Heute vor 84 Jahren wurde Per Wahlöö geboren, das ist der Wahlöö, der mit seiner Ehefrau Maj Sjöwall unter dem Markennamen Sjöwall Wahlöö die schönen schwedischen Kriminalromane geschrieben hat. Das größte schwedische Literaturereignis seit Carl Michael Bellman und Astrid Lindgren. Die Romane kennt angeblich jeder, weil jeder diese unsäglichen Martin Beck Filme im ZDF kennt. Hat aber mit dem Original wenig zu tun. Ganz wenig. Die Qualität bleibt immer auf der Strecke, der Schrott setzt sich immer durch, scheint ein Gesetz im Kulturbetrieb zu sein. Per Wahlöö ist nicht alt geworden, aber für zehn Romane über die Polizisten um Martin Beck hat das Leben gereicht. Zehn sollten es von Anfang an sein, vom ersten Roman an war das Ganze als ein großes Werk geplant, das den Titel Roman om en forbrydelse hatte. Das steht als Untertitel in allen schwedischen Romanen, im Deutschen hat man das weggelassen. Wahlöö hat sich nach dem zweiten Roman zu diesem Konzept so geäußert: Seine Grundidee besteht darin, in einem langen Roman von ca. dreitausend Seiten, der in sehr freistehende Teile, oder wenn man will Kapitel, aufgeteilt ist, einen Längsschnitt durch eine Gesellschaft von einer bestimmten aktuellen Struktur zu legen, die Kriminalität als soziale Funktion zu analysieren und ihre Relation zu der genannten Gesellschaft als auch den moralischen Lebensformen verschiedener Art, die sie umgeben, offenzulegen.
Richard K. Flesch, der gerade bei Rowohlt 1962 eine Krimireihe ins Leben gerufen hatte (schwarze Buchumschläge, gelbe Seiten), hatte ein gutes Händchen, als er sich das schwedische Autorenehepaar gesichert hatte. Nicht ganz exklusiv, denn erstaunlicherweise erschienen die Romane auch in der DDR beim Verlag Volk und Welt. Wahrscheinlich weil der Marxismus der Autoren durchschimmerte. Sjöwall Wahlöö wurden zu einem gesamtdeutschen Leseerlebnis, das gab es nicht so häufig. Richard K. Flesch hieß in der Branche damals Leichenflesch, aber das war wahrscheinlich nur der Neid auf die qualitätsvolle rororo thriller Reihe, die Rowohlt jetzt hatte. Er verpflichtete ja auch gleich Leute wie Friedhelm Werremeier (mit den Trimmel Romanen), -ky (= Horst Bosetzky), Janwillem van de Wetering, ➱Nicolas Freeling und wie die guten Autoren der sechziger Jahre hießen. In der Reihe der rororo thriller sind bis zum Jahre 2000 (da wurden die Kriminalromane in die Belletristik integriert) 1.353 Titel erschienen, mit einer Gesamtauflage aller Titel von 30 Millionen.
In den sechziger Jahren waren die Auflagen noch nicht so hoch, sie lagen im Schnitt bei 20.000 Exemplaren pro Titel. Ich weiß das, weil mir Richard K. Flesch mal dankenswerterweise diese Verlagsinterna zur Verfügung gestellt hat. Flesch war im Umgang etwas gewöhnungsbedürftig, um es zurückhaltend zu sagen, aber ich zitiere mal den deutschen Krimiautor Jürgen Alberts, der ihn besser kennt: Ein gestrenger Oberlehrer seiner Autoren, die ihm beim Vernichten von Whiskyflaschen helfen mussten. Er haute ihnen jede schwache Formulierung um die Ohren und markierte jedes fehlende Satzzeichen mit Rotstifthaken. (Es gibt übrigens die Legende, dass das lange gehütete Pseudonym von - ky nichts anderes als die letzten beiden Buchstaben des Lektoren Lieblingsgesöffs seien. Aber das ist eine Legende, die nur allzu gerne erzählt wird.) Das Motto auf der zweiten Seite der schwarzen Rowohltromane hatte Richard K. Flesch von William Shakespeare entlehnt: A Faint Cold Fear Thrills Through My Veins. Ja, das trifft es doch.
Die Romane von Sjöwall und Wahlöö sind aus dem Geist der Sixties entstanden, sie sind an diese Zeit gebunden, und es nützt überhaupt nichts, wenn man sie in den Fernsehfilmchen heute zeitgerecht aufrüscht. Mit den Romanen hat das alles nur noch den Namen der Personen gemein, sonst nix. Und Sätze wie Warum können sie nicht ebensogut ganz Stockholm auf einmal in die Luft jagen, anstatt Stück für Stück? Die sollten sich mal an Ronald Reagan, oder wie der nun heißt, halten, der für Vietnam den Vorschlag gemacht hat, alles zu asphaltieren, gelbe Streifen an den Rand zu malen und aus dem ganzen Scheißdreck einen großen Parkplatz zu machen. So was kann kaum schlimmer aussehen, als wenn unsere Stadtplaner sich an die Arbeit machen (Endstation für Neun 1971) die werden sich nicht beim ZDF finden. Aber das waren die Sätze, weshalb man damals Sjöwall und Wahlöö liebte, gesellschaftskritisch und böse.
Nicht, dass sie den Krimi neu erfunden hatten. Als Basis hielten sie sich erst einmal an Ed McBain, der mit seinen Romanen vom 87. Polizeirevier in New York ja schon ein Klassiker der police novel war. Die Polizisten als kleine Gruppe, beinahe familiär, im Kampf gegen das Verbrechen der City. Die Formel funktionierte ja hinterher noch in Serien wie zum Beispiel NYPD Blue. Das mit dem Einfluss von Ed McBain hat Wahlöö nie bestritten. Wäre auch ein wenig albern gewesen, schließlich kannte er sich da besser aus als jeder andere, denn er hatte Ed McBain ins Schwedische übersetzt. Aber auch bei Georges Simenon hat das Autorenpaar sicherlich Anleihen aufgenommen, man kommt an einer Figur wie Maigret nicht vorbei. Seit dem Beginn der Detektivliteratur, seit Arthur Conan Doyle Edgar Allan Poe beklaut hat, gucken sich Krimiautoren schon genau an, was ihre Kollegen so schreiben. Und klauen es im Zweifelsfall. Ist irgendwie kriminell, aber im Kriminellen sind sie ja zuhause. Ich glaube auch, dass Sjöwall und Wahlöö sich noch ein wenig bei dem Amerikaner Chester Himes bedient haben, denn ihr Werk enthält wie das von Himes eine Vielzahl von grotesken Elementen. Und es wird von Roman zu Roman, ähnlich wie bei Chester Himes, immer radikaler.
Die Tragik von vielen Krimiautoren ist, dass es in vielen Fällen kaum gewürdigt wird, welch gute Romanautoren sie sind. Kaum sind sie erfolgreich, werden ihre Romane und ihre Romanfiguren vom Moloch Film und Fernsehen gefressen. An Martin Beck haben sich sechs Schauspieler versucht, an Maigret noch mehr. Aber wir wissen natürlich, dass Maigret wie Jean Gabin aussieht. Bestenfalls noch wie Rupert Davies. Aber auf keinen Fall wie Heinz Rühmann! Sind die Romane erfolgreich, wird visuell vermarktet, auf Teufel komm raus. Die Fernsehfigur erschlägt die Romanfigur. Und da geht man bei den Verfilmungen auch nicht zimperlich zur Sache, eher wie in dem schönen alten englischen Zweizeiler von Hillaire Belloc I shoot the hippopotamus with bullets made of platinum /Because if I use leaden ones his hide is sure to flatten 'em.
Einer meiner Lieblinge in der Romanwelt von Sjöwall und Wahlöö ist Gunvald Larsson, ich habe manchmal das Gefühl, dass er auch ein Liebling der Autoren gewesen ist, in manchen der Romane wird er zu einer Art Sprachrohrfigur. Gunvald Larsson kommt aus der besseren Gesellschaft, aber er verachtet sie. Er trägt als einziger elegante Klamotten, und er löst Fälle völlig unbürokratisch, im Zweifelsfall mit Gewalt. Da ist er dem Continental Op von Hammetts ersten Romanen sehr ähnlich. Und wen präsentiert das Fernsehen als ersten Gunvald Larsson? Rolf Lasgard. Schlimmere Fehlbesetzungen sind ja nicht möglich. Er wird später noch als Kommissar Wallander berühmt. Zu Henning Mankell (der Sjöwall Wahlöö alles verdankt) kann ich mich nicht äussern, weil ich ihn nie gelesen habe (er hat inzwischen ➱hier einen Post). Als der erste Wallander Roman erschien, habe ich den deutschen Übersetzer gefragt, ob ich das lese müsse, und er hat mir gesagt, dass ich das nicht zu lesen brauchte. Falls Wolfgang Butt das jetzt zufällig lesen sollte: ich habe ich mich dran gehalten. Sjöwall und Wahlöö haben einfach Pech, dass gute Romane schlecht verfilmt werden. Denn normalerweise werden richtig gute Krimis überhaupt nicht verfilmt. Haben Sie schon einmal eine Verfilmung eines Romans von ➱Michael Innes oder ➱Edmund Crispin gesehen?
Friedhelm Werremeier hatte Glück, weil der Schauspieler Walter Richter genau in die Rolle des Hamburger Kommissars Trimmel hineinpasst. Taxi nach Leipzig wird der erste Tatort werden, und von da an ist Werremeier für den Tatort gebucht (und hat mittlerweile ➱hier auch einen Post). Und Taxi nach Leipzig kann man sich nach vierzig Jahren immer noch angucken, nicht nur wegen der schnuckeligen Renate Schroeter.
Aber die Romane von Per Wahlöö und Maj Sjöwall, die sollte man lesen, nicht sehen. Dafür braucht man kein Schwedisch zu können. Früher war die Sprache eines guten Krimis ja grundsätzlich Englisch, was Gottfried Benn zu dem kleinen Gedicht Was schlimm ist bewegte:
Was schlimm ist
Wenn man kein Englisch kann,
von einem guten, englischen Kriminalroman zu hören,
der nicht ins Deutsche übersetzt ist.
Bei Hitze ein Bier sehn,
das man nicht bezahlen kann.
Einen neuen Gedanken haben,
den man nicht in einen Hölderlinvers einwickeln kann,
wie es die Professoren tun.
Nachts auf Reisen Wellen schlagen hören
und sich sagen, daß sie das immer tun.
Sehr schlimm: eingeladen sein,
wenn zu Hause die Räume stiller
der Café besser
und keine Unterhaltung nötig ist.
Am schlimmsten:
nicht im Sommer sterben,
wenn alles hell ist
und die Erde für Spaten leicht.
Sjöwall und Wahlöö sind auch die Wegbereiter für einen skandinavischen Kriminalroman gewesen, inzwischen sind mehr als hundert Krimiautoren aus Schweden, Dänemark und Norwegen auf dem deutschen Markt präsent. Das Böse kommt aus dem Norden, wie Tobias Gohlis seine Untersuchung des skandinavischen Krimis betitelte. Aber zahlenmäßige Menge bedeutet nicht gleichzeitig auch Qualität. Das Dutzend skandinavischer Krimis, die ich im Laufe der Jahre geschenkt bekommen habe, hat mich nicht vom Stuhl gerissen. Vielleicht waren es die falschen Romane, obgleich mir die Schenkenden immer versicherten, dass dies das Beste aus Skandinavien sei.
Das kleine englische Dorf (Mayhem Parva, wie es Colin Watson genannt hat), in dem wir uns immer so zuhause fühlten und wo Miss Marple oder Lord Peter ermittelten, ist romanmäßig unwiederbringlich dahin. Früher war das Verbrechen im englischen Landhaus, jetzt ist es auf der ganzen Welt. Und ganz besonders in Schweden. Das bedeutet aber nicht, dass man die schönen englischen Detektivromane aus dem golden age of detective fiction nicht mehr lesen darf. Ich habe noch keinen neueren Roman aus Skandinavien gelesen, der ansatzweise an das intellektuelle Vergnügen der Lektüre eines Romans von ➱Michael Innes heranreichte. ➱Dorothy Sayers hat einen Realismus nie gewollt: For, however realistic the background, the novelist's only native county is Cloud-Cuckooland, where they do but jest, poison in jest: no offence to the world. Sjöwall und Wahlöö haben den dirty realism nach Skandinavien gebracht. Aber wo sie noch eine Botschaft hatten, haben ihre Nachfolger nur noch den dirty realism, mit der Betonung auf dirty. Unrasierte Kriminalkommissare, zerrissen in Kierkegaardschen Selbstzweifeln mit der Aquavitflasche in der Hand, in der Tristesse des Alltags eines postsozialistischen Wohlfahrtsstaates, gehen mir inzwischen auf den Keks. Vor allem, weil bei den meisten skandinavischen Kriminalromanen doch immer wieder Sjöwall Wahlöö durchscheinen. Dann kann man auch gleich Sjöwall Wahlöö lesen. Und wenn man noch mehr Alltagstristesse braucht, bleibt einem ja immer noch Emile Zola.
Lesen Sie auch: ➱Maj Sjöwall
Das kleine englische Dorf (Mayhem Parva, wie es Colin Watson genannt hat), in dem wir uns immer so zuhause fühlten und wo Miss Marple oder Lord Peter ermittelten, ist romanmäßig unwiederbringlich dahin. Früher war das Verbrechen im englischen Landhaus, jetzt ist es auf der ganzen Welt. Und ganz besonders in Schweden. Das bedeutet aber nicht, dass man die schönen englischen Detektivromane aus dem golden age of detective fiction nicht mehr lesen darf. Ich habe noch keinen neueren Roman aus Skandinavien gelesen, der ansatzweise an das intellektuelle Vergnügen der Lektüre eines Romans von ➱Michael Innes heranreichte. ➱Dorothy Sayers hat einen Realismus nie gewollt: For, however realistic the background, the novelist's only native county is Cloud-Cuckooland, where they do but jest, poison in jest: no offence to the world. Sjöwall und Wahlöö haben den dirty realism nach Skandinavien gebracht. Aber wo sie noch eine Botschaft hatten, haben ihre Nachfolger nur noch den dirty realism, mit der Betonung auf dirty. Unrasierte Kriminalkommissare, zerrissen in Kierkegaardschen Selbstzweifeln mit der Aquavitflasche in der Hand, in der Tristesse des Alltags eines postsozialistischen Wohlfahrtsstaates, gehen mir inzwischen auf den Keks. Vor allem, weil bei den meisten skandinavischen Kriminalromanen doch immer wieder Sjöwall Wahlöö durchscheinen. Dann kann man auch gleich Sjöwall Wahlöö lesen. Und wenn man noch mehr Alltagstristesse braucht, bleibt einem ja immer noch Emile Zola.
Lesen Sie auch: ➱Maj Sjöwall
A propos gute Literaturverfilmungen... Mal abgesehen vom "Tod in Venedig" kann ich mich ganz vage an einen Film erinnern mit Van der Valk, in dem der überragende Hans Christian einen alten Nazi spielte. Ich hab ihn seit über 30 jahren nicht mehr gesehen, kann mich aber an die Qualität noch erinnern...
AntwortenLöschenAusnahmen halt.
So wie die Verfilmungen von Chandler und Hammett ja auch oft Kunstwerke sind. Auf ihre Art. Einen Roman richtig verfilmen kann man sowieso nicht, weil eben die Sprache fehlt. Und selbst wenn man einen Erzähler aus dem Off hinzuzieht, reicht es oft nicht. Manchmal schon.
Ich war auch von der zauberberg-Verfilmung angetan, von der langen Fassung, die ich auch schon seit Jahren suche - keiner hat sie auf DVD...
Hans Christian Blech ist in dem Film "Van der Valk und die Toten", wo Frank Finlay den Van der Valk spielt (es gab ja auch eine englische TV Serie mit Barry Foster, die aber mit Freelings Helden nur den Namen gemeinsam hatte). Das Drehbuch zu diesem Film war von Robert Muller, der mit Wolfgang Menge das Drehbuch zu Zadeks "Ich bin ein Elephant Madam" geschrieben hatte.
AntwortenLöschenAber auf DVD haben Sie das auch nicht, gell?
AntwortenLöschenDer schwedische Untertitel der Martin-Beck-Reihe heißt auf schwedisch "Roman om ett brott". "Forbrydelsen" ist dänisch und der Originaltitel der TV-Serie "Kommissarin Lund".
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