Dienstag, 11. August 2015

Landesverrat


Einen Post mit dem Titel ➱Verrat gab es in diesem Blog schon (der Verrat des Generals Benedict Arnold taucht auch in den Posts ➱West Point und ➱Saratoga auf). Es muss jetzt etwas Dramatischeres her. Verrat reicht da nicht aus, das muss schon Landesverrat oder Hochverrat sein. Ich nehme heute mal Landesverrat. Klingt gut. Vor sechzig Jahren wurde der Film Verrat an Deutschland einen Tag nach der Uraufführung abgesetzt und verboten. Zwei Jahre später erschienen bei Rowohlt zwei Bücher von Margret Boveri, die den Titel Der Verrat im XX. Jahrhundert hatten. Die wurden aber nicht verboten. Ich habe gewisse Erfahrungen mit Geheimnissen, ich hatte einmal durch Zufall eine relativ hohe Nato Geheimhaltungsstufe. Der Bundesnachrichtendienst wollte mich mal anwerben, und mit dem Militärischen Abschirmdienst hatte ich auch zu tun. Das alles steht schon in dem Post ➱Aufklärung, der seit dem 15. August 2013 nichts von seiner Aktualität verloren hat.

Juristen sind nicht gleich Juristen. Die Bandbreite reicht da von Ronald Schill bis zu Uwe Wesel, Rudolf Wassermann oder ➱Heinrich Hannover. Und wenn Dick the Butcher in Henry VI sagt: The first thing we do, let's kill all the lawyers, dann meint Shakespeare das nicht so. Obgleich uns allen der Satz irgendwie gefällt. Und da sind wir schon bei dem Thema der Fehlinterpretationen. Nur Philosophen können philosophische Texte verstehen, und nur Juristen können juristische Texte verstehen. Das ist nun mal so. Da ist mit gesundem Menschenverstand nichts zu machen. In der Politik schon mal gar nicht.

Es ist schön, dass jetzt solch hochqualifizierte Starjuristen wie Harald Range (der wirklich mal zum Friseur gehen könnte) und Hans-Georg Maaßen (der schon Edward Snowden als Verräter brandmarkte) Aufklärung in einem erschreckenden Fall von Landesverrat betreiben: man spricht viel von aufklärung und wünscht mehr licht. mein gott, was hilft aber alles licht, wenn die leute entweder keine augen haben, oder die, welche sie haben, vorsätzlich verschlieszen. Ich weiß jetzt nicht, wie der letzte Satz dahin geraten konnte.

Wehe dem, der sein Geheimnis
Dem Papier anvertraut, ja, wehe
Tausendmal ihm! Denn die Schrift
Ist ein Stein, den aus den Händen
Auf's Geratewohl man schleudert,
Und nicht weiß, wen er kann treffen.


Ein geschriebenes Geheimnis legt man nicht in einen versiegelten Umschlag, den man mit dem Stempel Geheim abstempelt. Nein, man tut es in einen Umschlag und lässt den offen unter anderen Briefen liegen. Nur der Chevalier Auguste Dupin in Edgar Allan Poes Purloined Letter kann den verschwundenen Brief finden, aber Dupin ist schon lange tot. Mit ihm stirbt allerdings nicht die Literatur über Geheimnisse und Verrat: das ganze Genre des Detektiv- und ➱Spionageromans lebt natürlich von diesen Themen, the thrillers are like life.

Vor 275 Jahren hat Friedrich der Große dekretiert: Seine Koenigliche Majestaet in Preussen haben aus bewegenden Ursachen resolviret, in Dero Landen bey denen Inquistionen die Tortur gaenzlich abzuschaffen. Es gibt allerdings kleine Ausnahmen, bei denen der König sie doch zulassen kann: bei Majestätsverbrechen (crimen laesae maiestatis), großen Mordtaten, wo viele Menschen ums Leben gebracht und Landesverrat. Aber selbst bei den großen Mordtaten will Friedrich sie nicht angewendet wissen. So schreibt er 1754 an den Großkanzler Samuel von Cocceji in dem Strafverfahren gegen eine schlesische Räuberbande, dass die Tortur nicht anzuwenden sei, weil ich das grausame, und zugleich zur Herausbringung der Wahrheit sehr ungewisse Mittel der Tortur, in dergleichen Fällen gänzlich abgeschafft habe, es also auch dabey sein Bewenden haben muss. Friedrich weiß, wovon er redet, sein eigener Vater hatte ihm die Folter angedroht, und er hatte gesehen, wie sein Freund Katte gefoltert und hingerichtet worden war.

Aber der Landesverrat, das ist etwas ganz Schlimmes, schlimmer als schlesische Räuberbanden. Den haben wir noch immer im Strafgesetzbuch. Stand schon als §100 im preußischen Landrecht als ein Unternehmen, wodurch der Staat gegen fremde Mächte in äussere Gefahr und Unsicherheit gesetzt wird. Der Alliierte Kontrollrat setzte zwar 1946 die Landesverratsbestimmungen des Strafgesetzbuches aus dem Dritten Reich außer Kraft, aber 1951 waren sie wieder da (man brauchte sie wenig später für den Prozess gegen Otto John):

Wer ein Staatsgeheimnis einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner mitteilt oder sonst an einen Unbefugten gelangen läßt oder öffentlich bekanntmacht, um die Bundesrepublik Deutschland zu benachteiligen oder eine fremde Macht zu begünstigen, und dadurch die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft. In besonders schweren Fällen ist die Strafe lebenslange Freiheitsstrafe oder Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter eine verantwortliche Stellung mißbraucht, die ihn zur Wahrung von Staatsgeheimnissen besonders verpflichtet, oder durch die Tat die Gefahr eines besonders schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland herbeiführt.

Staatsgeheimnisse, die der Landesverräter einer fremden Macht mitteilt, werden gemeinhin in einem Mäppchen aufbewahrt, auf dem die sehr niedrige Geheimhaltungsstufe Verschlußsache Vertraulich steht. Das ist so. Das weiß man. Das sind die Mäppchen, in die der Landesverräter guckt. Dokumente auf denen Geheim oder Streng Geheim steht, interessieren ihn nicht. Es gibt so Sätze, die sind immer gut und wahr. Wie Ein Gespenst geht um in Europa, Die Rente ist sicher oder Wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande. Der letzte Satz ist in den letzten Wochen immer wieder zitiert worden. Man meint damit nicht die Tätigkeit der NSA, gegen die der Generalbundesanwalt und der Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz natürlich bienenfleißig ermitteln, nein, das ist ein Satz aus Deutschlands jüngster Geschichte.

Was ist ein Staatsgeheimnis? Der Paragraph 93 des Strafgesetzbuches definiert das mit einem Satz: Staatsgeheimnisse sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und vor einer fremden Macht geheimgehalten werden müssen, um die Gefahr eines schweren Nachteils für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland abzuwenden. Allerdings gab der ehemalige Generalbundesanwalt Dr. Max Güde in der ➱Spiegel Affäre zu bedenken: Der Begriff des Staatsgeheimnisses ist situationsbedingt und infolgedessen nicht ohne weiteres abstrakt zu umschreiben und nicht ohne weiteres konkret zu erkennen. Es hängt immer von den Umständen und von der Situation ab.

Bei der Landesverrats Affäre, die man die ➱Spiegel Affäre nennt, stand am Ende nicht die Kerkerhaft für die Landesverräter, sondern der Sturz der Regierung Adenauer und der Rücktritt von Strauß. Die Bundesanwaltschaft ermittelte damals auch gegen den damaligen Hamburger Innensenator ➱Helmut Schmidt wegen Beihilfe zum Landesverrat, stellte das Verfahren aber nach zwei Jahren ein. Interessant war, dass wir zur Zeit der Spiegel Affäre zwar eine Bundesanwaltschaft, aber keinen Generalbundesanwalt hatten. Der Herr Wolfgang Fränkel war wegen seiner Nazivergangenheit nur vier Monate im Amt und sein Nachfolger Ludwig Martin, der auch keine blütenweiße Weste hatte, trat das Amt erst im April 1963 an.

Eine der schönsten juristischen Konstruktionen in der Affäre war die Mosaik Theorie. Ich zitiere dazu einmal den Generalstaatsanwalt Dr Fritz Bauer: Der nächste Schritt zur Ausdehnung des Tatbestandes war dann die sogenannte Mosaik-Theorie: Selbst wenn alle mitgeteilten Tatsachen einzeln längst veröffentlicht sind, so kann die zusammenfassende Darstellung doch als Landesverrat verfolgt werden. Begründung für diese kühne Konstruktion, die offenkundig von der Unfähigkeit fremder Nachrichtendienste ausgeht: Das Gesamtbild könne dem fremden Staat neue Aspekte bieten. Schließlich entschied sich das Reichsgericht für den sogenannten "materiellen Geheimnisbegriff". Das bedeutet, daß Aussagen und Gegenstände durchaus geheim sein können, auch wenn sie nicht als geheim gekennzeichnet sind; und umgekehrt besagen die üblichen Stempel - "Geheim", "Verschlußsache" "Geheime Kommandosache" - nicht zwingend, daß der bezeichnete Gegenstand wirklich geheim ist. Auf dem Höhepunkt der Spiegel Affäre schrieb Theodor Eschenburg (der Bruder des Kieler Schriftstellers und Buchhändlers ➱Harald Eschenburg): Wir sollten die Dinge nicht ad acta legen, sondern sollten tief in unser Gedächtnis hineinschreiben: Wiedervorlage.

Was etwas weniger als die Spiegel Affäre in den letzten Wochen zur Wiedervolage kam, ist ein anderer Prozess, in dem auch Journalisten des Landesverrats angeklagt wurden - wir haben darin offensichtlich eine schöne deutsche Tradition. Im sogenannten Weltbühne-Prozess wurden 1931 der Herausgeber der Zeitschrift Die Weltbühne, Carl von Ossietzky, und der Journalist Walter Kreiser wegen Landesverrats zu je 18 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Der Prozess gilt als Musterbeispiel politischer Justiz, ein Wiederaufnahmeverfahren - und das ist jetzt ein wenig pikant - scheiterte 1992.

Der Reichstagspräsident Paul Löbe schrieb damals zu dem Prozess gegen die Weltbühne: Ich habe selten ein Urteil als einen solchen Fehlschlag nicht nur in juristischer, sondern auch in politischer Hinsicht empfunden als dieses […] Meiner Kenntnis nach ist auch nichts geschrieben worden, was dem Ausland verborgen sein oder nützen konnte, so daß mir das Urteil vollkommen unverständlich erscheint. Das sind Sätze, die den Herren Range und Maaßen sicherlich bekannt sind. Und der geschasste Harald Range kann sich einen Satz von Konrad Adenauer aus der Spiegel Affäre zum Trost nehmen: Ich bin auch einmal Staatsanwalt gewesen, früher war das aber ganz anders. Da hatte Adenauer des Präsidenten des BND festnehmen lassen wollen, aber man hatte ihm das ausgeredet. Ich habe es immer symbolisch gefunden, dass eins der wenigen Photos, das den General Gehlen in Zivil zeigt, vor einem Friedhof aufgenommen wurde. Da kann man schöne symbolische Bedeutungen konstruieren.

In dubio pro libertate! hat der Juraprofessor Ulrich Klug zum Thema Landesverrat gesagt. Und so wollen wir einmal hoffen, dass die Blogger Andre Meister und Markus Beckedahl von netzpolitik.org vor der Tortur der Folter gewahrt. Ihr ➱Artikel vom 20. Februar, der einer fremden Macht oder einem ihrer Mittelsmänner Staatsgeheimnisse aus dem Mäppchen Verschlußsache ausplauderte, steht immer noch im Netz. Auch im Netz zu finden ist der Artikel ➱Was ist Landesverrat, den Dr Fritz Bauer im November 1962 geschrieben hat. Ich kann nur empfehlen, den einmal zu lesen. Der weiter oben zitierte Satz man spricht viel von aufklärung und wünscht mehr licht. mein gott, was hilft aber alles licht, wenn die leute entweder keine augen haben, oder die, welche sie haben, vorsätzlich verschlieszen, ist übrigens von Immanuel Kant.

Viele waren in der Aufklärung weiter, als wir es heute in dieser duckmäuserischen Republik sind. Wir haben keine Leute mehr wie ➱August Ludwig von Schlözer, über den Heinrich Döring 1836 voller Verwunderung schrieb: Merkwürdig wird es immer bleiben, wie ein Privatmann es wagen durfte, öffentlich ohne Ansehen der Person, jeden Missbrauch, jede Handlung der Willkür aufs schärfste zu rügen, unbekümmert darum. ob diese Rüge einzelne Beamten oder ganze Regierungen und selbst Fürsten traf. Sein Biograph Ferdinand Frensdorff schreibt 1890: Er verbreitet liberale und patriotische Gesinnung im Staate, er hilft zur Bildung einer öffentlichen Meinung, aber man wird bei Betrachtung seines Lebens den Eindruck nicht los, als sei er ein Bürger derer, die da kommen werden, gewesen: ein Journalist vor der Zeit der Journale, ein Reisender vor der der Reisen, ein Culturhistoriker vor der der Culturgeschichte, vielleicht auch ein Oppositionsmann vor der Existenz einer politischen Opposition.

So einen brauchten wir heute, dann wäre es überhaupt nicht zu dieser Landesverrats Affäre gekommen. Die der neue Generalbundesanwalt gestern beendet hat. Aber was heißt hier beendet? Die silly season ist noch nicht zu Ende, da gibt es noch viele ungelöste juristische Fragen zu beantworten. Bis zum 11. September muss aber Schluss sein. Da ist die Sommerpause der heute-show zu Ende, dann kann man die einzige Stimme der Opposition wieder hören.

Lesen Sie auch: ➱Politische Bildung, ➱Aufklärung

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