Mittwoch, 19. August 2015

Constellation de Luxe


Ich habe sie wieder, die kommt jetzt wochenlang nicht mehr von meinem Arm. Sie war beim Uhrmacher, es ist eine lange Geschichte. Die Uhr in der Abbildung ist natürlich eine alte Omega Constellation, das erste Modell, das Omega nur als Chronometer baute. Steht auch auf dem Zifferblatt: Chronometre Officially Certified. Bis 1951 durften Uhrenfabriken die Prüfung noch im eigenen Hause vornehmen, aber dann mussten alle Uhren eine Prüfung beim COSC (Contrôle officiel suisse des chronomètres) über sich ergehen lassen, damit die Aufschrift Chronometre Officially Certified ihr Zifferblatt zieren durfte. Viele Hersteller von Präzisionsuhren fanden diesen etwas angeberischen Schriftzug (mit dem Rolex penetrant warb) eh prollig und kamen nicht auf die Idee, Chronometer auf ihre Uhren zu schreiben. Obgleich sie es sicher waren.

Omega hatte schon vorher Chronometer gebaut, aber die waren nicht für den Handel, sondern nur für die jährlichen Wettbewerbe vorgesehen. Welche Omega nach dem Zweiten Weltkrieg neben Zenith beinahe immer gewann. Rolex stieg da irgendwann aus, weil sie die nie mehr gewannen. Das Werk, das den guten Ruf von Omega festigte, hieß 30T2, die Zahl dreißig bedeutet schlicht, dass das Werk dreißig Millimeter groß ist. Kleiner sollte ein Werk nicht sein, Sie könnten jetzt mal eben den Post Precision Class lesen, dann wissen Sie weshalb. Die Abkürzung T2 bezieht sich auf die Weiterentwicklung des Werkes (T steht für transformation). Später bekam das Werk eine schlichte Kalibernummer wie zum Beispiel 260, Sammler haben aber lieber eins, auf dem noch 30 T2 steht.

Omega hatte zur Hundertjahrfeier der Firma im Jahre 1948 einen Chronometer herausgebracht (Eterna sollte in den fünfziger Jahren seine Centenaire auf den Markt bringen), es gab allerdings nur 1.948 Exemplare. Die Uhr besaß einen automatischen Aufzug vom Typ des Hammerautomats, allerdings noch keine Zentralsekunde. Automatikuhren mit kleiner Sekunde sind heute relativ selten. Das IWC Kaliber 81 hat leider niemand je photographiert, deshalb gibt es auch kein Bild von dem Werk. Am preiswertesten wird eine Automatik mit kleiner Sekunde (wenn man als so etwas sucht) bei der Firma Bifora zu finden sein, ihr Kaliber 103 war 1950 das erste deutsche Automatikwerk.

Das Omega Kaliber 28.10T1 RA PC RG wurde 1949 in Kaliber 343 umbenannt, die Kaliberfamilie 330 wurde noch lange gebaut. Später natürlich auch mit Zentralsekunde. Omega hat lange an seinen Hammerautomaten festgehalten (die Schwesterfirma Tissot auch), zu der Zeit bauten die ➱IWC oder Eterna längst Uhren mit Rotorautomatik. Die übrigens, technisch gesehen, die besten Automatikwerke waren, die in der Schweiz je gebaut wurden.

Das Werk der Eterna-Matic Centenaire steckt heute noch als ETA Kaliber in den meisten Automatikuhren, die in der Schweiz hergestellt werden. An diese Werke reichte nur Omegas Kaliberfamilie 550 (Bild) heran, mit der die Firma in den sechziger Jahren die sagenhafte Zahl von 100.000 geprüften Chronometern in direkter Reihenfolge erreichte. Damit wurde Omega bei den geprüften Chronometern die Nummer Eins der Schweiz und ließ Rolex hinter sich.

Das Gehäuse der ersten Constellation tendiert zu einem Stil, den Uhrensammler gerne etwas ironisch als Genfer Barock bezeichnen. An den Bandanstößen konnte man noch die Reste einer Ende der vierziger Jahre sehr beliebten Form erkennen, die man gemeinhin als ➱Fuchsohren bezeichnet. Ich illustriere das mal eben mit einer Certina Labora aus dieser Zeit. Das ist nicht jedermanns Sache, aber erstaunlicherweise tauchen diese Fuchsohren (englisch: fancy lugs) auch später noch auf. Ich habe eine IWC Automatik aus Edelstahl von 1962, die bauhausmäßig cool ausschaut. Bis auf die Fuchsohren.

Die seltsamen Bandanstöße der Jubiläumsuhr wurden auch für die Constellation verwendet, die Omega 1952 einführte, sie sind über die Jahre etwas modifiziert worden. Sammler schätzen jedoch die Gehäuse des ersten Jahre höher ein als die designmäßig kalten Constellations der siebziger Jahre. Amerikanische Sammler sind wie wild hinter den Modellen her, die ein Zifferblatt haben, das wie ein umgedrehtes Kuchenblech aussieht. Heißt im Englischen pie pan dial und verteuert den Preis der Omega sofort. Die Constellation gab es in den ersten Jahren immer im gleichen Gehäuse. Immer als Chronometer. Immer als Automatik, zuerst mit der Pendelschwungmasse, dann ab mit Rotoraufzug.

Den Boden des Gehäuses ziert immer das Genfer Observatorium. Und acht Sterne (ein neunter Stern ist immer auf dem Zifferblatt). Man kann hierbei auch etwas aus den Sternen lesen, wenn alle acht mit ihren Umrissen scharf zu erkennen sind, spricht das für den Zustand des Gehäuses. Wenn da weniger als acht Sterne sind, dann ist der Gehäuseboden zu oft an die Schwabbelscheibe gehalten worden. Aber es wird immer den Flohmarkthändler geben, der Ihnen versichert, eine Omega mit nur vier Sternen sei etwa ganz Besonderes.

Omega hat, wie schon oben gesagt, länger als die Konkurrenz an der Pendelautomatik festgehalten. Die ja auch generell gesehen recht zuverlässig ist. Morgens umbinden, Kaffee (oder Tee) eingießen und in der Zeitung blättern - und schon läuft sie. So etwas Ähnliches bekam der englische Feldmarschall Montgomery auch zu hören, als er nach dem Krieg die Omega Fabriken in Biel besuchte und eine Hammerautomatik geschenkt bekam: Il faut se lever de bon heure et bien se secouer. Monty, der den ganzen Krieg über eine Omega (mit einem Omega Kaliber 30T2) trug, wollte mit seinem Besuch 1947 (den er übrigens 1949 wiederholte) anerkennen, dass die Firma Omega (die die Wehrmacht nie mit Uhren belieferte) der zuverlässigste Uhrenlieferant für die Engländer im Zweiten Weltkrieg gewesen war.

Dieses Kaliber 352 ist eine Weiterentwicklung des 28.10T1 RA PC RG. Man kann die simple Konstruktion der mit einer Schraube festgehaltenen Feder (die zum schnellen Bruch neigte) nicht mehr erkennen. Die Feder ist jetzt unverschraubt in eine Art Tunnel eingelegt. Das Werk ist mit der Aufschrift adjusted five (5) positions and temperatures verziert, die sich zusammen mit der Zahl der Steine auf allen Constellation Werken findet. Wie man an eine solch luxuriöse Uhr ein billiges Russenband schrauben kann, das weiß ich wirklich nicht.

Der kleine Türke hat 'ne goldene Omega, will er zum Goldpreis verkaufen, sagte mir mein Uhrmacher vor Jahren. Der Uhrmacher mag den kleinen Türken, der einen Laden für Gold und Geschmeide aller Art hat, überhaupt nicht. Der hatte schon mehrfach versucht, ihn über den Tisch zu ziehen, aber als er Weihnachten eine nicht funktionierende Omega für lau reparieren sollte, war es zu Ende mit jeder Freundlichkeit. Ich habe ihm gesagt, dass man die nicht mehr reparieren kann, sagte mir der Uhrmacher, in Wirklichkeit ist da nichts dran. Ich wusste, dass wenn ich jetzt bleiben würde, ich ein weiteres Kapitel aus dem Epos des Kleinkriegs zwischen ihm und dem Türken hören würde und sagte, dass goldene Omegas nicht mein Ding sind. Ich hatte schon die Ladentür in der Hand, als ich den Satz hörte: Die hat so seltsame Bandanstöße.

Seltsame Bandanstöße? Sollte es eine der ersten Constellations sein? Eine Viertelstunde später war ich bei dem Türken. Ich kaufte die goldene Connie (18 Karat) zum Goldpreis von dreihundert Euro. Es war übrigens keine einfach Constellation, es war eine Constellation de Luxe, bei der sind Zifferblatt und Zeiger auch aus Gold. Aber das habe ich erst später gemerkt, als sie mir gehörte und ich alle Zahlen im Gehäuseboden (einem wasserdichten Druckboden) lesen konnte. Wie zum Beispiel den Herstellercode, der einem verrät, dass das Gehäuse von Antoine Gerlach in Genf hergestellt wurde. Seit 1934 müssen Schweizer Golduhren mit dem poinçon de maître markiert sein, Sammler können sie heute leicht über eine Tabelle wie ➱diese identifizieren. Omega besaß zwar Aktienanteile an Gehäusefabriken wie Maeder-Leschot, aber bei diesem Modell vertraute man bei den Golduhren doch auf den Spezialisten, der in den vierziger und fünfziger Jahren beinahe alle goldenen Calatravas für Patek gebaut hat.

Leider stand Omega nicht zu dem originalen Gehäuse der Constellation, dem angeblichen Zeitgeschmack folgend veränderte sich das Gehäuse laufend. Man konnte der Uhr nichts mehr ansehen, dass sie ein Chronometer war. Vielleicht war das ein Fehler, denn viele Uhren leben durch den Wiedererkennungswert. Wie Rolex, die Junghans Max Bill oder Jaeger-LeCoultres Reverso. Oder die Uhr von Nomos, die eine schamlose Kopie einer alten Uhr von Lange aus den dreißiger Jahren ist. Als Omega diese Uhr hier auf den Markt brachte, war der Tiefpunkt des industriellen Designs erreicht. Aber diese Constellation war eh eine Quarzuhr, und in der Zeit der Quarzuhren gab es ja bekanntlich sowieso keinen guten Geschmack mehr.

Das Werk in meiner Uhr ist das Kaliber 501, das erste Rotorwerk von Omega. Es hat 19 Steine und eine Glucydur Unruh noch mit Schrauben, die modernere glatte vierschenklige Unruh sollte erst mit dem Kaliber 551 kommen. Sie können das Werk ➱hier bei der Arbeit sehen, die Unruh schwingt allerdings nicht ideal. Das Werk hat eine Schwanenhals Feinregulierung, nicht mehr diese Feinregulierung, die das Kaliber 352 und das 30 T2 der Jubiläumsausgabe hatten. Irgendwann gab es die Connies auch mit Datumsanzeige, aber das ist etwas, was diese Uhr wirklich nicht braucht.

Mein Uhrmacher hat die Uhr damals im Handumdrehen wieder zum Leben erweckt. Und hat ihr auch ein neues Originalglas (mit dem winzigen eingeschliffenen Ω in der Glasmitte) und eine neue Originalkrone besorgt. Er wurde damals noch von Omega mit Ersatzteilen beliefert, auf die Idee käme Omega heute nicht mehr. Die binden jetzt eiskalt - wie Rolex das vorgemacht hat - den ganzen Service an das Werk in Biel. Selbst Omega Konzessionäre klagen darüber, dass sie kaum Ersatzteile bekommen. Auch Furniturenhändler wie Rudolf Flume (deren Kataloge für den Uhrensammler unverzichtbar sind) können dem kleinen Uhrmacher kaum noch helfen. Natürlich gibt es einen grauen Markt, auf dem man beinahe alles bekommen kann (sogar ganze Rolex Werke), aber das kostet.

Ich weiß nicht, was mich bewogen hatte, die Uhr zu Mahlberg zum Service zu bringen. Ich wollte ihr mal was gönnen, obwohl sie gut ging. In den fünfziger Jahren empfahlen die Präzisionsuhrenfabriken einen zweijährigen Service, aber es gibt heute Öle, die nicht so schnell verharzen. Mein Uhrmacher hatte seinen Laden dicht gemacht, er war es leid, immer nur Batterien für Quarzuhren einzubauen. Früher hatten sie bei Mahlberg einen Meister aus Sachsen, der Burkhard Weißflog hieß. Er war ein Verwandter von dem Skispringer, jeder fragte ihn das. Er war ein hervorragender Uhrmacher, der auch den Kontakt zum Kunden liebte. Man konnte mit ihm alles besprechen. Und wunderbaren Gesprächen mit Kunden zuhören. Wenn er den sonnengebräunten Sugardaddies mit ihren Goldkettchen und ihren Thailand Rolexes höflich erklärte, dass er vielleicht nicht mehr in der Lage sei, den Boden der Uhr nach dem Batteriewechsel wieder zu verschließen. Weil dies ein ganz billiges Imitat einer Rolex sei. Wenn man das Ego eines Thailandtouristen zerstören will, dann macht man das so.

Heute redet kein Uhrmacher mehr mit dem Kunden. Heute ist alles anders. Weißflog ist nicht mehr da, der hat jetzt einen kleinen Laden und graviert Pokale. Die Uhrmacher, die man auf der Homepage bewirbt, werden jetzt im ersten Stock versteckt, denen kann man nicht mehr sein Leid klagen. Das ist wie bei den Autowerkstätten. Da kriegte man morgens die ölverschmierte Pfote vom Meister und sagte ihm, was dem Auto fehlte. Heute sitzen da Sekretärinnen, die mit manikürten Fingern irgendwelche Dinge in den Computer tippen. Das funktioniert nach dem bekannten Prinzip der Stillen Post, der Meister wird sich schon irgendwas dabei denken, was er zu reparieren hat.

Ich bekam meine Constellation zurück, erfuhr dabei, dass sie für die Revision den gleichen Preis nehmen, den Omega in Biel nimmt (müssen sie angeblich, weil sie Omega Händler sind). Alles war gut. Aber nicht lange, ein halbes Jahr später war die Constellation wieder beim Uhrmacher. Sie bekam ein neues Räderwerk, ein neues Federhaus, aber sie ging nach wenigen Monaten schlechter und schlechter. Und so ging das Jahr für Jahr. Der Uhrmacher (vorausgesetzt, es ist immer derselbe) kann ja Uhren reparieren, meine alte Zenith Defy (Bild) zum Beispiel, läuft nach fünf Jahren noch wie eine Neuuhr. Die Zenith AF/P, der Schnellschwinger mit 36.000 Halbschwingungen, läuft perfekt. Nur der Omega Chronometer nicht, der schwächelte vor sich hin. Irgendwann legte ich die Omega in eine Schublade.

Wo ich sie im Frühjahr wiederfand. Ich zog sie auf und trug sie einen Tag. Vielleicht hatte sie sich in der Dunkelheit der Schublade ja erholt? Nichts davon, sie verlor in 24 Stunden zwanzig Minuten. Eine billige alte Junghans aus den fünfziger Jahren geht besser. Ich guckte mir das chronometrische Desaster zwei Tage lang an, dann ging ich zu Mahlberg. Wo ich mit diesem Herrn ein längeres Gespräch hatte. Das ist Tim Kleinfeld, der Geschäftsführer, der liest sogar manchmal meinen Blog. Heute bestimmt. Unser Gespräch über alte Uhren im allgemeinen und diese Omega im besonderen dauerte länger als eine halbe Stunde, Tim Kleinfeld nimmt sich Zeit für die Kunden. Auch wenn sie Meckerer wie ich sind.

Ich bekam die Omega sechs Wochen später wieder. Kostete nix. Konziliant und kulant sind sie da schon. Auf dem Auftragezettel, mit dem die Uhr vom Uhrmacher nach unten gekommen war, stand Läuft von Freitag bis Montag. Den Rest der Woche nicht? fragte ich Herrn Kleinfeld. Der war genauso irritiert wie ich. Nahm erstmal Rücksprache mit dem Uhrmacher, und erklärte mit dann, was sich hinter dem kryptischen Satz verbarg. Der Uhrmacher hatte die Uhr auf dem Uhrbeweger gehabt und den am Freitagabend abgestellt. Danach war die Uhr bis zum Montagmorgen gelaufen, was bedeutet, dass das Federhaus in Ordnung ist und die Uhr auch ordnungsgemäß aufzieht. Ich bekam auch noch gesagt, dass die Amplitiude der Unruh 280 Grad sei. 280 Grad ist ein sehr guter Wert für eine Uhr, die beinahe sechzig Jahre alt ist. Wäre natürlich auch schön, wenn man dem Kunden mal das Gangprotokoll der Zeitwaage (das ist für die Uhr so etwas wie das EKG fürs Herz) ausdrucken würde.

Fünf Wochen ist sie jetzt an meinem Arm, sie hat in dieser Zeit knapp eine Minute gewonnen. Mit einem solchen Ergebnis würde sie heute in der Schweiz jederzeit ein Chronometerzeugnis bekommen. Mein Dank geht an den Uhrmacher. Die irritierende Frage aber bleibt: warum ging das nicht vorher? Ach ja, wie der Dichter sagt: Des Menschen Engel ist die Zeit.

Noch mehr Omega finden Sie in den Posts: ➱Officially Certified, ➱Groschmann dägi, ➱Armbänder, ➱Militäruhren, ➱Made in England, ➱Precision Class, ➱Kurtz, ➱Charles Fasoldt, ➱Elgin Automatic, ➱Elgin, Rolex, ➱Max Bill, ➱Hemmungen, Sommerzeit, ➱Eterna KonTiki, ➱Secret Agents, ➱Goldfinger, ➱Die Doxa von Dirk Pitt, ➱Schneewittchensarg, ➱CD Player, ➱Black Watch, ➱Des Königs Jaguar, ➱Bertrand Tavernier

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