Dienstag, 21. Dezember 2010

A Midnight Clear


Almighty and most merciful Father, we humbly beseech Thee, of Thy great goodness, to restrain these immoderate rains with which we have had to contend. Grant us fair weather for Battle. Graciously hearken to us as soldiers who call Thee that, armed with Thy power, we may advance from victory to victory, and crush the oppression and wickedness of our enemies, and establish Thy justice among men and nations. Amen. Das ist jetzt nicht Henry V vor der Schlacht von Azincourt. Das ist General George Patton auf einer Weihnachtskarte (das Gebet ist noch mit Tannengrün geschmückt) an die Soldaten seiner Dritten Armee. George Patton (der schon einmal ➱hier auftauchte) hat jetzt drei Sterne auf seinem Helm, kurz vor Kriegsende wird er noch einen vierten bekommen. Davon hat er nicht mehr viel, weil er heute vor 65 Jahren gestorben ist. Sein Cadillac hatte einen Army Truck gerammt, als er auf dem Weg zur Fasanenjagd war. Die Verschwörungstheorien, dass die Amerikaner einen missliebigen maverick general beseitigen wollten, entstehen umgehend. Hatte er doch gerade die Ansicht geäußert, dass der Feind nicht die Deutschen, sondern die Rote Armee seien. Wäre es nach Patton gegangen, er wäre bis Moskau weiter marschiert.

Die Weihnachtsbotschaft an seine Soldaten wird schon vor Weihnachten verschickt, weil gerade die Schlacht in den Ardennen beginnt, die die Amerikaner Battle of the Bulge nennen. Es gab auch einmal einen Spielfilm gleichen Namens, Sie haben nichts verpasst, wenn Sie den nicht gesehen haben. Das einzig Erwähnenswerte war 1965 ein Übersetzungsschnitzer der wirklich komischen Sorte. Im Film (wie wohl auch damals in der Wirklichkeit) sagt der amerikanische General McAuliffe, als ihn die Deutschen zur Kapitulation auffordern: Nuts! Und er sagte tatsächlich im Deutschen: Nüsse, ich glaube, man hat das nach dem ersten Gelächter der Filmkritiker später geändert. McAuliffe ist eingekesselt, aber er hält Bastogne. Patton holt ihn da raus. Für solche Dinge ist Patton gut, da ist er wie ➱Blücher.

Im Gegensatz zu Blücher, mit dem er viel gemein hat, ist er ein gebildeter Mann. Er kann aber, und das ist er meistens, genau so ordinär sein wie Blücher. Er ist ein Kavallerist wie aus dem Bilderbuch: er ist ein guter Reiter (er war als Fünfkämpfer 1912 bei den Olympischen Spielen), er war Fechtlehrer in der Armee. Polo hat er auch gespielt. Er liebt Pferde, er rettet auch 1945 die berühmten österreichischen Lippizaner vor dem Zugriff der Roten Armee. Er hat das Original der Nürnberger Gesetze in Deutschland gestohlen und der Huntington Library geschenkt. Im Zweiten Weltkrieg trägt er, wie hier auf dem Bild, immer seinen Colt. Mit dem hat er bei dem mexikanischen Abenteuer der US Army den Chef der Leibwache von Pancho Villa erschossen. Er macht seltsame Dinge. Die tausend Puzzleteile seines Lebens kann man zu immer neuen Bildern zusammensetzen. Er wollte von klein auf ein Held werden. Seine Familie bestand nur aus Helden, Soldaten bis zurück zum Unabhängigkeitskrieg. Sein Vater hat den Colonel Mosby gekannt, eine der seltsamsten Figuren des Bürgerkriegs. Die Erzählungen seines Vaters von den Heldentaten des Südstaaten Guerillakämpfers haben den kleinen George schwer beeindruckt.

Er hat eine Renaissance, nachdem sich jahrzehntelang niemand um diesen seltsamen Mann gekümmert hat. Es gibt einen guten englischsprachigen Wikipedia Artikel, und das Internet ist vollgemüllt mit George Smith Patton, Jr. Seiten. Häufig sehr obskure Seiten. Neonazis finden ihn auch gut, weil er angeblich die Nazis und die SS bewunderte. Angeblich geht die Renaissance von Patton auf den Film von 1970 zurück, bei dem ein junger Mann namens Francis Ford Coppola einen Oscar für das Drehbuch erhielt. Aber Patton ist ein sehr kritischer Film, man kann ihn kaum eine Hagiographie nennen. Ich werde den Nachmittag nicht vergessen, als ich ihn im Kino gesehen habe. Er lief in einem Vorstadtkino unter dem Titel Patton: Panzer nach vorn und neben Patton war Rommel auf dem Filmplakat. Das Kino war voll, ich hatte gerade mal noch einen Platz in der dritten Reihe bekommen. Was bei einem zweistündigen Breitwandfilm keine so angenehme Sache ist. Nach einer Stunde hätte ich mich weiter nach hinten setzen können, da war das Kino halb leer. Die Rommel Verehrer hatten beleidigt den Saal verlassen. Die wollten einen Kriegsfilm sehen, kein kritischen Psychogramm eines amerikanischen Generals.

Den heutigen Titel A Midnight Clear habe ich gewählt, weil ich nicht George S. Patton schreiben und die falsche Sorte Leser anlocken wollte (aber Google findet mich eh immer). Er stammt natürlich von diesem Gedicht von Edmund Sears:

It came upon the midnight clear,
That glorious song of old,
From angels bending near the earth,
To touch their harps of gold:
"Peace on the earth, goodwill to men
From heavens all gracious King!"
The world in solemn stillness lay
To hear the angels sing...

Es ist auch der Titel eines Romanes von William Wharton - das ist der Mann, der Birdy geschrieben hat und damit weltberühmt wurde. Als er den Roman schrieb, war er 52 Jahre alt, aber die Kriegserlebnisse aus der Ardennenschlacht verfolgten ihn immer noch. Die hat er auch in A Midnight Clear hinein geschrieben. Schreiben ist für ihn eine Art Therapie, das weiß er. Er hat Psychologie studiert. Eigentlich ist er jetzt Maler und lebt in unter seinem wirklichen Namen Albert William Du Aime in Paris. Maler in Frankreich zu sein, das war sein Traum, damals in dem kalten Winter in den Ardennen. So gut  der Roman Birdy ist und so effektiv die Verfilmung von Alan Parker war, ich mag A Midnight Clear als Roman lieber. Es ist auch eine Weihnachtsgeschichte, mit viel Schnee, aber es ist auch perfekter Antikriegsroman, komisch und tragisch zugleich.

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