Sonntag, 13. Januar 2013

Reiter


Eigentlich sollte auf diesem Bild doch Schnee liegen, so ganz akkurat ist es als Historienbild offensichtlich nicht. Als Leser von ➱Theodor Fontane wissen wir natürlich, dass da Schnee sein muss: Der Schnee leis stäubend vom Himmel fällt, Ein Reiter vor Dschellalabad hält, „Wer da!“ –„Ein britischer Reitersmann, Bringe Botschaft aus Afghanistan.“ Und auch der einzige Bericht, den wir von diesem Ereignis haben, spricht von snow, which was about 6. Inches deep. Das Bild heißt The remnants of an Army, es hängt heute in der Tate Gallery. Gemalt von einer Lady Butler, die sich auf Schlachtenbilder von Waterloo bis Balaclava spezialisiert hatte (I never painted for the glory of war, but to portray its pathos and heroism). Eigentlich heißt die Malerin Elizabeth Thompson, aber da sie gerade einen General namens Sir William Butler geheiratet hat, ist sie nun Lady Butler. The remnants of an Army ist 35 Jahre nach dem Ereignis gemalt worden, nach diesem Nachmittag, als der Regimentsarzt Dr William Brydon als einziger Überlebender der Schlacht von Gandamak die englische Garnison in Dschalalabad erreicht. Es ist der 13. Januar 1842, noch wird Deutschlands Freiheit nicht am Hindukusch verteidigt, noch kämpfen hier die Engländer um ihr Weltreich.

Drei Jahre nach The remnants of an Army malt Arnold Böcklin dieses Bild, das heute in der Kunsthalle Bremen hängt. Es ist das Jahr, in dem England Ägypten besetzt. General Garnet Wolseley hat übrigens Sir William Butler (der schon bei jedem englische Feldzug in Afrika dabei war) an seiner Seite. Das Bild von Böcklin wirkt wie eine Variation von Lady Butlers Afghanistan Bild. Als ich klein war, fand ich Böcklins Bild ganz toll. Wahrscheinlich weil es so zweidimensional plakativ war. Damals hätte ich solche Sätze von der Gestalt des 'Abenteurers', die am einsamen Strande wie ein Reiterstandbild in die blaue Luft ragt und vom kühnsten Wagemut erzählt geglaubt. Später fand ich das Bild immer lächerlicher. Als ich es im letzten Jahr sah, wollte ich erst daran vorbeigehen, habe es mir dann doch aber noch einmal genauer betrachtet. Es ist mir nie klar geworden, was der Mann (in der für das Klima unpassenden Kleidung) da an einem Mittelmeerstrand verloren hat - ist das der Beginn des mediterranen Tourismus? Oder ist es eine Karikatur auf die deutsche Kolonialpolitik? 1882 ist nicht nur das Jahr, in dem England Ägypten besetzt, es ist auch das Jahr der Gründung des Deutschen Kolonialvereins.

Lachen Sie jetzt nicht. Das hier ist aus keinem Fantasy Magazin. Das stammt aus derselben Zeit, aus der unseren beiden ersten Bilder sind. Der Künstler heißt Wiktor Michailowitsch Wasnezow, und wenn mir die Heidi nicht mal vor Jahrzehnten einen Bildband über diesen Maler geschenkt hätte, wüsste ich überhaupt nichts über diesen interessanten Russen. Ich brauche dieses Bild aber hier, weil ich einen gewissen Gegensatz zu den nachfolgenden hochfliegenden Gedanken haben muss. Denn der feinsinnigste Interpret des malerisch grobschlächtigen Werkes von Böcklin ist - obgleich er irrigerweise annahm, das Bild wird heute irgendwo verstauben, falls es sich überhaupt erhalten hat - ein gewisser Ernst Jünger: Jeder Genuß lebt durch den Geist. Und jedes Abenteuer durch die Nähe des Todes, den es umkreist. Ich entsinne mich eines Bildes, das ich gesehen habe, als ich kaum lesen gelernt hatte, und das „Der Abenteurer“ hieß: ein Seefahrer, ein einsamer Konquistador, der den Fuß auf den Strand einer unbekannten Insel setzt. Vor ihm ein Furcht erweckendes Gebirge, sein Schiff im Hintergrund. Er ist allein …Von jenem „Abenteurer“ haben sich mir nur Einzelheiten schärfer in der Erinnerung erhalten: der Strand war mit Knochen besät, mit Schädeln und Gebeinen der beim gleichen Wagnis Gescheiterten. Das begriff ich und zog auch den Schluß, den der Maler beabsichtigt hatte: daß da hinaufzusteigen zwar verlockend, doch gefährlich sei. Das sind die Knochen der Vorgänger, der Väter und endlich auch die eigenen. Der Strand der Zeit ist von ihnen bedeckt. Wenn ihre Wellen uns an ihn herantrugen, wenn wir landen, schreiten wir über sie hinweg. Das Abenteuer ist das Konzentrat des Lebens: wir atmen schneller, der Tod rückt näher heran. Ich lasse das mal so stehen, ich habe mir schon genug Feinde gemacht, als ich im September 2010 über ➱Ernst Jünger schrieb.

Das Pferd des Konquistadors scheint klüger als er zu sein, es liest die Zeichen der Zeit im Sand. Dem Pferd von Dr Brydon hängt schon die Zuge aus dem Maul, es soll tot umgefallen sein, als es die englische Garnison erreichte. Auch das Pferd des kühnen Abenteurers scheint schon dem Tode nahe zu sein. Den Pferden von Lady Butler und Arnold Böcklin fehlt jede Dynamik, für die in dieser Zeit ins Kraut schießenden Reiterstandbilder taugen sie nicht als Vorbild. So wie auf diesem Bild von Jacques-Louis David sollten Pferde aussehen. Mit der Wirklichkeit hat das Bild allerdings überhaupt nichts zu tun. So ist Napoleon nicht über die Alpen gekommen. Auf einem Maulesel ritt er mit dem Tross über den Pass vom Großen St Bernhard, da hat er wahrscheinlich genau so ausgesehen, wie der Dr Brydon auf dem Bild von Lady Butler.

Ritter zu Pferd zu zeigen, wird im 19. Jahrhundert ein Lieblingsthema der englischen Malerei. Ich habe darüber schon etwas in dem Post ➱Ritter geschrieben (ich habe auch gerade gesehen, dass in diesem Blog furchtbar viel Ritter vorkommen, klicken Sie doch mal ➱hier). Als Motiv der Malerei ist das Reiterbild nicht totzukriegen, wie Hubert Lanzinger 1937 mit diesem Bannerträger bewiesen hat. Du sublime au ridicule il n’y a qu’un pas! wie Napoleon so treffend gesagt hat.

Das Zitat von der Gestalt des 'Abenteurers', die am einsamen Strande wie ein Reiterstandbild in die blaue Luft ragt und vom kühnsten Wagemut erzählt, steht bei Heinrich Alfred Schmid, der der Nachfolger Wölfflins in Basel (aber weiß Gott kein Wölfflin) war. Sein Böcklin ➱Buch, das zuerst 1919 erschienen war und 1922 eine zweite Auflage erlebt hatte (1902 hatte Schmid schon ein Werksverzeichnis von Böcklins Gemälden herausgegeben), wird im Blog ➱MartininBroda genüsslich zitiert, das sollten Sie lesen.

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