Mittwoch, 4. August 2010

Beinkleider


Schreiben Sie doch mal wieder über Mode, steht in einer E-mail, und der Absender beeilte sich hinzuzufügen, dass er natürlich meine Artikel über Literatur und Film auch liebt, er wäre aber dankbar für ein wenig Herrenmode. Gut, warum nicht. Fangen wir mal mit der Hose an. Ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass bei Peek & Cloppenburg oder Ansons (oder wie die Läden alle heißen) an der Stelle, wo früher meterweise Hosen hingen, nix mehr los ist? Sozusagen tote Hose. Offensichtlich kauft der deutsche Mann (oder seine Frau) keine Hosen mehr. Und so viele Hosen kann Claus Peymann sich ja nicht kaufen, dass P & C die wieder ans Lager nehmen. Ich erwähne Claus Peymann, weil Thomas Bernhard ein recht witziges Dramolett mit dem Titel Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen geschrieben hat (für Markenbewußte: es werden darin Hosen von Zegna erwähnt). Das kleine Theaterstück ist auch einmal in einer Variation (von Benjamin von Stuckrad-Barre umgeschrieben) in der Sendung von Harald Schmidt aufgeführt worden. Mit Harald Schmidt als Peymann und Stucki als Stucki. Falls Sie diesen Höhepunkt des deutschen Fernsehens verpasst haben sollten, klicken Sie doch einfach mal hier.

Die Kunden kaufen keine Tuchhosen mehr, weil sie Jeans tragen oder Chinos oder Baumwollhosen. Vielleicht auch Cordhosen, aber da ist der Kreis der Käufer eher klein, ist nur was für Intellektuelle und Leute, die aussehen wollen wie englische Landadlige. Und die würden die Cordhosen auch am liebsten so kaufen, als hätten sie sie schon seit zwanzig Jahren. Da hätte ich natürlich eine Adresse, die unübertroffen ist, schauen Sie doch einfach einmal bei Rudolf Beaufays hinein. Und es ist ja auch wahnsinnig schwer geworden, eine richtig gute Cordhose zu finden, also so etwas, das ein Vierteljahrhundert hält und dann immer noch nach einer Cordhose aussieht. Denn es gibt da dieses ungeschriebene Gesetz für Männer: Wenn etwas noch gut aussieht, wenn es schon ganz alt ist, dann trag es!

Der Cord muss natürlich von Brisbane Moss sein, was anderes geht nun gar nicht. Die bayrische Firma Regent hatte da früher ein schönes Modell, das es auch bei Manufactum gab (aber leider dort nicht mehr gibt). Wenn Sie Ihre Cordhosen nicht zwanzig Jahre lang tragen wollen, keine Kleinkinder oder Hunde haben, dann können Sie natürlich zu einem Italiener greifen. Valentini, Incotex und Zegna machen teuflisch weiche Cordhosen. Ist aber nicht the real thing und hält auch keine zwanzig Jahre. Das englische Wort für Cord ist corduroy, man weiß nicht, woher es kommt. Es taucht zur Zeit der Französischen Revolution im Englischen auf, hat aber nichts mit dem König (du roy) zu tun, obgleich sich diese Analogie schon im 18. Jahrhundert findet.

Wir haben im Deutschen noch den Manchestercord und die Manchesterhose, die aus der Zeit kommen, als Manchester das Zentrum der Baumwollindustrie war. Meint aber meistens eine Sorte Cord, die wir  noch in Zimmermannshosen finden. Haltbar, aber nicht so elegant. Die englische Sammelbezeichnung für Cord und Moleskin ist fustian, ein sehr altes Wort. fustian ist immer der Stoff der Arbeiter gewesen, prononciert so im 19. Jahrhundert, wo er, nach den Worten des australischen Professors Paul Pickering, bei den Chartisten zu einem statement of class without words geworden ist. Wobei class hier die Arbeiterklasse zur Zeit des Manchesterkapitalismus meint. Heute ist eine gute Cord- oder Moleskinhose immer noch a statement of class without words, aber class hat da eine andere Bedeutung bekommen.

Wir lassen jetzt die Jeans einmal aus, dazu ein anders Mal mehr an dieser Stelle, und bleiben noch bei den Baumwollhosen. Gelbe Baumwollhosen von guter Qualität gehen immer. In meiner Jugend kamen die aus dem PX Laden der amerikanischen Besatzer oder vom Schiffsausrüster. Unkaputtbare Twillqualitäten. Eines Tages ist sie verschwunden, weil eine liebende Frau sie entsorgt hat. Das sind die wahren Tragödien des Lebens. Gelbe Hosen sind seit dem jungen Werther chic. Leonce spricht in einem Monolog in Leonce und Lena von seinen gelben Nankinghosen:  Ein sonderbares Ding um die Liebe. Man liegt ein Jahr lang schlafwachend zu Bette, und an einem schönen Morgen wacht man auf, trinkt ein Glas Wasser, zieht seine Kleider an und fährt sich mit der Hand über die Stirn und besinnt sich – und besinnt sich. – Mein Gott, wie viel Weiber hat man nötig, um die Skala der Liebe auf und ab zu singen? Kaum, daß eine einen Ton ausfüllt. Warum ist der Dunst über unsrer Erde ein Prisma, das den weißen Glutstrahl der Liebe in einen Regenbogen bricht? – [Er trinkt.] In welcher Bouteille steckt denn der Wein, an dem ich mich heute betrinken soll? Bringe ich es nicht einmal mehr so weit? Ich sitze wie unter einer Luftpumpe. Die Luft so scharf und dünn, daß mich friert, als sollte ich in Nankinghosen Schlittschuh laufen. – Meine Herren, meine Herren, wißt ihr auch, was Caligula und Nero waren? Ich weiß es. – Komm, Leonce, halte mir einen Monolog, ich will zuhören. Mein Leben gähnt mich an wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus. Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal, einige verwelkte Rosen und zerknitterte Bänder auf dem Boden, geborstene Violinen in der Ecke, die letzten Tänzer haben die Masken abgenommen und sehen mit todmüden Augen einander an. Ich stülpe mich jeden Tag vierundzwanzigmal herum wie einen Handschuh. O, ich kenne mich, ich weiß, was ich in einer Viertelstunde, was ich in acht Tagen, was ich in einem Jahr denken und träumen werde. Gott, was habe ich denn verbrochen, daß du mich wie einen Schulbuben meine Lektion so oft hersagen läßt? – Bravo, Leonce! Bravo! Er klatscht. Es tut mir ganz wohl, wenn ich mir so rufe. He, Leonce! Leonce! Die Nankinghosen, von denen Leonce spricht, und die damals Mode sind, heißen nach der chinesischen Provinz, in der eine gelbliche Baumwolle wächst. Ich musste das Büchnerzitat hier reinbringen, damit wir uns immer darüber im Klaren sind, dass dies ein Kulturblog ist und nicht sowas für Modefuzzis, die nur Markennamen von Firmen aufzählen, die sie eh nicht kennen. Ich finde ja dieses name dropping furchtbar, und der Mann, der sich noch im Laden das Kiton Etikett aus dem Jackett entfernen ließ, hatte sofort meine Bewunderung. Und für die label hunter und sapeurs hätte ich noch einen Literaturtyp: Bret Easton Ellis American Psycho. Kommen bestimmt zweitausend Markennamen drin vor.

Aber gelbe Baumwollhosen, möglichst eng und ohne Bundfalten kann man immer tragen. Sie sollten nicht baggy sein, aber auch nicht so eng wie das, was die Engländer drainpipes nennen. Mein Herrenausstatter schwört seit Jahren auf Valentini, einen Italiener, der nichts anderes als Hosen macht. Und können die Italiener ja. Incotex ist auch O.K., und neuerdings ist Cucinelli auch in diesem Geschäft mit sauteuren Hosen.

Vor einem halben Jahrhundert gab es noch gute Hosen aus Deutschland. Die kamen entweder von Regent (die ja mal in den fünfziger Jahren als Hosenhersteller angefangen haben) oder aus den Hela Kleiderwerken in der Rendsburger Landstraße vor den Toren von Kiel, und man konnte sie bei allen besseren Herrenaustattern kaufen. Aber nicht bei Hettlage & Lampe. Die Hela Kleiderwerke gibt es heute nicht mehr, von ihnen kündet nur noch ein Rechtsstreit, der europäische Ausmasse angenommen hat. Sie hatten Jeans importiert und sie als Damenjeans deklariert, weil auf Damenjeans keine Zollgebühren zu entrichten waren. Die Frage nach dem kleinen Unterschied (beim Reißverschluß) mochte das Bundesfinanzgericht im Rechtsstreit Hauptzollamt Osnabrück gegen Hela Kleiderwerke nicht entscheiden und gab sie an das oberste europäische Gericht weiter. Das sind Probleme.

In Deutschland gibt es ja sowieso leider beinahe keine Qualitätshersteller von Hosen mehr. Regent Hosen kommen inzwischen aus Italien. Wie der Chinese in dem Gedicht von Fontane, lassen wir es andere machen:

Ein Chinese ('s sind schon an 200 Jahr)
In Frankreich auf einem Hofball war.
Und die einen frugen ihn: ob er das kenne?
Und die andern frugen ihn: wie man es nenne?
»Wir nennen es tanzen«, sprach er mit Lachen,
»Aber wir lassen es andere machen.«


Ob das à la longue für unsere Wirtschaft wirklich so gut ist, dass wir die Chinesen für uns tanzen und Hosen nähen lassen, sei mal dahingestellt. Die Italiener machen das natürlich nicht, ihr Made in Italy bedeutet genau das, und es wäre für sie selbstmörderisch, ihre Produktion nach China zu verlegen. Der Italiener da oben, der immer sehr englisch aussieht, ist Luciano Barbera, sicherlich einer der elegantesten Männer der Welt. Wenn er nur auf diese italienischen Marotten verzichten würde. Wie die Armbanduhr über der Manschette zu tragen und die Knöpfe des Buttondown Hemdes offen zu lassen. Und den unteren Ärmelknopf kann man auch zuknöpfen! Aber diese italienische Englishness, so elegant sie ist, ist natürlich ein fake. Die englische gentry würde keine Cordhosen oder Moleskin Hosen aus Italien kaufen, sondern die Hosen von Magee aus Donegal vorziehen, oder das, was ihnen Cordings so anbietet.

Seit die Engländer im 18. Jahrhundert die Herrenmode erfunden haben, versuchen die Kontinentaleuropäer sie zu imitieren. Die Gefahr ist natürlich, dass man dann irgendwann so aussieht wie Gert Fröbe in Goldfinger. Also plus fours, auch Knickerbocker, genannt, sind eigentlich out. Obgleich die Herrenhose ja einmal so angefangen hat, wie man oben auf dem schönen Bild des amerikanischen Malers Ralph Earl aus dem 18. Jahrhundert sehen kann. 

Aber dann kamen die Sansculotten, die trugen keine Kniehosen mehr. Die Französische Revolution ist auch eine Revolution der Hosenmode. Die Kniehosen wanderten danach in die country Kleidung. Sie hielten sich in der ganz offiziellen Kleidung noch beim Frack, Kniehosen mit schwarzen Seidenstrümpfen, da kann man den Hosenbandorden auch schön am Knie befestigen. Denn da gehört er ja eigentlich hin. Honi soit qui mal y pense. Es gibt ein Photo aus den fünfziger Jahren, wo Churchill bei der jungen Königin eingeladen ist. Der Herzog von Windsor und Winston Churchill tragen Fräcke mit Kniehosen und Seidenstrümpfen, und natürlich Hosenbandorden. Sah sehr elegant aus.

Die nächste Revolution in der Hosenmode stammt aus dem 20. Jahrhundert, in den dreißiger Jahren wird die Sporthose erfunden, die ohne Hosenträger auf der Hüfte sitzt. Was natürlich beim Tennis und Cricket (wozu man damals noch weiße Flanellhosen trägt) sehr praktisch ist. Der Herzog von Windsor propagiert diesen Hosentyp, und die englische Firma Simpson kreiert für die Hose einen neuen Markennamen: DAKS. Soll angeblich von dad und slacks kommen. Die englische Sprache hat ja eine ganze Menge von Wörtern für Hosen: trousers, trews, pants (von pantaloons), slacks, breeches, britches, jodhpurs. Die haben alle ein s am Ende, wie in trousers, was uns zeigt, dass dieses Wort ein sogenanntes plurale tantum ist. Man kann nicht in einem Laden eine trouser verlangen, man kauft immer  a pair of trousers.

Was dieser Herr hier trägt sind trews (kommt aus dem Gälischen triubhas), und diese schottischen Hosen sind sogar älter als der Kilt. Man kann sie auf vielen Bildern aus dem 18. Jahrhundert an schottischen Adligen bewundern. Sie werden auch heute noch von schottischen Regimentern der Armee getragen. In Amerika trägt man das Kleidungsstück gerne zum Golf. Und in den siebziger Jahren verirrten sie sich auch einmal nach Deutschland als Hose zum blauen Blazer, sah aber immer ein wenig seltsam aus. Man muss natürlich die Verkäufer bewundern, die ihren Kunden so etwas angeschnackt haben.

Eine Moleskinhose ist natürlich auch immer sehr englisch. Die ist natürlich nicht aus Maulwürfen gemacht (da oben ist Mole aus dem ewigen englischen Klassiker The Wind in the Willows. Die Illustration ist von E.H. Shepard, der auch Winnie the Pooh illustriert hat).  Die Bundeswehr nutzte Moleskinbekleidung zur Ausstattung ihrer Soldaten, so waren bspw. die alten Oliv-Uniformteile aus Moleskin gefertigt, heißt es im Wikipedia Artikel. Und daran kann ich mich noch gut erinnern. Allerdings hatte niemand meinem alten Kompaniefeldwebel, vulgo Spieß, gesagt, dass das ein englisches Wort war. Und so brüllte er immer: eine Hose, Nato Oliv, molesskiiiin. Muss ich immer dran denken, wenn ich eine moleskin Hose anziehe. Aber zwischen meiner Hose von Belvest und dem Nato Oliv molesskiiin Teil liegen natürlich Welten. Moleskinhosen werden, wenn die Qualität stimmt, im Alter immer schöner. Das heißt neuerdings modisch slow wear, wäre ja gelacht, wenn man nicht für alles ein englisches Wort finden könnte. Im Gegensatz zu Moleskinhosen sind Samthosen eine gefährliche Sache. Wenn Sie viel Mut haben, könnten Sie ja eine Samthose in Lila tragen. Die einzige Voraussetzung dafür ist, dass Sie Oscar Wilde, Quentin Crisp oder Mick Jagger heißen.

1 Kommentar:

  1. Und bitte gleich weiter mit dem Unterschied zwischen moleskin und Moleskine.

    * nennt sich um in Oscar Crisp

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