Eigentlich sollte der junge Norweger auf seiner Hochzeitsreise 1937 mit seiner Frau Liv jetzt glücklich sein, er befindet sich in der schönsten Gegend der Welt, einem Paradies. Da wo Herman Melville auch einmal war, als er von einem Walfänger Acushnet getürmt war. Und die schöne Fayaway kennenlernt. Und hinterher seinen ersten Roman, seinen einzigen Bestseller, darüber geschrieben hat: Typee: A Peep at Polynesian Life. Aber der Aufenthalt auf den Marquesas wird für den jungen norwegischen Zoologen (der damals genauso alt ist wie Melville bei seinem Aufenthalt auf Nukihava) zu einer Art Busman's Honeymoon. Dieser Roman, mit dessen Titel ➱Dorothy Sayers die englische Wendung busman's holiday etwas variiert, ist gerade erschienen.
Der junge Norweger denkt über die Anfänge der polynesischen Kultur nach. Kann der Sonnengott Qun Tiksi Wiraqucha, der Begründer der Zivilisation der Inka, der gleiche Gott sein, den man hier angebetet hat? Und wenn ja, wie sind die damals gegen den vorherrschenden Westwind über den halben Pazifik gekommen? Denn dieser Gedanke ist am Strand plötzlich auf ihn eingestürzt: Liv, hast du eigentlich gemerkt, daß die riesigen Steinbilder von Tiki droben im Dschungel auffallend an die mächtigen Steinplastiken in Südamerika erinnern, an diese Reste längst ausgestorbener Kulturen?
Unser junger Norweger mit dem unbändigen Tatendrang, der natürlich (das haben Sie längst gewußt) Thor Heyerdahl heißt, hatte Monate zuvor den Besitzer der Präzisionsuhrenfabrik Eterna in Grenchen gefragt, ob der ihm ein halbes Dutzend wasserdichte Strapazieruhren liefern könne. Und möglichst umsonst. Er hat keinen Pfennig Geld mehr. Das wird sich ändern, wenn er zwei Jahre später den Bestseller Kon-Tiki: Ein Floß treibt über den Pazifik schreibt. Dr. Rudolf Schild-Comtesse kann (wie hunderte andere, von denen Heyerdahl in diesen Jahre Hilfe erbittet) dem Charme des Norwegers nicht widerstehen. Die Uhren sind rechtzeitig fertig. Thor Heyerdahl hatte nicht einmal im Traum an Uhren der Firma Rolex gedacht, Uhren von Eterna hatten damals Weltruf. Und außerdem kannte er den Besitzer der Präzisionuhrenfabrik. Ich wiederhole dieses schöne Wort, weil es damals noch auf den hellblauen Garantiescheinen der Firma Eterna steht.
Über die Reise der Kon-Tiki braucht man nichts zu sagen, Thor Heyerdahl hat in seinem Buch 1949 alles darüber erzählt. Innerhalb eines Jahres wurden damals in Deutschland 160.000 Exemplare verkauft. Das Jahr 1949 ist auch das Jahr, in dem er sich scheiden lässt und eine neue Ehe eingeht. Zwanzig Jahre später läßt er sich wieder scheiden und heiratet mit 75 Jahren Jacqueline Beer. Eine ehemalige Miss France, die in Hollywood mit der Serie 77 Sunset Strip berühmt geworden war. Aber das Jahr 1949 ist auch für die Firma Eterna und die Geschichte der Schweizer Uhrenindustrie von großer Bedeutung. Denn soeben hat der Chefkonstrukteur Heinrich Stamm, firmenintern nur Daniel Düsentrieb genannt, die Eternamatic erfunden. Eine Automatikuhr, bei der der Rotor in einem Kugellager mit fünf winzig kleinen Kugeln gelagert wird (30.000 von ihnen würden in einen Fingerhut passen). Die fünf Kugeln, die man auf dem Werk unten in der Mitte sehen kann, werden zum Markenzeichen von Eterna. Beinahe 95 Prozent aller Schweizer Automatikuhren, die heute gebaut werden, basieren auf dem Eterna Automatikwerk von Heinrich Stamm.
Dies hier ist die neue Generation der Werke, die auch in der Eterna KonTiki (Modellnummer 130 TT) eingebaut war. Es ist das Kaliber 1414 U (baugleich mit 1424 UD, das ein Datum hat). Diese neuen Werke hatte man zur Hundertjahrfeier der Eterna zuerst in die Centenaire Modelle eingebaut, man erkennt die Werke an dem Zusatz D hinter der Zahl (der Zusatz U heißt, dass das Werk eine werkseigene Stoßsicherung vom Typ U hat). Das Werk hat einen glatten Glucydur Unruhreif (keine Schräubchen mehr an der Unruhe), und ein bewegliches Spiralklötzchen (damit kann man eine Asymmetrie des Ganges korrigieren). Es ist 13 Linien (= 29 mm) groß und hat mit 11,5 mm eine relativ große Unruhe. Das Werk hat bei Vollaufzug eine Gangreserve von 48 Stunden. Nach einem halben Jahrhundert sind diese Werke immer noch state-of-the-art.
Mit diesem Wikinger hat man das KonTiki Modell einmal beworben, aber auch mit dieser jungen Dame. Die KonTiki, die zehn Jahre nach Heyerdahls Reise auf den Markt kam, hatte ein massives Gehäuse. Mit Bandanstößen, die man bombé, also gewölbt, nennt. Bei Rolexsammlern heißt das ähnliche Rolexmodell immer Bombay, die können eben kein Französisch (bei meinem Schlachter, der kein Englisch kann, wird sirloin auch als Ceylon-braten angeboten). Das Gehäuse war für 200 Meter Wassertiefe als wasserdicht garantiert. Damals bedeuteten 200 Meter noch 200 Meter. Wenn heute auf Uhren steht, dass sie bis 30 Meter wasserdicht sind, heißt das nur, dass man sie zum Händewaschen nicht abzulegen braucht, nichts anderes. Auf den ersten Gehäusen (das war das Modell 130 T mit dem schwarzen Zifferblatt) war noch eine mickrige Gravierung eines Floßes, die aber schnell von einem 18 karätigen Goldmedaillon abgelöst wurde.
Das natürlich das Kon-Tiki Floß zeigte, mit den fünf Eterna Kugeln im Segel. Das Armband für dieses Modell kam von der Firma Gay Frères, die auf feingliedrige Metallarmbänder spezialisiert war und nur das oberste Marktsegment der Schweizer Uhrenindustrie belieferte. Diese typischen Gay Frères Bänder werden häufig mit speziellen Uhren verbunden, wie der alten IWC Ingenieur, der Jaeger-LeCoultre Memovox oder der Tissot T 12. Und natürlich der Eterna Kontiki. Vor einigen Jahren ist die Firma Gay Frères von Rolex gekauft worden, diese Firma wollte wohl zum ersten Mal in ihrer Geschichte vernünftige Bänder an ihren Uhren haben.
Nach zehnjähriger Suche ist es mir gelungen, ein originales und sogar nie getragenes KonTiki Band aus dem zweiten Quartal 1963 (Gay Frères signiert seine Bänder mit dem Herstellungsdatum) zu finden. Sie sieht jetzt genau so aus, wie auf dem Photo ganz oben. Bisher musste sich die Uhr mit einem Haifischband begnügen, jetzt ist sie ganz original.
Es gibt inzwischen natürlich heute wieder Retro Modelle der KonTiki, aber die sind für einen Sammler natürlich nicht the real thing. Es muss für den Sammler auch das originale erste Modell sein, wo der Schriftzug KonTiki auf dem Zifferblatt noch wie mit der Hand gemalt aussieht (noch nicht in Druckschrift, wie bei den Nachfolgemodellen). Die Firma Eterna, die mit der damaligen inhabergeführten Präzisionsuhrenfabrik nur noch den Namen gemein hat, ist heute auch Sponsor des Kontiki Museums in Oslo. Das kann man gut verkaufen. Rudolf Schild-Comtesse hat an so etwas damals nicht gedacht, als er ein halbes Dutzend Uhren für den charmanten norwegischen Spinner machen ließ.
So abenteuerlich die Fahrt mit dem Floß über den Pazifik war, wissenschaftlich hat sie nichts bewiesen. Zehn Jahre nach der Expedition versucht der Franzose Eric de Bisschop (der zu der Zeit als Heyerdahl seine ersten Flitterwochen in der Südsee verbrachte, mit einem polynesischen Kanu von Honululu nach Frankreich gepaddelt war) den Gegenbeweis anzutreten. Dass der Kulturaustausch nicht von Ost nach West verläuft, wie es Heyerdahl gegen den Rest der wissenschaftlichen Welt annahm, sondern andersherum. Allerdings scheiterte seine Tahiti Nui auf See. Die größten Rätsel der polynesischen Kultur wurden allerdings nicht von einem norwegischen oder einem französischen Abenteurer gelöst, sondern - und das passend im Jahr der Lancierung der Eterna KonTiki - von einem deutschen Wissenschaftler. Am Schreibtisch. Dr. Thomas Sylvester Barthel, der während des Krieges bei der Wehrmacht Geheimschriften entzifferte, danach 1952 mit einer Arbeit über kolumbische Hieroglyphen promoviert wurde, entzifferte die Schrift der Osterinsel! Ohne Eterna KonTiki, ohne Abenteuer und ohne Ananas.
Die schönen Bilder von Tahiti stammt von dem englischen Maler William Hodges, R.A., der hatte Captain Cook auf seiner zweiten Reise begleitet. Captain Cook hatte noch keine wasserdichte Eterna KonTiki, aber er hatte eine Kopie von der Harrison No. 4, die ➱Larcum Kendall angefertigt hatte. Hodges hatte bei ➱Richard Wilson gelernt, später war er Theatermaler. Man merkt das ein wenig, Landschaften mit Effekten von Licht und Schatten à la Loutherbourg kann er gut. Portraits kriegt er nicht so gut hin. Später war er nach Indien gegangen, der erste professionelle Maler, der den Subkontinent bereiste. Er stirbt mit 53 Jahren, wahrscheinlich war es Selbstmord. Die Bank, bei der er sein Geld angelegt hatte, war wegen einer Fehlspekulation pleite. Das könnte heute ja nie passieren.
Es gibt für Eterna Sammler leider kein gutes Buch in der Art der Bücher, die Marco Richon für Omega geschrieben hat. Das schnell zusammengeschusterte Buch Eterna: Pioniere der Uhrmacherkunst von Gisbert L. Brunner und Christian Pfeiffer-Belli ist das Geld nicht wert. Es gibt aber eine wirklich exzellente ➱Eterna Seite von Gerhard Schmidt im Internet.
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