Als am Palmsonntag aber Feuer vom Himmel auf die Stadt Lübeck und ihre Kirchen fiel, brannte vom Backsteingemäuer die innere Tünche; hoch ins Gerüst soll nun Malskat, der Maler, abermals steigen, damit uns die Gotik nicht ausgeht, schreibt Günter Grass in seinem Roman Die Rättin. Der Maler Malskat, der da hoch ins Gerüst steigt, ist keine Romanfigur, den hat es wirklich gegeben. Lothar Malskat ist der Assistent des Restaurators Dietrich Fey, der den Auftrag für die Restaurierung der Lübecker Marienkirche bekommen hatte. Rechtzeitig zur 700 Jahr Feier soll alles fertig sein, die Sondermarken der Deutschen Bundespost sind schon gedruckt. Der Bundeskanzler Adenauer wird kommen. Da muss der Malskat hoch ins Gerüst steigen. Was hier auf der Marke ist, das ist keine deutsche gotische Wandmalerei - das ist ein echter Malskat. Aber das wissen vorerst nur Malskat und sein Chef.
Der wird dem Bundeskanzler vorgestellt, bekommt eine Urkunde und eine Ehrengabe. Sogar ein Professorentitel wird ihm in Aussicht gestellt. In Günter Grass' Roman Die Rättin sind die fünfziger Jahre falsche Fuffziger: Nach Berichten der Lokalpresse soll Adenauer gesagt haben: „Na, da haben Sie ja den Kunsthistorikern eine schöne Aufgabe hinterlassen." Nicht verbürgt ist die Legende, der Kanzler habe nach diesen Worten Fey zugezwinkert. Und wenige Seiten weiter heißt es: Es war nun mal die Zeit des Zwinkerns, der Persilscheine und des schönen Scheins. Im Jahrzehnt der Unschuldslämmer und weißen Westen, der Mörder in Amt und Würden und christlichen Heuchler auf der Regierungsbank, wollte niemand dies und das allzu genau wissen, gleich, was geschehen war. Während der Professor in spe sich angesichts des unerreichten mittelalterlichen Meisterwerks von gewaltiger Zeugniskraft im Ruhm sonnt und seinen Sekt trinkt, bekommen seine Gehilfen von ihm nur Bier und Schnaps spendiert. Ihr sollt auch nicht leben wie Hunde! Hier, lasst euch volllaufen, soll er gesagt haben. Den Sekt und den Ruhm hätte Lothar Malskat auch gerne gehabt. Das nagt jetzt an ihm. Das hier ist nicht der echte Lothar Malskat, das ist der viel zu früh gestorbene deutsche Schauspieler Hanns Lothar als Lothar Malskat. Den Blick des verkannten Genies, den hat er drauf.
Ich habe das Bild des Schauspielers nicht ohne Absicht gewählt, denn Schauspieler spielen auch in dem Kunstwerk im Langhaus der Marienkirche eine Rolle. Die mittelalterlichen Engel sind von dem Maler mit Gesichtern zeitgenössischer Schauspieler ausgestattet worden (der gerade in Holland verurteilte Han van Megeren hatte ja Ähnliches gemacht, und Malskat hatte schon unbemerkt 1941 seine Schwester ➱Frieda in den Schleswiger Dom gemalt), aber das stört erst einmal nicht. Wie eines Tages Hans Scheibner singen wird: Das macht doch nichts, das merkt doch keiner! Die Jubelfeiern sind vorüber, aber die Schlagzeilen sind immer noch sensationell und lauten Die Welt blickt auf St. Marien oder Die größten Funde Europas.
Die einzigen ➱Schlagzeilen, die es jetzt sonst noch gibt, kommen von dem Bundestagsabgeordneten Arno Hennig, dem Vorsitzender des Unterausschusses Kunst des kulturpolitischen Ausschusses des Bundestages. Er beklagt sich öffentlich, dass er bei dem Festakt nicht an prominenter Stelle neben dem Bischof Johannes Pautke und Konrad Adenauer gesessen habe. Zwar regen sich erste Zweifel an der Echtheit der gotischen Gemälde, aber die Bombe platzt noch nicht. Man hört nicht auf den Landeskonservator Dr. Peter Hirschfeld, der schon im Dezember 1948 Dietrich Fey ermahnt hatte: Von jeglichen Ergänzungen an Gesichtern, Händen, Füßen und Gewandkonturen ist abzusehen. Vollkommenen Fehlstellen an Gewändern ... kann eine gewisse Angleichung an die Umgebung zugelegt werden, wobei aber die Fehlstellen erkennbar bleiben müssen. Von den Fehlstellen wird dank der Kunstfertigkeit Malskats nichts übrig bleiben. Er hat ein Händchen dafür. Zuvor hatte sich sein Chef versucht, aber das war nichts: Malskat, jetzt müssen Sie ran. Waschen Sie die ganze Misere wieder ab, und dann legen Sie los! Da steigt nun hoch ins Gerüst Malskat, der Maler, damit uns die Gotik nicht ausgeht.
Erst einmal stellt die Doktorandin von Professor Richard Sedlmaier ihre Dissertation mit dem Titel Die mittelalterlichen Monumentalmalereien im Langhaus von St. Marien zu Lübeck. Ein Beitrag zu der Geschichte einer lübischen Wandmalerschule fertig. Darin stehen nur Sätze wie: Die Aufdeckung der Wandmalereien in St. Marien war für alle eine große Überraschung, hätte aber eigentlich nicht ganz unerwartet kommen dürfen. Frau Kolbe wird ihren Doktortitel nicht verlieren, der größte Teil ihrer Arbeit geht über Wandmalereien, die nicht von Malskat sind, aber der Ruf von Sedlmaier (bei dem ➱Wolfgang J. Müller vor dem Krieg promoviert hatte) ist gründlich beschädigt.
Wenn es nach dem Roman Die Rättin geht, dann ist es das Gewitter während des Festaktes gewesen, das aus dem Fälscher, dessen Werk nicht gewürdigt wird, einen reuigen Sünder macht: Schon wollte Malskat aufgeben und den Schwindel Schwindel sein lassen. Und wäre nicht das Unwetter mit Blitz und Donnerworten über Lübeck niedergegangen, hätte er womöglich geschwiegen. Nun aber, deutlich vom Himmel angesprochen, kramte der Maler Skizzen und Vorlagen, Tagebuchnotizen und sonstige Zeugnisse zusammen, nahm sich einen Rechtsanwalt und brachte in Selbstanzeige die Wahrheit, das Unzeitgemäße ans Licht.
Er wird es schwer haben, der Welt zu beweisen, dass er, Lothar Malskat, die Fresken gemalt hat. Man will die Wahrheit nicht hören. Man will nicht glauben, dass man von dem Gehilfen eines Restaurators düpiert wurde. Aber Malskat hat nicht nur Skizzen und Vorlagen, Tagebuchnotizen und sonstige Zeugnisse, er hat auch heimlich Photos von seinem work in progress gemacht. Im Januar 1955 wird Malskat in Lübeck zu 18 Monaten (Dietrich Fey zu 20 Monaten) Gefängnis verurteilt.
In dem Prozess gesteht Malskat auch, dass er im Auftrag von Dietrich Fey in etwa 600 Fällen Werke alter und moderner Meister gefälscht habe. Die sogenannte entartete Kunst ist in der Nachkriegszeit ein Renner, also malt Malskat falsche Noldes und Ähnliches. Aber obgleich er in seinen echten Werken ein verspäteter Expressionist ist, ist das ist nicht seine Sache. Er fühlt sich dem Geist der Gotik verbunden, wie er eines Tages erklären wird: Den genialen Künstlern der Stauferzeit fühle ich mich durch mein früheres Schaffen – meine gotischen Wandmalereien in der Lübecker Marienkirche und in anderen Sakralbauten – wahlverwandt. Die Koryphäen der Kulturgeschichte feierten mich als einen von ihnen und ließen mich Anno Domini 1321 dahinscheiden, bevor man mich als „größten Fälscher aller Zeiten“ entlarvte.
Für die Künstler jener Zeit wäre die Berufung auf ihre kreative Leistung eine des Scheiterhaufens würdige Todsünde gewesen, da das Attribut „schöpferisch“ noch bis weit ins 18. Jahrhundert hinein allein dem Allmächtigen zustand. Sie hätten es ganz legitim gefunden, dass ich einst, der Not der Nachkriegszeit gehorchend, in ihrem Stil in Gottes Namen die Kirchenschiffe zum Frommen der Gläubigen schmückte und um meiner darbenden Familie willen auch „echte“ Rembrandts, Utrillos und Picassos hervorbrachte. Der durch die internationale Presse gegangene Malskat-Skandal ist abgeklungen, und wenn in dem berühmten SPIEGEL-Gespräch mit Heidegger mein Name einen Disput über Wesen und Aufgabe der Gegenwartskunst auslöste, so sehe ich darin ein Symptom für eine zukunftsweisende adäquate Würdigung. Es ist eine Gnade, dass ich nun, dem Kampf ums schiere Dasein enthoben, die Ernte meiner Erfahrungen mit Natur und Kunst in meinem Spätwerk einbringen darf.
Das sind hehre Worte eines Gelegenheitsarbeiters, den Dietrich Fey 1938 als Malergehilfe bei der Kirchenrestaurierung in Schleswig angestellt hatte. Und was malt Malskat da ins Kirchenschiff? Truthähne. Wir wissen, dass dieser Vogel, der in Amerika zum Erntedankfest auf den Tisch kommt, vor Kolumbus schlecht nach Europa gelangt sein kann. Der Konquistador Hernán Cortés brachte aus Amerika Haustruthühner nach Spanien mit, die sich bald von dort über Europa verbreiteten. Aber vorher? Für die nationalsozialistischen Geschichtsklitterer war dies der Beweis, dass die Wikinger (die ja bekanntlich in Haithabu zu Hause sind) Amerikaner entdeckt und die Truthähne nach Schleswig mitgebracht hatten. Aber niemand hat damals gelacht, nur der Kieler Professor Alfred Kamphausen sprach 1941 von einem Treppenwitz der Forschungsgeschichte.
Mundus vult decipi, ergo decipiatur. Nach dem Prozess gegen Fey und Malskat lässt der Bischof die gotische Kunst von der Wand wischen. Was ist von Lothar Malskat, der heute vor 101 Jahren geboren wurde, geblieben? Die Romanfigur in Günter Grass' Roman Die Rättin und ein Fernsehfilm mit Hanns Lothar. Die im Rahmen des Prozesses sichergestellten Fälschungen Malskats sind in der gerichtshistorischen Sammlung des Landgerichtes Flensburg archiviert. Die Sondermarke zum 700. Geburtstag der Marienkirche wird heute ab 48,95 Euro gehandelt. Echte Malskats und Kunstdrucke sind immer noch im Handel. Aber wer wollte dafür Geld ausgeben? Lothar Malskat starb am 10. Februar 1988 in diesem Häuschen in Wulfsdorf bei Lübeck einsam mit seinen drei Hunden.
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P.S. Hannes Hansen hat mich darauf aufmerksam gemacht, dass der eigentliche Schöpfer der Truthähne der Restaurator August Olbers gewesen sei. Ich zitiere zu dem Truthahnstreit einmal das Landesamt für Denkmalpflege: Schon ein Jahrzehnt zuvor hatte der bekannte "Truthahnstreit" Furore gemacht. Die frühgotischen Wandmalereien im Schwahl des Schleswiger Doms – sie zeigen Szenen aus dem Leben Christi in Rotlinienmalerei – waren erstmals um 1890 durch den Maler August Olbers restauriert worden. Fehlstellen in den abschließenden stark zerstörten Tiermedaillonfriesen ergänzte er damals frei nach eigenen Vorlagen ohne fälschende Absicht und machte die während seiner Arbeit hinzugekommenen vier Truthähne unter der Szene "Kindermord" auf seinen zur Dokumentation angefertigten Pausen als eigene Zutat kenntlich. Provinzialkonservator Prof. Richard Haupt wies Olbers auf einen Anachronismus hin, denn schließlich kam der Truthahn erst Anfang des 16. Jahrhunderts von Amerika nach Europa. Vierzig Jahre später wurden die Malereien erneut restauriert, diesmal unter der Oberleitung des Kunstmalers Prof. Ernst Fey aus Berlin. Dabei unterstützten ihn die Gehilfen Keitz und Malskat und besonders sein Sohn Dietrich , der die Restaurierung schließlich eigenverantwortlich übernahm. Am Ende der Maßnahmen waren aus vier im Wechsel zu den Truthähnen gemalten Füchsen ebenfalls Truthähne geworden. Den Beteuerungen des alten Malers Olbers, ihm sei bei seiner Restaurierung damals ein Fehler unterlaufen und er der eigentliche Schöpfer der Truthähne, wurde kein Glauben geschenkt. Für den Kulturforscher Schirmann- Hamkens aus Schleswig schien nun endlich der Beweis für die Entdeckung Amerikas durch die Wikinger erbracht. Mit Schlagzeilen wie "Truthahn entthront Columbus" nahm die Neuentdeckung einen geradezu sensationellen Verlauf, bis 1947 ein vom Hochbauamt Schleswig angefordertes Gutachten durch Prof. Wehlte (damals Berlin) Aufklärung brachte.Die vorkolumbischen Wikingerfahrten hatten nur zu gut in die germanisierende Weltanschauung des Nationalsozialismus gepaßt!
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