Heute ist der Todestag von Max Bill, vor zwei Jahren war sein 100. Geburtstag. Es gibt inzwischen sogar schon einen Film über den Schweizer Architekten und Designer. Irgendwie scheint er in der Schweiz bekannter zu sein als bei uns. Obwohl er Anfang der fünfziger Jahre die Kunsthochschule in Ulm mitbegründet (und sie auch gebaut) hatte und später Professor in Hamburg war. Die einzigen, die sich an ihn erinnern, scheinen Uhrensammler zu sein. Selbst Flohmarkthändler kennen seinen Namen und flüstern verschwörerisch Max Bill, das verteuert eine alte Junghans Armbanduhr sofort. Das Design war besser als der Rest. Die Uhrwerke hielten zwar lange, waren aber nichts Besonderes (wenn man mal von den Werken absieht, die in dem Junghans Chronometer oder der Meister waren). Und die Junghans Gehäuse sind nie wirklich gut gewesen, nie so guter Stahl wie ihn Certina verwendete. Aber ansonsten war die Max Bill Junghans eine kleine Stilikone, ähnlich wie der Schneewittchensarg von Dieter Rams. Es gibt sie heute wieder, und die Firma Junghans vermarktet sie als Designkunstwerk. Kostet nur viel mehr als früher. Wenn man Design und Max Bill dranschreibt, wird es gleich teuer.
Kostet aber nur halb so viel wie eine Nomos, die zur Zeit, wenn man der aggressiven Werbung in der Zeit und bei Manufaktum Glauben schenken darf, das einzige ist, was sich der Mann von Welt an den Arm binden darf. Ich bin da etwas skeptisch. Vom Design her ist die Nomos eine Kopie einer alten Lange Armbanduhr aus den dreißiger Jahren, nett, aber nicht wirklich originell. Sie können das Original da links sehen, verblüffende Ähnlichkeit nicht wahr? Drinnen war bei Nomos zuerst ein Peseux 7001, das man bei der Firma immer mehr hochgezüchtet hat, bis man es jetzt ein Manufakturkaliber nennt. Es hat eine Höhe von 2,5 mm, und da liegt das Problem. Wollen Sie flache Uhren oder Uhren die funktionieren? fragte der große Konstrukteur Albert Pellaton seine Chefs bei der IWC, als man ihm nahelegte, doch mal ein flacheres Werk zu konstruieren.
Mich sprach vor Jahren auf einer Party einmal ein Architekt an, dem der Gastgeber erzählt hatte, ich wüsste alles über Uhren. Er erzählte mir in epischer Breite seine Leidesgeschichte mit einer eleganten IWC. Als er damit fertig war, sagte ich nur: Kaliber 401. Eine Unglückskonstruktion, von der Bauweise identisch mit dem bewährten Kaliber 89, aber 0.60 mm flacher. Das sind in der Uhrmacherei, wo mit tausendstel Millimetern gerechnet wird, schon Welten. Die Konstruktion des flachen Automatikkalibers 1000 ist für Omega ja einer der Sargnägel gewesen. Als ich vor zehn Jahren meinen Uhrmacher fragte, was er von Nomos Uhren hielte, zog er mit traurigem Gesicht eine Schublade auf, in der sechs Nomos Uhren lagen. Alle in den letzten Wochen repariert, sagte er. Ich weiß nicht, ob die Firma das inzwischen in den Griff gekriegt hat, aber wenn Sie eine Nomos haben sollten, kann ich nur den guten Rat geben: Hauen Sie beim Grand mit Vieren nicht mit der linken Hand die Karten auf den Tisch!
Es gibt ja immer Menschen, die auf das gerade angesagte Design abfahren. Und für die Liebhaber unterkühlter Schönheit scheint diese Uhr von Ole Mathiesen gerade furchtbar in zu sein, wenn Sie die Werbelyrik des Manufactum Katalog dazu lesen wollten, dann klicken Sie doch hier. Da kann man erfahren, dass die Uhr nicht aufträgt, sie wird praktisch eins mit ihrem Träger. Die gesamte Gestaltung geht auf die Abwesenheit jeglicher Aufdringlichkeiten hin. Ist das nicht schön?
Das Design von Max Bill zielte auf Funktionalität und Unauffälligkeit. Und es gab bei Junghans, von den Max Bill Zifferblättern der fünfziger Jahre einmal ganz abgesehen, auch Uhren, die genau so aussehen wie eine Nomos oder eine Ole Mathiesen. Etwas so Scheußliches wie dies Produkt von Alain Silberstein (der sich einen Architekten der Horlogerie nennt) wäre Max Bill nie eingefallen. Ich habe auf meinem Schreibtisch neben mir gerade eine kleine Junghans Sammlung von den dreißiger bis in die sechziger Jahre ausgebreitet, und man muss es der Firma lassen: schöne und zurückhaltend elegante Zifferblätter konnten sie durchaus in Schramberg. Und es ist gegen eine alte Junghans ja überhaupt nichts zu sagen, ich würde heute immer noch meine Konfirmationsuhr tragen, wenn sie nicht im Herbst 1964 in einem Manöver unter einen Panzer geraten wäre. Glücklicherweise war mein Arm nicht dran.
Ich finde diese ganze Luxusuhrenhysterie, die seit einigen Jahren ausgebrochen ist (und vor dem Weihnachtsfest schlimme Formen annimmt) sowieso ziemlich albern. Früher hat ein Gentleman nicht gezeigt, was er in der Westentasche oder am Arm trug. Heute kann es für viele gar nicht groß und protzig genug sein. Angeblich verlangt das der asiatische Markt (hat mir jemand aus der Schweizer Uhrenindustrie erzählt). Die wollen da natürlich nicht die Fälschungen (auch Nachtauslagen genannt) tragen, die sie en gros herstellen, die wollen schweineteure Schweizer Uhren.
Entweder Gelsenkirchener Barock in Gold oder so ein potthässlicher High-Tec Unsinn wie diese Zenith Defy da oben (die es natürlich auch längst als Replica gibt). Die hohen Preise für diesen Unsinn, die dafür gezahlt werden, werden nicht für die Technik bezahlt. Das sind Strafgebühren für den schlechten Geschmack des Trägers. Ich habe eine wunderschöne alte originale Zenith Defy von 1969 (Bild), und wenn man diese geschmacklichen Verirrungen sieht, dann schämt man sich als Zenith Sammler doch schon ein bisschen.
Nein, das alles hat keinen Stil und keine Kultur. Wenn man von Vater oder Großvater eine gute alte Uhr geerbt hat, sollte man sie von einem Uhrmacher überholen lassen, ihr ein neues Glas und ein neues Armband spendieren und sie tragen. Was du ererbt von deinen Vätern hast, erwirb es, um es zu besitzen. Das musste ich mal eben anbringen, ich glaube, es ist das erste Goethe Zitat in diesem Blog in diesem Jahr. Früher habe ich das immer für eine niedersächsische Bauernweisheit gehalten, weil es in jeder Kneipe im Oldenburger Land auf einem Fähnchen auf dem Stammtisch stand. Aber es ist ja viel Wahres dran. Die Schweizer Uhrenindustrie hatte in der Zeit von 1950 bis 1960 ihren Höhepunkt, was sie da gebaut haben, ist nicht wieder erreicht oder übertroffen worden. Eine Eterna Centenaire, eine Omega Constellation, eine Moeris Excellence oder eine IWC aus dieser Zeit sind heute immer noch unübertroffen. Und natürlich eine Alpina, Paul Buhre, Cyma, Certina, Doxa - ich könnte das Alphabet jetzt bis Zenith mit Schweizer Qualitätsmarken füllen.
Die beinahe alle noch Marken kleiner inhabergeführter Manufakturen waren. Nicht neubelebte Ableger eines zusammengekauften Luxuskonzerns, der durch seine Ghostwriter in den Werbeabteilungen toten Uhrenmarken wieder zu einer neuen Tradition verhilft. Blancpain konnte doch nur mit diesem tollen Spruch Seit 1735 gibt es bei Blancpain keine Quarzuhren. Es wird auch nie eine geben werben, weil sie in der Zeit der Quarzuhren pleite waren und gar nicht mehr als Firma existierten. Deshalb haben sie keine gebaut.
Habe ich Sie jetzt verunsichert, weil Sie sich zu Weihnachten eine Uhr kaufen wollten? Fragen Sie doch in Ihrer Stadt bei Uhrmachern und Juwelieren nach qualitätsvollen Manufakturuhren, die schon ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel haben. Lassen Sie die Finger von Ebay, wenn Sie kein Fachmann sind. Caveat emptor, es sind da leider zu viele unterwegs, die millimeterbreit an der Grenze zur Kriminalität herumtänzeln. Obgleich man einem Händler wie uhrendoktorshs durchaus vertrauen kann. Gisbert Joseph (der als einer der ersten in Deutschland Armbanduhren in Auktionen aufnahm) hat ein seriöses und reichhaltiges (aber leider auch sehr teures) Angebot im Internet, die Auktionen bei Dr. Ranfft sind auch der Beachtung wert. Für Taschenuhren ist dies eine gute Adresse. Und wenn das Geld keine Rolex spielt, können Sie sich ja immer noch eine Uhr von Volker Vyskocil kaufen.
Natürlich kann man auch eine alte Patek oder Vacheron kaufen. Dem letzten Händler, der mir eine Patek zum Sonderpreis anbot, habe ich gesagt, dass ich mir für den Preis lieber ein neues Klavier kaufen würde. Und das stimmt auch. Man muss Prioritäten setzen. Man kann auch ohne Uhr durchs Lebens kommen, heute gibt es ja eine ganze Generation, die ihr Mobiltelephon als Uhr nutzt.
Ich habe vor Jahren einen soignierten älteren Herren getroffen, offensichtlich ein erfolgreicher Geschäftsmann, der mich nach einer kurzen Zeit des smalltalks fragte, ob das eine alte IWC sei, die ich da am Arm hätte. Als ich das bejahte, erzählte er mir, er sei ohne eine Uhr durch das ganze Leben gekommen. In seiner Jugend hätte ihn sein Vater zur Lehre in die Schweiz geschickt. Sein Chef hätte eine IWC gehabt, und wenn sein Chef sich mit Geschäftsfreunden getroffen hätte, dann hätten die auch alle eine IWC gehabt. Er hätte auch gerne eine gehabt, konnte sich aber von dem mageren Gehalt eines Volontärs in den fünfziger Jahren keine IWC leisten. Da hätte er ganz auf Uhren verzichtet. Und jetzt hätte er sich ein halbes Jahrhundert später bei einem Berliner Juwelier eine alte IWC gekauft. Und zog eine schöne alte Uhr aus der Schaffhausener Manufaktur aus der Tasche, an der ein völlig versifftes Band war, original von 1950. Der Juwelier hätte ihm ein neues Armband dran machen wollen, aber er wollte sie unbedingt so haben. Das Band halte ihn davon ab, sie zu tragen. Er müsse sich erst daran gewöhnen, eine Uhr zu besitzen. Jetzt würde er sie erst einmal ein halbes Jahr in seiner Hosentasche tragen. Und natürlich jeden Tag aufziehen. Irgendwie hatte dieser Mann ein geradezu philosophisches Verhältnis zur Welt der Zeitmesser gefunden, indem er seinen Jugendtraum verborgen in der Tasche trug.
Der Designer Max Bill war dem Verfasser der Junghans Festschrift (Franz Ludwig Neher) zum hundertjährigen Bestehen der Firma 1961 übrigens keiner Erwähnung wert (obgleich Zifferblätter von Max Bill abgebildet waren). Dafür beschließt er sein Buch mit poetischen Zeilen:
In Reflexen seh' ich tausend Uhren aufgereiht an Wänden,
Seh' tausend Uhren über tausend Händen,
Die müd' geworden von der Stunden Hast.
Doch eh sie starben hat Chronos sie geweiht,
Von der Vergangenheit zu schweigen.
Nun fällt auf sie das ew'ge Licht
Unwiederbringlicher Minuten
Leben zerbricht,
Doch die Spitzen ihrer Zeiger bluten.
Ist das nun schon große Lyrik oder einfach nur pathetischer Quatsch wie so vieles aus der Uhrenwerbung?
"millimeterbreit an der Grenze zur Kriminalität"... Meine Liebste, die Uhrmachermeisterin ist, hat auf einem Flohmarkt mal einen ichsachma: Russen gefragt, der Uhren verkauft hat, ob sie sie mal aufmachen dürfe. Da hat er sie ihr sofort entrissen. Njet! Nicht nachprüfen!
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