Auf weißem Zelter sprengte im sonnengolddurchwirkten Walde Wally, ein Bild, das die Schönheit Aphroditens übertraf, da sich bei ihm zu jedem klassischen Reize, der nur aus dem cyprischen Meerschaume geflossen sein konnte, noch alle romantischen Zauber gesellten: ja selbst die Draperie der modernsten Zeit fehlte nicht, ein Vorzug, der sich weniger in der Schönheit selbst als in ihrer Atmosphäre kundzugeben pflegt. Welche natürliche und ihr doch so vollkommen gegenwärtige Koketterie auf einem Tiere, von dem sie wahrscheinlich selbst nicht wußte, daß es blind war! Wally gab sich das Ansehen, als wäre sie mit ihrer Situation verschwistert; aber nichts ist so reizend, als wenn durch irgendeine fast gelungene Affektation, durch die ganze Haltung eines innerlich mehr reflektierten wie angebornen Wesens einige kleine Lichtritzen schimmern und für den Mann, welcher sie sehen kann, die versteckten Erleichterungen einer sich einbohrenden Neigung werden. Aber von den zahlreichen Kavalieren, welche Wally umgaben, sahe diese kleinen Lücken der Furcht edler Weiblichkeit niemand. Jene, die Lücken der Furcht, kannte vielleicht der Jockei, der auch wußte, daß die weiße Stute blind war. Aber die übrigen hingen nur wie der Eisenfeilstaub am Magnet, wie die Nachahmung am Genie, wie das Ordinäre am Wunderbaren. Courths-Mahler, höre ich Sie stöhnen. Ja und Nein. Es ist Karl Gutzkow, der Anfang von Wally, die Zweiflerin. Hat er in wenigen Wochen geschrieben. Kaum war's erschienen, da war es auch schon verboten und der Autor im Gefängnis. Aber man redete jetzt über ihn in all den deutschen Kleinstaaten. Laut Beschluss des Deutschen Bundestages (den gab es schon einmal) vom Dezember 1835 wird das Junge Deutschland (ein Begriff, den Ludolf Wienbarg bekanntgemacht hatte) eine literarische Schule genannt, zu der behördlich Heinrich Heine, Karl Gutzkow, Heinrich Laube, Ludolf Wienbarg und Theodor Mundt gezählt werden. Die werden natürlich auf Metternichs Geheiß gleich mit verboten.
Da hat der Dr. Gutzkow etwas angerichtet. 1835 hatte Gutzkow noch etwas anderes veröffentlicht, nämlich ein Theaterstück namens Dantons Tod, das ihm ein junger Medizinstudent namens ➱Georg Büchner geschickt hatte. Dieser Gutzkow wirbelt die deutsche Literatur des Vormärz, wie wir die Zeit heute nennen, jetzt ganz schön durcheinander. Was in der Wally wie ein schmalziger Liebesroman daher kommt, ist hochpolitisch. Das Junge Deutschland wird natürlich auch erwähnt. Und vielleicht ist Wally auch der erste Frauenroman der deutschen Literatur. Und er enthält natürlich Skandalöses. Die Beschreibung einer nackten Frau im zweiten Buch.
Das Auge staunt; ein Entzücken lähmt die Zunge. Zur Linken aber schwillt aus den Sonnennebeln heraus ein Bild von bezaubernder Schönheit: Sigune, die schamhafter ihren nackten Leib enthüllt, als ihn die Venus der Medicis zu bedecken sucht. Sie steht da, hülflos, geblendet von der Torheit der Liebe, die sie um dies Geschenk bat, nicht mehr Willen, sondern zerflossen in Scham, Unschuld und Hingebung. Sie steht ganz nackt, die hehre Gestalt mit jungfräulich schwellenden Hüften, mit allen zarten Beugungen und Linien, welche von der Brust bis zur Zehe hinuntergleiten. Und zum Zeichen, daß eine fromme Weihe die ganze Üppigkeit dieser Situation heilige, blühen nirgends Rosen, sondern eine hohe Lilie sproßt dicht an dem Leibe Sigunens hervor und deckt symbolisch, als Blume der Keuschheit, an ihr die noch verschlossene Knospe ihrer Weiblichkeit. Alles ist ein Hauch an dem Auge, ein stummer Moment, selbst in dem klugen Auge des Hundes, der die Bewegungen verfolgt, welche der Blick seines Herrn macht. Das Ganze ist ein Frevel; aber ein Frevel der Unschuld. Hui, da lecken sich die Zensoren in ihrer Entrüstung aber die Lippen. Einen Frevel der Unschuld kann man natürlich nicht durchgehen lassen.
Karl Gutzkow hat furchtbar viel geschrieben, viele, viele Theaterstücke und lange Romane. Ich habe nicht so viele neunbändige deutsche Romane gelesen. Heinrich Albert Oppermanns Hundert Jahre habe ich natürlich gelesen, weil ➱Arno Schmidt den empfohlen hat. Fängt in ➱Hoya an und geht dann in die ganze Welt, hundert Jahre lang von 1770 bis 1870. Gutzkow kommt auch drin vor. Der hat auch neunbändige Romane geschrieben. Und genau so wie Arno Schmidt den Rechtsanwalt aus Hoya wieder entdeckt hat, hat er auch den schon vergessenen Gutzkow wieder aus der Rumpelkammer der vergessenen deutschen Autoren herausgeholt. Und einem ganzen Essayband den Titel eines Gutzkow Romans gegeben: Die Ritter vom Geist. Erstaunlicherweise erwähnt der Wikipedia Artikel Arno Schmidt überhaupt nicht. Kaum hat man einen Vergessenen hervorgekramt, vergisst man einen anderen.
Es gibt seit einigen Jahren ein neues Interesse an Gutzkow, es gibt sogar ein Gutzkow Editionsprojekt. Und Zeno hat Wally, die Zweiflerin, Die Ritter vom Geist und Der Zauberer von Rom gespeichert. Die beiden letzten sind neunbändig. Nicht alles, was er schreibt, ist gut. Er schreibt zu viel. Aber inmitten von Müll und Kitsch gibt es funkelnde Edelsteine, brillante Formulierungen, scharfsinnige Aperçus. Ein Satz wie Aber die übrigen hingen nur wie der Eisenfeilstaub am Magnet, wie die Nachahmung am Genie, wie das Ordinäre am Wunderbaren reißt in dem Absatz oben alles wieder heraus. Gutzkow erfindet auch vieles neu, wie den Nebeneinander-Roman. Würde er weniger schreiben und mehr an dem Geschriebenen feilen, hätte er ein ganz Großer werden können. Aber er kann nicht weniger schreiben, er schreibt zum Überleben, er braucht das Geld. Er hat keinen reichen Onkel wie Heinrich Heine.
Arno Schmidts Hörspiel-Essay Die Ritter vom Geist von 1965 (gleich der erste in dem gleichnamigen Band) ist sicherlich die beste Einführung in Leben und Werk dieses seltsamen Geistes. Das Schönste zu Gutzkow ist aber eine kleine Anekdote, von der ich nicht weiß, ob sie wahr ist. Aber se non è vero, è ben trovato. In dieser Anekdote stapft Gutzkow in Weimar nächtens leicht angeschickert an dem Denkmal vorüber, das Goethe und Schiller einträchtig Hand in Hand zeigt. Und er reckt seine Faust zu den beiden Olympiern und ruft: Aber neunbändige Romane habt ihr nicht geschrieben! Das musste mal gesagt werden.
Ich habe vor einiger Zeit mal einen Leseversuch mit Gutzkows Erzählung "Die Nihilisten" gemacht und nach drei Anläufen aufgegeben.
AntwortenLöschenDies ist der Auftakt in zwei Sätzen:
"In einem traulich eingerichteten Zimmer deckte ein junges Mädchen den vor dem Sofa stehenden runden Tisch mit einer grauglänzenden, buntgemusterten, großen Theetischdecke von Damast. Sie stellte von einer Etagère, auf der sich allerhand buntes Glas und Porzellan befand, auf diese Decke drei goldgeränderte Tassen, ordnete Teller, Zuckerschale, Messer, die sie in kleine zierliche Servietten einschlug, rückte an den Stühlen, legte die Sofakissen in Ordnung und verrichtete somit eine Reihefolge von Handlungen, die wir nicht beschreiben würden, wenn die junge Dame sich auf den Besuch, den sie zum Thee zu erwarten schien, nicht mit einem Ernste und einer Feierlichkeit vorbereitet hätte, die selbst die darauffolgenden Rüstungen der kleinen Lampe, der Theemaschine, der von einer Magd hereingetragenen bezuckerten Bäckereien, des Milchtopfs und welche Vorsorgen alle zu einem behaglichen Theeabende gehören, mit einer so überdachten und fast heroischen Miene verrichtete, daß man eine Fee, die zu geringer Erdenarbeit verurtheilt wurde, zu sehen glauben muß, auch wenn nicht das ernste, schöne, junge Wesen vom Dienstmädchen bei jedem dritten Worte Gnädiges Fräulein! Gnädiges Fräulein! höchst respectvoll wäre angeredet worden."
Und das müssen nun ausgerechnet Sie sagen, die Sie doch im 19. Jahrhundert so belesen sind! Ich will Gutzkow nicht gegen alles in Schutz nehmen, aber wenn man über den ersten Stil-Schock hinweg ist und weiß, wie der Autor tickt, dann beginnt es eigentlich Spaß zu machen. Unwillkürlich streicht der imaginäre Rotstift des Lesers beim Lesen ganze Passagen. Und rettet dafür auf der anderen Seite ganze Sätze, die sich lohnen. "...auch wenn nicht das ernste, schöne, junge Wesen vom Dienstmädchen bei jedem dritten Worte Gnädiges Fräulein! Gnädiges Fräulein! höchst respectvoll wäre angeredet worden". Wenn ich zwei Adjektive streiche, habe ich einen Satz, der auch bei Fontane stehen könnte.
AntwortenLöschenMein Lesetipp wäre "Wally", weil's das Kürzeste ist. Es gibt eine Reclam Ausgabe, die auch noch Materialien zur Literatur der Zeit enthält. Aber ich will niemanden wirklich zu Gutzkow bringen, es gibt Besseres. Wolf von Niebelschütz schreibt in "Der Blaue Kammerherr" manchmal beinahe wie Gutzkow, aber bei ihm ist das natürlich ein reflektiertes Stilmittel. Ich bin mit meiner Gutzkow Lektüre nun einmal ein Opfer des Wahns geworden, das ich glaubte, alles lesen zu müssen, was Arno Schmidt empfahl. Was mir viel Absonderliches an Lektüre eingetragen hat, geschadet hat es mir nicht.
AntwortenLöschenSehr viel Absonderliches. Ich habe aufgehört, Schmidt zu folgen, als er Johannes von Müller empfahl.
AntwortenLöschenÜbrigens muss es "Der Zauberer von Rom" heißen in Ihrem schönen Feuilleton, nicht "Der Zauberer von Roman".
Wer Druckfehler findet, darf sie behalten. Das Copyright an ihnen liegt aber weiterhin beim Verfasser. Thanx, hab's geändert. Der Einzige, den ich kenne, der wirklich ALLES gelesen hatte, was bei AS vorkam, war der Bremer Otto Proksch, der am 14. Februar in diesem Blog vorkam. Ich habe ihn immer dafür bewundert.
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