Donnerstag, 28. Mai 2015

Dietrich Fischer-Dieskau


Ich habe viele Platten und CDs von ihm, ich habe ihn auch einmal ➱gesehen, da sang er in Hannover mit Fritz Wunderlich im Beethovensaal das Lied von der Erde. Das war der Abschluss einer fünfmonatigen Tournee mit Keilberth und den Bamberger Symphonikern. Dietrich Fischer-Dieskau hat über diesen Abend gesagt: Auf der Tournee mit dem "Lied von der Erde" war ich dem "Wundertenor" Fritz Wunderlich nicht zum ersten Mal begegnet, ihm, der so tragisch früh nach einem Sturz von hoher Treppe sein Leben lassen mußte. Aber hier fanden wir Gelegenheit, zusammen ein "Lippen-Horn-Duett" zu blasen. Bevor wir in Hannover aufs Podium der Stadthalle stiegen, hörte ich Fritz in seiner Garderobe den "Jägerchor" aus dem "Freischütz" summen. Gleich fügte ich, ein Horn imitierend, die zweite Stimme dazu, und es folgte ein Gang durch die entsprechende Hornliteratur, dem dann auch der aufmerksam gewordene Keilberth zuhörte, sich vor Lachen biegend. Wunderlich war in der Tat ein professioneller Hornist, bevor er es vorzog zu singen. Das Zitat findet sich auch - zusammen mit allem, was Fischer-Dieskau über seinen Kollegen gesagt hat - auf der schönen ➱Fritz Wunderlich Seite von Andreas Praefcke.

Damals war ich an der Heeresoffizierschule Hannover und besuchte jedes Konzert und jede Opernaufführung. Jahre zuvor, als ich noch nicht an die Bundeswehr dachte, hatte ich mein Taschengeld zusammengekratzt, um Fischer-Dieskau in der neugebauten ➱Deutschen Oper in Berlin zu hören, aber er war schon weg. Mein Don Giovanni fand ohne ihn statt. Das war kurz nach dem Mauerbau, ich habe das schon in dem Post ➱Mauer erwähnt. Seit einigen Jahren gibt es bei arthaus eine DVD Aufnahme von dieser Aufführung, natürlich mit Fischer-Dieskau. Ich habe sie mir gerade bestellt. War etwas teurer als meine Karte im Jahre 1961.

Ich habe mehrere Bücher von Fischer-Dieskau gelesen, er ist ein gebildeter Mann, er kann schreiben. Er kommt aus einer sächsischen Familie, die einmal von Dieskau hieß. Johann Sebastian Bach hatte einem seiner Vorfahren, dem kurfürstlich-sächsischen Kammerherrn Carl Heinrich von Dieskau, die Bauernkantate gewidmet. Ich nehme an, dass der Brigadegeneral von Dieskau im ➱French and Indian War auch mit ihm verwandt ist. Dietrich Fischer-Dieskau war einmal (nachdem seine Frau Irmgard gestorben war) mit Ruth Leuwerik verheiratet, aber die Ehe hat nicht lange gehalten. Im Gegensatz dazu war die Verbindung mit Júlia Várady, mit der er über dreißig Jahre verheiratet war, sehr glücklich.

Schon während der Schulzeit ermöglichten ihm seine Eltern eine Gesangsausbildung bei dem Tenor Georg A. Walter (wo er viel Bach sang) und bei Hermann Weissenborn. Seinen ersten Auftritt hatte er mit zwölf, als er im Matrosenanzug die Kurkapelle von Bad Flinsberg dirigierte. Mit sechzehn gab er im Zehlendorfer Gemeindesaal sein erstes Konzert, das allerdings vom Fliegeralarm unterbrochen wurde. Der Mann, der gesagt hatte: Wenn auch nur ein feindliches Flugzeug unser Reichsgebiet überfliegt, will ich Meier heißen! hatte sich ein wenig getäuscht. Die Alllierten bombardieren nicht nur Hamburg, ➱Bremen und ➱Dresden, auch Fischer-Dieskaus Heimatstadt Berlin bleibt nicht verschont. Sein Lehrer Hermann Weissenborn hatte ein Gesuch eingereicht, um den genial veranlagten Musikstudenten vom Militärdienst zu befreien, ohne Erfolg. Mit achtzehn ist er Soldat. Zuerst in Russland im veterinärmedizinischen Dienst, wo er störrischen Rössern zur Beruhigung ins Ohr sang.

Nach Russland kommt Italien. Italien zu Kriegsende ist sicher besser als Russland. Zwei Jahre ist er in italienischer Gefangenschaft. Zu erträglicheren Bedingungen als ➱Ezra Pound, den die Amerikaner wie ein Tier in einen Käfig sperren. Seine Pisan Cantos bedeuten etwas anderes als die Lieder, die der junge Soldat Dietrich Fischer-Dieskau in Pisa singt.  Fischer-Dieskau hat damals Italienisch gelernt, aber ich mag ihn nicht, wenn er ➱Italienisch singt (ich mag ihn eigentlich sowieso nicht, wenn er Opern singt). Irgendwie will er italienischer sein als die Italiener: Vor allem lernte ich Italienisch, lernte es, mich nicht nur zu verständigen, sondern hörte die Sprache, hörte Italiener reden, bekam ein Ohr für den spezifischen Tonfall, für die verschiedenen Typen. Seine Kameraden im Gefangenlager von Foggia mögen es gerne, wenn er auf der Lagerbühne Capitol Dora den Vetter aus Dingsda und Dein ist mein ganzes Herz singt. Doch das bleiben Ausnahmen.  Eine Aufnahme von Tiritomba wird man in seinem Repertoire nicht finden. Die Muse, die wir die leichte nennen, mag Fischer-Dieskau nicht küssen. Rudolf Schock und Fritz Wunderlich werden sie hemmungslos umarmen.

Die Amerikaner behalten ihn länger als nötig, denn das haben sie nicht jeden Tag, einen deutschen Sänger, den sie mit einem Lastwagen samt Klavier, Noten und Pianisten (und einem Notenumblätterer) auf Tournee durch ihre Gefangenenlager schicken können. Der junge Sänger ist später dafür gar nicht undankbar gewesen: weil ich Musik machte, wurde ich so spät entlassen, und eben, weil ich so spät entlassen wurde, habe ich von diesen Jahren so viel wie möglich profitiert.... meine eigentliche 'Lehrzeit' absolvierte ich im Kriegsgefangenlager. Es war wie ein Atemholen, bevor die große Woge kam. ➱Herman Melville sagt in Moby-DickA whale-ship was my Yale College and my Harvard, Dietrich Fischer-Dieskau, der nie ein Hochschulstudium der Musik abgeschlossen hat, sagt etwas Ähnliches über das Gefangenenlager. Wenn er hier vor dem Mikrophon steht, ist er wieder bei den Amerikanern. Aber diesmal in Berlin, beim Rundfunk im amerikanischen Sektor, den wir besser als RIAS Berlin kennen.

Er ist noch keine dreiundzwanzig und er singt Schuberts Winterreise. Die hatte er damals in Zehlendorf auch gesungen. Damals hatte er einige Lieder weggelassen, weil er sie nicht verstand. Das war aber wegen des Fliegeralarms niemandem aufgefallen. Er hatte die Winterreise auch in einem Militärlazarett in Pisa gesungen, das war das zweite oder dritte Mal, dass er den Liederzyklus sang. 1948 begleitete ihn Klaus Billing, die Aufnahme war (ebenso wie die Live Aufnahmen von 1952 mit Hermann Reutter und die von 1953 mit Hertha Klust) nicht für die Schallplatte bestimmt, aber heute kann man sie natürlich kaufen. Heute kann man alles kaufen, vor einem halben Jahrhundert blieb einem nur der Konzertsaal oder das Radio mit solch vorzüglichen Sendungen wie Herr Sanders öffnet seinen Schallplattenschrank.

Ich habe eine Aufnahme von der Winterreise von einem Label, das Archipel Desert Island Collection heißt und ein 24 bit remastering from original tape for superb sound verspricht. Der Name Archipel Desert Island Collection spielt natürlich auf die in England jedermann bekannte BBC Sendung Desert Island Discs an. Das Label gehört übrigens zu der englischen Firma Presto Classical. Die Qualität ist, obwohl Mono, ganz erstaunlich. Die Aufnahme ist immer noch lieferbar. Sie hat einige große Momente, aber die erste offizielle ➱Aufnahme von HMV aus dem Jahre 1955 mit Gerald (Am I too loud?) Moore ist im Ganzen ausgewogener.

Die Aufnahme von 1955 sollte nicht die letzte bleiben. Mit dem englischen Pianisten hat Fischer-Dieskau auch die Schöne Müllerin aufgenommen. Wenn er das singe, schrieb Joachim Kaiser in der SZ, dann erlebt auch der kritischste Kritiker etwas, wonach er sich meist nur vergeblich und heimlich sehnen darf: Entwaffnung. Endlich kann er rückhaltlos bewundern. Kaiser muss immer übertreiben, aber ich will nicht herumkritteln, seit ich meinen Braun ➱Schneewittchensarg bekam, lag die Platte auf dem Plattenteller des Designobjekts. Ich habe sie noch immer, ich weiß nicht, ob da überhaupt noch Rillen drauf sind.

Dietrich Fischer-Dieskau wäre heute neunzig Jahre alt geworden. Rudolf Schock wäre am 4. September einhundert. Das darf ich nicht vergessen. Ich habe es Krijn de Lege, der diesen schönen Rudolf Schock ➱Blog hat, zugesagt, über Rudolf Schock zu schreiben. Natürlich nicht über Rudolf Rock & die Schocker und ➱Ingeburg Thomsen, obgleich das auch ganz witzig wäre. Ich weiß nicht, ob Schock darüber hat lachen können, den Aufstieg der Band hat er ja noch erlebt.

Fischer-Dieskau ist immer wieder in diesem Blog vorgekommen, klicken Sie einfach mal ➱hier. Meine Desert Island Discs von Fischer-Dieskau sind schnell aufgelistet: die Schubert Aufnahmen mit Gerald Moore für die Deutsche Grammophon (Die Winterreise, Die schöne Müllerin, Schwanengesang, 7 Lieder), die Salzburger Liederabende (11 CDs Orfeo), die Lieder von ➱Othmar Schoeck und die Lieder eines fahrenden Gesellen von ➱Gustav Mahler. Und daraus hören wir mal eben zum Schluss Die zwei blauen Augen von meinem Schatz auf ➱YouTube. Mehr an deutscher Romantik geht nicht.

1 Kommentar:

  1. Was war seine größte Tragik?
    Daß die Nazis seinen Bruder umgebracht haben?
    Daß er zu oft Partien gesungen hat, die ihm nicht lagen?
    Daß er zu lange gesungen hat?
    Daß er im Alter schwer depressiv war?
    Daß seine Söhne auf Distanz zu ihm gegangen sind?

    "Monolith" nannte ihn Kesting.

    Ja, er einige Aufnahmen mit Ewigkeitswert hinterlassen. Neben dem Liedgesang auch seine Bach-Interpretationen( zB Richter 1959 Matthäus-Passion)

    Persönlich war er kalt und unangenehm, wie ich am eigenen Leib erfahren mußte, als ich zu seinem 65zigsten ein Porträt für Radio Bremen machte.

    AntwortenLöschen