Montag, 12. Juni 2023

meine Uhrmacher


1958 wurde es meiner Mutter zuviel mit Vaddis alter Junghans, die noch aus der Vorkriegszeit stammte. Zumal die auch immer häufiger zu Hugo Molgedei zur Reparatur musste. Sie kaufte ihm im vornehmstem Geschäft von Bremen, Brinckmann und Lange in der Sögestrasse Nummer 1, eine Eternamatic, Edelstahl mit Goldhaube. Weil ihr der Verkäufer gesagt hatte, dass diese Uhr aus der Präzisionsuhrenfabrik in Grenchen das Beste sei, was man kaufen könnte. Von Rolex war in dem Geschäft damals nicht die Rede. Die Eterna, die schon das neue Werk hat, das in den Centenaire Modellen war, hatte, das muss betont werden, nur eine Goldhaube, ganz in Gold hätte Vaddi die nicht genommen. 

Brinckmann und Lange hatte sich durch Geschenke an den Oldenburger Großherzog den Titel eines Hoflieferanten Sr. königl. Hoheit des Großsherzogs von Oldenburg erkauft. Später kommt noch ein Hoflieferant Titel vom Fürsten von Lippe dazu. Für diesen Titel hatte man 1.200 Goldmark an das Hofmarschallamt in Detmold zahlen müssen. Die wohlklingenden Titel wurden in Bremen nicht so gut aufgenommen, weil wir es ja nicht so mit Königs haben. Sprüche machen die Runde, ob der nächste Hof der Viehhof oder der Schlachthof sein würde. Von der Firma Brinckmann und Lange ist nichts übriggeblieben, sie haben den Standort aufgegeben, da ist heute ein Handyshop drin. Sie schwirren noch irgendwo im Internet mit einem Onlinehandel herum. Aber dafür haben wir am anderen Ende der Sögestraße jetzt Wempe, einen Laden, den Bremer immer etwas prollig fanden. Die haben jetzt auch schon Onlinehandel. Und auch von der Firma Eterna ist nichts Positives mehr zu melden, sie gehört jetzt einem chinesischen Unternehmen.

Ich habe die alte Eterna meines Vaters geerbt. Ich habe ihr ein neues Band verpasst (nicht dieses hier auf dem Photo) und sie zu Mahlberg zur Überholung gebracht. Die hatten damals einen hervorragenden Uhrmacher namens Burkhard Weißflog, er war ein Verwandter des Skispringers, jeder sprach ihn darauf an. Als Herr Weißflog mir die Eterna wiedergab, sagte er: Das ist eine sehr gute Uhr, Herr Doktor, passen Sie gut auf sie auf. Das ich natürlich tat. Ich bin damals zu Mahlberg gegangen, weil es sonst im Ort keinen Uhrmacher gab. Aber Herr Weißflog arbeitet nicht mehr als Uhrmacher, er hat das seit 1902 bestehende Gravurgeschäft Wolter übernommen. Uhrmacher werden rar. 

In der Holtenauer Straße in Kiel gab es noch den Juwelier Sievert, 1925 gegründet. Die hatten eine Tissot Lizenz und bekamen noch Tissot Ersatzteile. Bei denen bin ich mit meiner Tissot Seastar Seven, die meine Eltern bei Molgedei gekauft hatten, zweimal gewesen, nicht nur, weil sie die Tissot Vertretung hatten, sondern weil die beiden Söhne des Gründers noch richtige Uhrmacher waren. Die meine Tissot gut gepflegt haben. Im letzten Monat hat Thorsten Sievert, der Enkel des Firmengründers, angekündigt, dass er das Geschäft schliessen wird, er findet keinen Nachfolger. Wieder ein Uhrmacher weniger im Ort.

In der Holtenauer Straße gab es auch noch den Uhrmacher Kresse, aber mit dem bin ich nie so richtig warm geworden. Uhrmacher können ja schwierige Menschen sein. Aber als er den Laden aufgegeben hatte, hat er mir auf dem Flohmarkt eine tolle rechteckige Wyler verkauft, da war er richtig nett. Irgendwie schien eine Last von ihm genommen zu sein. Manche Uhrmacher schließen den Laden an einigen Wochentagen, damit sie in Ruhe arbeiten können. Als Herr Kresse merkte, dass ich schon alles über diese Uhr mit ihrer Incaflex Stoßsicherung wusste, hat er sie mir billiger gelassen. Er hatte zwar den Laden aufgegeben, reparierte aber noch privat für seine ehemalige Kundschaft. Meistens Großuhren für ältere Damen.

Mit Kresses Nachfolger wurde ich sehr glücklich. Der junge Uhrmacher war vorher Flugzeugelektriker bei den Vereinigten Flugtechnischen Werken in Lemwerder gewesen, deren Direktor mal der Dr Proksch war. Dann hatte er eine Uhrmacherlehre bei Henning Paulsen gemacht und hatte bei Eckelt in Vegesack gearbeitet; mit der Tochter des Besitzers war ich in der Volksschule gewesen. Und meine Eltern hatten meine Konfirmations Junghans bei Eckelt gekauft. Henning Paulsen kannte ich auch, er ist der Bremer Domuhrmacher. Der kam einmal im Jahr bei uns vorbei, um die Standuhr im Flur zu warten. Und er hat Opas silberne Eterna Taschenuhr überholt, bevor ich die von meinen Eltern geschenkt bekam. Er hat jetzt sein Geschäft ganz luxuriös in Knoops Park; als er noch hinter der Lesumbrücke beheimatet war, war das nicht so luxuriös. Aber, das muss jetzt leider gesagt werden, Henning Paulsen gibt seinen Beruf demnächst auch auf. Wieder ein Uhrmacher weniger.

Es war witzig, jetzt einen Uhrmacher zu haben, der aus meinem Heimatort kam. Er war ein Uhrmacher, der uhrmacherisch wirklich alles konnte, auch das Unmögliche. Von ihm habe ich die Seamaster Chronometer und den Tip, wo ich eine goldene Omega Constellation für einen Spottpreis bekommen konnte. Und vieles mehr. Aber leider hat er nach mehr als einem Jahrzehnt seinen Laden aufgegeben. Er ist jetzt, und das werden Sie nicht glauben, Hundefriseur in einer anderen Stadt. Da hat er keinen Ärger mehr mit den Kunden. Er hatte mal einen Auszubildenden, aber der hatte zwei linke Hände und schmiss die Lehre nach drei Monaten hin. Das Problem des Nachwuchses hat der Berufstand deutschlandweit. Und wer will die Kunst der Uhrmacherei erlernen, wenn er hinterher nur noch Batterien für Quarzuhren wechseln muss? Bei Nomos in Glashütte bekommen die angehenden Uhrmacher noch politische Bildung mit auf den Weg, die Geschäftsführerin Judith Borowski möchte keine Angestellten haben, die der AfD nahestehen.

Uhrmacher müssen das können, was Gehirnchirurgen und Zahnärzte können, Millimeterarbeit mit ruhiger Hand. Als ich vor mehr als dreißig Jahren zu sammeln anfing, habe ich mir auf dem Flohmarkt für fünf Mark eine alte Taschenuhr gekauft und sie in ihre Einzelteile zerlegt. Die habe ich alle auf einen DIN A3 Karton gelegt und durchnummeriert. Und es langsam, peu à peu, wieder zusammengebaut. Wenn Sie einen Hund oder eine Katze haben, können Sie das natürlich nicht machen.

Das alles (und das Auswendiglernen von allen einzelnen Bestandteilen einer Uhr) macht niemanden zum Uhrmacher, aber man versteht die Arbeit eines Uhrmachers besser. Jahre später habe ich das Werk einer kleinen defekten Hamilton Armbanduhr an einem Wochende auseinandergenommen und wieder zuammengebaut, darauf war ich stolz. Ich hatte zwei von diesen Uhren, es waren Militäruhren aus dem Zweiten Weltkrieg. Die waren zwergenhaft klein, hatten nichts mit der Hamilton Khaki Quarzuhr zu tun, die heute Hamiltons Bestseller ist.

Ich habe meinem Uhrmacher gesagt, er möchte mir aus den beiden Uhren eine heile, funktionierende, machen. Das hat er getan, das defekte Werk hat er mir zum Üben mitgegeben. Das Werk mit der Kalibernummer 987 ist ein sehr kleines Werk, 24 Millimeter im Durchmesser, da ist schon Fummelei angesagt. Sie haben das ja nur hingekriegt, weil da keine Unruh mehr in der Uhr war, sagte mein Uhrmacher. Da hatte er natürlich recht. Eine Breguetspirale würde ich nie wieder dahin bekommen, wohin sie gehört.

Wichtig für einen Uhrmacher ist es, dass der Fourniturenhandel funktioniert. Jeder Uhrmacher kann eine Rolex reparieren, wenn er an die Ersatzteile kommt, aber an die kommt er nicht. Und wenn er sie auf dem schwarzen Markt besorgt, dann wird jedes Schräubchen teuer. Die großen Schweizer Firmen haben Ersatzteillieferung und Service an sich gebunden, und sie verdienen gut damit. Wie sie den Markt beherrschen, ist manchmal schon kriminell. Aber die Schweizer Wettbewerbskommission hat trotzdem keinen Grund gesehen, gegen die Swatch Group, LVMH, Rolex, Richemont, Audemars Piguet und Breitling vorzugehen, obgleich sich die Beschwerden im Land häuften. Eine Batteriewechsel für 740 Franken bei einer Breitling ist vielleicht ein klein wenig überteuert. 

Kresse hatte noch eine Omega Lizenz, von der auch sein Nachfolger profitierte (und meine Omegas auch), aber die Lizenz hat Omega inzwischen zurückgenommen. Die IWC repariert noch Taschenuhren, die sie 1870 gebaut haben, Rolex repariert Ihnen keine Rolex Oyster aus den fünfziger Jahren mehr. Die machen dem Uhrenbesitzer ein Sonderangebot für einen Neukauf. Die meisten Uhrensammler besitzen den Fournituren Katalog von Flume oder anderen Firmen, aber nicht alles, was da drinsteht, ist heute noch lieferbar. Oder die finden das Teil bei Flume einfach nicht, obgleich es irgendwo liegt.

Mein Uhrmacher heißt zur Zeit Barnie, der ist zwar kein richtiger Uhrmacher, aber ein halber bestimmt schon. Der würde dem Besitzer einer Breitling fünf Euro für einen Batteriewechsel abnehmen und keine 740 Schweizer Franken. Für die neue Batterie für meine Omega Megaquartz hat er gar nichts genommen, ich hatte noch etwas bei ihm gut. Dieses schöne Designobjekt der siebziger Jahre hatte ich von meinem Uhrmacher geschenkt bekommen. Ein Kunde hatte ihm hundert Euro nur für die Omega Schließe bezahlt, die an seiner Megaquartz kaputtgegangen war. Ich mach' Ihnen da eine neutrale Schließe dran, sagte mein Uhrmacher. Nee, sagte ich, ich nehme sie so mit, ich habe zuhause noch eine Tissot Schließe. Und die ist jetzt dran (selbstgemacht), schließlich waren Omega und Tissot ja mal eine Firma.

Ich kenne den Barnie seit mehr als dreißig Jahren, und ich habe viel bei ihm gekauft. Zu echten Freundschaftspreisen. Er stand auch schon im Jahre 2010 in dem Post Flohmarkt. Er findet erstaunliche Sachen, die orangegelbe Doxa 300 T habe ich auch von ihm. Er zeigt mir alles, was er hat, aber er verkauft nicht alles. Vor allem diese Eternamatic Super Kontiki nicht, die er letztens gefunden hat. Dabei wäre die bei mir als Eterna Sammler gut aufgehoben, eine Eternamatic KonTiki habe ich ja schon.

Der Barnie kauft und verkauft alte Uhren, der braucht natürlich einen Uhrmacher dringender als ich. Und er hat einen sehr guten, das ist der Uhrmacher Michael Petersen in Flintbek. Der hat mir gerade meine Zenith Defy mit dem Gay Frères Band repariert, die eine neue Aufzugsfeder brauchte. Ist nach fünfzig Jahren jetzt wieder wie neu. Meine neue Eterna Centenaire hat auch eine neue Feder gekriegt, und vielleicht findet Herr Petersen ja noch eine neue Winkelhebelfeder für meine Movado Kingmatic. Die hat ihm der Barnie letztens zur Reparatur vorbeigebracht. 

Ich bin den beiden wirklich dankbar. Der Barnie kriegt natürlich von mir auch etwas zurück. Er zapft mein Wissen an, das ich in Jahrzehnten aus all den Uhrenbüchern gewonnen habe. die bei mir schon mehrere Regalmeter füllen. Wenn seine Eterna Super KonTiki mal Probleme haben sollte, dann habe ich das vollständige Verzeichnis aller Eterna Uhren und ihrer Teile für ihn. Der Barnie ist ein treuer Freund, zum Geburtstag bekam ich von ihm ein Paar Manschettenknöpfe geschenkt, die aus winzigkleinen Damenuhrwerken bestanden. So etwas hat nicht jeder Uhrensammler.

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