Mittwoch, 5. August 2015

Hamburger Oper


Heute vor 310 Jahren wurde die Oper Die römische Unruhe oder Die edelmütige Octavia von Reinhard Keiser im Opern-Theatrum am Gänsemarkt in Hamburg uraufgeführt. Die Kenntnis darüber, dass es diesen deutschen Komponisten in Hamburg gegeben hat, verdanke ich Diedrich Diedrichsen (dem Vater des Pop Literaten). Während Artikel seines Sohns in Zeitschriften wie Spex, Tempo und Wiener zu finden waren, schrieb Diedrichsen in seriösen Journalen wie Maske und Kothurn über „Die Comödie in dem Tempel der Tugend“ oder: Reform und Gegenreformation im Hamburg der Lessing-Zeit. Er war Theaterwissenschaftler an der Uni Hamburg, und ich habe vor einem halben Jahrhundert ein Proseminar über ➱Barockliteratur bei ihm besucht. Es war ein hervorragendes Seminar. Da ich alles gelesen habe, was auf seinen Literaturlisten stand, weiß ich immer noch eine Menge über das Barocktheater.

Es war nicht verwunderlich, dass Diedrichsen auch das Hamburger Theater- und Opernleben beleuchtete, denn Hamburg war die einzige Stadt Deutschlands, in der das Theater und die Oper nicht von einem Fürsten unterhalten wurde. Die Oper am Gänsemarkt hat glücklicherweise auch mal einen Wikipedia Artikel, der ganz informativ ist. Heute ist die neue Staatsoper immer noch in der Nähe vom Gänsemarkt.

Früher war neben der Oper das gläserne Studio der Aktuellen Schaubude, was in Wirklichkeit ein Showroom von Opel war, aus dem an jedem Sonnabend um 14 Uhr die Autos herausgerollt wurden. Auch das war Theater, aber keine große Oper (die kleine Geschichte steht schon in dem Post zu ➱Hans-Joachim Kulenkampff). Eine große Oper hätte man natürlich aus der Geschichte machen können, die sich 1912 hier um die Ecke im Kalkhof abgespielt hat. Wenn ein dänischer König (hier neben Willem Zwei) da im Puff stirbt, dann ist das schon etwas, aus dem man eine Oper hätte machen können. Die Geschichte steht natürlich längst unter dem Titel ➱Jungfernstieg im Blog. Und Gustav Hillards Erzählung Der Smaragd bleibt immer ein Lesetip.

Der Hamburger Komponist und Dirigent Johann Mattheson hat nach Keisers Tod gesagt, dass er der größeste Opern-Componist von der Welt gewesen sei. Er hat aber auch einmal über ihn gesagt, dass Keiser ein Lebemann war, die Lust sich mehr als ein Cavalier, denn als ein Musicus aufzuführen, war offensichtlich nichts für Mattheson. Der häufig mit seinen Sängern und Musikern in Streit geriet. Und sich mit Händel auf dem Gänsemarkt duellierte. Zu seinem Kollegen Telemann hat Keiser allerdings zeitlebens ein gutes Verhältnis gehabt. Telemann kommt schon in den Posts ➱Christian Heineken und ➱Finanzmärkte vor. Letzteren kann ich angesichts der schwelenden Finanzkrise Griechenlands auch nach Jahren noch empfehlen.

Telemann hat auch auf Reinhard Keiser das Sonett auf das Absterben des berühmten Capellmeisters Keiser geschrieben:

Ihr, die in Deutschlands Raum die Tonkunst Kinder nennet,
lasst Keisers Untergang nicht fühllos aus der Acht!
Er hat um euren Ruhm sich sehr verdient gemacht,
und manchen Ehrenkranz den Welschen abgerennet.

Da seine Jugend noch in erster Glut gebrennet,
wie reich, wie neu, wie schön, wie ganz hat er gedacht!
Wie hat er den Gesang zum vollen Schmuck gebracht,
den dazumal die Welt noch ungestalt gekennet!

Zu diesem zog ihn bloß ein angeborner Trieb,
durch den er, ohne Zwang der Schulgesetze, schrieb;
durch den wir mehr von ihm, als hundert Werke, lesen.

Wir ehren dein Verdienst, du Züchtling der Natur,
der, suchtest du gleich nicht der Kunst verdeckte Spur,
dennoch der größte Geist zu seiner Zeit gewesen.

Vieles von Keisers Opern ist verloren gegangen, das gilt für Mattheson genau so. Der Musikwissenschaftler Hellmuth Christian Wolff musste in seinem Buch Die Barockoper in Hamburg (1678-1738) im Jahre 1957 konstatieren, dass bei der Bombardierung Hamburgs 1944 wertvolles Notenmaterial zerstört wurde. Johann Mattheson lag mit seinem Urteil mit dem größesten Opern-Componisten von der Welt vielleicht gar nicht so falsch, aber so groß Keisers Ruhm zu seinen Lebzeiten war, so schnell war er auch vergessen.

Das liegt zum einen daran, dass seine Kritiker seine Lebenslust ( die Lust sich mehr als ein Cavalier, denn als ein Musicus aufzuführen) betonten und ihn dadurch in ein schlechtes Licht setzten. Manche machen ihn zu einer Art von ➱Carl Michael Bellman, was er zweifellos nicht war. Es liegt zum anderen daran, dass es bei der kurzen Blüte der deutschen Oper im 18. Jahrhundert schon laute Stimmen gab, die gegen die Oper lästerten. So ein zeitgenössisches Universal-Lexicon: Aber man hat auch Ursache, sich zu freuen, wenn das Opern-Wesen in Deutschland mehr und mehr in Abnahme geräth. Das Leipziger Opern-Theater ist seit vielen Jahren eingegangen, und das Hamburgische liegt in den letzten Zügen. Das Braunschweigische hat gleichfalls unlängst aufgehöret; und es steht dahin, ob es jemals wieder in Flor kömmt. Auch in Halle und Weißenfels hat es vormals Opern-Bühnen gegeben, anderer kleinen Fürstlichen Höfe ganz zu schweigen, die aber alle allmählich ein Ende genommen haben. Dieses zeigt den zunehmenden guten Geschmack unserer Landsleute, wozu man ihnen Glück wünschet.

Soll ich Ihnen noch den Opernfeind Gottsched zitieren? Man muß seinen Verstand entweder zu Hause lassen, und nur die Ohren mitbringen, wenn man in die Oper geht; oder man muß sich Gewalt anthun, und alle Unmöglichkeiten die uns darinn vorgestellet werden, verdauen können. Die sind ja alle so glücklich, dass es mit der kurzen Blütezeit der Hamburger Oper in den 1730er Jahren zu Ende geht. 1738 muss das Opern-Theatrum schliessen, es kommen zu wenige Zuschauer.

Es ist eine große Zeit gewesen, wenn da gleichzeitig Kaiser, Mattheson, Händel und Telemann an einer Oper sind (und ein junger Mann namens Johann Adolph Hasse dort als Tenor singt). Die Nachwelt hat Händel und Telemann zu Göttern auf dem Olymp der Musik erhoben, Keiser wurde dabei geopfert. Das ist irgendwie schade. Er hat in den letzten Jahren eine Renaissance. Diejenigen, die am rührigsten für ihn eintreten, kommen allerdings nicht aus Hamburg. Sondern aus Bremen, die Capella Orlandi hat sich nach dem Bremer ➱Roland benannt. Keisers Die edelmütige Octavia kann ich nicht mit Ton anbieten, aber es gibt noch sehr viel von ihm auf CD. Ich habe hier eine schöne, traurige ➱Arie, gesungen von Elisabeth Scholl. Das passt dann auch irgendwie zum Todestag von ➱Marilyn Monroe.

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