Sonntag, 15. November 2015

Hans Matthison-Hansen


Hans Hansen wurde in Middelfart auf Fünen geboren, er zog später nach Flensburg, wo er sich im Süderhohlweg niederließ. Es gibt da in Flensburg viele Hohlwege, die dänisch Hulvejene heißen. Als Hans Hansen nach Flensburg kommt, ist das noch dänisch. Hans Hansen fährt zur See, da ist Flensburg als Wohnsitz sehr praktisch, denn Hafen und Handel blühen um 1800.

Man profitiert in den napoleonischen Kriegen davon, dass Dänemark (noch) neutral ist. Dänische Schiffe werden vor den Westindischen Inseln und im Mittelmeer gesichtet. Die Neutralität des Landes im Siebenjährigen Krieg und im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg zahlt sich jetzt für Dänemark aus. Die dänische Flotte (inklusive der Kriegsflotte) zählt um 1800 zu der größten Europas. In England ärgert man sich darüber, in welchem Maße Dänemark von den Kriegen in Europa profitiert. Normalerweise profitieren ja die Engländer. Die Seeschlacht von Kopenhagen stellt 1801 die Machtverhältnisse zur See klar. 1807 wiederholen die Engländer die Sache mit Kopenhagen und vernichten die dänische Kriegsflotte (Bild), Britannia rule the waves! Weshalb man in Kopenhagen das Hotel D’Angleterre nie umbenannt hat, weiß ich nicht.

Heute kennt man Flensburg wegen des Kraftfahrt Bundesamtes, wegen Beate Uhse und vielleicht noch wegen des Handballvereins SG Flensburg-Handewitt. Vor zweihundert Jahren kannte man Flensburg wegen des ➱Rums. Dass das Aufblühen Flensburgs etwas mit dem transatlantischen Dreieckshandel, dänischen Kolonien, ➱Sklaven und dem Grafen ➱Schimmelmann zu tun hat, das lassen wir jetzt mal lieber weg. Aber aus der Zeit der dänischen Kolonien stelle ich noch ein hübsches Bild des Høgensborg Anwesen auf St. Croix hier hin.

Der Oberbürgermeister von Flensburg kennt erstaunlicherweise den Mann, der heute diesem Post den Titel gibt. Auf die Frage Welche Persönlichkeit Ihrer Stadt schätzen Sie am meisten? antwortete er: Neben bekannten Größen der Flensburger Geschichte wie der dänischen Königin Margarethe I., dem Erfinder Hugo Eckener oder der Erotik-Unternehmerin Beate Uhse möchte ich (als Musiker) auf den Komponisten Hans Matthison-Hansen hinweisen (1807–1890), von dem ich ganz wunderbare Duette aufgeführt habe. Man muss dazu sagen, dass er wohl nicht der typische deutsche Oberbürgermeister ist, Simon Faber hat in Aarhus Musikwissenschaft studiert. Ich glaube, er wird 2016 nicht wiedergewählt.

1807 wird dem Steuermann Hans Hansen ein Sohn geboren, der in der Kirche der vierzig Seelen Gemeinde Adelby auf den Namen Hans Matthiesen Hansen getauft wird. Der Junge wird seinen Vater in der Jugend kaum sehen, der ist immer auf See. Aber das musikalische Talent des Sohnes und seine Begabung zum Zeichnen und Malen, die er von seiner Mutter Hedvig (einer geborenen Petersen) geerbt hat, bleiben dem Vater nicht verborgen. Nach der Konfirmation von Hans Matthiesen Hansen im Jahre 1823 fährt der Vater mit ihm nach Kopenhagen. Hans Hansen ist inzwischen Kapitän, später wird er noch eine kleine Reederei besitzen. Zwar waren die Kriegsjahre von 1807 bis zum ➱Kieler Frieden 1814 schwer für die Flensburger Schiffahrt, aber danach ging es schnell aufwärts. 1815 liefen schon wieder zwölf Flensburger Großsegler zu den Westindischen Inseln aus.

Kapitän Hansen hat in Kopenhagen einen Jugendfreund, von dem er annimmt, dass der das Talent des Filius richtig einschätzen kann. Denn der ist Maler. Nicht nur irgendein Maler, Christoffer Wilhelm Eckersberg ist Professor an der Kopenhagener Akademie. Wenig später wird er deren Direktor sein. Eckersberg kennt auch Flensburg ganz gut, weil er da bei dem Maler Johann Jacob Jessen in der Lehre war, bevor er als Student an der Kopenhagener Akademie zugelassen wurde. Dort lernt er einen anderen Kunststudenten nicht mehr kennen, der Kopenhagen wenige Jahre zuvor verlassen hat: ➱Caspar David Friedrich. Diesen schönen Blick von der Insel Trekroner auf Kopenhagen hat natürlich Eckersberg gemalt; die Klippen von Möns Klint, die sich in dem Post ➱Kreidefelsen finden, sind auch von ihm.

Eckersberg behält den jungen Hansen gleich da, nimmt ihn als som søn af huset auf. Nicht so sehr wegen seines zeichnerischen Talents, sondern weil er eine Art von musikalischem Wunderkind ist. Und das nicht nur auf einem Instrument. Bei Eckersberg gehen die Größen der Musikwelt dieses danske guldalder der dänischen Kultur ein und aus: C.E.F Weyse (Bild), Friedrich Kuhlau (den jeder Klavierschüler einer älteren Generation kennt) und der Konzertmeister des Königlichen Orchesters Claus Schall (bei dem der junge Hansen auch Mitglied des Orchesters wird). Für die Musikveranstaltungen im Hause Eckersberg hat Hansen seine ersten Trios und Quartette komponiert.

Über das Kunststudium des jungen Hansen - so ungefähr wie auf diesem Bild von ➱Knud Baade sah es am Anfang des 19. Jahrhunderts in der Kopenhagener Akademie aus - wissen wir nicht so viel, wir wissen mehr über die Karriere des Musikers Hans Matthisson Hansen, der 1859 dank königlicher Bewilligung seinen Nachnamen in Matthison-Hansen ändert (es gibt einfach zuviel Hansens in Dänemark).

Dass wir so wenig über den Maler Hansen wissen, hat einen simplen Grund: der Kapitänssohn aus Flensburg (der in manchen Quellen auch Flensborg Hansen genannt wird) wird Dänemarks berühmtester Organist werden. Weil er irgendwann, wahrscheinlich auf den Rat von C.E.F Weyse hin, die Staffelei an den Nagel hängt. Es ist keine leichte Entscheidung gewesen. Aber er hat gerade geheiratet, und seine Frau Petrea Christiane ist schwanger. Vielleicht hat er in diesem Augenblick eingesehen, dass seine Talente in der Musik größer sind als die in der Malkunst. Von dem, was von ihm erhalten ist, wissen wir, dass er an einen Maler wie Christen Købke nicht heranreicht.

Als der Domorganist von Roskilde Jens Struck stirbt, bewirbt sich Hansen auf den Posten, obgleich er eigentlich an der Orgel ein Autodidakt ist. Doch der Mann aus dem Süderhohlweg, der als Cellist begann, ist ein Naturtalent. Und er erhält Unterricht. Zum einen von seinem Förderer Weyse (als Erinnerung an ihn wird Matthison-Hansen einen seiner Söhne Weyse nennen), zum anderen von Johan Frederik Rauch, dem Organisten der Holmens Kirke (dessen Nachfolger eines Tages Niels Wilhelm Gade sein wird). Hansens Konkurrent für den Posten heißt Johann Ernst Hartmann, von dem der Wikipedia Artikel behauptet, dass er die Melodie zu der dänischen Nationalhymne Kong Christian stod ved højen mast geschrieben habe. Aber das ist leider mal wieder falsch, wie so vieles bei Wikipedia.

Der Ruhm des 25-jährigen Hansen ist schon so groß (und die Empfehlungen von Weyse und Kuhlau haben auch Gewicht), dass der Bischof Peter Erasmus Müller ihn am 31. Januar 1832 zum Organisten der Kathedrale von Roskilde ernennt. Auf der Ernennungsurkunde findet sich die Berufsbezeichnung artist, ein Wort, das man damals für die Studenten der Kunstakademie verwendete. Den Posten des Organisten wird Hansen achtundfünfzig Jahre lang innehaben. Das Bild oben zeigt die Hausorgel von Hansen, die der Orgelbaumeister Peter Ulrik Frederik Demant aus Odense gebaut hat. Bei Odense fällt mir ein, dass ich einmal den Organisten von Odense kennengelernt habe, die schöne kleine Geschichte habe ich schon in die Posts ➱Niels Bohr und ➱Des Königs Jaguar hineingeschrieben.

Hans Matthison Hansen wird in der Position des Organisten der Hauptkirche Dänemarks schnell berühmt werden, Edvard Grieg wird bei ihm Unterricht nehmen und bei ihm sein Examen als Organist ablegen. Sogar aus Kopenhagen reist man an, um seine Orgelkonzerte zu hören. Als der Sarg Frederiks VI 1839 in den Dom von Roskilde (wo alle dänischen Könige begraben sind) getragen wird, spielt Hansen eine neue Komposition. Eine Variation zu dem bekannten Lied Dronning Dagmar ligger udi Ribe syg (➱hier von Birgitte Grimstad gesungen). Es wird sein Paradestück, er arbeitet es zu der Fantasia No. 1 aus. Auf dem Höhepunkt seines Ruhms (1857 wird er Ritter des Dannebrog Ordens und 1869 Professor) wird Hansen Konzertreisen nach Deutschland, Norwegen und Schweden (1861-1862) unternehmen. Dann folgt, sozusagen als Krönung, 1864 eine Konzertreise nach London (hier seine ➱Briefe von der Reise), wo er in der Westminster Cathedral und im Chrystal Palace auftritt. Natürlich spielt er dort auch seine Dronning Dagmar Fantasie. 

Die kann man heute noch hören. Zum Beispiel auf dieser CD des Labels CDK aus dem Jahre 2013, wo Sven-Ingvart Mikkelsen die Kompositionen von Matthison-Hansen auf der Havgaard Rasmussen Orgel in Karlstrup spielt. Neben seinen eigenen Komposition hat Matthison-Hansen viel Bach gespielt und damit zu einer Bach Renaissance in Dänemark beigetragen, ähnlich wie Mendelsohn in Deutschland den beinahe vergessenen Thomaskantor wieder entdeckte. So groß seine Leistung für die Wiederentdeckung von Bach ist (von dem er - wie von Beethoven - auch Originalnotenblätter besitzt), muss man doch sagen, dass er erst durch seinen Mentor C.E.F Weyse den Weg zu Bach gefunden hat.

Wo ist der Maler Hans Matthison Hansen geblieben? Im Internet wird man seine Bilder vergeblich suchen. Er ist in jedem dänischen Kunstlexikon verzeichnet, aber die Einträge sind sehr kurz, es wird auf die Doppelbegabung hingewiesen, und betont, dass er ja eigentlich Maler gewesen sei (egentlig have været maler). Mehr nicht. Einige dänische Museen besitzen ein Bild von ihm, doch das sind in den meisten Fällen Kopien nach Eckersberg. Wie dieses schöne Portrait von Bertel Thorvaldsen, das Hansen 1827 malte.

Man findet bei einem Auktionshaus dieses Photo, er hat zum Ende des Jahrhundert zu photographieren begonnen. Er soll auch auf Reisen immer einen Skizzenblock dabei gehabt haben, aber aus den Skizzen werden nie mehr Gemälde. Das Museum von Roskilde besitzt ein kleines Selbstportrait von Hansen (und auch zwei Skizzenblöcke von ihm). Sein Porträt von Eckersberg wurde vor Jahren von einem Auktionshaus angeboten, aber wohl nicht verkauft. Eins seiner Skizzenbücher wurde bei Knuthenborg für 2.500 DKK angeboten, das ist nicht sehr viel, vor allem, wenn man bedenkt, dass es dann in einer anderen Auktion für 450 DKK verkauft wurde.

Also, dies hier ist kein Bild von Hansen, kommt aber doch aus der Familie. Der norwegische Wasserfall wurde von Knud Frederik Vilhelm Hannibal Melbye gemalt, ich musste mal eben die ganzen Vornamen auflisten, normalerweise kennt man ihn als Vilhelm Melbye. Er kommt aus einer Familie von Marinemalern, die diese wunderbaren kleinen Seestücke gemalt haben, lichtdurchflutet oder mit dramatischem Gewölk. Melbye war schon einmal in dem Post ➱Dänische Kunst (sein Bruder Anton in dem Post ➱Stop Press!), er gehört jetzt zur Familie von Hans Matthison Hansen, weil er dessen Tochter heiratet. Nanny Hedvig Christiane war eine Pianistin, sie ist nicht das einzige von seinen Kindern, das eine musikalische Karriere einschlägt.

Sein Sohn Johan Gottfred beginnt zwar zuerst ein Jurastudium, wechselt dann aber schnell zur Musik und wird zu einem berühmten Komponisten und Orgelvirtuosen. Viggo Stenersen wird Cellist und Waage Weyse wird Komponist und Organist (er wird nach dem Tod seines Vaters dessen Stelle in Roskilde einnehmen). Auf der CD Organ Works (Danacord) kann man Orgelwerke der Familie Matthison-Hansen hören, eingespielt von dem Organisten Gunnar Svensson.

Zum Schluss habe ich aber noch eine kleine Sensation: ein echtes Bild von dem Maler Hans Matthison-Hansen. Eine romantische Landschaft, eine Sicht auf Roskilde aus einem Waldstück heraus über den Roskilde Fjord. Und das alles in einem schönen Goldrahmen. Der Himmel hat diese leichte Rosatönung, die alle Maler aus Italien mitbringen, man merkt, dass Eckersberg in Italien gewesen ist. Ich kenne das Bild sehr gut, es hängt seit fünf Jahren bei mir im Wohnzimmer. Das habe ich schon vor Jahren in dem Post ➱Bertel Thorvaldsen erwähnt. Damals hatte ich kein Photo von dem Gemälde, aber das hat sich jetzt geändert, weil der Uli es bei seinem letzten Besuch in Kiel photographiert hat.

Er schickte mir danach drei Photos als Anhang einer Mail: eins von mir am Schreibtisch (das inzwischen in den Post ➱Anfänge gewandert ist), eins von den Schuhen, die Gabi für mich gemalt hat (ist im Post ➱Friedel Anderson und in ➱Englische Herrenschuhe gelandet) und das Photo von dem Bild von Hans Matthison-Hansen. Das leider ein wenig misslungen ist, es ist ziemlich unscharf. Auf dem Ölgemälde kann man jedes filigran gemalte Blatt an den Bäumen erkennen, hier nicht mehr. Das hat der Uli natürlich gemerkt, denn er weiß alles über Bäume. Er hat über die Wirkung des sauren Regens auf den deutschen Wald promoviert. Und so fügte er den Photos noch ein kleines Gedicht hinzu:

Lieber Jay,

das bist du,
und ein Paar Schuh,
Dänenbild gibt's
noch dazu.

Ein Unterschied liegt in der Schärfe,
hab mich gefragt, ob ich's verwerfe,
doch lass ich dich das lieber tun,
und kann so selbst in Frieden ruhn.


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