Freitag, 27. August 2010

Hegel


Heute vor 240 Jahren wurde Hegel geboren. Gilt als einer der bedeutendsten deutschen Philosophen. Wenn Sie ihn nicht gelesen haben, ist der Weltgeist an Ihnen vorbeigelaufen. Man kann aber auch ganz gut ohne ihn leben. Als Schopenhauer vor 190 Jahren an der Berliner Universität anfing, legte er seine Vorlesung auf die gleiche Zeit, in der Hegel zu lesen pflegte. Es kamen sehr wenig Studenten zu Schopenhauer. Der junge baltische Baron Boris von Uexkuell ganz bestimmt nicht. Der war Hegel Verehrer. Bei seinem ersten Zusammentreffen mit dem Philosophen in Heidelberg fand Uexkuell zu seiner nicht geringen Verwunderung einen ganz schlichten und einfachen Mann, der ziemlich schwerfällig sprach und nichts Bedeutendes vorbrachte. Danach schreibt er: [Ich] kaufte mir die schon erschienenen Werke Hegels und setzte mich abends bequem in meine Sophaecke, um sie durchzulesen. Allein je mehr ich las, und je aufmerksamer ich beim Lesen zu werden mich bemühte, je weniger verstand ich das Gelesene, so daß ich, nachdem ich mich ein paar Stunden mit einem Satz abgequält hatte, ohne etwas davon zu verstehen zu können, das Buch verstimmt weglegte, jedoch aus Neugierde die Vorlesungen besuchte.

Das wäre ja noch schöner, wenn man sich mit dem Buch eines Philosophen in die Sofaecke setzen könnte und ihn einfach so verstehen könnte. Es ist ja das Wesen des Philosophen (besonders bei Hegel), dass man ihn nicht versteht und immer mehrere andere Philosophen lesen muss, die ihn vielleicht verstanden haben. Der Hegel von Alexandre Kojève ist ein anderer als der Hegel von Vittorio Hösle. Aber unser Uexkuell lässt nicht locker und wird zahlreiche Vorlesungen Hegels abschreiben (beziehungsweise abschreiben lassen), was ihm seinen Platz in der Hegel Forschung sichert.  Was aber viel wichtiger als seine Vorlesungsmitschriften ist, ist sein Journal aus dem Vaterländischen Krieg, in dem er auf russischer Seite gegen Napoleon kämpft. Gegen den gleichen Napoleon, der für seinen neuen Lehrmeister einmal die Verkörperung des Weltgeistes zu Pferde war. Das Journal von Uexkuell ist 1965 unter dem Titel Armeen und Armouren zum ersten Mal bei Rowohlt erschienen. Seine Erinnerungen an Hegel sind auch in dem Band.

Was wäre geschehen, wenn Uexkuell Schopenhauer gehört hätte? Vorlesungen bedeutet damals noch, dass der Professor aus einem eigenen Werk vorliest. Die Studenten hören ehrfurchtsvoll zu, wie auf dem Bild oben, das Hegel vor Studenten in Berlin zeigt. da könnten sie ja auch zuhause in ihrer Sofaecke die Schriften des Professors studieren. Die Ehrfurcht vor dem Professor brauchen die Studenten bei Hegel, denn sonst ist er nicht zu ertragen, Uexkuell ist da mit seinem Urteil noch zurückhaltend. Hegel besitzt keinerlei Humor, keinerlei Schlagfertigkeit, er ist die Verkörperung des obrigkeitshörigen deutschen Spießers. Und er kann nicht einmal seine eigenen Werke gut vorlesen. Er spricht schlecht, verhaspelt sich ständig und ist um Worte verlegen. Und dann spricht er dieses breite Schwäbisch, sagt ebbes statt etwas oder Also, dess wär doch wirglich nedd nedig gwäa. Er kommt in den Berliner Kreisen nicht unbedingt an, es gibt da eine schöne kleine Anekdote in Therese Devrients Jugenderinnerungen. Da sitzt sie mit ihrem Ehemann (dem Sänger und Schauspieler Eduard Devrient) und Mendelsohn-Bartholdy in einer Gastwirtschaft "Sagen Sie mir doch, Felix," wandte sie sich nach rechts, "wer ist der dumme Kerl hier neben mir?" Der Gefragte hielt sich einen Augenblick das Taschentuch vor den Mund, dann flüsterte er: "Der dumme Kerl da neben Ihnen ist der berühmte Philosoph Hegel." Der dumme Kerl ist ja noch ganz nett, Schopenhauer ist der Meinung, er habe eine Bierwirtsphysiognomie. Da gucken wir das Bild da unten doch gleich ganz anders an.

Doch der Mann, der in seiner Jugend, als er noch ein Freund von Hölderlin war, für die Sache der Revolution war, der Napoleon für die Verkörperung des Weltgeistes hielt, der wird jetzt zunehmend unsicher, ob er in seinen philosophischen Systemgebäuden die Welt wirklich richtig berechnet hat. Überall zeigen sich jetzt erste Tendenzen eines Liberalismus, das ist ja nun für Hegel das Schrecklichste auf der Welt. Pressefreiheit? Igitt. Im Jahre 1821 attackiert er seinen Kollegen Jakob Friedrich Fries, der wegen seiner liberalen Ansichten gerade zwangsemeritiert wurde. Als die Hallesche Zeitung schrieb, dass dies für einen großen Philosophen keine noble Haltung sei, beschwert er sich beim König über zu große Pressefreiheit. Er muss sich vom preußischen Kultusminister Karl vom Stein zum Altenstein (dem wir das humanistische Gymnasium und unser ganzes Schulsystem verdanken) belehren lassen, dass er sich  ja an die Gerichte wenden könne, wenn er sich diffamiert fühle. Der Mann, der die ganze Welt und den Staat in seiner Philosophie definiert hat, versteht die einfachsten Dinge der richtigen Welt nicht. Den Preußen wird dieser Philosoph, der sich ständig bei der Obrigkeit einschleimt, langsam wirklich peinlich. Auf Veranlassung von Friedrich Wilhelm III wird Hegels Artikel Über die englische Reformbill in der Preußischen Staatszeitung nicht vollständig gedruckt. Der König möchte wegen der kleinen Giftnudel Hegel keinen Ärger mit England haben. Hegels bestgehasster Kollege Jakob Friedrich Fries hat für ihn den schönen Satz übrig gehabt: Hegels metaphysischer Pilz ist ja nicht in den Gärten der Wissenschaft, sondern auf dem Misthaufen der Kriecherei gewachsen... Wissenschaftlicher Ernst wird gegen diesen Philosophen unter den Bütteln nicht die rechte Waffe sein.

Fries ist nicht einzige, der so redet, ich hätte da noch ein schönes Zitat: Hegel, ein platter, geistloser, ekelhaft-widerlicher, unwissender Scharlatan, der, mit beispielloser Frechheit, Aberwitz und Unsinn zusammenschmierte, welche von seinen feilen Anhängern als unsterbliche Weisheit ausposaunt und von Dummköpfen richtig dafür genommen wurden, ... hat den intellektuellen Verderb einer ganzen gelehrten Generation zur Folge gehabt. Das ist von Arthur Schopenhauer. Hatte vielleicht derjenige recht, der dem jungen Hegel sagte O Hegel, Du saufscht Dir g ́wiß noch dai glois bißle Verstand vollends ab? Der Satz wird häufig Hölderlin zugeschrieben, aber er ist wahrscheinlich nicht von ihm. Aber vom Wein wird er sein ganzes Leben nicht lassen, dann wird er auch ganz gesellig.

In meiner letzten Hegel Anekdote hat der große Denker wieder einmal dem Punsch ein wenig zu sehr zugesprochen. Man ist bei einem Herrenabend im Jahre 1817 bei Heinrich Voss, der hat heute Jean Paul als Ehrengast. Im Laufe der Unterhaltung fragt ein anwesender Pfarrer, ob der Herr Professor Hegel nicht eine Einführung in die Philosophie für junge Mädchen schreiben könne? Hegel lehnt das mit dem Hinweis ab, dass seine Sprache nicht leicht fasslich sei (was ja immerhin eine Selbsterkenntnis ist), woraufhin der Pfarrer vorschlägt, dass Jean Paul Hegels Gedanken in die richtige sprachliche Form bringen solle. Das Gelächter will jetzt kein Ende nehmen. Und das ist ja auch eine komische Vorstellung, Jean Paul als ghostwriter für Hegel. Man setzt diese Scherze noch ein wenig fort, bis Hegel ausruft, man müsse Jean Paul zum Doktor der Philosophie machen. Was er tatsächlich wenig später in die Praxis umsetzt. Die Doktorurkunde (die ich mir jetzt zu zitieren erspare) liest sich ein wenig, als sei sie noch in der gleichen weinseligen Nacht geschrieben.

Ich weiß bis heute nicht, weshalb Hegel bedeutend sein soll, ich bin ihm auch in meinem ganzen Studium der Philosophie aus dem Weg gegangen. Und es käme mir auch niemals in den Sinn, über seine Zeitgenossen Schopenhauer oder Kierkegaard mit einer ähnlichen Attitüde der Verachtung zu schreiben. Nun mag man sagen, dass alle vorgebrachte Kritik ein argumentum ad hominem ist, und das nichts davon sein System des Denkens berührt. Die Unfähigkeit, sich sprachlich klar verständlich auszudrücken, nehmen wir jetzt mal aus. Das können Philosophen nun mal nicht, schwäbische ganz besonders nicht. Außer sie geben sich volkstümlich: Es ist viel Lobendes gesagt worden, und der Maßstab, nach dem gemessen wurde, hat sein eigenes Recht, aber derjenige, den es angeht, hat noch einen anderen Maßstab, den ich mit einem schwäbischen Spruch kurz formulieren kann: Wenn i wär wia i sein sott. Das ist nun nicht von Hegel, das ist von Heidegger. Dessen Sprache hat Robert Minder einer Analyse unterzogen, und das Ergebnis ist vernichtend. Vielleicht sollte man das auch mal mit Hegel machen, denn die Sprache ist gleichsam der Leib des Denkens oder mit Buffons Worten le style c'est l'homme.

Hegel hat ein System, und von Philosophen, die ein System haben, sind wir Deutschen immer schwer begeistert. Wenn wir es nicht verstehen, macht es nichts, dafür sind Philosophen ja da, dass sie nicht verstanden werden. Dennoch ist es manchmal gefährlich, gehässige Dinge über Philosophen zu sagen. Sie können ja irgendwo Fans haben. Der größte Hegel Fan im Internet heißt Kai und hat eine Hegelwerkstatt, und auf seiner neuen Seite finden Sie Literatur zu Hegel bis zum Abwinken. Hoffentlich liest er dies hier nicht. Ich bin mal vor Jahren von einer Frau zu einer Party mitgeschleppt worden, wo ich niemanden kannte, und wo ich kurz vor Mitternacht, als sich in der Küche eine kleine philosophische Diskussion entspann (wie das auf Parties ja meistens um Mitternacht in der Küche passiert), einen lebenden deutschen Philosophen verbal beleidigte. Würde ich jederzeit wieder tun. Unglücklicherweise stellte sich jetzt heraus, dass sich der mir bis dahin unbekannte Gastgeber als jemand vorstellte, der sich gerade bei dem Objekt meiner Beleidigungen habilitiert hatte. Und zwei seiner Freunde, die auch in der Küche waren, hielten Hermann Schmitz auch für den größten deutschen Philosophen, nicht für den größten deutschen Spinner. Die ausgelassene Partystimmung bekam sehr gereizte Untertöne. Mich rettete Ingomar von Kieseritzky, den ich nonchalant in die Diskussion einbrachte. Die Stimmung schlug augenblicklich um. Und als ich dann noch hinzufügte, dass ich von Kieseritzkys Buch Die ungeheuerliche Ohrfeige ein vom Autor signiertes und mir gewidmetes Exemplar besaß, war alles vergeben und vergessen. Da hätte ich noch viel schlimmere Dinge über Schmitz sagen können.

Flohkunde + Stoizismus - braucht man mehr? (unbekannter Kyniker). Gern zitiert von I. Kieseritzky steht in meinem Exemplar von Die ungeheuerliche Ohrfeige oder Szenen aus der Geschichte der Vernunft. Flohkunde wäre sicherlich für die Helden dieses Romans, die mit einem Schwein namens Sophia von einem Philosophen zum anderen durch das antike Griechenland wandern. Auf der Suche nach einer Philosophie zur Verbesserung der Menschheit. Das originellste, was ihnen einfällt, ist eine aus dem Himmel verabfolgte ganz ungeheuerliche Ohrfeige, die denjenigen abwatscht, der völligen Unsinn redet. Unsere drei Philosophen stellen schon Listen auf, wen es treffen soll. Wir als Leser bei der Lektüre des Romans auch. Wäre das nicht schön, all diese Politiker, die man nicht leiden kann, reden zu hören, und dann kommt plötzlich aus dem Himmel diese ungeheure Ohrfeige?

Wo bleibt das Positive? Zuerst wollte ich das hier mit dem Gedicht von Karl Krolow Herbstsonett mit Hegel beenden. Aber angesichts dieses Wetters geht das nicht, wir reden sonst den Herbst herbei und dabei haben wir doch noch Sommer. Auch wenn die Konfektionsgeschäfte schon überall die dicken Tweedjacken in die Fenster geräumt haben. Aber ich habe doch noch etwas Nettes zum Schluss. Es ist ein gelber Reclam Band mit dem Titel Die Philosophenwelt in Versen vorgestellt, selbst gedichtet von dem deutschen Philosophen Lutz Geldsetzer. Das ist nun wirklich einmal eine witzige Einführung in die Philosophie. Ich zitiere daraus mal den Anfang von Strophe 50:

Als Schelling längst in Jena las,
er seines Freundes nicht vergaß,
des Georg Friedrich Wilhelm Hegel,
der - etwas älter - nicht so kregel.
Sie kannten sich seit vielen Jahren
da sie Kommilitonen waren
- was auch den Hölderlin betrifft -
an Tübingens berühmtem Stift.
In Jena sah man diese beiden
so manches Schriftwerk nun verbreiten,
von dem noch heute nicht ganz klar,
was jeweils wohl ihr Anteil war.
Doch hat dann Hegel in der Nacht
der Jena-Auerstedtschen Schlacht
noch letzte Hand ans Werk gelegt,
das späterhin die Welt bewegt:
'Phänomenologie des Geistes,
System der Wissenschaft' - so heißt es.
Da wird der Geist nun absolut,
die ganze Welt ist, was er tut,
und tritt hervor in die Erscheinung
durch seine Kräfte zur Verseinung.
Zunächst ist er nur selber da
- an sich -, eh' irgend was geschah....

Und so geht es weiter. Eine Philosophiegeschichte von der Antike bis zur Gegenwart in einhundert Strophen, das hätte Hegel nicht gekonnt. Strophe 100 wendet sich zwar erst einmal gegen die neuerdings ins Kraut schießenden philosophischen Theorien, aber ich glaube, man kann das auch als Test für jede Philosophie gebrauchen.

Willst du die Wahrheit nur erfühlen,
versuch den Test des Ridikülen,
denn wie schon Shaftesbury empfahl,
gilt von der Wahrheit allemal,
daß sie in dem hat ihren Sitz,
was standhält einem guten Witz!
Treibst du geduldig dieses Spiel,
so sei gewiß, es bleibt nicht viel
von dem, was da in ernsten Worten
ertönet heute allerorten.
Leicht trennt sich da die Spreu vom Weizen,
der uns alleine kann noch reizen,
die Körnchen aber halt' in Ehren,
denn wahre Einsicht sie gewähren.

1 Kommentar:

  1. Ungeheuerliche Ohrfeige?

    "... so ist auch dies, daß das Werk sich vernichtet, selbst sein Tun; es hat die anderen dazu gereizt und findet in dem Verschwinden seiner Wirklichkeit noch die Befriedigung, wie böse Jungen in der Ohrfeige, die sie erhalten, sich selbst genießen, nämlich als Ursache derselben." (Phänomenologie, p. 306)

    In diesem Sinne, lieber Jay, wäre Hegel Ihnen weniger böse als ich es nach der Lektüre Ihrer etwas despektierlichen Bemerkungen über Huntsman war. Spiele seitdem zwanghaft mit den Manschetten. Daß sie knöpfbar sind, war mir zwanzig Jahre lang nie aufgefallen. To appear well dressed, be skinny and tall. Genügt offenbar nicht.

    Vielen Dank für Ihren Hinweis zu Erwin Blumenfeld. Magritte hat übrigens einen recht interessanten Kommentar zum Regenschirm geschrieben. Er mochte Hegel.

    Und jetzt freue ich mich auf Ihren nächsten Beitrag (hoffentlich erscheint das alles mal in Buchform).

    Ihr Gunther

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