Donnerstag, 6. August 2015

wayward cows


Der Andy war hohl. Das wissen wir, seit ➱Horst Janssen das auf ein Plakat geschrieben hat. Bevor der Andy berühmt war, war er Werbegrafiker. Nicht ohne Erfolg, muss man sagen. Er arbeitete für viele Hochglanzzeitschriften. Und er sammelte Damenschuhe in einem Pappkarton. Nicht allein deshalb, weil er Schuhfetischist war, er brauchte die als Vorlage, um sie zu malen. Meine Freundin ➱Gabi, die Kunst studiert hat, hat sich mal ein Paar englischer Schuhe von mir geliehen, um sie photorealistisch abzumalen. Das ➱Bild hängt jetzt bei mir im Flur (der Horst Janssen auch). Andy Warhol hatte in den fünfziger Jahren einen Auftrag von der Firma ➱Israel Miller. Miller, der in den 1890er Jahren aus Polen nach New York gekommen war, besaß eine Vielzahl von Schuhgeschäften in der Stadt. Die Firma war berühmt, noch 1973 sang ➱Betty Davis (die mal mit ➱Miles Davis verheiratet war) Stepping in her I. Miller shoes (auf dem Album Betty Davis).

Ein Jahrzehnt später hat Warhol seine Vergangenheit als Zeichner von Schuhen völlig negiert (hier eine von Warhol gezeichnete Anzeige für Miller Schuhe aus der New York Times), ist aber doch zu der Eröffnung von Manolo Blahniks Laden in New York gekommen. Und in den achtziger Jahren ist er wieder zu dem Thema Schuhe zurückgekehrt und hat wieder Bilder von Schuhen gedruckt. Mit ➱Diamantenstaub drauf.

1962, als er gerade durch seine Campbell Suppendosen berühmt wurde, ist er in Paris in den Laden von ➱Berluti gekommen. Er hatte eine Idee, wie sein Schuh sein sollte. Warhol war noch nicht bekannt genug, als dass sich der Chef persönlich um ihn kümmerte, er landete bei einer 17-jährigen Auszubildenden. Die führt heute die Firma. Und Olga Berluti machte aus Warhols Ideen einen Schuh, ein bisschen spitz, aber doch eckig. Sie hatte für den Schuh das Leder eines Kalbs genommen, das in seinem Leben viele Zäune kennengelernt hatte. Man sah das dem Leder an. Wirf sie weg, sagte ihr Großvater.

Als Andy Warhol ein Jahr später (und inzwischen dank der Campbell Dose etwas berühmter) wieder in den Laden kam, musste ihm Olga Berluti gestehen, dass der Schuh nicht fertig sei. Der Andy war ziemlich sauer, und da holte Olga Berluti den imperfekten Schuh hervor, den sie nicht weggeworfen hatte. Und sagte ihrem Kunden: This was a very wayward cow that liked to rub against barbed wire. Woraufhin Andy Warhol gesagt haben soll: In the future, I only want shoes made from the hide of wayward cows. Es ist eine Geschichte, zu der man nur sagen kann se non è vero, è ben trovato. Das mit den wayward cows finde ich aber witzig. Und möchte Ihnen deshalb mal eben ein Gedicht von der jungen amerikanischen Lyrikerin Anna Journey (Bild) vorstellen, das den Titel A Wayward Cow’s Worst Nightmare hat:

It’s a wayward cow I now find
in the dream where I’m back in Texas

one year after my move to California. It’s a wayward
cow—brown with one eye slightly

larger and darker than the other. Wilder, like sides
of a bed in which one

of the two sleepers stays awake
hours longer than the other, who turns

in her insomnia to the thin light
that thieves through the door, or

to the cicadas which empty
their loose change into the old

days in their copper stacks. I’m back
in Texas, where I lived

for three-and-a-half years. Where a cow
now leads me through the front door

of the museum. Lengths of barbed wire
stud the walls, budding

their silver oleanders. Don’t look, the cow
says with her wilder eye,

don’t look at the walls where the wire’s
snagged our hide, where our

torn skin, without wind,
sways like paper—it’s a wayward

cow I now follow out the door.
I try not to look

as we leave, but I do, once,
and see a woman. She sleepwalks

through the museum in her swamp-
colored dress, her red hair

tangled like the year, like three-
and-a-half—her arms

darken, her scarred
back still mapped.


Die Firma Berluti stellt heute immer noch das Modell Andy her. Dies hier ist keins davon, das ist nämlich mein Schuh. Ist nicht von Berluti, ist aber auch fatto a mano. Hat allerdings keine Narben von einer wayward cow, darauf haben sie in Cantalupo bei Mailand bei der Firma Fratelli Bollini schon geachtet. Die Firma gibt es nicht seit 1895 wie Berluti, sondern erst seit 1946, aber gute Schuhe können sie auch machen. Sehen scharf zu Jeans aus. Und die Firma ist immer noch im Besitz der Familie und gehört nicht wie Berluti zu dem Konzern ➱LVMH von diesem gräßlichen Bernard Arnault, der sich Tony Blair als Berater gekauft hat.

Dass der loafer von Warhol vorne ein wenig eckig war, ist nicht unbedingt ein Markenzeichen von Berluti (obgleich viele ihrer ➱Schuhe so aussehen). Viele englische Schuhmacher favorisierten eine eher eckige als eine runde Kappe, ➱George Cleverley oder ➱Foster & Son zum Beispiel. Dies hier ist ein alter Schuh von Edward Green, an dem man sehr schön die englische schlanke Form erkennen kann. Und einen leichten Hang zum Rechteck hat er auch. Die Engländer bezeichnen so etwas als chisel toe. Wenn Sie ➱hier klicken, können Sie ganz viele Beispiele dafür sehen.

Die Firma Edward Green brauchte für ihre Leistenform nicht mit der Mode zu gehen, da sie eigentlich nur leicht modifizierte Leisten aus den zwanziger und dreißiger Jahren verwendet. Diese Form ist nun nicht unbedingt die Sache von Laszlo Vass, den ich einmal als stellvertretend für Budapester und Wiener Leisten (die ➱hier einen langen Post haben) nehme. Sein Slipper ➱Modell ist gegenüber dem Berluti (und auch dem Bollini) Schuh ein wenig grobschlächtig. Ist aber wahnsinnig bequem. Allerdings hat Vass seit neuestem einen Leisten im Angebot, den er in Zusammenarbeit mit dem Italiener Ugolini entwickelt hat. Ich nehme mal an, dass Warhol bei seinem Berluti Besuch einen etwas anderen Schuh haben wollte als den J.M. Weston loafer, der in Amerika (und auch bei den minets in ➱Frankreich) das ➱Statussymbol schlechthin war. Bei dieser Zeichnung aus dem Jahre 1961 können wir sehen, dass die Berluti Schuhe noch nicht an seinen Füßen sind. Die Campbell Dose hat auch noch nicht ihre endgültige Form gefunden.

Dies Bild Converse Extra Special Value von 1985 zeigt uns wieder einmal, dass große Kunst groß sein muss. Es zeigt einen Turnschuh der Firma Converse, natürlich von Andy Warhol. Einen mit Motiven von Warhol bedruckten Schuh bietet die Firma Converse immer noch an. Der ist jedoch etwas teurer als das ➱Modell Andy, das bei Berluti so um die 2.300 Dollar kostet. Wenn Sie etwas weniger ausgeben wollen, empfehle ich Ihnen das Modell Merton von Crockett & Jones.

Dieser Warhol Schuh ist allerdings noch teurer. Warhol hatte ihn 1956 der englischen Schauspielerin Julie Andrews gewidmet, die gerade als Eliza Doolittle in My Fair Lady auf der Bühne des Broadway stand. Er ist letztens in einer Auktion von Christie's für £722.500 verkauft worden und war damit der teuerste Warhol Schuh. Für £722.500 können Sie sich 314.130 Andy Slipper bei Berluti kaufen.

Andy Warhol hat heute Geburtstag, da dachte ich mir, ich schreibe mal über ihn. Ich mag ihn zwar nicht besonders, und die beste Andy Warhol Geschichte habe ich in diesem Blog auch schon gebracht. Sie steht in dem Post über den Bildhauer ➱Gustav Seitz, der der Lehrer meines Onkels ➱Karl war. Aber da die Geschichte sehr viel über moderne Kunst sagt, stelle ich sie noch einmal hier hin. Es spricht Andy Warhol: Wir frühstückten mit Joseph Beuys. Er bestand darauf, dass ich in sein Haus komme und mir sein Atelier anschaue. Ich sollte sehen, wie er lebt, mit ihm Tee trinken und Kuchen essen. Es war sehr nett. Er schenkte mir ein Kunstwerk, das aus zwei Flaschen mit Sprudelwasser bestand. Sie explodierten in meinem Koffer und zerstörten alles, was ich mithatte. Ich kann den Koffer nicht aufmachen, weil ich nicht weiß, ob es sich noch um ein Kunstwerk handelt oder nur um zerbrochene Flaschen. Wenn er nach New York kommt, muss ich ihn dazu bringen, den Koffer zu signieren, denn sonst ist er zu nichts mehr zu gebrauchen.

Dass wayward cows in der Welt von ➱Red Shuttleworth vorkommen können, das kann man sich leicht vorstellen. Dass Andy Warhol da auch auftaucht, das hätte ich nicht gedacht. Aber es gibt in seinem Blog ein Gedicht, das ➱Andy Warhol heißt. Und unser New Yorker Künstler hatte auch einen Hang zum amerikanischen Westen. Er photographierte nicht nur diese Cowboy Boots, er trug auch Cowboy Stiefel.

Sogar mal welche aus Elephantenleder. Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben, wie die Atika Werbung sagte. Über die wayward cowboys in seinen Western wie Horse und Lonesome Cowboys wollen wir jetzt lieber nicht reden. Als der ➱Film Brokeback Mountain in die Kinos kam, haben manche Kritiker Andy Warhols Underground Western als Vorläufer von Ang Lee gesehen. Aber wir lassen das mal weg. Und dass seine Fabrik auch massenhaft Siebdrucke von Kühen verkauft hat, das lassen wir auch lieber weg. Das US Finanzministerium kann Dollars drucken, die sind dann einen Dollar wert. Alles, was Andy Warhol druckt, ist mehr wert als einen Dollar, selbst wenn er Dollars druckt.

Aber Warhols Cowboystiefel waren nicht von Berluti, die waren von Olsen-Stelzer in Henrietta (Texas). Berluti hat neuerdings für Rhinestone Cowboys und Electric Horsemen so etwas im Angebot. Um das zu tragen, muss man schon so aussehen wie Jeremy Irons, sonst geht das nicht. Ich hatte nie Cowboystiefel, ich hatte (wie viele andere) in den siebziger Jahren einmal eine Phase, in der ich Chelsea Boots trug. Aber Cowboy Boots nie. Die von Andy Warhol hätten mir gepasst, er hatte die gleiche Schuhgröße wie ich. Vor Jahren sind welche bei ➱Christie's verhökert worden, aber wer will schon die grünen Cowboy Boots von Andy Warhol tragen?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen