Donnerstag, 26. August 2010

Hannover


26. August 1596: Friedrich V von der Pfalz wird geboren. Der, den man den Winterkönig nennt. Weil er mal kurz König von Böhmen war, einer der Verlierer des Dreißigjährigen Krieges. Er soll uns heute nicht weiter interessieren, er hat mindestens noch einen Verehrer, der ihm diesen schönen, ausführlichen Wikipedia Eintrag geschrieben hat. Worauf ich Ihr Interesse lenken möchte, ist die Tatsache, dass er die Tochter von James I von England heiratet. Ja, der das Buch über Hexen geschrieben hat und nach dem die englische Bibel heißt. Und durch diese Heirat wird seine Nachkommenschaft in Europa noch eine Rolle spielen.

Um Elisabeth Stuart hatte auch einmal Gustav Adolf geworben und ihr Vater hätte sie am liebsten mit dem König von Frankreich verheiratet, aber jetzt bekommt Friedrich den Zuschlag. James möchte die protestantischen Fürsten Deutschlands an sich binden. Trotz dieser machtpolitischen Erwägungen haben sich die Eheleute Elisabeth und Friedrich ihr Leben lang gemocht. Das ist in diesen Kreisen nicht die Regel. Elisabeth und Friedrich haben dreizehn Kinder. Eine Tochter wird noch als Malerin unter der Anleitung von Gerrit van Honthorst berühmt werden (Luise Hollandine). Die jüngste Tochter Sophie, die 1630 im holländischen Exil geboren wird, heiratet einen gewissen Ernst August. Bei dem Namen assoziieren Sie jetzt jemand anderen, der auch wie der Winterkönig einen negativen Spottnamen wie Pinkelprinz hat, aber Hannover ist schon richtig. Dieser ➱Ernst August wird 1692 Kurfürst von Hannover. So what?mögen Sie fragen.

In England hält man nach Königen Ausschau seit sie James II fortgejagt und diesen Holländer auf dem Thron haben. Der ist zwar ein Sohn der ältesten Tochter von Charles I, und seine Cousine Mary, die er geheiratet, ist auch eine Stuart, aber irgendwie mögen die Engländer ihn nicht. Gut, sie sagen nicht gerade holländische Hackfresse zu ihm, was manche über Louis van Gaal sagen, aber sie mögen ihn nicht wirklich. Winston Churchill hat in seiner History of the English-Speaking Peoples (für die er den Literaturnobelpreis erhielt!) auch keine netten Worte für ihn gefunden: Wilhelm von Oranien war vaterlos und kinderlos. Sein Leben war liebeleer. Seine Heirat wurde von der Staatsräson diktiert. Eine zänkische Großmutter hatte ihn erzogen, und seine Jugendjahre regelte eine niederländische Erziehungskommission nach der anderen. Seine Kindheit war unglücklich und seine Gesundheit schlecht. Er hatte eine tuberkulöse Lunge, war asthmatisch und ein wenig verwachsen. Aber in dieser ausgezehrten und gebrechlichen Hülle brannte ein unbarmherziges Feuer, angefacht von den Stürmen Europas und noch verstärkt durch den unerbittlichen Druck seiner Umwelt. […] Frauen bedeuteten ihm wenig. Lange Zeit behandelte er seine liebevolle treue Gemahlin gleichgültig. […] Er bekannte sich natürlich zum calvinistischen Glauben, schien jedoch aus dieser gestrengen Lehre nur wenig geistlichen Trost gewonnen zu haben. Als Herrscher und als Befehlshaber war er bar aller religiösen Vorurteile.

Queen Anne, die der Volksmund als die gute Königin bezeichnet, hat ihren Schwager William auch nicht ausstehen können. Sie nennt ihn Mr Caliban oder das Dutch Monster, das ist ja nicht soweit von dem schönen Wort von der holländischen Hackfresse entfernt. Sie folgt ihm 1702 auf den englischen Thron, schon ungeheuer fett, aber sie wird noch zunehmen. Beinahe zwanzig Schwangerschaften (meistens Fehl- oder Totgeburten) hatten ihren Körper verwüstet. Als ihr dänischer Ehemann stirbt, mit dem sie ein Vierteljahrhundert glücklich war, soll sie auch noch an den Gin gekommen sein (den säuft William III in seinen letzten Lebensjahren auch nur). Zur Jagd, diesem Lieblingssport des englischen Adels, geht sie immer noch gerne. Wenn sie zu fett ist, um auf ein Pferd zu kommen, wird sie mit einer kleinen Kutsche hinter der Hundemeute her durch Windsor Forest galoppieren. Als sie am 1. August des Jahres 1714 stirbt, schickt man einen Boten nach Hannover, um Georg Ludwig, dessen Mutter Sophie gerade gestorben ist, mitzuteilen, dass er jetzt König von Großbritannien, Irland und Frankreich ist. Das letzte allerdings nur noch dem Namen nach. Auf dem Bild da unten ist er in voller Schönheit, George macht den Maler, der schon seit Charles II Hofmaler ist, gleich zum Baronet. Sir Godfrey Kneller heißt eigentlich Gottfried Kniller und kommt aus Lübeck. Er kann zwar nicht so toll malen wie Sir Anthonis Van Dyke oder Sir Peter Lely, aber für Königs reicht es immer noch.

Als Georg in England mit seinem ganzen hannoverschen Hofstaat, seinen Geliebten und zwei Mohren namens Mohammed und  Mustafa ankommt, packt er erstmal lange Zeit seine Koffer nicht aus, weil er glaubt, die Engländer jagen ihn sofort wieder zurück an die Leine. Aber dann erkennt er doch die schönen Möglichkeiten, die ihm der englische Thron bietet. Seine Geliebte Melusine von der Schulenburg macht er gleich zur Herzogin, und auch Sophia Charlotte von Kielmannsegg wird eine Countess. Die Engländer nennen sie elephant, weil sie so fett ist, die magere und lange Melusine heißt bei ihnen maypole. Und ansonsten erscheint England dem 54jährigen Hannoveraner ein Selbstbedienungsladen zu sein, in dem niemand an der Kasse sitzt.

So sagt Thackeray in seinem Buch The Four Georges: Take what you can get was the old monarch's maxim... The German women plundered, the German secretaries plundered, the German cooks and attendants plundered, even Mustapha and Mohamet... had a share in the booty. Thackeray mag das Pack aus Hannover nicht so sehr, obgleich sein Schlussurteil über George I geradezu zurückhaltend ist: Though a despot in Hanover, he was a moderate ruler in England. His aim was to leave it to itself as much as possible, and to live out of it as much as he could. His heart was in Hanover. He was more than fifty-four years of age when he came amongst us: we took him because we wanted him, because he served our turn; we laughed at his uncouth German ways, and sneered at him. He took our loyalty for what it was worth; laid hands on what money he could; kept us assuredly from Popery and wooden shoes. I, for one, would have been on his side in those days. Cynical, and selfish, as he was, he was better than a king out of St. Germains [the Old Pretender] with a French King's orders in his pocket, and a swarm of Jesuits in his train. Na ja, klingt schon ein wenig zynisch, aber diesem Autor ist nichts Menschliches fremd, was jeder weiß, der Vanity Fair gelesen hat. Thackeray dient auch einem anderen Viktorianer als Hauptbelastungszeuge. Und das ist die wunderbare Publikation The Impeachment of the House of Brunswick von Charles Bradlaugh (➱hier im Volltext), die im Jahre 1875 ein Bestseller wurde, kaum dass sie auf dem Markt war. Noch nie ist so gnadenlos mit den Georges abgerechnet worden, dagegen ist Thackeray The Four Georges Pillepalle.

Die Tochter von George und seiner Geliebten Melusine, Petronella Melusina (Bild), wird einen gewissen Philip Dormer Stanhope heiraten. Der ist der vierte Earl of Chesterfield und wird die berühmten  Letters to His Son on the Art of Becoming a Man of the World and a Gentleman für seinen Adoptivsohn schreiben. Die gelten heute immer noch als ein Meilenstein der Benimmbücher. Es ist das Werk eines Schriftstellers, nicht das eines Pädagogen. Chesterfield hat uns eine Vielzahl von zitatfähigen Sprüchen hinterlassen wie zum Beispiel The world is a country which nobody ever yet knew by description; one must travel through it one's self to be acquainted with it. Ich weiß nicht, ob der Vater seiner Frau eine solche Weisheit goutiert hätte. I hate all boets and bainters, soll er gesagt haben. Aber die Letters als Anleitung zum guten Benehmen, die wären schon etwas für ihn gewesen.

Man hätte es ihm übersetzen müssen, denn George I kann kaum Englisch. Ist vielleicht in einer Zeit, in der der Adel eh Französisch spricht, nicht so wichtig. Er hat auch andere Sorgen. Kaum ist er König, da macht der Vater von ➱Bonnie Prince Charlie einen kleinen Aufstand. Dabei hatten die Engländer doch im Act of Settlement von 1701 eins ganz klar gemacht: keine Stuarts mehr und keine Katholiken. Können diese Pretenders nicht lesen? Noch mehr Ärger als mit James Francis Edward Stuart hat Georg mit seinem Sohn, die beiden brüllen sich in der Öffentlichkeit an. Also das wirklich gute Benehmen haben die Hannoveraner nicht drauf, das scheint bis heute in der Familie zu liegen.

De jure hätten die Engländer jetzt eigentlich auch eine Königin, aber die bringt Georgie nicht mit auf die Insel, die hat er weggesperrt. Das ist ein dunkles Kapitel in seinem Leben, denn eigentlich ist unser Hannoveraner ein Mörder. Arno Schmidt Fans ahnen schon, was jetzt kommt. Für diejenigen, die Das steinerne Herz nicht gelesen haben, soll die Geschichte mal eben rekapituliert werden. Arno Schmidt ist nicht der erste, der sie erzählt. Der erste ist ein gewisser Christian Friedrich Hunold, der sich bei der Brisanz seines Stoffes mal lieber ein Pseudonym namens Menantes zulegt. Gleichzeitig taucht die Geschichte bei Herzog Anton Ulrich in seiner Römischen Octavia auf. Allerdings ist die Liebesgeschichte von Solane und Orodates nicht von dem Herzog geschrieben, sondern von Aurora von Königsmarck (der Schwester des Grafen). Die gleich ihre eigene Liebesgeschichte mit August dem Starken in diese Geschichte hineinschreibt. Hundert Jahre später möchte ein gewisser Friedrich Schiller kurz vor seinem Tod die Geschichte zu einem Drama machen, es bleibt allerdings nur ein Fragment, Ideen zu einem Trauerspiel: Die Herzogin von Zelle. Hätte was draus werden können.

Es ist die Geschichte der umschwärmten Sophie Dorothea von Braunschweig-Lüneburg-Celle, deren Vater sie gegen ihren Willen aus Gründen der adligen Besitzstandswahrung mit Georg verheiratet. Da ist sie sechzehn. Dadurch kommt Georg auch an viel Geld. Nachdem ihm Sophie zwei Kinder geboren hat (von denen der Sohn als George II König von England werden wird), erlischt sein Interesse an ihr. Er hat ja seine Melusine, und die Gräfin Platen etc. Angeblich gibt es eine Affäre zwischen Sophie und dem Grafen Königsmarck. Solche Geschichten lässt Theodor Fontane in seinen Wanderungen natürlich nicht aus, und er zitiert Teile aus einem angeblichen Volkslied (wahrscheinlich von Fontane):

Wer geht so spät zu Hofe,
Da alles längst im Schlaf?
Im Vorsaal wacht die Zofe –
Schon naht der schöne Graf.
Er sprach: »Eh ich nach Frankreich geh,
Muß ich sie noch umarmen,
Prinzessin Dorothee.« 
Gräflein, du bist verraten,
Verraten ist dein Glück,
Die böse Gräfin Platen
Ersann ein Bubenstück.
Du schaltst sie eine Wetterfahn,
Sie tät dir gern viel Liebes,
Nun ist’s um dich getan. 
Er ging zur ew’gen Ruhe
Mit vielen Schmerzen ein,
Doch ward in keine Truhe
Gebettet sein Gebein.
Ich weiß nicht, wo er modern mag,
Doch wird er einst erscheinen
Am Auferstehungstag.

Dieser Graf Königsmarck ist ein reicher Mann aus einer vornehmen Familie, General in sächsischen Diensten, seine Schwester Aurora von Königsmarck war die Geliebte von August dem Starken (und die Mutter des nachmalig berühmten ➱Maurice de Saxe). Königsmarck kennt Sophie seit den Kindertagen. In der Nacht vom 1. Juli 1694 verschwindet er auf Nimmerwiedersehn im Schloss von Hannover. Georg hat mit seinem Mordauftrag das Familienmotto suscipere et finire wörtlich genommen. Viele Geschichten wird man sich noch lange im Hannöverschen erzählen. Das zieht weite Kreise im europäischen Adel und in der europäischen Diplomatie. Georg wird sich von Sophie scheiden lassen und seine Frau auf das Schloss Ahlden verbannen, das alles geschieht ein wenig ausserhalb des Gesetzes. Die Kammerzofe von Sophie, Eleonore von Knesebeck, wird in ein Gefängnis geworfen, auch ohne ordentliches Gerichtsverfahren. Aus dem sie nach Jahren in einer Gewitternacht von einem Dachdecker, den ihre Familie bezahlt hat, herausgeholt wird. Ihren Peinigern bleibt der schöne Satz, der mit Kohle an die Wand geschrieben ist Der Churfürst hat mich hergebracht durch seyne Tyranney und Macht, / Doch Gottes Macht ist größer, / die öffnet Thür und Schlösser. Sie hat alle Wände von ihrem Verließ mit Kohle vollgeschrieben, die ganze Geschichte von Sophie steht da. Da haben die Kanzleischreiber was zum Abschreiben für die Akten. Da steht aber kein Wort über den angeblichen Ehebruch an den Wänden.

Die Enkelin der Prinzessin Sophie in Ahlden, Caroline von Hannover (nein, nicht die Caroline aus Monaco), wird ein ähnliches Schicksal haben. Mit dem geisteskranken König von Dänemark verheiratet, flüchtet sie sich in die Arme von Johann Friedrich Struensee, dem Arzt und aufklärerischen Reformer. ➱Per Olov Enquist hat mit Der Besuch des Leibarztes einen schönen Roman über ihr Schicksal geschrieben. Nachdem man Struensee hingerichtet hat (und alle Reformen rückgängig gemacht hat), verbannt man die Prinzessin. Nach Celle. Dort stirbt sie mit 24 Jahren, ihren Sarg stellt man neben den Sarg ihrer Urgroßmutter.

Sophie und Philipp Christoph von Königsmarck haben sich hunderte von Briefen geschrieben. In einem sagt Königsmarck Cela resamble bien un romang et en le racontemps, bien de jans ne vous croirong pas. Ihre Geschichte kommt ihnen wie ein Roman vor, wahrscheinlich weil sie sie inszenieren wie einen galanten Roman.

Was bleibet aber, stiften die Dichter. Vor hundert Jahren erschien die erste deutsche Dissertation über den Sophie-Königsmarck Stoff in der deutschen Literatur, und seitdem haben die Dichter nicht aufgehört zu dichten. Die Literaturwissenschaftlerin Elisabeth Frenzel hat in ihrem  Lexikon Stoffe der Weltliteratur einen mehrseitigen Artikel zur Prinzessin von Ahlden. Ich zitiere Frau Dr. Frenzel, die ihren Doktortitel der Dissertation Die Gestalt des Juden auf der neueren deutschen Bühne verdankt, sehr ungern. Noch vor kurzem ist diese Doktorarbeit in der NZZ als eine der übelsten antisemitischen Publikationen aus germanistischer Feder überhaupt bezeichnet worden. Das muss von Zeit über Frau Frenzel gesagt werden, die den Nazis so hingebungsvoll gedient hat, vielleicht kommt ihr das ja noch zu Ohren, sie lebt ja noch. Der Artikel ist übrigens wissenschaftlich nix wert, ich zitiere ihn nur, um zu zeigen, dass ich meine Hausaufgaben gemacht habe. Dass Aurora von Königsmarck, die Voltaire als die berühmteste Frau zweier Jahrhunderte bezeichnete, die Verfasserin der Geschichte von Solane und Orodates ist, hat sie nicht bemerkt. Fontane erwähnt sie nicht. Und ➱Arno Schmidts Roman Das Steinerne Herz erst recht nicht. Das bleibt aber immer noch ein Roman, der die Lektüre lohnt.



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2 Kommentare:

  1. Eine kleine Ergänzung: eine Nichte der unglücklichen Caroline Mathilde, die 1765 mit dem späteren dänischen König Christian VII vermählt wurde, und deren Liebhaber von Struensee hingerichtet wurde, war Caroline von Braunschweig. Deren Ehe mit dem späteren George IV. wurde zwar vollzogen - man brauchte schließlich einen Thronfolger respektive eine Thronfolgerin - das war es dann aber auch. Ihr Gemahl vergnügte sich lieber mit anderen Damen. Ach ja, er soll bereits vor der Heirat mit Caroline von Brauschweig mit einer Katholikin verheiratet gewesen sein. Maria Fitzherbert hieß die Dame. Eigentlich hätte ihm hierfür der Thron verwehrt werden sollen bei Anwendung des Act of Settlement aus dem Jahre 1701. Irgendwie ist es ihm aber offensichtlich gelungen, diesem Schicksal zu entgehen.

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  2. Vielen Dank, dass Sie mir dies in Erinnerung rufen. Ich glaube, diese Geschichte kommt irgendwann bei mir noch einmal vor, ich habe sie schon mit etwas schlechtem Gewissen am 19. Juli bei dem Artikel "Krönung" ausgelassen.

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