Vor fünfundsechzig Jahren hat der Bundespräsident Theodor Heuss in seiner Silvesteransprache den Deutschen ein Lied vorgestellt. Es hieß Hymne an Deutschland und nach seinem Wunsch sollte es die neue deutsche Nationalhymne sein. Es war seine zweite Ansprache zum Jahreswechsel, bei der ersten hatte er noch gesagt: Wir gehen in das neue Jahr mit einer seltsamen Mengung der Gefühle, sehr enthusiastisch war die Rede damals nicht. Aber jetzt wird alles anders. Heuss hatte den mit ihm befreundeten Dichter Rudolf Alexander Schröder gebeten, ein Lied zu schreiben, denn das Volk der Dichter und Denker war ohne Hymne. Bei der Verkündung des deutschen Grundgesetzes hatten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates das Lied Ich hab mich ergeben Mit Herz und mit Hand gesungen, denn eine Nationalhymne besaß die junge Republik noch nicht.
Diesen Umstand sprach Heuss am Ende seiner Rundfunkansprache 1950 an: Aber das ungeheure Schicksal, das die staatlichen Zusammenhänge zerschlug, die volklichen verwirrte, schuf einen Geschichtseinschnitt, der mit dem alten Sinn- und Wortvorrat nicht mehr umfasst werden kann. Heuss hat dann den Text des Liedes vorgelesen:
Land des Glaubens, deutsches Land,
Land der Väter und der Erben,
uns im Leben und im Sterben
Haus und Herberg, Trost und Pfand,
seid den Toten zum Gedächtnis,
den Lebend‘gen zum Vermächtnis,
freudig vor der Welt bekannt,
Land des Glaubens, deutsches Land
Land der Hoffnung, Heimatland,
ob die Wetter, ob die Wogen
über dich hinweggezogen,
ob die Feuer dich verbrannt,
Du hast Herzen, die vertrauen.
Lieb und Treue halten stand,
Land der Hoffnung, Heimatland.
Land der Liebe, Vaterland,
Heil´ger Grund, auf den sich gründet,
was in Lieb und Leid verbündet
Herz mit Herzen, Hand mit Hand.
Frei, wie wir dir angehören
und uns dir zu eigen schwören,
Schling um uns dein Friedensband,
Land der Liebe, Vaterland.
Wir wissen, dass dieser Text sich nicht durchgesetzt hat. Auf YouTube kann man eine Version davon von einer rechtsradikalen Gruppe namens Kahlkopf hören. Dazu sagen wir jetzt lieber nichts. Unsere Nationalhymne, die der Dichter Hoffmann von Fallersleben auf Helgoland seinem Hamburger Verleger Julius Campe beim Strandspaziergang zum Kauf anbietet (Ich habe ein Lied gemacht, das kostet aber vier Louisd'or), hat eine lange Geschichte. Ein Trinklied ist es gewesen (das war die Melodie der amerikanischen Nationalhymne auch einmal), aber wir wissen, dass das 1841 im britischen Helgoland gedichtete Lied eines Tages eine andere Bedeutung bekommen sollte. Die dritte Strophe ist uns aus dem Vormärz geblieben. Strophe eins und zwei sind gestrichen. Was eigentlich schade für die zweite Strophe ist:
Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang,
sollen in der Welt behalten ihren alten schönen Klang,
uns zu edler Tat begeistern unser ganzes Leben lang -
Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein und deutscher Sang!
Nach dem Ersten Weltkrieg dichtete ein gewisser Albert Matthai eine vierte Strophe zu Fallerslebens Lied, aber das lassen wir lieber weg. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das Lied der Deutschen in manchen Besatzungszonen kurzzeitig verboten. Es ist aber heute nicht mehr verboten, das ganze Lied zu singen. Nur ist das dann nicht mehr die Nationalhymne. Das Horst Wessel Lied darf man heute allerdings nicht singen. Obgleich es nach § 86a StGB verboten ist, diese Nationalhymne der Nazis zu singen, kann man sich bei YouTube eine Vielzahl von Interpretationen anhören. YouTube ist ja sowieso eine wunderbare Plattform für Rechtsradikale und Neonazis.
Die erste Strophe des Lieds der Deutschen mit dem Deutschland, Deutschland über alles hat einen bösen Beiklang, und die Grenzen heißen auch nicht mehr Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt. Wir sollten aber einmal für einen Augenblick historisch denken, bevor wir den Text verdammen. Was Hoffmann von Fallersleben da im Jahre 1841 schreibt, ist eine Vision, ein Wunschbild. Im gleichen Jahr hatte er in seinen Unpolitischen Gedichten geschrieben:
Deutschland erst in sich vereint!
Auf! wir wollen uns verbinden,
Und wir können jeden Feind
Treuverbunden überwinden.
Aber dieses Deutschland gab es 1841 noch gar nicht, 1848 vielleicht für einen kurzen Augenblick. Adenauer und Heuss einigten sich ein Jahrhundert nach der 1848er Revolution auf das Hoffmann-Haydn’sche Lied mit der Zusatzvereinbarung Bei staatlichen Anlässen soll die dritte Strophe gesungen werden. So ganz klar und eindeutig war die ganze Sache allerdings nicht. Im Jahre 1990 beschäftigte sie das Verfassungsgericht. Wenn Sie sich mal ein kleines Vergnügen machen wollen, dann lesen Sie hier das Urteil.
Die Nationalhymne wird bei Länderspielen gespielt, meist instrumental, das ist ungefährlich. Wir denken da nur an Sarah Connors Brüh' im Lichte dieses Glückes. Die Fußballspieler singen die Hymne meist nicht, und der Rest des Stadions kriegt die dritte Strophe auch nicht richtig hin. Als im Jahre 1955 ➱Hans-Joachim Kulenkampff bei einem Städtequiz des Nordwestdeutschen Rundfunks Kandidaten nach der dritten Strophe der Nationalhymne fragte, ermittelte hinterher die Staatsanwaltschaft wegen Beschimpfung der Bundesrepublik gegen ihn. Nationalhymnen sind eine gefährliche Sache. Was war geschehen? Kulenkampff hatte bei der Quizveranstaltung drei Kandidaten nach der dritten Strophe des Deutschlandsliedes gefragt, keiner konnte sie aufsagen. Er musste einen vierten aus dem Publikum auf die Bühne holen, der kannte die neue Hymne. Und erhielt einen Preis von vierzig Mark.
Und gegen den Quizmaster ermittelte der Braunschweiger Oberstaatsanwalt Dr. Gerd Hiete wegen Beschimpfung der Bundesrepublik (§ 96 des StGB). Ein CDU Politiker forderte, dass Kulenkampff für weitere Sendungen gesperrt werden solle. Das Verfahren wurde übrigens eingestellt, nachdem der Frankfurter Intendant Eberhard Beckmann argumentiert hatte, es habe sich um staatsbürgerliche Erziehung und keine Verunglimpfung der Republik gehandelt. Kulenkampff reagierte auf den juristischen Schildbürgerstreich in der letzten Folge des Städtequiz - und da zitiere ich mal eben den Spiegel: Der Conférencier sagte zu einem aus dem Publikum auf die Bühne gebetenen Schlosser, der Preisfragen aus der Staatsbürgerkunde beantworten sollte: "Sie sind hoffentlich ein guter Staatsbürger." Die Bemerkung des Schlossers, er hoffe es zu sein, kommentierte Kulenkampff unter starkem Beifall: "Nun, das habe ich auch einmal gehofft". Gegen Sarah Connor wurde nie wegen Verunglimpfung der Hymne ermittelt.
Es wäre schön, wenn es bei YouTube Peter Ustinovs erste deutsche Fernsehshow vom Montag, dem 20.9.1971 zu sehen gäbe. Die widmete sich dem Kult der Nationalhymnen und war sehr, sehr witzig. Der in Schwäbisch-Gmünd evangelisch getaufte Baron von Ustinov sagte über Nationalhymnen: Ich hege keinen besonderen Respekt für Nationalhymnen. Sie sind gewöhnlich aggressiv und einfach grässlich, (...) die Texte reinweg lächerlich. (...) Und mir scheint es ein Zerrbild zu sein, dass wir dabei stehen, bei Beethovens Streichquartetten dagegen sitzen.
Auf ihrem Parteitag in Karlsruhe hat die CDU in diesem Jahr die Bundesregierung aufgefordert, sich dafür einzusetzen, das Grundgesetz im Artikel 22 um folgende Passage zu ergänzen: Die Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland ist die dritte Strophe des Liedes der Deutschen mit dem Text von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und der Melodie von Joseph Haydn. Bisher stand im Artikel 22 nur der Satz: Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold. Allerdings kann das Grundgesetz nur mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden, und die ist wohl nicht so leicht zu bekommen. In diesem Jahr auf jeden Fall nicht mehr.
Fünfundsechzig Jahre nach der Silvesteransprache von Theodor Heuss ist unsere Hymne immer noch ein Thema. Wir machen uns das nicht leicht, auch wenn die meisten Deutschen die dritte Strophe wahrscheinlich nicht beherrschen. Da hat sich seit Kulenkampff wenig geändert. Unsere Nationalhymne bleibt eine unendliche Geschichte. Und falls Sie heute Sir Toby, Admiral von Schneider. Mr. Pommeroy und Mr. Winterbottom als Gäste von Miss Sophie vermissen, die sind alle hier.
Ich wünsche all meinen Lesern alles Gute für das neue Jahr.
Und noch mehr Nationalhymen gibt es hier: German German Overalls, Kurgäste, 3. Oktober, 25 Jahre, Joseph Haydn, God Save the King, Hanns Eisler, Schicksalstag, Einer wird gewinnen, WM, Fußballpoesie, Hochzeitsmarsch, Großer Zapfenstreich, Schnelldampfer Bremen, The Happy Wanderer, Nico, 14. Juli, Arkadien, Farbsymbolik, Het Wilhelmus, Stars and Stripes Forever, Stephen Foster, Jimi Hendrix, Rational Anthem, Amtszeit, Richard Nixon, Andante ma non troppo, Gone with the Wind, Montcalm, Québec, Hans Matthison-Hansen, Vilhelm Marstrand, Beresina
Auf ihrem Parteitag in Karlsruhe hat die CDU in diesem Jahr die Bundesregierung aufgefordert, sich dafür einzusetzen, das Grundgesetz im Artikel 22 um folgende Passage zu ergänzen: Die Nationalhymne der Bundesrepublik Deutschland ist die dritte Strophe des Liedes der Deutschen mit dem Text von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und der Melodie von Joseph Haydn. Bisher stand im Artikel 22 nur der Satz: Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold. Allerdings kann das Grundgesetz nur mit einer Zweidrittelmehrheit geändert werden, und die ist wohl nicht so leicht zu bekommen. In diesem Jahr auf jeden Fall nicht mehr.
Fünfundsechzig Jahre nach der Silvesteransprache von Theodor Heuss ist unsere Hymne immer noch ein Thema. Wir machen uns das nicht leicht, auch wenn die meisten Deutschen die dritte Strophe wahrscheinlich nicht beherrschen. Da hat sich seit Kulenkampff wenig geändert. Unsere Nationalhymne bleibt eine unendliche Geschichte. Und falls Sie heute Sir Toby, Admiral von Schneider. Mr. Pommeroy und Mr. Winterbottom als Gäste von Miss Sophie vermissen, die sind alle hier.
Ich wünsche all meinen Lesern alles Gute für das neue Jahr.
Und noch mehr Nationalhymen gibt es hier: German German Overalls, Kurgäste, 3. Oktober, 25 Jahre, Joseph Haydn, God Save the King, Hanns Eisler, Schicksalstag, Einer wird gewinnen, WM, Fußballpoesie, Hochzeitsmarsch, Großer Zapfenstreich, Schnelldampfer Bremen, The Happy Wanderer, Nico, 14. Juli, Arkadien, Farbsymbolik, Het Wilhelmus, Stars and Stripes Forever, Stephen Foster, Jimi Hendrix, Rational Anthem, Amtszeit, Richard Nixon, Andante ma non troppo, Gone with the Wind, Montcalm, Québec, Hans Matthison-Hansen, Vilhelm Marstrand, Beresina
Ja, das ist doch ein schöner Kommentar zum Jahresaus- und Einklang. Dass Auferstanden aus Ruinen auch auf die Melodie von Haydn passt, ist ja hier und da bekannt. Hätte gepasst, ist politisch nicht opportun gewesen.
AntwortenLöschenNun ja, grübeln wir halt weiter und hoffen, im Glanze unseres Glückes blühen zu können, momentan ist eher der Wurm drin.