht nicht so liebten. Auf jeden Fall liebte diese Frau Schweden überhaupt nicht.

Ihr Name als Königin war Desideria, aber wir kennen sie besser als Desirée. Auf jeden Fall wir alle, die wir den Roman Désirée von Annemarie Selinko (Bild) gelesen haben. Das waren in den fünfziger Jahren Millionen von Menschen. Nicht jeder war begeistert. Friedrich Sieburg sagte: Aus halber Geschichte kann nie ein ganzer Roman werden ... Es wäre gegenüber solcher Willkür eine schlechter Trost, wenn man sich sagen wollte, daß die meisten Leser von den tatsächlichen Zusammenhängen nur eine sehr verschwommene Vorstellung haben. Das mag zutreffen, aber die Geringschätzung des Publikums ist eine gefährliche Voraussetzung für jeden Schreibenden.

Aber das Publikum liebt die Geringschätzung, das ist bei Bestsellern immer so. Vor allem, wenn ein Roman so anfängt: Ich glaube, eine Frau kann viel leichter bei einem Mann etwas erreichen, wenn sie einen runden Busen hat. Deshalb habe ich mir vorgenommen, mir morgen vier Taschentücher in den Ausschnitt zu stopfen. So etwas Ähnliches hat sich der Zeichner des Buchumschlags des Pan Paperbacks wohl auch gedacht, wobei wir wieder beim Thema der Swedish Erotica wären. Der Verkaufserfolg des Romans hatte sicherlich auch etwas mit dem ➱Film zu tun, in dem die Engländerin Jean Simmons die Frau spielte, die Bernardine Eugénie Désirée Clary hieß. Und die eines Tages einen gewissen Jean-Baptiste Bernadotte heiratete. Weil das mit Napoleon, mit dem sie mal verlobt war, nicht so geklappt hatte.

Pappi wollte wohl keine zwei Bonapartes in der Familie haben, denn 1794 hatte Désirées Schwester Napoleons Bruder Joseph geheiratet. François Clary war reich, sehr reich, er mochte dieses arme Zuwandererpack aus Korsika nicht besonders. Einen in der Familie vielleicht, aber zwei, das geht nicht. Desirées Schwester wird Königin von Neapel und Sizilien und Königin von Spanien. Auf jeden Fall, solange das mit Napoleons Herrschaft über Europa dauert. Also bis Napoleon im Garten von Malmaison zu Désirée sagt: "Nimm den Säbel von Waterloo!“ Stahl flammte in der Sonne auf. Zögernd streckte ich die Hand aus. „Gib acht, faß den Säbel nicht an der Klinge an!“ Ungeschickt griff ich nach dem Knauf. [...] „In diesem Augenblick ergebe ich mich den Verbündeten. Ich betrachte mich als Kriegsgefangenen.” So steht das bei Annemarie Selinko. Wenn man das liest, kann man den Unmut von Friedrich Sieburg verstehen.

Als Désirée den Bernadotte heiratete, war noch nicht daran zu denken, dass der eines Tages König von Schweden sein würde. Sie kam im Januar 1811 mit ihrem elfjährigen Sohn Oscar zum ersten Mal nach Schweden. Ein Jahr zuvor hatte der kinderlose König Karl XIII ihren Ehemann adoptiert. Der hieß jetzt nicht mehr Jean-Baptiste sondern Karl Johann. Désirée fand, dass der Königspalast wie eine Art Kaserne, riesig, dunkel und eisig kalt war. Sie konnte sich Anfangs nicht an den rauhen Norden gewöhnen, und ging deßhalb wieder nach Paris, wo sie noch mehrere Jahre lebte, bis sie endlich, dem Anschein nach für immer, nach Schweden zurückkehrte, wo sie durch Güte und Wohlthätigkeit sich die Liebe ihrer Unterthanen erworben hat, heißt es im Damen Conversations Lexikon 1838.

Im Juni reiste sie wieder ab, ohne ihren Sohn. Und ohne die Einwilligung ihres Mannes. Sie lebte dann unter dem Pseudonym einer Gräfin von Gotland zurückgezogen in Paris. Königin war sie noch nicht, weil sie noch nicht gekrönt worden war. Erst 1823 kam sie nach Schweden, in Begleitung dieser Dame, die die Gattin ihres Sohnes (und spätere schwedische Königin) wurde. Die heißt Josephine von Leuchtenberg oder auch Joséphine de Beauharnais, sie ist die Tochter von ➱Eugène de Beauharnais (der Stiefsohn von Napoleon hat hier schon einen Post). Napoleon ist zwar längst tot, aber irgendwie geistert er immer noch durch Europa.

Désirée will eigentlich gleich nach der Hochzeit ihres Sohnes wieder abreisen, aber diesmal bleibt sie in Schweden. Hält durch ihre Exzentrizitäten Stockholm in Atem. Und wird am 21. August 1829 zur Königin von Schweden gekrönt. An einem 21. August im Jahre 1810 hatte der schwedische Reichststag den französischen Marschall Jean-Baptiste Bernadotte zum Kronprinzen gewählt. Und dann ist da noch der dritte 21. August. Der des Jahres 1772. Da hat der schwedische König Gustav III den schwedischen Reichsrat gezwungen, die vom König verkündete Verfassung gutzuheißen. Was die Entmachtung des schwedischen Adels bedeutete.

Gustav III ist ein Mann der Aufklärung, er war der erste europäische Herrscher, der den neuen Staat Amerika anerkannte (aber der gleichzeitig in den Sklavenhandel einstieg). Er förderte die Künste, holte viele Künstler an den Hof. Wie den Dichter Carl Michael ➱Bellman oder den Bildhauer Johan Tobias Sergel. Die Maler, wie hier Lorenz Pasch der Jüngere oder Alexander Roslin, sind ihm dankbar. Er ist sicher der schwedische Monarch, von dem es die künstlerisch besten und schönsten Bilder gibt. Also, jetzt mal das Bild von ➱Gustav V von ➱Anders Zorn ausgenommen. Es ist eine erstaunliche Sache, dass das reiche Schweden bis zu Anders Zorn und ➱Carl Larsson so wenig Maler besitzt, im Nachbarland Dänemark hat die ➱Malerei im 19. Jahrhundert ein goldenes Zeitalter. In Schweden nicht.

Natürlich hat der Bildhauer Johan Tobias Sergel auch eine Statue von Gustav III geschaffen (hier im Aquarell von Fritz von Dardel). Für Sergel gab es vor vierzig Jahren in der Hamburger Kunsthalle in der Reihe ➱Kunst um 1800 eine schöne ➱Ausstellung (den hervorragenden Katalog kann man noch antiquarisch finden). Die allerdings kaum Besucher hatte, wat de buur nich kennt, dat frett he nich. Die schöne Zeit des aufgeklärten Absolutismus, dieses kurze Aufblühen von Oper, Theater, Malerei, ➱Architektur und Literatur, dauert aber im 18. Jahrhundert nicht ewig.

Gustav wird, als er den Reichstag zur Unterschrift nötigte, sicher gewusst haben, was im Frühjahr des Jahres 1772 in Kopenhagen geschehen war. Da hat man nämlich den Dr Struensee hingerichtet. Der die Aufklärung schon in Dänemark in die Praxis umgesetzt hatte. Und den Sklavenhandel abschaffte. Zwanzig Jahre nach ihm wird der königliche Aufklärer Gustav III in der Stockholmer Oper, die er so gefördert hat, umgebracht werden. Der Oberstleutnant Carl Pontus Lilliehorn riet ihm schriftlich, nicht zu dem Maskenball zu gehen (hier Gustavs Kostüm für den Abend).

Und fügte hinzu, daß wenn er auch nicht unter seine Freunde gehörte, er doch nicht einer seiner Mörder seyn wollte. Man arretirte ihn den 22. März in Folge dieses Ereignisses, und er wurde den 1. Juny zum Verlust seines Lebens, seiner Ehre und seiner Güter verurtheilt, weil er bey dieser Gelegenheit nicht vollkommen seiner Pflicht zur Rettung seines Souverains nachgekommen sey; allein nach dem ausdrücklichen Wunsche des Königs wandelte der Regent die Strafe in eine lebenslängliche Landesverweisung um, und ließ ihn den 15. August über die Gränze bringen. Lilliehorn verlässt Schweden und lebt den Rest seines Lebens in Bonn. Gustavs Gattin Sophie Magdalene von Dänemark (Bild), die schon lange getrennt von ihm lebte, wird ihren Gatten um zwei Jahrzehnte überleben. Sie stirbt an einem 21. August, ein anderes Datum geht nicht.

Der Mörder des Königs, Jacob Johan Anckarström, wird ergriffen, ausgepeitscht und hingerichtet. Wir kennen die ganze Geschichte natürlich schon durch Giuseppe Verdis Oper Ein Maskenball. Und vielleicht hat der eine oder andere Leser des Posts ➱Giuseppe Verdi sich auch für den dort vorgestellten Roman Das Geschmeide der Königin (Drottningens juvelsmycke) von Carl Jonas Love Almqvist begeistern können. Es ist eine lohnende Lektüre, dieser Almqvist, der auch einmal in Bremen lebte, ist ein interessanter Mann.

Der Tod von Gustav III bedeutet auch das schleichende Ende des Hauses Schleswig-Gottorp auf dem schwedischen Thron. Gustavs Sohn wird sich nicht so lange auf dem Thron halten wie sein Vater. Staatsstreich, Gefangennahme, Absetzung im Jahre 1809. Er ist eine tragische Figur, manche Historiker haben ihn als einen paranoiden Frömmler bezeichnet. Im europäischen Mächtepoker wendet er sich gegen Napoleon und den Zaren, das kann nicht gutgehen. Der schwedische Maler Per Krafft hat ihn hier in einer theatralischen Pose kurz vor seiner Absetzung gemalt. Irgendwie sieht ein er klein wenig bescheuert aus. Aber Bilder können täuschen und lügen. Das gilt für alle Bilder in diesem Post. Die haben da in Schweden eben nicht so gute Maler.

In einem der ersten Gefechte gegen die russische Armee bei Karstula in Finnland wurde der Oberstleutnant Henrik Otto von Fieandt zu einem Helden. Das war natürlich auch an einem 21. August. Aber das Gefecht geht verloren, der Krieg geht verloren, Schweden verliert Finnland und Pommern. Und Gustav die Krone. Gustavs Onkel wird als Karl XIII am 6. Juni 1810 neuer König. Und der adoptiert den Franzosen Jean-Baptiste Bernadotte. Den John Philippart 1814 in seinem ➱Buch Memoirs and Campaigns of Charles John, Prince Royal of Sweden den Polar Star of Europe nennt. Die Bernadottes sind heute immer noch da, länger als alle anderen Familien halten sie sich auf dem schwedischen Thron. Und das nur wegen des 21. Augusts. Aber gute Maler, die haben sie nicht. Wie hier im Jahre 1837 Fredrik Westin mit diesem Familienbild beweist, das im Schloss Gripsholm hängt.

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