Donnerstag, 17. Mai 2012

Elgin


Meine sieht genau so aus. Das Gehäuse ist schon etwas angefressen, es war nicht aus Edelstahl, base metal steht drauf. Nur der Boden ist aus Edelstahl, die Uhr sollte billig sein, sie wird an die Armee geliefert. Zifferblatt und Zeiger scheinen noch aus den zwanziger Jahren zu stammen, doch es ist erstaunlich, wie gut man die Zeit ablesen kann. Dabei ist das Ding klitzeklein, 31 mm. Die ersten wasserdichten Sportuhren der dreißiger Jahre hatten auch diese Abmessungen. Viele andere Uhren auch, die keine Sportuhren waren. Nachdem die Art Deco Phase, die relativ große Uhren mit sich brachte, vorbei war kamen, diese kleinen Dinger. Nicht nur in Amerika, auch Patek Philippe hat in den dreißiger und vierziger Jahren sehr kleine Herrenarmbanduhren gebaut. Eine Calatrava aus dieser Zeit ist nicht größer als 30 mm. Die werden heute bevorzugt von den Japanern aufgekauft (hat mir jemand aus einem Auktionshaus einmal erzählt). Uhren müssen auch nicht größer sein. Taschenuhren schon, aber die sieht man nicht. Ich finde diese Riesenuhren, die heute Mode zu sein scheinen, etwas ordinär.

Das Gute daran ist das Gute darin. Ein Satz, der häufig für Uhren gilt. Heute nicht unbedingt, aber vor einem halben Jahrhundert, als noch Qualitätsuhren gebaut wurden, war das so. Und was in dieser kleinen schäbigen Militäruhr, die im Koreakrieg an die Truppe geliefert wurde, drin ist, das ist schon erstaunlich. Es ist das Elgin Kaliber 642, das die amerikanische Größe 8/0 size hat (die Amerikaner haben ihre Uhrwerke immer anders gemessen als die Europäer), was ungefähr 10,5 Pariser Linien bedeutet. Man kann es einfacher haben: das Werk ist 23,69 mm groß. Ich konnte leider kein cal. 642 in der Bilderwelt des Internets finden, da habe ich dieses cal. 680 genommen. Die Elgin Werke sehen eigentlich immer gleich aus.

Natürlich nicht bei den Taschenuhren, da frönt auch Elgin dem Dekorierungswahn der amerikanischen Uhrenindustrie, wie man an diesem alten Taschenuhrwerk sehen kann. Mein Uhrwerk cal. 642 unterscheidet sich von dem schlichten grauen Werk (es ist grau, weil es rhodiniert ist) da oben. Es hat schon eine Incabloc Stoßsicherung, den Zweiten Weltkrieg haben die Amerikaner und Engländer ohne Stoßsicherungen in der Uhr gewonnen. Nur das deutsche Heer hatte Stoßsicherungen. Was sagt uns das? Fange nie einen Krieg an, wenn Deine Militäruhren Stoßsicherungen haben?

Mein Werk hat nur 15 Steine, das ist genug für eine Uhr (man kann in der Schweiz das begehrte Genfer Siegel mit einer 15-steinigen Uhr bekommen). Das Stundenrad in der Mitte, das sich nur einmal in der Stunde dreht, braucht kein Steinlager zu haben, da reicht ein Bronzelager vollkommen. Wenn man in Glashütte vor über hundert Jahren einen Diamanten in der Mitte plazierte, war das für Werbezwecke bestimmt hübsch, technisch gesehen war es Unsinn. Hat schon Ludwig Strasser gesagt, und der sollte es wissen.

Das hier ist ein Modell aus dem Zweiten Weltkrieg, da hat sich im Design nicht viel verändert. Und schon die Uhren, die Elgin im Ersten Weltkrieg an die Armee lieferte, sahen ➱ähnlich aus. Meine kleine Elgin aus dem Koreakrieg hat aber etwas, was sie wirklich besonders macht. Vom Kaliber 642 wurden 1950-1951 54.000 Stück in drei Lieferungen hergestellt. 54.000 sind natürlich ein Klacks für eine Firma, die eine Million Uhren im Jahr herstellt. 1953 feiert man bei Elgin die Zahl von 50 Millionen Uhren seit der Firmengründung.

Die erste der drei Lieferungen bestand aus lediglich 469 Stück. Das war eine Luxusversion, Steine in Chatons, Breguetspirale (wenn auch maschinell und nicht per Hand gebogen) und in vier Lagen feingestellt (4 adjustments). Das sind Eigenschaften von Uhren, die für ein Chronometerzertifikat eingereicht werden. Ich nehme einmal an, dass diese 469 Exemplare für die Bestechung der Dienststellen hergestellt wurden, die für die Auftragsvergabe für den Koreakrieg zuständig waren. So böse der Gedanke ist, alles andere macht keinen Sinn. Meine kleine Elgin hat übrigens die Endnummer 469, sie ist die letzte dieser Luxusserie. Sie sieht nach nix aus, aber sie geht nach sechzig Jahren noch mit einer atemberaubenden Genauigkeit.

So nett und zuverlässig das Werk ist, es ist natürlich nichts im Vergleich zu einem Hamilton cal. 987A, das in den wenigen Militärarmbanduhren von Hamilton im Zweiten Weltkrieg ist. Solche Werke finden man heute kaum noch in überteuerten Schweizer Luxusuhren. Ich kenne das cal. 987A sehr genau, da ich mal an einem verregneten Wochenende eins zusammen geschraubt habe (es liegt jetzt auch neben mir) - so etwas lehrt einen, Respekt vor der Qualitätsarbeit von Hamilton zu haben. Und eine Decke unter den Arbeitstisch zu legen, damit man die weggesprungenen winzigen Schräubchen wiederfindet.

Die amerikanische Uhrenindustrie hat am Zweiten Weltkrieg gut verdient, es sind ja nicht nur Uhren für die Truppen, die hergestellt werden. Jede Fliegerbombe enthält ein Uhrwerk. Die amerikanischen Firmen wurden auch vom Kriegseintritt der USA nicht überrascht, früher als alle anderen Industriezweige waren sie für die Kriegsproduktion vorbereitet. In Anzeigen wie dieser wird versichert, dass man eines Tages den Kunden wieder mit Hamilton Uhren beliefern wird, aber erst einmal geht die nationale Aufgabe vor. Hamilton wird wenig Armbanduhren bauen, das überlässt man Firmen wie Elgin und Waltham, Hamilton baut ➱Marinechronometer für die US Navy, die zu den genauest gehenden Uhren der Welt gehören. Die baut Elgin in kleinen Zahlen auch, bewirbt sie aber zu Kriegsende im großen Stil. Unter der Überschrift Why have you had so few Elgin watches kann man lesen The finest Marine Chronometer ever made by anyone, anywhere... designed, built by the Elgin Watch Company. In großsprecherischer Werbung sind die Amerikaner immer gut. In der Wirklichkeit hatte ihr Marinechronometer trotz ihres besten ➱Werks ebenso wie die Father Time in kardanischer Aufhängung (unten) keinerlei Chancen gegen Hamiltons Modell.

Die Konzentration der amerikanischen Uhrenindustrie auf Regierungsaufträge lässt die Firmen alle neueren Entwicklungen (wie zum Beispiel die Automatikuhr) verschlafen. Einen großen Teil des Marktes hat man nach 1940 längst der Schweizer Konkurrenz überlassen, die sich stillklammheimlich auf dem amerikanischen Markt etabliert. Die Schweizer Uhrenindustrie gehört zu den Gewinnern des Zweiten Weltkriegs, es ist immer wieder erstaunlich zu sehen, wie die Wirtschaft in Zeiten des Krieges floriert. In Joseph Hellers satirischem Kriegsroman Catch-22 gibt es eine Romanfigur namens Milo Minderbinder, für die der Krieg ein einziges großes Geschäft ist. Wenn der Zweite Weltkrieg zu Ende ist, wird die amerikanische Uhrenindustrie Anschlussaufträge bekommen. Und dann kommt der Kalte Krieg, und dann kommt der Koreakrieg. Es gibt immer wieder Aufträge. Militäruhren und tickenden Bombenzünder werden immer gebraucht. Die Militärindustrie hält die amerikanische Wirtschaft am Laufen. Eisenhower hat in seiner Abschiedsrede davor gewarnt: In the councils of government, we must guard against the acquisition of unwarranted influence, whether sought or unsought, by the military-industrial complex. The potential for the disastrous rise of misplaced power exists and will persist.

Das Uhrwerk, das bei der Firma Elgin in der Nummerierung auf das cal. 642 folgt, ist ein Automatikwerk. Für Amerika 1951-52 eine Sensation, für die Schweiz längst Standard. Es ist auch keine amerikanische Entwicklung, es ist ein Schweizer ➱AS (Adolf Schild) 1361. Wieder einmal hat die Schweiz auf dem amerikanischen Markt die Nase vorn, die Amerikaner haben den Bau von Automatikwerken verschlafen. Nicht ganz. 1950 hatte Elgin als einzige amerikanische Firma ein Automatikwerk, das cal. 607 (oben), auf den Markt gebracht. Allerdings nur in einer für die Firma Elgin kleinen Zahl. Man wusste schon, dass eine sogenannte Hammerautomatik (wie dieses Werk) eigentlich völlig veraltet war. Dies Werk war eigentlich auch eine 30er Jahre Konstruktion gewesen, man hatte die Arbeiten an der Konstruktion des Werks nur während des Krieges unterbrochen. In der Schweiz hielt in den fünfziger Jahren lediglich Omega etwas verzweifelt an der Hammerautomatik fest. Die Firma ➱Eterna hatte ihre revolutionäre ➱Eternamatic, die IWC Schaffhausen ihr ebenso revolutionäres ➱cal. 85, das der geniale Albert Pellaton konstruiert hatte.

Von daher war es nur folgerichtig, dass Elgin für eine Rotorautomatik auf Schweizer Werke wie das AS 1361 zurückgriff, der Rest der amerikanischen Konkurrenz tat das auch. Hamilton deckte sich zuerst bei ➱Certina ein und ging dann zu Eterna/ETA-Werken über, Jahre später kauften sie die Firma Büren auf und bestücken ihre Thin-o-matic Modelle mit diesem rotvergoldeten Werk aus Büren. Weil der Daniel Düsentrieb von Büren, ein Mann namens Hans Kocher, ein sensationelles Automatikwerk mit einem Mikrorotor erfunden hatte. Von dem die ganze Schweiz unisono sagt, dass das nicht funktionieren kann. Es ist erstaunlich, wie viele Schweizer Firmen heute einen Mikrorotor - der entgegen allen Voraussagungen doch funktionierte - im Programm haben.

Obgleich die Firma Elgin dem Untergang entgegen taumelte (und man inzwischen auch schon Automatikwerke aus Pforzheim einbaute), ging man stilvoll unter, weil man 1960 mit den Kalibern 760 und 761 die einzigen amerikanischen Automatikwerke baute. Es ist ein potthässliches, aber technisch originelles Werk, das es mit dem cal. 760 auch als ➱Chronometerversion gab. Und wenig später waren sie (trotz der Versuche, mit den Japanern zu kooperieren) ganz pleite.

Etwas mehr als als hundert Jahre haben Elgins Uhren die Amerikaner begleitet. Das Firmensymbol Father Time war ein beständiges memento mori für die amerikanische Uhrenindustrie.

So etwas Qualitätvolles wie in meiner kleinen Elgin werden die Amerikaner nicht mehr hinkriegen, von der Qualität von Hamilton (die man auch Amerikas Patek Philippe nannte, hier noch einmal ein schönes Hamilton Taschenuhrwerk) ganz zu schweigen. Ich glaube, ich habe schon einmal irgendwo Petronius' Satz Si bene calculum ponas, ubique naufragium est zitiert. Ich meine jetzt nicht die Esprit Arena Düsseldorf (wo war da der Esprit?) oder Norbert Röttgen (auch ohne Esprit und Fortüne), nein, es ist der Qualitätsverfall allerorten. Und beachten Sie bitte, ich habe einen Uhrenartikel geschrieben, ohne diese Firma zu erwähnen, die mit R anfängt und mit -ex endet.

Wenn Sie dies interessiert hat, es gibt noch weitere Posts zu Uhren in Amerika in diesem Blog:

American Wristwatches I
American Wristwatches II
Uhren in Amerika
Charles Fasoldt
13th Massachusetts Infantry Regiment

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