Dienstag, 14. Dezember 2010
Biographien
Sie suchen noch ein Weihnachtsgeschenk? Wie wäre es mit einem schönen Buch über George Washington? Der ist heute vor 211 Jahren gestorben. Er hat viel Glück gehabt in seinem Leben. Dass er nicht am Galgen gestorben ist, wie seine Mutter immer fürchtete. Dass sein geliebter Stiefbruder so früh starb und ihm Mount Vernon (und die Ländereien drum herum) hinterließ. Dass er seine Martha gefunden hat. Dass er die Übermacht der Engländer im Unabhängigkeitskrieg besiegt hat, obgleich er keine Erfahrung als Oberkommandierender einer Armee hatte. Und wenn er auch nicht die Bildung eines Thomas Jefferson hatte, ist der Großgrundbesitzer aus Virginia doch ein großer Mann gewesen. Das sagen auch alle seine Biographen. Na ja, beinahe alle. William E. Woodward hat in den zwanziger Jahren eine Biographie geschrieben, die Washington ziemlich kläglich aussehen lässt. Washington possessed the superb self-confidence that comes only to those men whose inner life is faint, mit diesem Satz wird er immer gern zitiert, auch wenn man seine Biographie längst vergessen hat.
Der erste, der an dem Prozess des mythmaking arbeitet, ist ein gewisser Parson Weems. Dessen History of the Life and Death, Virtues and Exploits of General George Washington wollen wir gleich wieder vergessen. Baron Münchhausen ist nicht gegen diesen Märchenerzähler. Allerdings halten sich all die erfundenen Geschichten immer noch hartnäckig im amerikanischen Volksglauben. Und Sie werden auch die siebenbändige Biographie von Douglas Southall Freeman nicht lesen wollen. Nicht einmal die von Richard Harwell besorgte einbändige Version davon. 792 Seiten Langeweile. Denn bei einer guten Biographie will man sich nicht langweilen.
Der führende Kulturhistoriker unserer Zeit Simon Schama hat vor Jahren im New Yorker angesichts des Steven Spielberg Films Amistad über die Geschichtsklitterung Hollywoods nachgedacht. Wobei ein wenig Trivialisierung und Ausschmückung ja nichts Böses an sich ist, wie Schama am Beispiel von Macaulay ausführt: In the meantime, he lamented, the best stories were being told to the biggest audiences by historical novelists, the auteurs of their day, and none of them more accomplished than Sir Walter Scott, the Spielberg of the Tweed Valley, whom most academic historians disdained but whom Macaulay deeply envied and admired. In a beautiful aside, Macaulay compared Scott to the apprentice of a medieval master of stained-glass windows working in Lincoln Cathedral. The spurned apprentice went about collecting the shards and fragments discarded as worthless by his master, and assembled them in a window of such blazing splendor that the master not only acknowledged the superior genius of his pupil but killed himself out of humbled mortification. Scott, Macaulay says, is the inspired opportunist who understands how to use the materials despised as trivially anecdotal by the philosophical historians. And, while Macaulay yielded to no Cambridge don in his insistence on the indispensability of reasoned interpretation, he saw the fate of history in popular culture as conditional on its self-appointed masters being prepared to reacquaint themselves with the imaginative skills of the storyteller.
Gute Biographien brauchen nicht nur alle Fakten und Daten, sie brauchen auch einen guten Erzähler. Die Detailverliebtheit, mit der manche neueren Biographien brillieren, ist ja ganz nett. Aber häufig fragt man sich: was soll's? Ich weiß zwar zufällig die Baunummer des Mahagonibootes, das die Firma Abeking und Rasmussen an die Familie Pringsheim geliefert hat (und mit dem Thomas Mann gerudert ist), würde das aber nicht als einen wichtigen Beitrag zur Thomas Mann Biographie verstehen wollen. Andere schon, die neue Form der Biographie kapriziert sich auf Wäscherechnungen und Arztrezepte, verliert aber manchmal das das Subjekt der Biographie aus den Augen. Emil Ludwigs Napoleon, 1925 bei Rowohlt erschienen, verzichtet auf den Kleinkram (und enthält bestimmt tausenderlei Fehler) - aber was ist das für ein Buch! Wir haben in Deutschland nur wenige Biographen von Format, aber viele Biographien von wenig Format.
In England und Amerika ist das anders, die Kunst des Schreibens einer Biographie ist dort offensichtlich nicht verloren gegangen. Stephen B. Oates, der eine Vielzahl hervorragender Biographien geschrieben hat, hat über seine Tätigkeit als Historiker gesagt: biography appealed to me as the form in which I wanted to write about the past, because the best biography—pure biography—was a storytelling art that brought people alive again, eliciting from the coldness of fact 'the warmth of a life being lived,' as Paul Murray Kendall expressed it. Und so gesehen macht eine der neuesten Washington Biographien auch alles richtig. Ich meine Joseph E. Ellis' His Excellency: George Washington, die es auch in deutscher Übersetzung gibt. Der Autor selbst, Pulitzer Prize Träger, hat dagegen alles falsch gemacht. Im Gegensatz zu dem kleinen Washington, der (nach Parson Weems) seinem Vater sagt: I cannot tell a lie, father, you know I cannot tell a lie! hat Joseph E. Ellis gelogen. Und seine Universität hat ihn deshalb ein Jahr lang nach Hause geschickt. Und da schreibt er sein Washington Buch. Es ist sein erstes Buch nach dem Skandal, der ihn damals zu dem lapidaren Statement veranlasste: Even in the best of lives, mistakes are made. I deeply regret having let stand and later confirming the assumption that I went to Vietnam. For this and any other distortions about my personal life, I want to apologize to my family, friends, colleagues and students. Beyond that circle, however, I shall have no further comment.
Ellis hatte seinen Studenten (und besonders seinen Studentinnen) gerne erzählt, dass er in Vietnam bei einer Spezialeinheit war und von dem Kriegserlebnis demoralisiert, aktiv in der Friedensbewegung gewesen ist. Kein Wort von den militärischen und zivilen Heldentaten dieses miles gloriosus war wahr. Warum macht jemand wie Ellis so etwas? Selbst wenn man dem Historiker ein bisschen Ausschmückung à la Sir Walter Scott zugesteht, Wirklichkeit und Fiktion sollte er nie verwechseln. Dieses Jahr Strafbeurlaubung - und die Tatsache, dass ganz Amerika über ihn lacht - sind aber für Ellis so etwas, was Valley Forge für Washington und seine kleine Armee war. Er konstruiert in seinem Vorwort ein Modell der Biographien, das von Washington als einer Art Gott bis zu Washington als einem ungebildeten Hinterwäldler reicht. Auf der Seite der positiven Biographen stehen bei ihm Douglas Southall Freeman und James Thomas Flexner. Den lasse ich jetzt mal aus, weil ich über diesen erstaunlichen Mann hier noch einmal schreiben möchte. Auf der anderen Seite sind die Historiker, die den Mythos Washington untersuchen. Und schauen, ob noch etwas von dem Mann hinter dem Mythos übrig bleibt.
Dafür steht der Name Marcus Cunliffe mit seinem Buch Washington: Man and Monument. Das Buch ist ein halbes Jahrhundert alt, gilt aber allgemein als das beste kürzere Buch zu Washington. Aber Cunliffe (der auch eine vorzügliche Literaturgeschichte der USA geschrieben hat) packt die 196 Seiten bis an die Ränder voll, bildlich gesprochen. Und er hat als Engländer auch eine ganz andere Distanz zu seinem Gegenstand (dies ebenso in seiner herzerfrischend frechen Literaturgeschichte) als die Amerikaner. Cunliffe war eigentlich kein richtiger Historiker, er war ein Amerikanist. Die American Studies sind jetzt nach dem Zweiten Weltkrieg etwas ganz Neues (und Cunliffe wird diesen Wissenschaftszweig auch prägen), zwei Jahre als Harkness Fellow in Yale haben ihm den Weg gezeigt.
Wo bleiben die Historiker? Freeman und Flexner waren Journalisten, Cunliffe Amerikanist. Die Historiker kommen in Gestalt von Esmond Wright, einem weiteren Pionier der American Studies in England. Wie Cunliffe Offizier im Zweiten Weltkrieg, und wie Cunliffe zeitlebens vom Militär fasziniert. Es ist schon ein wenig ironisch, dass zwei Ex-Offiziere der britischen Armee jetzt in den fünfziger Jahren die besten Bücher über den Mann schreiben, der einst diese Armee besiegte. Esmond Wrights Washington and the American Revolution, zeitgleich mit Cunliffes Buch erschienen, bleibt das beste Buch über Washingtons Rolle im Unabhängigkeitskrieg. Es erschien in einer Reihe, die Teach Yourself History hieß, in der auch Lord Max Beloffs Thomas Jefferson and American Democracy erschienen war. Beide zweihundert Seiten schmal. Nie wieder sind so gute kurze Bücher über diese Zeit geschrieben worden. Die Engländer können das. Amerikaner können das auch, wie Amerikas führender Historiker David Hackett Fischer mit Washington Crosses the Delaware (2004) gezeigt hat, allerdings schafft er es nicht auf 200 Seiten.
Die Deutschen können es auch. Ich möchte zum Schluss der Washington Biographie von Walther Reinhardt aus dem Jahre 1931 gedenken, die 1965 vom Frankfurter Societäts Verlag mit einem Vorwort von Benno Reifenberg wieder aufgelegt wurde. Es war die erste deutsche Washington Biographie. Der Rezensent des Washington Historical Quarterly schrieb 1932 lobend über das Buch: There is such a word as "Anschaulichkeit" in the German language, an apt word to characterize form and style. The word stands for portraiture with a vividness of imagery that makes for bold relief. The results of painstaking and detailed historical study are martialled before the inner eye, there to assume tangible shape and form, and to find distinctive expression combined with rare skill and artistry. As regards such Anschaulichkeit, this biography of Washington merits high commendation. It is very well written. The language is simple, unaffected and musical. We read the pages easily, rapidly, with pleasure and artistic delight. There rises before our mind's eye a clear image of Washington's personality during the three stages of his career: the formative period to leadership, his leadership in war, his leadership in peace.
Was kann man mehr wollen? Anschaulichkeit, das ist, was eine gute Biographie ausmacht. Und die beherrschte der Autor, der damals deutscher Konsul in Seattle war. Der Frankfurter Walther Reinhardt, Sohn eines berühmten Pädagogen, hatte Jura studiert und war im diplomatischen Dienst, bevor er sich im Ersten Weltkrieg freiwillig zur Armee meldete. Fünfmal schwer verwundet, überlebte er den Krieg, musste aber miterleben, dass sein Vater und sein Bruder als deutsche Offiziere den Krieg nicht überlebten. 1939 wurde er von seinem letzten Posten als deutscher Generalkonsul in Liverpool nach Berlin zurückberufen. Er wurde nach dem Einmarsch der Roten Armee aus ungeklärten Gründen von den Russen verhaftet und wahrscheinlich im Konzentrationslager Sachsenhausen erschossen. Benno Reifenberg schrieb 1965 in seinem Vorwort zu der Neuauflage Washington Biographie: Das hier neu veröffentlichte, heute einzige greifbare deutsche Werk über Washington ehrt den großen amerikanischen Staatsmann, es zeugt von Walther Reinhardts Einsicht und Anteilnahme an einem großen Mann der Weltgeschichte, es möge gleichsam als ein Kranz auf das unbekannte Grab des Autors gelten.
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