Freitag, 25. Januar 2013

Einer wird gewinnen


Am 25. Januar 1964 strahlte die ARD (das ZDF gab es damals erst ein dreiviertel Jahr) die Sendung ➱Einer wird gewinnen mit Hans-Joachim Kulenkampff aus. War natürlich noch in Schwarzweiß, das Farbfernsehen gibt es noch nicht, das kommt erst drei Jahre später. Da möchte man in der Pilotphase bis Oktober 1968 etwa vier Stunden pro Woche Sendungen in Farbe anbieten. Als Der Blaue Bock 1967 in Farbe gesendet wird, besitzen erst 35.000 deutsche Haushalte einen Farbfernseher. Man war noch nicht versessen auf das Fernsehen, wenn es die Tagesschau gab und die Sportschau am Wochenende, dann reichte das eigentlich aus. Damals hatten Familien noch ein Familienleben, da brauchte man noch kein Fernsehen.

Und wenn man Unterhaltung haben wollte, konnte man ja in Bremen ins Astoria gehen. Das war ein Varieté, sogar ein renommiertes. Irgendwie hat man vergessen, dass es so etwas auch einmal gab. Ich fand das Astoria mit den roten Plüschsesseln sehr geheimnisvoll, viel interessanter als Fernsehen. Vom ➱Astoria ist nicht mehr übrig geblieben.

Banken, eine überflüssige Einkaufspassage und der Erweiterungsbau von Stiesing haben sich in den kleinen Hinterhofplatz, an dem es lag, hineingefressen. Natürlich wurde am Wochenende auch die Aktuelle Schaubude mit Werner Baecker geguckt, die aus dem gläsernen Studio gesendet wurde. Das gläserne Studio war in Wirklichkeit ein Showroom von Opel am Hamburger Dammtor, aus dem an jedem Sonnabend um 14 Uhr die Autos herausgerollt wurden. Fernsehen war damals noch einfacher zu machen als heute. Und natürlich guckte man immer Kulenkampff, weil der ja aus Bremen kam.

Das da auf dem Bild sind übrigens nicht die Beatles, das da rechts ist tatsächlich Hans-Joachim Kulenkampff, genannt Kuli. Wenn Sie Hans Joachim Kuhlenkampff, Willy Berking, Bully Buhlan und Gerhard Wendland in bewegten Bildern sehen wollten, dann klicken Sie ➱hier. Diese kleinen Filme, in denen Kuli in eine Vielzahl von Rollen schlüpfte, gehörten zu der Sendung dazu. Ebenso, wie der kleine fünfminütige Vortrag, den Kulenkampff jedes Mal vor seiner Sendung hielt.

Kuli mochte ich immer, nicht nur weil er aus einer vornehmen alten Bremer Kaufmannsfamilie kam, die seit Jahrhunderten in Bremen war. Und da waren nicht nur Kaufleute in der Familie, es gab auch musische Talente wie den Geiger Alwin Georg Kulenkampff. Wenn Kuli auch eines Tages nach Österreich zog, irgendwie blieb er immer der Bremer aus der Parkstraße in Schwachhausen. Auf jeden Fall für die Bremer. Der Quizmaster (wie er sich gerne bezeichnete) hatte immer Stil, war immer souverän. Und er rauchte Pfeife. Scheute sich auch nicht, Reklame für Tabak zu machen, sein Drei Dinge braucht der Mann: Feuer, Pfeife, Stanwell ➱Werbespot auf der Kinoleinwand wurde berühmt. Noch berühmter wurde der Slogan allerdings durch den Pfeifenraucher Loriot, schauen Sie unbedingt ➱hier hinein.

Ich weiß nicht, was der alte ➱Trennt von Stanwell Tabaken hielt, ich habe den trotz Kulenkampff und Loriot nie geraucht. Habe aber einige sehr schöne Stanwell Pfeifen, die ich lieber mag als manche Pfeifen von Dunhill oder Charatan (die Loriot jederzeit Dunhill vorzog). Heute rauchen Quizmaster und Showmaster (ein schönes deutsches Wort, das das Englische nicht kennt) keine Pfeife mehr. Sie sagen auch nicht mehr wie Kuli Die Leute sind gar nicht so dumm, wie wir sie durchs Fernsehen noch machen werden. Heute haben wir nicht mehr so nette harmlose Unterhaltung wie Einer wird gewinnen. Heute haben wir das DschungelcampAuch den letzten Traum zerstört das Fernsehen: Es ist kein Vorteil mehr, Analphabet zu sein, das ist jetzt nicht von mir, das ist von Hans-Joachim Kulenkampff.

Er war ein gebildeter Mann - der Begriff Gentleman wäre für ihn sicherlich angebracht. Er war auch ein Mann mit Ecken und Kanten. Er scheute sich nicht, in einer Unterhaltungssendung seine eigene Meinung zu sagen. Großes Aufsehen erregte er, als er Heiner Geißler mit Goebbels verglich. Taten damals, bevor Geißler Kreide gefressen hatte (Er sucht die mediale Aufmerksamkeit, damit er als Jopie Heesters des Politikbetriebs noch mit 100 Jahren in den Talkshows sitzen kann, sagte ein FDP Politiker über ihn) ja viele in Deutschland. Denn ist jemand wirklich als Politiker tragbar, wenn er im Bundestag sagt: Der Pazifismus der dreißiger Jahre, der sich in seiner gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem heutigen unterscheidet, was wir in der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser Pazifismus der dreißiger Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht? Es ist von einer gewissen Pikanterie, dass der rhetorische Hetzer der CDU, der jetzt im Alter den Softie gibt, letztens in der Jury saß, die über das ➱Unwort des Jahres entschieden hat.

Nach der Sendung der NDR Talkshow soll Kulenkampff gesagt haben: Warum habe ich Rindvieh nur nicht 'der schlimmste seit...' statt 'schlimmer als ...' gesagt? Kein Aas hätte mir da an den Wagen fahren können! Das sind die feinen Nuancen. Denn das mit seit Goebbels der schlimmste Hetzer in diesem Land hatte Willy Brandt drei Jahre vorher gesagt. Und es gab keine Welle der Entrüstung im Land. Aber wenn ein Showmaster so etwas sagt, dann ist das ganz furchtbar. Das darf das Kabarett vielleicht, aber nicht der Liebling der Nation. Weil man ihn eben nur als den netten Mann auf der Mattscheibe kannte, der mit Heinz Erhard in Immer die Radfahrer gespielt hatte. Dass er Soldat in Russland gewesen war, wusste kaum jemand. Er sprach auch nie darüber.

Er hatte an der Schauspielschule des Deutschen Theaters in Berlin angefangen, wurde aber schnell eingezogen. Durfte dann während des Krieges zwischen Lazarettaufenthalt und nächstem Fronteinsatz sein Schauspielerexamen ablegen. Nach dem Krieg war die Rolle des General Harras in Zuckmayers Des Teufels General 1967 in Basel der größte Erfolg des Obergefreiten Kulenkampff. Nach kurzer englischer Gefangenschaft erhielt er 1945 einen Vertrag in seiner Heimatstadt Bremen. 1947 war sein Vertrag ausgelaufen, man bot ihm die Theaterleitung an. Dafür fühlte er sich zu jung (➱Dieter Borsche hatte in der gleichen Situation die Stelle als Oberspielleiter in Kiel angenommen), er ging zum Frankfurter Theater. Spielte einen Major. Allerdings in einem Stück, das nach Ende des Siebenjährigen Krieges spielt, Lessings Minna von Barnhelm. Und wenn die Arbeit vor dem Radiomikrophon und später vor der Fernsehkamera auch immer mehr wurde, er hat die Bretter, die die Welt bedeuten (um einmal Schiller zu zitieren), nie wirklich verlassen.

Als Quizmaster wurde er im Radio beim Hessischen Rundfunk berühmt. Der Sender stand auch zu ihm, wann immer er öffentlich angegriffen wurde. Schon 1955 ermittelte die Staatsanwaltschaft wegen Beschimpfung der Bundesrepublik gegen ihn. Er hatte in einem Städtequiz des NWDR Kandidaten nach der dritten Strophe der Nationalhymne gefragt. Abgeordnete forderten ein Rundfunkverbot für Kulenkampff. Das Verfahren wurde eingestellt. Seine erste Rüge handelte er sich fünf Jahre vor Einer wird gewinnen ein, als er in der Show Quiz ohne Titel sagte: Guten Abend, meine sehr verehrten Damen und Herren, guten Abend, liebe Fernsehfreunde in Österreich, in der Schweiz und in der Bundesrepublik, in der DDR und alle Kiebitze in den Zonen- und anderen Grenzgebieten. Entsetzlich. Da sagt jemand in einem öffentlich-rechtlichen Sender Dedeärr ohne Anführungszeichen. Der ➱Aufschrei (diesem Link sollten Sie unbedingt folgen) ging durch alle Parteien. Ein neuer Bundesgenosse Pankows, titelte eine Berliner Zeitung. Das ist jetzt keine in der Sauregurkenzeit hochgepustete Sache, man ist da von einem zum anderen Deutschland sehr empfindlich. Ich habe gar nicht gewußt, daß ich politisch so viel Gewicht habe. Aber unter uns gesagt: das ist doch vollkommener Quatsch, was die da aufführen, sagte Kulenkampff.

Zwei Jahre später stellte er in der Show Guten Abend Nachbarn kurz vor Weihnachten seinen ausländischen Kandidaten die Frage, wieviel Prozent der Bundesbürger ihrer Meinung nach mit der Ostpolitik von Willy Brandt einverstanden seien. Dann kommentierte er das Ergebnis einer EMNID Umfrage, wonach 63% der Bevölkerung diese Politik befürworteten, mit Herr Bundeskanzler, das ist ein Weihnachtsgeschenk für Sie. Das darf man natürlich nicht sagen, die bayrische CSU blies zum Generalangriff auf die Größen des Showgeschäfts. Kulenkampff, Dietmar Schönherr und Rudi Carell waren plötzlich Staatsfeinde. Ach ja, geben Sie Gedankenfreiheit, Sire, um noch einmal Schiller zu zitieren. Wir Deutschen machen es uns schwer mit der leichten Unterhaltung, nicht jeder war angetan von Sätzen wie Hoffentlich steckt das an, wenn die Leute sagen: Schau mal, der Kuli ist politisch interessiert, vielleicht sollten wir uns auch um Politik kümmern.

Quizshows gibt es noch immer im Fernsehen, beinahe jeder Sender hat eine. Es scheint ein Bedarf dafür zu sein. Je mehr es mit der Bildung bergab geht, desto mehr Quizshows gibt es. Desto mehr Quizmaster. Aber, um einmal ➱Nik Cohn zu zitieren: today there are no gentlemen. Gestern Abend habe ich in die Show von Eckart von Hirschhausen hineingeschaut. Das war ein Übung im Fremdschämen. Natürlich war bei Kuli nicht alles Gold, aber als Conférencier mit Charme ist er unübertroffen. Falls Sie den Mann, den man eines Tages den Grandseigneur der deutschen Unterhaltung nennen sollte, verpasst haben sollten, könnten Sie dies ➱Interview lesen. Oder ihn ➱hier sehen, die acht Minuten sollten Sie sich für ihn Zeit nehmen. Und falls Sie eine ganze Sendung von Einer wird gewinnen sehen wollen, dann klicken Sie ➱hier (fängt an, wenn der Rest des Filmes Schau heimwärts, Engel vorbei ist).

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