Die Pressekonferenz in Berlin nach der Premiere des Filmes Die Rote, der hier am letzten Samstag erwähnt wurde, war noch nicht zuende, da gab es schon einen Eklat. Andersch und Käutner beschimpften sich, Ruth Leuwerik fing an zu weinen. Alfred Andersch warf dem Regisseur Helmut Käutner vor, sich bei der Verfilmung von ✺Die Rote nicht im geringsten an das Drehbuch gehalten zu haben, das er angefertigt hatte. Dem Schriftsteller wurde von Regisseur und Produzent entgegnet, man habe sein Drehbuch nicht benutzen können, weil es als Drehbuch völlig unbrauchbar gewesen sei, die Vorarbeit des Autors sei allerdings in das endgültige Drehbuch voll eingeflossen.
Dass das Drehbuch von Andersch die einfachsten technischen Dinge nicht berücksichtigt hätte, ist ein wenig absurd. Andersch wusste, wie man so etwas macht, er hatte zehn Jahre für den Rundfunk gearbeitet und schon sechs Hörspiele geschrieben. Autoren, die Hörspiele schreiben, können auch Drehbücher schreiben. Andersch vertraute Käutner, obwohl dessen letzte Filme (Schwarzer Kies und Der Traum von Lieschen Müller) mit dem Preis der Jungen Filmkritik in der Kategorie Preis für die schlechteste Leistung eines bekannten Regisseurs ausgezeichnet worden waren. Andersch musste sich auf der Pressekonferenz vorhalten lassen, er habe den abgedrehten Film gutgeheißen. Das hatte er getan, wobei man anmerken muss, dass Andersch nur eine Version ohne Ton gezeigt worden war. In der Süddeutschen fand sich daraufhin ein Artikel mit dem schönen Titel Des Autors Kummer mit dem Kino: Alfred Andersch über die Verfilmung seines Romans 'Die Rote' durch Helmut Käutner. Die Frage, die sich immer wieder stellt, ist: Können Schriftsteller Drehbücher schreiben?
Helmut Käutner hat zehn Jahre später eingestanden, dass niemand außer ihm für den Mißerfolg des Films verantwortlich war: Ruth Leuwerik war von vornherein verloren für diesen Stoff. Obwohl sie - ich habe den Film wiederholt gesehen zwischendurch - eine ideale Interpretin war. Wenn man sie überhaupt nicht gekannt hätte, hätte damit eine Karriere begonnen. Aber sie, die die untadelige Dame der deutschen Gesellschaft für viele Jahre gewesen ist, (…) war hier eine moderne, gebrochene Figur, eine Sekretärin, die mit zwei Männern lebte und einem dritten anheim fiel in Venedig – das war etwas, was die Leute von ihr nicht wissen wollten. Ich wollte das nicht einsehen und bockig, wie ich so oft in solchen Dingen gewesen bin, wollte ich mich nicht den anderen beugen (...) ich habe mich durchgesetzt und damit den Film leider aufs Spiel gesetzt.
Der Amerikaner Dalton Trumbo hatte mit seinem Roman Johnny Got His Gun ein Buch geschrieben, das den American Booksellers Award (den Vorläufer des National Book Award) erhielt und ihm einen Vertrag in Hollywood einbrachte. Trumbo wurde einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren Hollywoods. Vor fünf Jahren wurde sein Leben ✺verfilmt. Bevor Jean-Paul Sartre Philosoph wurde, hatte er einen Roman und Kurzgeschichten geschrieben. Können wir uns Jean-Paul Sartre als Drehbuchautor vorstellen? John Huston konnte das, er verpflichtete Sartre, dessen Theaterstück Huis clos er auf den Broadway gebracht hatte, als Drehbuchautor für seinen Film über Sigmund Freud. Sartre lieferte ein Drehbuch ab, dessen Verfilmung sieben Stunden gedauert hätte. Huston verlangte eine Kürzung. Sartre strich die Hälfte, schrieb aber viel Neues in die zweite Fassung, die dann genau so lang wurde wie die erste Version. Das beendete die Zusammenarbeit von Huston und Sartre. Freud: Das Drehbuch ist 1993 bei Rowohlt erschienen, es ist 640 Seiten lang.
Man sagt gemeinhin, dass Dramatiker besser geeigneter seien als Romanautoren, um ein Drehbuch zu schreiben. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Ben Hecht wäre das erste. Er war einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren Hollywoods (obwohl er das Schreiben von Drehbüchern geringschätzte), zwei Oscars und vier Oscarnominierungen sprechen dafür. Mein zweites Beispiel wäre der englische Dramatiker Harold Pinter. Ob das nun Filme wie ✺The Servant, Accident (aus dem dieses Bild stammt), ✺The ✺French Lieutenant's Woman oder ✺The Go-Between (zu dem es hier einen langen Post gibt) waren, die Drehbücher von Pinter standen immer für Qualität.
Eins seiner Drehbücher blieb unverfilmt, es war das Drehbuch zu Prousts A la recherche du temps perdu. Es wurde als The Proust Screenplay (das über 400 Seiten kürzer als Sartres Freud Drehbuch ist) veröffentlicht und fand den Beifall der Kritiker. So schrieb Michael Wood im Times Literary Supplement: We read 'The Proust Screenplay' with all kinds of things in our mind: Proust, Pinter's reading of Proust; the problem of abridgment, the problem of dramatization, the problem of visualization; the film which might have been made from this script; the script itself as a literary work, words on the page. In permitting and controlling the interplay of these things Pinter has created a small masterpiece of wit and understanding.
Manche Regisseure schreiben ihre Drehbücher selbst. Bertrand Tavernier hat das Drehbuch für den Film ✺Un dimanche à la campagne (nach dem Roman Monsieur Ladmiral Va Bientot Mourir) selbst geschrieben. Oder doch nicht ganz, da wird in der Titelei auch noch eine Colo Tavernier genannt. Das ist Taverniers Ehefrau (die vor wenigen Wochen gestorben ist), sie war eine professionelle Drehbuchautorin, die für viele seiner Filme die Drehbücher geschrieben hat. Das ist natürlich eine ideale Kombination.
Es gibt Fälle, aber die sind ganz selten, da braucht man überhaupt keinen Drehbuchautor. Da bekommt ein Studio ein Theaterstück von zwei Englischlehrern geschickt, das kein Theater aufführen will. Warner Bros zahlt den beiden Lehrern 20.000 Dollar (was im Jahre 1941 eine Menge Geld ist), angesichts dessen, was der Film einspielen wird, sind es allerdings peanuts. Das Theaterstück von Murray Burnett und Joan Alison hieß Everybody Comes to Rick’s, Warner Bros setzt die Brüder Epstein und Howard Koch an den Text, die polieren ein bisschen dran rum, ändern aber nichts. Das Ganze bekommt nur einen anderen Titel: ✺Casablanca.
Die Namen Burnett und Alison sieht man im Vorspann des Films nicht. Den Namen Alfred Andersch kann man auf der Leinwand sehen, unter Mitarbeit von Alfred Andersch steht da hinter dem Drehbuchautor Käutner. Ein großer Teil des Romans Die Rote besteht aus dem inneren Monolog der handelnden Personen. Das kann der Film wiedergeben, durch einen Erzähler im Off (kann man auch extradiegetische Narration nennen). Käutner macht das, er folgt seinen italienischen Kollegen, die er bewundert. Aber dann muss die Person im Bild auch zu dem Text im Off passen. Nehmen wir mal eben eine Romanstelle: Sie wußte, was diese Burschen dachten, una rossa, die Rothaarigen sind scharf, aber dies war nicht zu ändern, so waren die Männer nun einmal, und sie hatten nicht einmal unrecht, ich bin scharf, ich lasse mich leicht verführen, wenn der Mann in Ordnung ist und wenn er es richtig anstellt, und deshalb habe ich mich immer nur schwer verführen lassen, aber die Wahrheit ist, daß ich richtig scharf darauf bin, es ist so ein wunderbares Vergnügen. Und jetzt stellen wir uns Ruth Leuwerik dabei vor. Das geht einfach nicht zusammen.
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