Mittwoch, 8. Juli 2020

Elektrorasierer


Obgleich ich einen Bart trage, rasiere ich mich täglich, der Hals muss frei bleiben, alles um den Bart herum auch. Seit 1962, als der Braun Sixtant auf den Markt kam, benutze ich Rasierapparate von der Firma Braun. Die nichts mehr mit der originalen Firma von Max Braun zu tun haben, der 1950 seinen ersten Elektrorasierer präsentierte (Bild). Seit 1967 gehört Braun zu Gilette (die wiederum vor fünfzehn Jahren von Procter & Gamble gekauft wurden). Allerdings wird das heute hier keine Werbung für die Firma Braun, deren Rasierer immer teurer geworden sind. Ich nehme an, dass man sich mit einem Philips oder einem Panasonic auch gut rasieren kann. Für den Premium Elektrorasierer mit 4+1 Scherkopf muss man bei Amazon 309,98€ auf den Tisch legen, angeblich hat er mal 539,99€ gekostet. Für das Geld bekam man vor einem halben Jahrhundert schon einen Kleinwagen. Ich weiß das, weil ich mal einer Freundin einen gebrauchten R4 geschenkt habe, der mich bei einem befreundeten Händler fünfhundert Mark gekostet hat. Sie nannte ihn Paula, sie hätte ihn ja auch Jay nennen können.

Wenn man vor einem halben Jahrhundert einen Braun Rasierer kaufte, dann kaufte man das coole Braun Design, für das die Firma berühmt geworden war. Designer wie Hans Gugelot und Dieter Rams (der den berühmten Schneewittchensarg entworfen hat) waren sich nicht zu schade, auch Elektrorasierern ein klares Design zu verpassen. Dies hier ist der Sixtant SM2 von Dieter Rams, entworfen nach der Devise: Less, but better. Der Chefdesigner von Apple hat Dieter Rams, der von der Hochschule für Gestaltung Ulm kam, die Max Bill (der hier einen Post hat) einst gegründet hatte, als sein ganz großes Vorbild bezeichnet. Die zehn Regeln für gutes Design, die Dieter Rams einst aufstellte, wirken immer noch nach.

Heute sehen Braun Rasierer der Series 9, für die auch die Spieler von Bayern München werben, ganz anders aus. Haben nicht mehr den coolen Dieter Rams Look, sondern sehen eher nach einem Luigi Colani Design aus. Bei einem Blogger, der eine lange Besprechung von Braun Rasierapparaten geschrieben hat, konnte ich lesen: Resümierend ist aus Sicht des sonntagmorgendlich unrasierten Kritikers seufzend zu bedauern, daß die heutigen Designer das Vermächtnis ihrer Vorgänger - klare, funktionsorientierte Produktgestaltung - nicht mehr fortführen (können, wollen, dürfen?): Aktuelle Rasierer schauen aus wie Laserschwerter aus Science Fiction-Filmen, voll auf Emotion getrimmt. Ich habe so ein ähnliches Produkt wie dies hier, fünf Meter wasserdicht, falls ich mich mal in der Nordsee rasieren möchte, aber die Rasierleistung ist nicht überzeugend. Das Ideal glatt wie ein Kinderpopo wird hier nicht erreicht.

Wenn ich eine wirklich glatte Rasur haben möchte, greife ich zu meinem alten Braun Universal. Der hat noch das klare Braun Design, sein Schöpfer war Roland Ullmann, den Dieter Rams 1972 von der HfG Ulm zur Firma Braun geholt hatte; Ullmann war seit 1977 für das Design der Elektrorasierer zuständig. Er ist inzwischen im Ruhestand, der jetzige Chefdesigner von Braun heißt Oliver Grabes. Mein Universal war nach zehn Jahren kaputt und nach Auskunft des Braun Kundendienstes (so etwas gab es mal) war er nicht mehr zu reparieren. Da habe ich mir bei ebay einen anderen gekauft, kam mit einem Jahr Garantie. Hält aber jetzt schon vier Jahre. Dieses schnurlose Gerät hat natürlich nichts von dem, was man heute angeblich braucht. Keine Reinigungs- und Ladestation, keinen Li-Ionen-Akku für 60 Minuten Laufzeit, kein AutoSense, kein SyncroSonicTM. Hat der neue Braun Premium alles, aber ich weiß nicht, wofür man es braucht. Ich weiß auch nicht, was es ist.

Seit der Colonel Jacob Schick Ende der 1920er Jahre den ersten elektrischen Rasierapparat erfand, hat sich technisch einiges getan. In den letzten Jahrzehnten allerdings kaum noch etwas. Doch ständig bringen die Firmen neue Fabrikate auf den Markt. Oder alte Fabrikate unter neuem Namen und mit neuen Modellnummern. Wenn man ein überzeugendes Beispiel für die planned obsolescence sucht, ist man bei Elektrorasierern richtig aufgehoben. Was Vance Packard 1960 in The Waste Makers beklagte, ist längst zum Alltag geworden. Wenn die Firma Braun in ihren Werken in Walldürn und Schanghai jeden Tag mehr als 30.000 Rasierapparate baut, dann sollen die nicht ewig halten.

Rasierapparate sind immer ein beliebtes Weihnachtsgeschenk gewesen, ich weiß nicht, wieviele Brauns ich in meinem Leben hatte. Ich habe mal einen kleinen Pappkarton mit toten oder scheintoten Elektrorasierern mit zum Flohmarkt genommen, wollte sie einem Händler schenken. Ich hatte den Karton kaum auf seinen Tisch gestellt und den Händler begrüßt, als mir ein Mann neben mir einen Fuffi rüberreichte. Ist das so in Ordnung? fragte er. Damit hatte ich nun nicht gerechnet, aber ich nahm den Schein dankend an. Man kann die Dinger ja noch als Ersatzteilspender verwenden. Oder als Briefbeschwerer. Ich habe auch in einer Schubteile noch einige Geräte, und hunderterlei Ersatzteile. Allerdings fand sich da auch noch dieses Teil, ein Braun 6550 (der zur Verwirrung des Kunden auch Type 5704 heißt). Funktionierte der noch? Ich schloß ihn mit einem Kabel ans Netz an, das grüne Lämpchen flackerte auf. Das war mal vor Jahrzehnten Brauns Premiumgerät, hatte den Beinamen Flex Integral Ultra Speed, ich weiß nicht, was das bedeutet.

Er ist zwanzig Gramm schwerer als der Braun Universal, zeigt aber noch Reste des Braun Designs. Es war wieder Roland Ullmann, der ihn entworfen hat. Die kleinen Gummiknubbel brachten die Entwicklungsabteilung zur Verzweiflung, verhindern aber, dass das Gerät vom Waschbecken abrutscht. Der 6550 Rasierer kostet auch noch heute bei ebay richtiges Geld. Man warb damals mit Sätzen wie bis zu 640.000 Schnittvorgänge pro Sekunde machen den Flex Integral ® ultra speed 6550 zum schnellsten, gründlichsten und sanftesten Braun, den es je gab. Exklusive Technik und wegweisendes Design für allerhöchste Ansprüche. Er bekam 1998 bei der Stiftung Warentest die Note 5 (mangelhaft). Vielleicht mochten die die Gumminoppen nicht. Sonst kommen Elektrorasierer von Braun immer auf den ersten Platz.

Ich teste den schnellsten, gründlichsten und sanftesten Braun, den es je gab jetzt mal diese Woche. Nostalgierasur als neues Erlebnis.

Lesen Sie auch: Aftershave

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen