Montag, 30. März 2020

Rudolph Ackermann


Ich muss mal eben für dieses Buch Reklame machen. Es ist schon beinahe dreißig Jahre alt, aber immer noch das Beste, was man zum London des frühen 19. Jahrhunderts bekommen kann. Metropole London: Macht und Glanz einer Weltstadt 1800 - 1840 war der Katalog einer Ausstellung in der Essener Villa Hügel im Jahre 1992. Das Buch, das gleichzeitig in englischer Sprache bei der Yale University Press erschien, kostete damals 50 Mark. Das Börsenblatt des deutschen Buchhandels sprach von einem konkurrenzlos preiswerten Katalogbuch. Man bekommt es heute antiquarisch ab 3,60€. Das ist ein lächerlicher Preis für ein drei Kilo schweres Buch mit 624 großformatigen Seiten, die durchgehend illustriert sind. Meistens farbig. Alles, was die Regency Zeit ausmacht, findet sich in diesem Buch.

Die neun Jahre bis zum Tod des Königs George und der Krönung des Regenten bezeichnet man im Englischen als Regency, aber der Begriff bedeutet mehr als die Jahreszahlen für eine Regentschaft. Er ist, vor allem kunstgeschichtlich, ein umbrella term für eine Epoche, die zwischen der Georgian Era und dem Victorian Age liegt. Grob gesagt zwischen der Französischen Revolution und der Krönung von Victoria. Es ist die Zeit, in der London von Architekten wie John Nash (hier seine Chester Terrace) und Sir John Soane (der die Bank of England baut) umgebaut wird,

Es ist eine der interessantesten Epochen Englands. Was können wir nicht alles unter diesem Schirm unterbringen! Die napoleonischen Kriege, Wellingtons Sieg bei Waterloo, der Triumph der Royal Navy, Lord Nelson und Lady Emma Hamilton. Vorromantik und Romantik, die zweite Phase der englischen Portraitkunst mit Lawrence, Raeburn und Hoppner, die englische Landschaftsmalerei, Regency Möbel, die Industrial Revolution et cetera.

Die Romane von Jane Austen, die diese Welt so schön beschreiben, wollen wir auf keinen Fall vergessen. Und die Regent Street, deren Bau während der Regency begonnen wird, natürlich auch nicht. Und auch die Dandies wie zum Beispiel Beau Brummell müssen wir erwähnen, denn kaum jemand ist eine solche Symbolfigur für das Age of Elegance (wie der Historiker Arthur Bryant seinen Band über diese Zeit genannt hat) wie der englische Dandy.

Wenn Sie sich jetzt fragen, weshalb der Post Rudolph Ackermann heißt, dann habe ich natürlich eine Antwort auf diese Frage. Denn der Sattler und Kutschenbauer aus Sachsen, der sich hier von François Nicholas Mouchet hat malen lassen, als er 1809 britischer Staatsbürger wurde, ist eine der wichtigsten Persönlichkeiten der Zeit. Er ist seit 1785 in London, er könnte jetzt mit dem Bau von Luxuskutschen viel Geld verdienen. Die dunkelgrüne Kutsche von Lord Byron kostet 500 Pfund, er hat sie nie bezahlt (lesen Sie mehr dazu in dem Post Luxuskutschen). Ackermann läßt sich eine neuartige Kutschensteuerung patentieren, die noch heute funktioniert. Er entwirft eine Staatskarosse für den Lord Chancellor von Irland und erfindet einen 16-rädrigen Omnibus, den The Royal Sailor. 1791 erscheint der erste Band seines Buches Imitations of Drawings of Fashionable Carriages (der vierzehnte Band wird 1828 erscheinen), mit dem er geschickt Werbung für seine Kutschen macht. Er soll auch eine Staatskutsche für George Washington entworfen haben, aber ich weiß nicht, ob die je gebaut wurde.

Ackermann bleibt nicht lange in dem Geschäft, mit dem er berühmt wurde, 1795 eröffnet er einen Laden (mit angeschlossener Zeichenschule und Druckerei) am Strand, den er zwei Jahre später von der Hausnummer 96 zur Hausnummer 101 verlegt. Four doors nearer to Somerset House, sagt er stolz. Somerset House ist der Sitz der Royal Academy of Arts. Rudolph Ackermann, der selbst ein hervorragender Zeichner ist, ist in der Welt der Kunst angekommen. In der Zeichenschule, die er von William Shipley übernommen hatte, hat er achtzig Schüler, in seinem Laden, den er The Repository of Arts nennt, kann man Bücher, Briefpapier, Drucke und Radierungen und Gemälde kaufen. Man kann hier auch Bücher leihen.

Ackermanns Repository of Arts wird zu einem kulturellen Zentrum von London. Die Zeichner der Innenansicht des Repository im oberen Absatz sind zwei berühmte Leute, die Innenausstattung wurde von Augustus Pugin gezeichnet, der als Architekt des Gothic Revival berühmt wird. Menschen konnte er nicht zeichnen, das hat Thomas Rowlandson übernommen. Beide werden noch weiterhin für Ackermann arbeiten, wie zum Beispiel bei The Microcosm of London: Or, London in Miniature. Wieder zeichnet Pugin die Architektur und Rowlandson füllt die freien Flächen mit seinen drolligen
Figuren.

Die Zeichenschule wird Ackermann 1806 schließen, wichtiger wird für ihn die Druckerei und die gerade erfundene Technik der Lithographie. Ab 1809 erscheint sein Repository of arts, literature, commerce, manufactures, fashions, and politics, allgemein Ackermann's Repository oder schlicht Ackerman's genannt. Es wird seinem langen Titel gerecht, denn alles aus dem Titel wird in den Büchern vorkommen. Wenn Sie wissen wollen, wie man in Deutschland den Kaffee zubereitet, klicken Sie hier, wenn Sie wissen wollen, wie die Damenmode des Regency aussieht, dann klicken Sie die 270 fashion plates bei Wikisource an.

Auch dem Sportsgeist der Engländer tragen seine Bücher Rechnung. Diese Illustration ist aus dem Buch Ackermann's Sporting Scraps (sie können alle Illustrationen des Buches hier anklicken), es sind nur wenige Segelszenen darin, die meisten Bilder haben mit der Fuchsjagd zu tun. Ein gut erhaltenes Exemplar des Buches bringt heute schon einmal mehr als 5.000 Dollar

Es ist, wie man am Beispiel von Ackermann's Sporting Scraps sehen kann, nicht nur Ackermann's Repository, das bei ihm gedruckt wird, auch die bebilderten Kunstbände aus seinem Haus verkaufen sich wie geschnitten Brot. Hier haben wir ein Bild aus der gerade gegründeten British Institution, dem ersten privaten Kunstverein (die Galerie von Sir Francis Bourgeois wird erst einige Jahre später eröffnet). Ackermann wird in kurzer Zeit beinahe den ganzen englischen Markt für Druckgraphik und Bildbände unter Kontrolle bekommen.

Seine Heimat Sachsen hat Ackermann nie vergessen, er besucht sie, so oft er kann. Während der napoleonischen Kriege auch einmal als Kutscher verkleidet. Er unterhält eine Partnerschaft mit dem Leipziger Buchhändler und Verleger Johann Gottlieb Beygang, und die deutsche Modezeitschrift Journal des Luxus und der Moden des Weimarer Verlegers Friedrich Justin Bertuch wird das Vorbild zu Ackermann's Repository. Und man sollte nicht vergessen zu erwähnen, dass Ackermann nach der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 seinen ganzen Einfluss nutzt, um in England 250.000 £ für deutsche Notleidende zu sammeln.

Bekommt der cultural entrepreneur wegen seiner Verdienste einen Orden oder einen Adeltitel? Nichts davon. Der Grund heißt wahrscheinlich Thomas Rowlandson, der es nicht lassen kann, den fetten Monarchen auf dem englischen Thron zu karikieren. Viele Künstler arbeiten jetzt für Ackermann. Neben Rowlandson und Pugin sind da noch Frederick Nash und William Westall zu nennen. Und Samuel Prout, der 1829 königlicher Aquarellmaler wird. Wir wollen Maria Cosway nicht vergessen, die mal eine Affaire mit Thomas Jefferson hatte (in dem Film Jefferson in Paris wird sie von Greta Scacchi gespielt). Einen Orden hat Ackermann aber doch bekommen, vom sächsischen König. Sein Freund Karl Ausgust Böttiger schreibt ihm 1816 aus Dresden: Baron de Just is setting out after to-morrow: he brings you the order of 'Civil-merit,' which is the highest distinction in the power of our good King; and you are the only native of Saxony abroad, not in the service of the King, who receive this valuable decoration. Your name, as Knight of the Saxon Order, will be published in all our newspapers, as it will cause general satisfaction. Thus you will be convinced, my dear Sir, that Saxony acknowledges your zeal.

Die Passanten bestaunen auf diesem Cartoon aus dem Jahre 1809 die mit Gaslaternen beleuchtete Pall Mall. Damit hat Rudolph Ackermann auch etwas zu tun, er ist energisch dafür eingetreten, dass London eine Gasbeleuchtung erhielt. In seinen Betrieben war das schon eine Selbstverständlichkeit. Und wenn wir uns das Portrait noch einmal genau anschauen, links neben Ackermann, etwas abgeschnitten, ist eine Gaslampe zu sehen. Die sollte unbedingt mit auf das Bild. Nicht jedermann ist auf Rowlandsons Cartoon von der neuen Technologie begeistert. Ganz rechts beklagt eine Dame vom Straßenstrich: If this light is not put a stop to -- we must give up our business. We may as well shut up shop. Und der Kleinkriminelle neben ihr sagt: True, my dear: not a dark corner to be got for love or money.

Rudolph Ackermann ist an 30. März 1834 gestorben, aber erst vor zwei Jahren ist eine umfassende Biographie über ihn erschienen. Das British Museum zeigte zur Buchpräsentation eine Ausstellung, bei der sie alles, was den Namen Ackermann trug, hervorgeholt haben. Es waren 3.000 Exponate, zumeist natürlich die Druckgraphik aus dem Haus des Mannes, der die Lithographie zur Kunstform gemacht hatte. Das Buch Rudolph Ackermann & The Regency World brauchen Sie nicht unbedingt, denn in dem fetten Katalog Metropole London: Macht und Glanz einer Weltstadt 1800 - 1840 gibt es ein schönes Kapitel zu Ackermann von Simon Jervis, dem Direktor des Fitzwilliam Museum Cambridge.

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