Sonntag, 11. Mai 2014

Armbänder


Es war saukalt am letzten Sonntag auf dem Flohmarkt. Ich war froh, dass ich meine dicke Lederjacke mit dem Fellkragen angezogen hatte. Als ich um zwei Uhr kam, packten die ersten Händler schon ihre Waren ein. Aber der Herr Brandt, der war noch da. Steht bei einem Flohmarkt seit zwanzig Jahren immer an der selben Stelle. Er ist der einzige, der überhaupt noch Uhren hat. Armbanduhren und Taschenuhren sind völlig vom Flohmarkt verschwunden. Ölbilder auch. Es gibt nur noch besseren Hausmüll und Händler mit Handyschalen. Ebay ist der Tod des Flohmarkts (Sie finden hier schon eine lange Klage über diese Demise). Aber glücklicherweise findet man noch massenhaft Bücher. 

Herr Brandt hatte auch nichts was mich interessierte, zauberte aber in letzter Minute noch ein Edelstahlband von Omega aus dem Kasten. Hing noch eine verschrabbelte Omega Quarz dran, ich sagte nur: Machen Sie die Omega mal ab. War schwieriger als gedacht, weil er das richtige Werkzeug zuerst nicht fand. Zu Hause kam das Omega Band erst einmal in ein Bad aus heißem Wasser und Pril, bevor es eine liebevolle Bürstenmassage bekam. Alte, weiche Zahnbürsten sind gut dafür. Jetzt ist es an einer alten Omega Seamaster von 1959. Sieht toll aus. Zufrieden mit meinem Werk, dachte ich mir, ich schreibe einmal über Edelstahlbänder. Und über die ersten Sportuhren.

Denn Edelstahlbänder sind natürlich nur etwas für Sportuhren. Für nichts anderes. An manchen Uhren müssen sie sein. Wie zum Beispiel an der alten Omega Megaquartz oben (der ersten kommerziellen Quarzuhr von Omega), da passt nichts anderes dran. Es gibt natürlich auch Metallbänder aus Gold, aber die werden hier heute nicht erwähnt. Machos aus dem Mittelmeerraum und Loddel in St Pauli lieben so etwas, das ist ein anders Thema. Und das hier ist die größte Geschmacksverirrung der ansonsten so stilsicheren Firma IWC. Die Ingenieur SL in der Jumbo Version dürfte es eigentlich nur in Stahl geben. Wollte man Rolex in puncto schlechtem Geschmack Konkurrenz machen?

Das einzige Edelmetall, das noch akzeptabel wäre, ist Platin. Weil es wie Stahl aussieht. Ist aber Snobismus. Der Keith hat dieses Patek Nautilus Modell in Platin. Hat er einem Typ abgekauft, der damit auf einer Südamerikatour gewesen war. Dessen Kumpel trug auf der Reise der beiden Abenteuertouristen eine Rolex. Wenn Sie einem Engländer diese Geschichte erzählen, wird er an dieser Stelle sagen: How daft can you get? Na ja, als sie zurückkamen, hatte er keine Rolex mehr. Die Patek aus Platin blieb unangetastet. Die Räuber haben sie wahrscheinlich für eine Seiko gehalten.

Während ich am Abend Lewis guckte (der Inspektor hat natürlich ➱hier schon einen Post), polierte ich Band und Uhr mit einem alten ➱Schlips. Seide ist hervorragend zum Polieren von Edelstahl. Die Omega Seamaster hat ein Uhrwerk, das wohl das seltenste Automatikwerk der Firma ist. Es ist das Kaliber 591, das eine unternehmerische Fehlentscheidung war. Damals baute Omega seine 550er Kaliber, mit denen sie Rolex als führenden Hersteller von Chronometern weit hinter sich ließen. Von dieser Kaliberfamilie wurden in den sechziger Jahren 3,5 Millionen Stück gebaut.

Diese Werke waren neben dem Handaufzugswerk 30T2 (hier im Bild) das Beste, was Omega je gebaut hat. Aber es musste ja unbedingt etwas Neues sein. Man wollte ein einfaches Großserienwerk bauen, allerdings sparte man an nichts Wesentlichem. Die vierschenklige Glucydur Unruhe mit dem beweglichen Spiralklötzchen ist die gleiche wie in den 550er Modellen. 1960, nach einem Jahr der Fertigung, gab man die Fertigung des Werks wieder auf, nur 60.000 Stück wurden gebaut. Jahre später leistete man sich einen ähnlichen Flop mit dem Kaliber 1000. Das war, metaphorisch gesprochen, dann aber auch schon der Sargnagel für Omega. Danach waren sie auf Jahrzehnte keine Manufaktur mehr, weil sie nur noch Fremdwerke einbauten.

So sah meine Seamaster vorher ohne das Edelstahlband aus, allerdings hat meine ein viel besseres Zifferblatt als diese hier. Das Edelstahlband mit der Nummer 1383 hat mich achtzig Euro gekostet, die Seamaster kostete mich vor fünfzehn Jahren nur 150 Mark. Stahlbänder sind teuer geworden. Und damit meine ich nicht diese scheußlichen amerikanischen Speidel Bänder oder die Fixoflex Bänder von Rowi, sondern die Originalbänder von Omega und anderen Uhrenfirmen. Und natürlich die Bänder von der Firma Gay Frères, die seit einigen Jahren im Besitz von Rolex ist. Rolex wollte endlich mal gute Armbänder haben.

Als ich letztens zu meinem Bruder sagte, dass das Band von seiner alten Rolex Explorer ja noch sehr gut aussähe, guckte er mich leicht hasserfüllt an und knurrte: Es ist das dritte. Er hat die Uhr vor Jahrzehnten von den Eltern zum Medizinerexamen bekommen, aber Rolexbänder halten eben nicht so lange. In den dreißiger Jahren hatte Rolex Bänder von Gay Frères bezogen, aber wahrscheinlich waren ihnen die zu teuer geworden. Ein Gay Frères Band erkennt man an dem Ziegenbock, der von den Buchstaben G und F umrahmt wird. Und es hat auch immer einen Datumsstempel (damit kann man alte Uhren datieren).

Man findet Gay Frères Bänder - die der Fachmann mit einem Blick erkennt - an der alten IWC Ingenieur (Bild), an der Eterna Kontiki (dazu gibt es ➱hier einen Post), an der Jaeger LeCoultre Memovox oder der Tissot T12. Tissot hatte in den sechziger Jahren sowieso sehr gute Bänder, auch wenn die nicht von Gay Frères kamen. Viele Rolex Besitzer waren damals dankbar für diese Bänder. Die sahen aus wie die Bänder, die an den alten Rolex Oyster Modellen dran waren, hielten aber länger.

Metallbänder an Uhren gibt es schon lange. Die ersten Armbanduhren soll die Schweizer Firma Girard-Perregaux (die hier schon einmal erwähnt wurde) an die deutsche Kriegsmarine geliefert haben, es waren Golduhren mit einem goldenen Armband (leider gibt es von denen kein einziges Exemplar mehr und auch keine Abbildung). Das sollte uns daran erinnern, dass diese Bänder natürlich aus der Schmuckindustrie kommen, auch die 1835 gegründete Firma Gay Frères stellt Armbänder nur als Nebenprodukt her. Das Hauptgeschäft ist bijouterie, joaillerie und orfevrerie (und geben Sie niemals einen französischen Artikel über die Firma bei Googles Übersetzungsmaschine ein, da heißt die Firma dann Homosexuell Brüder).

Die älteste Uhr mit Stahlband, die ich besitze, ist diese Alpina Tresor mit einem sehr feingliedrigen Band aus V2A Stahl. Eine sogenannte Sportuhr der dreißiger Jahre, die schon eine kleine Sensation war, weil sie ein integriertes Edelstahlband hatte. Das massive Aussehen des Bandes täuscht, unter den Stahlplättchen der Oberseite verbirgt sich ein Milanaiseband. Es ist eine der ersten echten Sportuhren der dreißiger Jahre, es gab sie auch mit weißem Zifferblatt (und auch mit dem Markennamen Gruen auf dem Zifferblatt). Und eines Tages auch mit Stoßsicherung. Dieses Modell heißt Siegerin, da ist Deutschland schon im Krieg. Die Uhr kostete damals mit dem Alpina Werk (es gab sie auch mit preisgünstigeren Werken) fünfundsiebzig Reichsmark. Für eine Uhr mit einem Leuchtzifferblatt musste man drei Mark extra bezahlen.

Der Name findet sich auf häufig auf den Uhren, die die Alpina an die Kriegsmarine (Zifferblattaufdruck KM) lieferte. Meine Tresor ist aus den ersten Jahren, sie hat noch keine Stoßsicherung. Hat aber die letzten achtzig Jahre gut überstanden. Auch die Firma Tutima brachte Ende der dreißiger Jahre eine Sportuhr auf den Markt - die Sportuhren dieser Zeit sind die Vorläufer der Militäruhren des Zweiten Weltkriegs. Allerdings kann die Tutima nicht wirklich mit der Alpina Tresor konkurrieren, ihr Gehäuse (von Kollmar & Jourdan) ist nur aus verchromtem Nickel gewesen.

Das Modell Tresor ist in der Zeit zwischen 1935 und 1940 gebaut worden, die Uhr kostete damals 65 Mark. Das war für eine deutsche Uhr teuer, die preiswerteste IWC kostete nur fünfzig Mark mehr. Das war das rechteckige Modell mit dem Kaliber 86, für das Sammler heute mindestens zweitausend Euro auf den Tisch legen müssen. Eine Alpina Tresor kann man vielleicht billiger bekommen, allerdings ist sie mit dem Edelstahlband kaum zu finden. Eine rechteckige Junghans kostete damals nur 18 RM. Mein Vater hat seine noch bis in die fünfziger Jahre getragen

In der Tresor tickte das Kaliber 586, das die Alpina von Marc Favre in Biel-Madretsch bezog. Das äußerlich unscheinbare Werk (nicht derart feinbearbeitet wie das IWC Werk oben) war von erstklassiger Qualität, es wurde noch bis in die fünfziger Jahre gebaut. Neben Marc Favre bezog die Alpina auch eine Vielzahl von Werken von Jean Aegler, der auch die Firmen Gruen und Rolex belieferte. Der offizielle Name der Firma war damals Aegler, Société Anonyme, Fabrique des Montres Rolex & Gruen Guild. Das tut Rolex Fans immer sehr weh, wenn man ihnen sagt, dass es diese tollen, einzigartigen Rolex Werke auch in einer Gruen oder einer Alpina gibt.

Eine eingeschlagene Aufschrift wie V2A oder Krupp Stahl findet man in den dreißiger Jahren häufig. Man experimentierte noch mit den Legierungen für Gehäuse und Bänder. Denn Edelstahl ist nicht gleich Edelstahl. Obwohl rechteckige Uhren in dieser Zeit der große Renner sind, findet man selten rechteckige Uhren, deren Gehäuse ganz aus Edelstahl ist. Die Longines, die Humphrey Bogart hier (und in Casablanca) trägt, ist nicht aus Edelstahl. Die ist aus vergoldetem Blech. Wenn Sie wollen, können Sie hier und hier alles über Armbanduhren in Amerika in dieser Zeit lesen.

Das hier ist natürlich etwas, was man wirklich nicht macht. Zum dinner jacket trägt man keine Uhren mit einem Edelstahlband. Egal, ob sie von Omega (wie hier) oder von Rolex sind. Die Amerikaner haben das schöne Wort dress watch (wahrscheinlich als Analogie zu dem Wort dress shirt gebildet), und damit meint man eine elegante, flache, unauffällige Uhr. So wie Uhren früher einmal waren, bevor sie sich in Richtung Zuhälter Uhr entwickelten und gar nicht groß genug sein konnten. Die Alpina Tresor hat einen Durchmesser von 28mm, die meisten echten Sportuhren aus dieser Zeit sind so klein.

Die Revue Sport aus den dreißiger Jahren zum Beispiel ist nur unwesentlich größer (und auch die meisten Uhren von Patek oder Rolex sind in den dreißiger Jahren nur 30 mm groß). Die Revue sieht der Tresor sehr ähnlich, da hat wohl irgend jemand ein wenig kopiert. Diese Uhr war noch revolutionärer als die Alpina Tresor. Nicht nur, weil sie durch die Korkdichtung in der Krone und die Bleidichtung im verschraubtem Boden beinahe wasserdicht war, sondern weil in ihr zum ersten Mal die von Dr Reinhard Straumann (dem die Firma Revue Thommen gehörte) entwickelte Kombination von Nivarox Spiralfeder und Glucydur Unruhe eingebaut wurde. Heute hat jede bessere Uhr eine solche Unruhe und eine solche Spiralfeder, damals durfte Straumann sie in der technologiefeindlichen Schweiz nicht herstellen (ich habe hier schon darüber geschrieben).

Die Revue Sport ist vor Jahren noch einmal als re-make auf den Markt gekommen, wurde damals von Manufactum angepriesen. War natürlich nicht the real thing. Straumann verkaufte die Revue Sport auch nach Amerika. Da stand dann der Name Wittnauer auf dem Zifferblatt. Und der wunderbare Zusatz Allproof. Ein Name, den Wittnauer (die schon lange ihre Uhrwerke von Revue bezogen) seit 1918 verwendete.

Damals war die All-Proof sozusagen die Mutter aller Sportuhren: wasserdicht, stoßsicher und antimagnetisch. Man hat sie zu Werbezwecken aus Flugzeugen abgeworfen (Jimmie Mattern flog mit ihr um die Welt) und vom Empire State Building geworfen - sie hielt alles aus. Ich habe so ein bezauberndes kleines Exemplar, unterwerfe sie heute aber keinen Tests mehr. Aber sie geht nach beinahe neunzig Jahren noch immer. Meine hat ein braunes Krokoband, diese beiden hier haben Armbänder der amerikanischen Firma Kestenmade, die wohl aus den dreißiger Jahren stammen.

Nicht nur All-Proofs halten lange, auch Edelstahlbänder halten lange. Na ja, die von Rolex nicht so. Dies hier ist ein ausgeleiertes altes Rolex Band, die Zwischenräume zwischen den einzelnen Stahlgliedern dürften nicht sein. Edelstahlbänder sind sehr pflegeleicht. Einmal im Monat etwas Wasser und Seife für das Band (nicht die Uhr) reichen aus. Manche schwören darauf, ein Edelstahlband in Coca Cola zu werfen. Sieht hinterher angeblich wie neu aus. Es funktioniert, aber lassen Sie es lieber.

Als ich gerade dabei war, das Gelände des Flohmarktes zu verlassen, sah ich noch einen Händler mit einem Tisch voller Bücher. Er hatte auf dem Boden zwei große Kisten voller Bücher von Hans-Jürgen Heise. Über den im letzten November gestorbenen Dichter aus Kiel hatte ich eigentlich im April schreiben wollen, bin aber nicht dazu gekommen. Ich entdeckte in den Kisten einen Sammelband, den ich noch nicht besaß: Gedichte und Prosagedichte 1949-2001. Verlegt vom Wallstein Verlag. Ich habe das Gefühl, dass die inzwischen einer der interessantesten Verlage geworden sind. In dem Buch lag eine Photokopie mit einem Gedicht von Zlatko Krasni, von Hans-Jürgen Heise mit handschriftlichen Korrekturen versehen. Es hat den Titel Dichter und Wasser. Und damit das heute nicht zu prosaisch wird, tippe ich das mal eben ab:

Hans-Jürgen Heise lebt in Kiel in der Graf-von-Spee Straße
und schaut auf die Ostsee,
Rafael Alberti in seinen Büchern und schaut auf den Fluss
Paraná, der im Rio de la Plata mündet.
Lasse Söderberg lebt in Malmö und schaut auf Paraná,
der im Rio de la Plata mündet und schreibt,
wie Rafael Alberti auf diese Flüsse geschaut hat.
Dieses Gedicht ist Tobias Burghardt gewidmet,
der in Stuttgart lebt und ein Gedicht übern Rio de la Plata
geschrieben hat.
Heise sah Rafael Alberti, wie er auf den Ohrider See schaut,
und schrieb ein Gedicht darüber.
In diesem Jahr schaut Lasse Söderberg auf den Ohrider See.
Michael Speier lebt in Berlin und schreibt ein
Gedicht darüber, wie das Schiff Graf von Spee im Rio de la Plata gesunken ist.
Wer lebt wo und wer schaut jetzt auf welches Wasser?

Die Graf von Spee Straße hat Heise in eine Graf Spee Straße korrigiert, er muss es wissen, er wohnte in der Straße. Auf die Ostsee gucken konnte er da allerdings nicht.

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