Samstag, 2. Januar 2016

Andernach


Andernach, da war doch was. Ich hatte da etwas im Kopf - wenn ich lange genug nicht drüber nachdenke, kommt es von selbst wieder. Es war ein Gedicht, eins dieser seltsamen Gedichte, die in den Büchern meines Opas standen. Und plötzlich war die erste Zeile wieder da: Bei Andernach am Rheine... Google, eine Institution, die heute ein Gedächtnis und eine Bildung ersetzt, machte dann den Rest:

Bei Andernach am Rheine
liegt eine tiefe See;
stiller wie die ist keine
unter des Himmels Höh.
Einst lag auf einer Insel
mitten darin ein Schloß,
bis krachend mit Gewinsel
es tief hinunter schoß.


Ich fand das Gedicht als ich klein war ziemlich bescheuert (zumal die erste Zeile nach Brentanos ➱Gedicht Zu Bacharach am Rheine klang). Wie schießen Schlösser mit Gewinsel in die Tiefe? Aber es soll heute nicht um von den deutschen Romantikern recycelte Rheinsagen über Vulkanseen in der Eifel gehen, hier geht es heute um eine andere Geschichte. Mit ein wenig Romantik, mit Untergang sicher auch. Es ist die Geschichte vom Anfang unserer Bundeswehr.

Heute vor sechzig Jahren blickte die ganze Welt auf Andernach. Die neugeschaffene Bundeswehr hatte ihre ersten Rekruten. Schlecht sitzende Uniformen, Bürger in Uniform. Alles Freiwillige, das Gesetz über die allgemeine Wehrpflicht kam später. Beim ersten Appell in der Krahnenberg Kaserne in Andernach sprach Bundeskanzler Konrad Adenauer die Soldaten noch mit Soldaten der neuen Streitkräfte an. Der Name Bundeswehr existierte noch nicht, den beschloss der Deutsche Bundestag erst am 20. März 1956. Wenige Jahre später war ich auch dabei, die Uniformen waren nicht schöner geworden. Aber die Armee war groß, so groß wie die alliierten Verbündeten sie im Kalten Krieg haben wollten. Dagegen ist die Bundeswehr heute eine Rumpfarmee.

Dafür gibt es heute tausenderlei Orden und Medaillen, so etwas gab es damals nicht. Da konnte man sich mit Sportabzeichen, Sandsackorden (für das ➱Hochwasser 1962) und dem Abzeichen für den dreitägigen Hollandmarsch eine kleine Ordensreihe basteln, aber das war's auch schon. Die Berufsoffiziere, die noch im Weltkrieg gedient hatten, durften ihre Orden tragen, aber viele taten es nicht. Wir hatten im Divisionsstab einen altgedienten Hauptmann, der an der Majorsecke gescheitert war. Alter Adel, vornehme Manieren. Der besaß alle Ritterkreuze, die es gab, aber er trug sie nicht. An seiner Uniform waren nur fünf Reihen von kleinen leeren Schlaufen für die Ordensspangen. Ich fand das damals unheimlich cool. Heute auch noch.

Ich hatte damals nichts gegen die Bundeswehr, ich bin auch freiwillig zur Infanterie gegangen. Niemand ging gerne freiwillig dahin, aber ich hatte mir gesagt: wenn schon, denn schon. Ich habe auch nach dem Ende meiner Dienstzeit noch Wehrübungen gemacht, mein Bataillon war für mich als Verbindungsoffizier zu den Engländern dankbar. Deutsche Berufsoffiziere hatten große Schwierigkeiten, die Mentalität von englischen Offizieren zu verstehen. Ich nicht.

Heute weiß ich nicht mehr so recht, wofür die Bundeswehr gut sein soll. Wenn wir aus der Marine eine Küstenwache machten und die Bundeswehr in das Technische Hilfswerk integrierten, könnten wir viel Geld sparen. Aber Urban Priol und Georg Schramm wären unglücklich, wenn es die Bundeswehr nicht mehr gäbe. Der große Spötter Schramm war übrigens bei der Bundeswehr. Fiel an der HOS wegen charakterlicher Nichteignung durch und wurde als Fähnrich entlassen. Wurde aber später noch zum Leutnant der Reserve ernannt. Hier sehen wir ihn als Oberstleutnant Sanftleben. Völlig unvorschriftsmäßig: die Jacke gehört zugeknöpft.

Wenige Tage nach dem 2. Januar kam Konrad Adenauer. Und sagte Juten Morjen, Soldaten. Theodor Heuss kam nicht. Der sagte Jahre später in einem Manöver in einer heiteren Laune zu einer Gruppe von Soldaten: Nun siegt mal schön. Ein Jahr später war dieser Satz für ihn Grund genug, um in einer Rede in der Führungsakademie darüber nachzudenken: Es ist mir etwas Seltsames passiert: Beim Abschied von einer Soldatengruppe, mit der ich mich in Fragen und Antworten gut unterhalten hatte, sagte ich fröhlich: Nun siegt mal schön. Wuppdich, ein Pressemann ist in der Nähe, und als berufsmäßiger, wenn freilich unbewußter Großlieferant von goldenen Worten, der ich nun einmal bin, fand ich das in den Zeitungen und stand nun selber vor einem eigentümlichen Phänomen: Bist Du mit diesem Wort nun, das zum Siegen ermuntert, ein Militarist geworden oder bist Du ein scherzender Ironiker geblieben, der die ganze Sache nicht recht ernst nimmt?

Heuss war kein Befürworter der Bundeswehr, unser jetziger Präsident hat nichts gegen Kriegseinsätze. Unsere Verfassung eigentlich schon, der Satz  Deutschland wird auch am Hindukusch verteidigt steht da nicht drin. Glücklicherweise ist dieses Photo eine Photomontage. Sechzig Jahre Bundeswehr - wenn Sie wissen wollen, wie es damals aussah, sollten Sie dies ➱Video anklicken. Man scheint den 2. Januar in Andernach in diesem Jahr nicht zu feiern. Die Bundeswehr hat schon im letzten Jahr ihr sechzigjähriges Bestehen gefeiert. Weil Theodor Blank am 12. November 1955 den ersten 101 ➱Freiwilligen ihre Ernennungsurkunde überreicht hatte. Deshalb gilt der Tag als der offizielle Geburtstag der Bundeswehr. Da haben die Andernacher das Nachsehen.

Die waren 1956 sowieso mit einer viel älteren Tradition beschäftigt, die viel wichtiger als die Bundeswehr war: der Vorbereitung des achten Bundesschützenfestes anlässlich der 600 Jahrfeier der Schützen in Andernach. Der Karneval in Andernach ist übrigens auch sechshundert Jahre alt. Das Wort Fastnacht ist erstmalig im Jahre 1416 als vassenaicht in Dokumenten belegt.

Mein Bataillon und meine Division sind schon Geschichte, sie sind schon lange aufgelöst. Als ich bei der Bundeswehr aufhörte, spielte ich mit dem Gedanken, einen Roman zu schreiben. Einen Titel hatte ich schon: Manöver/manœuvre. Der Schrägstrich und das französische manœuvre waren etwas affektiert, waren mir damals aber wichtig. Das Mäppchen gibt es immer noch, der Roman wurde nie geschrieben. Einiges, was hier als Post steht, könnte in den Roman gewandert sein. Ich denke da an Posts wie ➱Fallex, ➱Landkarten, ➱Élysée Vertrag, ➱Nachtfahrt, ➱Uniformen, ➱Winston Churchill.

Natürlich konnte ich es nicht lassen, die Bundeswehr von Zeit zu Zeit in diesen Blog zu schreiben. Auch Blogger arbeiten ihre Vergangenheit ab. Dieser Blog kann morgen übrigens auch ein Jubiläum feiern. SILVAE wird sechs Jahre alt, das sind schon mal 10% von der Bundeswehr. Letztes Jahr habe ich das mit dem Post Anfänge gefeiert, ich glaube, in diesem Jahr gibt es keine Feier. Wenn Sie in dem Suchfeld unten rechts das Wort Bundeswehr eingeben, bekommen Sie ganz viele Posts geliefert. Wenn es funktioniert, das ist genau so wie bei der Bundeswehr. Aber für alle Fälle habe ich schon mal einige Posts herausgesucht: Aufklärung, FJS, Großer Zapfenstreich, Unsere Marine, Schrott, Eisernes Kreuz, Afghanistan, Opernhaus Hannover, Waterloo, Hoya, Fallex, Élysée Vertrag, Landkarten, Winston Churchill, Nachtfahrt, Uniformen, Aufklärung, FJS, Großer Zapfenstreich, Afghanistan, Opernhaus Hannover, Waterloo, Hoya, Munitionsdiebstahl, Aurora, Heeresreform, Thomas Lawrences Blücher, Bergen-Belsen, Löwen, Landesverrat, Generalskrise

3 Kommentare:

  1. Ulrich Priol - Urban Priol.
    Schramm ist vom Spott zrückgetreten und verzehrt seine Rente.

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  2. Was sind " alle Ritterkreuze, die es gab"? Wenn er nicht Kaleu oder Hauptmann bei der Luftwaffe war, hatte er als Hauptmann doch allenfalls ein" schlichtes" Ritterkreuz. Oder?

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    1. Er hatte in der Bundeswehr den Dienstgrad eines
      Hauptmanns bekommen, im Zweiten Weltkrieg hatte er einen höheren Dienstgrad gehabt.

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