Dienstag, 29. Januar 2013

The Raven


Das Bild hing jahrzehntelang bei mir an der Wand. Ich war nicht der einzige, der einen signierten Janssen hatte, Horst Janssen war damals in. Und er signierte seine Plakate freizügig, sozusagen am laufenden Meter. Ich habe einmal einen kurzen Film über ihn gesehen, da lag er in seinem Studio auf dem Fußboden und signierte einen ganzen Packen. Oben zogen die Gehilfen immer das gerade signierte Werk weg, ratzfatz wurde das nächste Blatt signiert. Ich war nicht der erste, der einen Edgar Allan Poe von Janssen an der Wand hatte, aber ich kannte in Bremen jemanden, dem es gelungen war, Horst Janssen einen der ersten Abzüge abzuschnacken.

Das war Dr. Dr. Otto Proksch, von Berthold Beitz nach Bremen geschickt, um als Finanzvorstand die Vereinigten Flugtechnischen Werke (einer Fusion von Weserflug und Focke-Wulff) zu leiten. So korrekt er äußerlich als Manager wirkte, so unorthodox war er in vielem. Er scheute sich nicht, den Heidelberger SDS Vorsitzende Oswald Hüller als seinen Assistenten bei Krupp einzustellen. Und auch die Revolutionäre der kleinen Bremer Revolution brachte er mit Volontariaten und Firmenpraktika bei VFW unter (was ihm die Beobachtung durch den Bremer Staatsschutz eintrug). Umerziehung von Revolutionären zu Kapitalisten? Im Fall von Ossi Hüllen hat es funktioniert. Wenn sie etwas mehr zu der kleinen Bremer Revolution lesen wollen, dann klicken Sie dies ➱hier an. Der Rat von Otto Proksch war schon in den fünfziger Jahren bei vielen Firmenchefs und Managern gefragt, als man sich um Amerikakontakte bemühte. Die Mehrheit der deutschen Industrie sprach kaum Englisch. Proksch schon, er konnte auch zwei Jahre Amerikaaufenthalt vorweisen. Allerdings eher unfreiwillig, da er aus Rommels Afrikakorps direkt in amerikanische Gefangenschaft gewandert war.

In der Zeit, in der Proksch an der Spitze von VFW war, ging es der Firma sehr gut, jährliche Dividenden waren den Aktionären garantiert. Eine seiner originellsten Maßnahmen war sein Verzicht auf die Einnahmen für die in der Firmenkantine verkauften Mittagsgerichte. Er überließ das Geld dem Küchenpersonal. Er hatte ausgerechnet, dass ein Kantinenessen (1,50 und 2,50) den Konzern in der Verbuchung zweiundzwanzig Mark kostet. Soviel zur Bürokratie. Otto Proksch wurde Ende der siebziger Jahre von den holländischen Anteilseignern von VFW aus dem Vorstand gedrängt, was im Spiegel so klang: Seit der Holländer Gerrit Cornelis Klapwijk dort das Regiment führt, gerät der im Vorstand ohnehin unterrepräsentierte deutsche Unternehmensteil immer mehr ins zweite Glied. Aber dieser Klapwijk konnte nicht so gut rechnen wie Proksch, er war auch kein Intellektueller, der Gedichte schrieb und gleich nach seiner ersten philologischen Dissertation eine zweite (Der wirtschaftsdemokratische Gedanke in den gegenwärtigen Industriegewerkschaften. Erlangen, 1949) schrieb. Mit VFW ging es dann bergab. Das kommt davon, wenn man Arno Schmidt Verehrer und Edgar Allan Poe Leser aus dem Vorstand drängt.

Proksch hatte ein großes Haus in Oberneuland, das eine Art von permanentem Salon für das intellektuelle Bremen wurde. Ich hatte den Mann mit den zwei Doktortiteln und den sechs Sprachen kennengelernt, weil meine Freundin Gu mit seiner Tochter in einem Orchester war. Wir waren uns sofort sympathisch, weil wir beide Arno Schmidt verehrten. Das Werk von Arno Schmidt, den meine Germanistik studierende Generation immer nur beim Vornamen nannte - das gab einem eine gewissen Nähe zu dem Arno - war die große Leidenschaft von Proksch. Er besaß alle Erstausgaben, pflegte einen Briefwechsel mit Schmidts Verleger Ernst Krawehl. Er schrieb Radio-Features für Radio Bremen. und ist deshalb auch in Karl-Heinz Müthers Arno Schmidt Bibliographie zu finden (ich in der fünften Nachlieferung auch). Die Manuskripte von den Rundfunkessays hat er mir mal geschenkt, ich habe sie in meine Ausgabe von Zettels Traum gelegt. Er kaufte und las alles, was Arno in seinem Werk zitiert, von Fouqué bis Oppermann. Aber dann natürlich die Erstausgaben, nicht die Nachdrucke, die beim 2001 Verlag erschienen. Dafür hatte er eine eigene kleine Bibliothek im Souterrain, die mit man mit einer Wendeltreppe vom Wohnzimmer aus erreichte.

Proksch hatte auch sofort den ersten Band der neuen (kommentierten) Poe Ausgabe, die der Schweizer Walter Verlag in Olten seit 1966 auf den Markt brachte. Dünndruck, 1.100 Seiten der erste Band. Das Vollständigste von Poe, was je in Deutschland erschienen war, die Texte orientierten sich an der Virginia Edition von James A. Harrison aus dem Jahre 1902. Die Herausgeber Kuno Schuhmann und Hans Dieter Müller hatten dafür Übersetzer wie Richard Kruse, Friedrich Polakovics und Ursula Wernicke eingeworben. Aber auch zwei Namen, die aufhorchen ließen: Arno Schmidt und Hans Wollschläger (der auch ➱The Raven übersetzt hat). Was bisher serviert wurde, war Senf, hatte Arno in seiner unnachahmlichen Art gesagt. Und das war natürlich ein Grund für die Arno Schmidt Fans, diese Ausgabe zu kaufen. Es gibt sie noch immer, teuer (248 €) als vierbändige Leinenausgabe bei Insel, billig als zehnbändige Paperbackausgabe im Schuber ab 15,10 €. Aber diese kleine Penguinausgabe ist auch nicht schlecht, das Wichtigste ist drin.

Als Proksch damals hörte, dass Horst Janssen in Hamburg einen Edgar Allan Poe radieren würde, fuhr er mit einem Mercedes voll Hochprozentigem nach Hamburg (damals arbeitet Janssen manchmal noch im Tausch gegen Alkohol). Ich hütete das Haus. Proksch kam abends um zehn zurück, total angeschickert (er war glücklicherweise  mit dem Chauffeur unterwegs), aber er hatte den ersten Abzug des Blattes dabei, eine neue Reliquie. Was ihn wirklich wurmte war, dass er Arno Schmidt nie persönlich kennengelernt hatte. In der schönen Formulierung von Franz Caesarz in seinem Portrait Konsequenz im Widerspruch: Otto Proksch (in dem bei Schünemann erschienenen Band Bremer Profile): Dem werbendem Leser hat sich das scheue Genie versagt: Sein Haus blieb verschlossen. Aber eines Tages kam die große Stunde von Otto Proksch, als er dem Arno einen Wohnwagen verkaufte. Weil VFW im Werk Hoykenkamp bei Delmenhorst auch so etwas baute. Die schöne kleine Geschichte findet sich schon ➱hier im Blog (und damit wäre das Rätsel um dieses Bild von Arnos Caravan hier auch geklärt).

Am 29. Januar 1845 wurde Edgar Allan Poes Gedicht The Raven in der New Yorker Zeitung Evening Mirror veröffentlicht. Es erschien wenige Wochen später in The American Review (den Text finden Sie ➱hier), und Poe hat auch noch eine kleine ➱Dichtungstheorie um das Gedicht gerankt, the death then of a beautiful woman is unquestionably the most poetical topic in the world, and equally is it beyond doubt that the lips best suited for such topic are those of a bereaved lover. Lohnt sich natürlich, das zu lesen. Für Anglistikstudenten war das früher Pflichtlektüre. Bei den jetzt von Frau Schavan so energisch verteidigten Bachelor Studiengängen lesen die das natürlich nicht mehr. Weil sie gar nichts mehr lesen und stattdessen nur credit points sammeln. Ich habe eine gewisse Aversion gegen das Gedicht, weil ich es hunderte von Malen in Examina habe abprüfen müssen. Und so habe ich mir gesagt: nevermore! und sage nix zu dem Gedicht. Soll Poe für sich selbst sprechen, er ist beredt genug. Sie können natürlich zu dem Gedicht auch die CDs von ➱Lou Reeds The Raven auflegen. Diese schöne Illustration von Manet habe ich mir im Blog von ➱Frank Zumbach geklaut. Der ist einer der besten Kenner von Poe in Deutschland, er hat auch eine sehr gute Poe Biographie geschrieben. Ich glaube, das habe ich schon mal gesagt, als ich über ➱Poe schrieb.

Noch gelungener als die Illustration, die Manet für Stéphane Mallarmés Übersetzung von The Raven angefertigt hat, finde ich diesen schönen Raben auf der Pallas Athene Büste von Alfred Kubin. Und wenn Sie noch einige Tips zu Edgar Allan Poe haben möchten: die beste englische Werkausgabe ist die mehrbändige kommentierte Ausgabe von Thomas Ollive Mabbott. Der ja leider durch seinen Tod daran gehindert wurde, sein Werk wie geplant zu vollenden. Einen Zugang zur kritischen Literatur gibt es durch Liliane Weissbergs Edgar Allan Poe, 1991 in der blauen Materialien Reihe von Metzler erschienen. War das längste Manuskript, das jemals bei Metzler für diese Reihe eingereicht wurde, die Edgar Allan Poe Forschung sollte ihr dafür dankbar sein. Wenn man bedenkt, dass Liliane Weissberg sich durch die gesamte Sekundärliteratur zu Poe gelesen hat, um sie für den Leser mundgerecht aufzuarbeiten, dann kommt einem das Machwerk von Dissertation von dieser Frau Schavan umso lächerlicher vor. Aber Liliane Weissberg hat auch einen Ph.D. aus Harvard und keine credit points aus einem BA-Studiengang.

1 Kommentar:

  1. Auf Otto Proksch machte mich sein Auftritt in der Arte Doku über Schmidt aufmerksam. Ein Arnist (oder Schmidtianer?) ganz nach meinem Herzen! Wie schön über ihn etwas zu erfahren!

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