Samstag, 30. Mai 2015

Black Watch


Es war ein seltsames Ding, das mein Bruder da am Arm hatte. Du musst Dir unbedingt auch eine kaufen, sagte er. Eine schwarze Armbanduhr aus Plastik mit schwarzem Band. Das war etwas, was man in den stilistisch wilden siebziger Jahren unbedingt brauchte. Man konnte auf der Uhr nichts erkennen, aber wenn man auf sie drückte, flackerten kleine rote LED Ziffern auf, die die Zeit anzeigten. Das Teil kam natürlich aus England, der Modellname Black Watch sollte auf ein berühmtes schottisches Regiment anspielen.

Deren Tartan allerdings nicht schwarz, sondern dunkelgrün war. Das wusste ich schon lange, denn ich hatte in den Fünfzigern mal einen Black Watch Schlips gehabt. Schlipse mit den Karos aller schottischen ➱Clans und den Streifen aller britischen ➱Regimenter verkauften in Bremen und Hamburg, wo Jedermann ein kleiner Engländer sein wollte, die ➱Herrenausstatter damals wie geschnitten Brot. Ich kaufte mir damals also auch eine Black Watch Uhr, man will ja mit der Zeit gehen. Bei Hertie, die Firma gab es noch. Als die Großstädte mit Karstadt anfingen und mit Hertie aufhörten. Ich weiß nicht, wer das gesagt hat, aber den schönen Satz über Glanz und Elend unserer Städte habe ich nie vergessen. Bei Hertie konnte man damals sogar Omega Uhren kaufen, das war ein schwerer Schlag für den Fachhandel. Und der Untergang von Omega.

Mein Bruder besaß nicht nur als erster dieses neue Spielzeug, er kannte auch den Erfinder. Die Kommilitonin, mit der er damals für das Medizinexamen paukte, hatte ihm die Adresse eines englischen Verwandten gegeben, bei dem er eine Woche in London wohnen konnte. Und das war niemand anderer als Clive Sinclair (Sir Clive war er damals noch nicht), der Erfinder von allem Möglichen: Taschenrechnern, Radios, Computern und einem Elektroauto. Und eben der Black Watch. Wenn ➱Chitty Chitty Bang Bang nicht schon erfunden gewesen wäre, hätte er das wohl auch noch erfunden. Alles, was er erfand, war neu. Und billig.

Meine Black Watch war eine Katastrophe. Nach zwei Wochen waren die Batterien alle, ich tauschte die Uhr bei Hertie um. Die kannten das schon. Drei Wochen später war ich wieder da. Wollen Sie lieber Ihr Geld zurück? fragte die nette Verkäuferin. Ich wollte. Die Batterien waren damals bei den ersten elektrischen und elektromechanischen Uhren das große Problem. Als Hamilton 1957 das Modell Ventura vorstellte (die Uhr, die ➱Elvis auch hatte), rannten die Direktoren bei der Pressekonferenz alle fünf Minuten hinter den Vorhang der Bühne. Nicht wegen Blasenschwäche, sie tauschten schlichtweg die Uhren aus. Weil sie das Problem mit den Batterien immer noch nicht gelöst hatten.

Wenn Sie eine Ventura sehen wollen, klicken Sie doch einmal den Post ➱Stromlinie an. Die Ventura (oder die ➱Pacer) mit dem Kaliber 500 war sehr reparaturanfällig, insbesondere die beiden dünnen Kontaktdrähte neben dem Schriftzug Hamilton waren meistens die Ursache der Fehler. Viele Besitzer einer Ventura ließen das Werk später durch ein Quarzwerk ersetzten, die heute angebotene Replik hat das natürlich auch.

Das Hamilton Kaliber 500 (das durch das zuverlässigere Kaliber 505 abgelöst wurde), war 1957 die erste elektrische Armbanduhr der Welt. Es war deutscher Erfindergeist, der hier von aus Amerika verkauft wurde, denn das Werk beruhte auf einem Patent von Helmut Epperlein, der die Vereinigte Uhrenfabriken Ersingen besaß. Er war der erste deutsche Unternehmer, dem die Bundespost eine Telephon Reklame genehmigt hatte. Rief man das Pforzheimer Werk an, hörte man eine Stimme mit schwäbischem Akzent: Der Name ist Epperlein - die Armbanduhr ist elektrisch. Einen Augenblick bitte, Sie werden sofort verbunden.

Das hier ist ein Epperlein Kaliber (mit Kif Stoßsicherung), das dem Hamilton Kaliber sehr ähnlich sieht. Die Uhr kostete damals 185 Mark. Aber die ➱Konkurrenz schlief nicht, auch die französische Firma Lip wird wenig später elektromechanische Uhrwerke bauen (auch Junghans und Laco werden so etwas anbieten). Fred Lip wird sein Modell Général de Gaulle nennen, es ist immer noch im Programm, hat aber inzwischen ein billiges Ronda Quarzwerk. Doch diese Uhren, die eine Kreuzung aus mechanischer und elektrischer Uhr waren, wurden schnell von den Stimmgabelschwingern und den Quarzwerken abgelöst. Alle brauchten Batterien, die damals selten die gewünschte Leistung erbrachten. Heute sind diese Batterien, die einst einer Roamer Electronic oder einer Bulova Accutron das Leben einhauchten, schwer zu bekommen.

Hier sieht man eins der ersten Schweizer Quarzwerke, das Beta 21 aus dem Jahre 1970. Es wurde damals von ➱Rolex, Patek Philippe, der ➱IWC, Omega und anderen verwendet. Es war verhältnismäßig riesig, aber bei den großen Gehäusen der siebziger Jahre fiel das nicht weiter auf. Kaum war es auf dem Markt, da war es auch schon veraltet. Denn mit seinen 8192 Hertz konnte es nicht mit den 32.768 Hz des Girard-Perregaux Werks konkurrieren, das den bis heute für Quarzuhren gültigen Industriestandard definiert hatte. Ich habe eine Girard-Perregaux, aber das Werk tut es nicht mehr. Das kann bei alten Quarzwerken durchaus passieren (lesen Sie mehr in dem Post ➱CD Player).

Das einzige, was der ganze elektrische und elektronische Schnickschnack noch nicht hatte, war eine LED Anzeige. Die die Black Watch von Clive Sinclair nun mal hatte. Und wenig später hatte auch ➱James Bond eine LED Uhr am Arm. Clive Sinclair wäre sicher glücklich gewesen, wenn der englische Geheimagent seine Black Watch getragen hätte, aber Roger Moore trug in Live and Let Die eine Hamilton Pulsar P2.

Die siebziger Jahre sind das Jahrzehnt des schlechten Geschmacks, da brauchen wir nur einmal in eine Modegeschichte zu gucken. Oder in Catherine Horwoods Buch Worst Fashions. Dazu passt natürlich die Sinclair Black Watch ganz hervorragend - ebenso wie die Pulsar LED Uhr zu den scheußlichen ➱Klamotten von Roger Moore passte. Gute mechanische Uhren waren plötzlich out, es mussten diese batteriebetrieben Monster sein. Die meist auch noch fiepende Weckerfunktionen besaßen, etwas, was Leonard Bernstein einmal als die größte Pest seit der Erfindung des Konzerthustens bezeichnet hat. Heute sind wir weiter, heute haben wir Handys, um den Dirigenten zu stören.

Ich war damals nicht der einzige Kunde, der seine Black Watch (die es auch als Do it Yourself Bausatz gab) zurückbrachte. Hundertausende von Engländern machten das auch. Die Uhr war ein Flop, der für Firma Sinclair Electronics beinahe das Aus bedeutete. Aber trotzdem sorgte Maggie Thatcher dafür, dass Clive Sinclair zum Ritter geschlagen wurde. Die Förderung englischer Unternehmer hatte vielleicht auch damit zu tun, dass Maggie vergessen lassen wollte, dass die staatlichen Fördergelder für den Bau von DeLorean Sportwagen in Irland herausgeworfenes Geld waren. Wenn das durch ihre Erfolge als Feldherrin des ➱Falkland Kriegs nicht schon längst vergessen war.

Ein Ergebnis des DeLorean Desasters war, dass Frau Thatcher der Firma Smiths keine finanzielle Förderung gewährte, was das Ende des englischen Uhrenbaus bedeutete (lesen Sie ➱hier mehr dazu). Der DeLorean Sportwagen schaffte es in Back to the Future auf die Leinwand, das Leben von Sir Clive sendete die BBC vor Jahren als Docudrama (Sie können Micro Men ➱hier sehen). Sir Clive kommentierte das als: It was a travesty of the truth. It just had no bearing on the truth. It was terrible. Der Hauptdarsteller des Films Alexander Armstrong beschrieb Sir Clive als eine Kreuzung von Albert Einstein und Willy Wonka.

Clive Sinclair war einmal Multimillionär, jetzt ist er nur noch ein einfacher Millionär: You can meet with triumph and disaster. I don't get too high when it's supposed to be looking good and I'm not knocked down when it's not looking so good. I always get on with whatever the situation is and I never feel 'my God that's the end of the world'. I just get on with the next stage. Nicht nur die Black Watch wurde ein finanzielles Desaster, das Elektroauto C5 und das elektrische Fahrrad Zike (beworben als the greatest invention since the bicycle) auch. Sie können hier alle Produkte der Firma Sinclair Research sehen.

Seine neueste Erfindung heißt A Bike, das kleinste zusammenklappbare Fahrrad der Welt, funktioniert wohl nur auf glatter Fahrbahn. Die Tour de France wird niemand damit fahren wollen. Sir Clive läßt sich von allen Fehlschlägen nicht unterkriegen, er ist ein Stehaufmännchen. Die kaum bekleidete junge Dame hier ist die selbe, die oben von dem Union Jack verhüllt wird. Sie war einmal Miss Nottingham, Miss Sheffield und Miss England, jetzt ist sie Lady Sinclair. Wir wollen mal hoffen, dass diese Geschichte gut ausgeht und kein Fiasko wird, wie so vieles im Leben von Sir Clive.

Und für alle Fälle habe ich zum Thema Zeit noch etwas Philosophisches von Friedrich von Logau:

Weißt du, was in dieser Welt
Mir am meisten wohlgefällt?
Daß die Zeit sich selbst verzehret
Und die Welt nicht ewig währet.


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