Freitag, 17. Juli 2020

Nordic Noir


Ich wusste nicht, was da über den Bildschirm flimmerte. Lohnte sich das Hingucken? Ich schaltete den Teletext ein, da ich nicht wusste, unter welchem Berg von Zeitungen sich die Programmzeitschrift verbarg. Offenbar hatte in diesem Film, den die Degeto in Norwegen gekauft hatte, ein Kommissar namens Wisting seinen zweiten Fall zu lösen. Der Teletext blieb nicht auf der Ebene der sachlichen Beschreibung: Mit einer grandiosen Kameraarbeit, der präzise inszenierten Ermittlergeschichte und einem dramatischen Showdown bietet der zweite Teil der Doppelfolge 'Jagdhunde' alles, was die Erfolgsmarke 'Nordic Noir' auszeichnet. Meisterhaft beherrschen die Serienmacher die hohe Kunst des Thrillergenres, beim Zuschauen ein Gänsehautgefühl zu erzeugen. So etwas nimmt dem Zuschauer das Denken ab, er weiß jetzt, dass das alles grandios, präzise und dramatisch ist. Dass die Serienmacher eine hohe Kunst meisterhaft beherrschen. Und dann gibt es da noch ein Gütesiegel drauf, das Nordic Noir heißt.

Ich fand das Ganze mit seinen holzschnittartigen Figuren stinkelangweilig. Ich bin da offensichtlich nicht ganz alleine: Eine gewisse kalt-düster-befremdliche nordische Atmosphäre mag 'Kommissar Wisting' dabei durchaus auszustrahlen vermögen – doch die allzu konstruierten Plots und die in Setzkastenlogik entworfenen Charaktere verhindern leider konsequent eine zweite Ebene, die etwas Ernsthaftes zu den verhandelten Themen – Vereinsamung und Überforderung – hätte beitragen können. Dass ich gewisse Vorbehalte gegenüber dem, was neuerdings als Nordic Noir verkauft wird, habe, das können sie schon dem Post Henning Mankell entnehmen.

Ich kenne Mankells Übersetzer Wolfgang Butt, der mit seiner Arbeit nicht immer glücklich gewesen ist. Als ich mich vor Jahren mit ihm über Mankell unterhielt, sagte er, dass er gerade Per Olov Enquists Der Besuch des Leibarztes übersetzte. Das sei eine schöne Aufgabe. Dadurch, dass er an Mankell gut verdiene, könne er eine Vielzahl von schwedischen Autoren, die sonst keine Chance auf eine Übersetzung gehabt hätten, sozusagen zum Discountpreis übersetzen. So gesehen fördert Henning Mankell auf Umwegen auch die schwedische Literatur. Der Besuch des Leibarztes (hier ein Photo aus dem Film von 2012) ist übrigens ein sehr schönes Buch. Besser als ein Mankell. Im eigenen Kleinverlag brachte der Kieler Kulturpreisträger Wolfgang Butt zwischen 1987 und 1994 Literatur aus Skandinavien heraus. Meistens Krimis, die er mir freundlicherweise immer vorbeischickte. Das war meine zweite Begegnung mit dem skandinavischen Krimi.

Die erste Begegnung hieß Sjöwall/Wahlöö, und ohne Per Wahlöö Sjöwall und Maj Sjöwall (die hier die Posts Sjöwall Wahlöö und Maj Sjöwall haben) gäbe es keinen Schwedenkrimi und kein Nordic Noir, keine Kommissarin Sarah Lund (40 Folgen), keine Kommissarin Maria Wern (18 Folgen, wo Marika Lagercrantz in einer Folge auch mitspielen darf), keinen Kommissar William Wisting (10 Folgen). Und keinen Kurt Wallander. Aber alles ist immer sehr dunkel. Sehr lang. Und sehr realistisch.

Die Romanautorin Dorothy Sayers hat einen Realismus in ihren Romanen nie gewollt: For, however realistic the background, the novelist's only native county is Cloud-Cuckooland, where they do but jest, poison in jest: no offence to the world. In ihrem Buch The Long Week-End haben Robert Graves und Alan Hodge (der Ghostwriter von Winston Churchill) den wunderbaren Satz Detective novels, however, were no more intended to be judged by realistic standards than one would judge Watteau's shepherds and shepherdesses in terms of contemporary sheep-farming mit leichter Hand dahingeworfen.

Das kleine englische Dorf (Mayhem Parva, wie es Colin Watson genannt hat), in dem wir uns immer so zuhause fühlten und wo Miss Marple, Lord Peter Wimsey oder Tom Barnaby ermitteln, ist romanmäßig unwiederbringlich dahin. Früher war das Verbrechen im englischen Landhaus, jetzt ist es auf der ganzen Welt. Und ganz besonders in Schweden. Das bedeutet aber nicht, dass man die schönen englischen Detektivromane aus dem golden age of detective fiction nicht mehr lesen darf. Ich habe noch keinen neueren Roman aus Skandinavien gelesen, der ansatzweise an das intellektuelle Vergnügen der Lektüre eines Romans von Michael Innes heranreichte.

Sjöwall und Wahlöö haben den dirty realism nach Skandinavien gebracht. Aber wo sie noch eine Botschaft hatten, haben ihre Nachfolger nur noch den dirty realism, mit der Betonung auf dirty. Unrasierte Kriminalkommissare, zerrissen in Kierkegaardschen Selbstzweifeln mit der Aquavitflasche in der Hand, in der Tristesse des Alltags eines postsozialistischen Wohlfahrtsstaates, gehen mir inzwischen auf den Keks. Vor allem, weil bei den meisten skandinavischen Kriminalromanen doch immer wieder Sjöwall und Wahlöö durchscheinen. Dann kann man auch gleich Sjöwall Wahlöö lesen. Und wenn man noch mehr Alltagstristesse braucht, bleibt einem ja immer noch Emile Zola.

Dem Rezensenten des österreichischen Kurier war das mit der Kommissarin Lund alles zu viel des Guten, er schrieb: Grau ist die Farbe der Sarah Lund. Grau beginnt die erste Folge der neuen dritten Staffel der Kultserie, die ab heute im ZDF läuft: Aus den Schatten löst sich ein halb nackter, auf einem Schiff gefangen gehaltener Mann. Grau wie grausam. Der Mann flieht in Panik und stürzt sich ins Wasser. Schnitt und Auftritt Sarah Lund. Eine zierliche Frau im schwarz-weißen Strickpulli schlurft aus dem WC und zieht sich ungeniert den Reißverschluss zu. Dass ihr neuer Assistent daneben steht und zuschaut? Egal. So würde sich Saga Norén (gespielt von Sofia Helin) in Bron/Broen (Die Brücke: Transit in den Tod) natürlich nie gehen lassen. Die Reihe hat 38 Folgen, die natürlich ganz großartig sind: Die ebenso grandios erzählte wie gespielte Reihe gilt als Perle der skandinavischen Thriller-Schatzkammer und erlebt nun die dritte Auflage mit fünf Doppelfolgen.

Rebecka Martinsson (gespielt von Ida Engvoll) würde sich auch nicht gehen lassen. Die Serie wurde liebevoll von der FAZ begrüßt: Ein neuer Schweden-Krimi im Ersten führt die Tradition des 'Nordic Noir' fort: 'Rebecka Martinsson' handelt von einem Verbrechen, bei dem sich im einsamen Norden des Landes ein ganzer Ort verdächtig macht. Beinahe all diese Nordic Noir Serien ähneln einander, ich habe manchmal das Gefühl, die Fernsehanstalten tauschen die Drehbücher untereinander aus. Gerettet wird das Ganze mal gerade eben noch durch den ältesten Trick der Filmindustrie: schöne Frauen. Die allerdings selten nackt sind (lesen Sie dazu doch einmal den Post Nackt), dafür ist es da oben einfach zu kalt, und die Zeit des Schwedenfilms ist eh vorbei.

Wenn die hübschen Frauen nicht wären (hier Marie Bach Hansen in Das Team), wäre das Ganze unheimlich langweilig, weil letztenendes doch immer dieselbe Geschichte erzählt wird. Ob in vier oder in zwanzig Folgen. Selbst die dünnste Story, die mal eben bei den Rentnercops oder Notruf Hafenkante für das Vorabendprogramm reichen würde, wird gedehnt (das man das in Deutschland inzwischen auch kann, können Sie in dem Post Nordholm lesen) und überdehnt. Sergei Bondartschuks Krieg und Frieden dauert 432 Minuten auf der Leinwand, da wären wir bei Forbrydelsen mit Sarah Lund, das jetzt auf arte The Killing heißt, mal gerade mit der sechsten Folge der ersten Staffel fertig.

Damit wir die weiblichen Heldinnen voneinander unterscheiden können, bekommen sie Beigaben, so wie Sherlock Holmes seine Pfeife hat und einen Deerstalker trägt. Marie Bach Hansen braucht keine Beigaben, sie ist 1,80 m groß und blond, da reicht schon ein enges Unterhemd. So etwas würde Sarah Lund nicht reichen, die trägt immer einen weiten Norweger Pullover. Der modisch ein Renner wurde. Als die Gattin von Prince Charles die Dreharbeiten besuchte, bekam sie von Sofie Grabol auch so einen geschenkt. Die Kommissarin Saga Norén trägt Lederhosen und fährt einen Porsche 911S mit einer seltsamen Farbe. Das können wir uns merken.

Es ist die Stunde der Frauen, Kommissarinnen überall, in Norwegen, Schweden und Dänemark. Und bei uns im Fernsehen. An manchen Produktionen haben sich ARD und ZDF finanziell beteiligt. Für manche Schauspielerinnen kann eine Serie ein Karrierestart sein, das hier ist Moa Gammel als Elin Nordenskiöld in der Serie Maria Wern, Kripo Gotland. Aber auch etablierte Schauspielerinnen scheuen sich nicht, in einem Krimi mitzuwirken. So spielte zum Beispiel Marika Lagercrantz in Reißende Wasser (Järngänget) eine Kriminalkommissarin. Mit schicker Sonnenbrille. Aber hatte sie das nötig?

Das Böse kommt aus dem Norden: Die Welt des nordischen Krimiromans hat der Journalist Tobias Gohlis 2003 seine Untersuchung des skandinavischen Krimis betitelt. Es gibt noch andere Bücher, auch schon akademische. Zum Beispiel gibt es zu der Serie Bron/Broen das Buch Beyond The Bridge: Contemporary Danish Television Drama von dem deutschen Professor Tobias Hochscherf und der dänischen Professorin Heidi Philipsen. Keinesweg akademisch ist dieses Buch hier: Wie Sie den Schwedenkrimi des Jahrhunderts schreiben. Ist aber sehr witzig. Intelligenter als Vieles, das als Nordic Noir (oder Finnish Weird) verkauft wird.

Inzwischen sind mehr als hundert Krimiautoren aus Schweden, Dänemark und Norwegen auf dem deutschen Markt präsent (vierzig davon kommen aus Schweden). Aber zahlenmäßige Menge bedeutet nicht gleichzeitig auch Qualität. Das Dutzend skandinavischer Krimis, die ich im Laufe der Jahre geschenkt bekommen habe, hat mich nicht vom Stuhl gerissen. Vielleicht waren es die falschen Romane, obgleich mir die Schenkenden immer versicherten, dass dies das Beste aus Skandinavien sei. Ich bin da nicht so sicher. Das Krimigenre Nordic Noir führt direkt in den Abgrund der skandinavischen Psyche, schrieb die NZZ. Was sagt Hamlet zu Polonius? Words, words, words.

Gestern Abend gab es auf arte die Folgen 9-12 der ersten Staffel mit der Kommissarin Sarah Lund. Heute Nacht gibt es im Ersten Programm Henning Mankells Wallander. Das hört nie auf mit dem Nordic Noir. Der Porsche 911S von Saga Norén mit der fiesen Farbe ist bei einer Auktion für einen guten Zweck für 125.000 Pfund versteigert worden. Einen Sarah Lund Pullover bekommt man schon für 360 Euro.

Lesen Sie auch: Sjöwall Wahlöö, Maj SjöwallHenning Mankell

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