Freitag, 20. März 2020

Friedrich Hölderlin


Heute vor 250 Jahren wurde der Dichter Friedrich Hölderlin geboren. Es ist das Jahr, in dem William Wordsworth geboren wurde, das Jahr in dem Thomas Chatterton starb. Nach seinem kurzen Aufenthalt in Bordeaux, der in dem Gedicht Andenken nachklingt, ist Hölderlin der Welt abhanden gekommen. Es wäre ein schreckliches Verzeichnis, alle die herrlichen teutschen Geister aufzuzählen, die aus solcher Lebensnoth in Krankheit, Selbstmord oder verhaßten Geschäften untergegangen sind, schreibt Achim von Arnim 1815 über Hölderlins Generation. Es sind einige, die heute nicht mehr so berühmt sind wie Hölderlin: sein Freund Casimir Ulrich Boehlendorff wird schwer depressiv, sein Freund Friedrich Emerich, ein von Geist und Herzen ausgezeichneter junger Mann, der, bey seinen Talenten und Kenntnissen zu den besten Hoffnungen berechtigte, und wohl sein unglückliches Schicksal nicht verdient hatte, stirbt nach einer gänzlichen Verstandeszerrüttung in einem Spital in Würzburg. Hölderlins erster Verleger Gotthold Friedrich Stäudlin ertränkt sich im Rhein. Und Heinrich von Kleist, dem auf Erden nicht zu helfen war, begeht in Berlin Selbstmord.

Hölderlin überlebt sie alle, aber wie? Wir wissen nicht so genau, was in den letzten sechsunddreißg Jahren seines Lebens in seinem Kopf vorgeht. Ist dieses Gedicht aus dem Jahre 1811 ein kurzer Augenblick der Normalität?

Das Angenehme dieser Welt hab ich genossen,
Die Jugendstunden sind, wie lang! wie lang! verflossen,
April und Mai und Julius sind ferne
Ich bin nichts mehr; ich lebe nicht mehr gerne


Es ist ein Gedicht mit Reimen, das ist ungewöhnlich für ihn, gänzlich verschieden von einem Gedicht wie Hälfte des Lebens, das er nach seiner Frankreichreise schrieb. Deutet sich hier schon das an, was ihn überkommen wird?

Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.


Hundert Jahre nach dem Tod von Hölderlin haben Robert Walser und Carl Seelig einen Spaziergang von Herisau nach Hauptwil gemacht, wo Hölderlin einst Hauslehrer gewesen war. Walser, der 1915 emphatisch über Hölderlin schrieb, lebt als Patient in der Irrenanstalt Herisau, die er als einen Zufluchtsort vor der Welt empfindet. Als Seelig vorschlägt, dass sie sich die Gedenktafel an dem Haus anschauen sollten, sagt Walser: Nein, nein, um solches Plakatgeschrei kümmern wir uns lieber nicht! Wie widerwärtig sind doch Dinge, die sich demonstrativ als pietätvoll gebärden! Übrigens war ja Hölderlin nur eines der vielen Menschenschicksale, die sich hier abgespielt haben. Man darf über einer Berühmtheit nicht das Unberühmte vergessen. Fünf Jahre, bevor Walser zu schreiben aufhörte, schrieb er: Hölderlin hielt es für angezeigt, d.h. für taktvoll im 40. Lebensjahr seinen gesunden Menschenverstand einzubüssen, wodurch er zahlreichen Menschen Anlass gab, ihn aufs Unterhaltendste, Angenehmste zu beklagen. Rührung ist ja etwas überaus Bekömmliches, mithin Willkommenes. Über einen grossen und zugleich unglücklichen Menschen weinen, wie schön ist das! Wieviel zarten Gesprächsstoff liefern solche unalltägliche Existenzen.

Der zarte Gesprächsstoff ist immer noch da, der französische Germanist Pierre Bertaux hatte einst mit seiner These, dass Hölderlin ein edler Simulant gewesen sei (dem der Psychiater Uwe Henrik Peters energisch widersprach), für Furore gesorgt. Hölderlin und Walser, zwei Dichterschicksale. Walser hört auf zu schreiben, Hölderlin schreibt weiter.

Ihr Wälder schön an der Seite,
Am grünen Abhang gemahlt,
Wo ich umher mich leite,
Durch süße Ruhe bezahlt
Für jeden Stachel im Herzen,
Wenn dunkel mir ist der Sinn,
Den Kunst und Sinnen hat Schmerzen
Gekostet von Anbeginn.
Ihr lieblichen Bilder im Thale,
Zum Beispiel Gärten und Baum,
Und dann der Steg der schmale,
Der Bach zu sehen kaum,
Wie schön aus heiterer Ferne
Glänzt Einem das herrliche Bild
Der Landschaft, die ich gerne
Besuch’ in Witterung mild.
Die Gottheit freundlich geleitet
Und erstlich mit Blau,
Hernach mit Wolken bereitet,
Gebildet wölbig und grau,
Mit sengenden Blizen und Rollen
Des Donners, mit Reiz des Gefilds,
Mit Schönheit, die gequollen
Vom Quell ursprünglichen Bilds.

Das ist eins von dem halben Hundert der sogenannten Turmgedichte. Können wir daraus den Geisteszustand des Dichters ablesen? Ich höre erst einmal auf und stelle das ein. Vielleicht ein anderes Mal. So dacht ich. Nächstens mehr, wie Hölderlin am Ende von Hyperion sagt.

Hölderlin ist immer wieder in diesem Blog vorgekommen. Lesen Sie auch: Sonnenbräune, Hölderlin, Holterling, Michael Hamburger, Dichterfreund, Isaac von Sinclair, Herbstgedicht, Der Sommer, Vergil

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